L 13 R 686/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 R 452/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 686/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die im November 1951 geborene Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben von 1966 bis 1968 den Beruf der Fotolaborantin erlernt. Sie war im Anschluss daran bis 1979 im erlernten Beruf tätig. Nach Zeiten der Kindererziehung war sie ab 1991 mit Unterbrechungen in wechselnden Anstellungen als Reinigungskraft, Stationshelferin in einem Altersheim und zuletzt als Reinigungskraft von August bis Dezember 2002 versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit nahm sie im Jahr 2007 an einer Maßnahme der Arbeitsvermittlung als Verkäuferin in einem Second-Hand-Shop teil. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos.

Die Klägerin begehrte mit Antrag vom 4. März 2009 Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Die Beklagte zog Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. medic/IMF B-Stadt F. und Dr. W. sowie einen Entlassungsbericht der J. Reha-Kliniken Bad F. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 17. November 2008 bis 8. Dezember 2008 bei. In der Reha-Klinik Bad F. wurde bei der Klägerin ein chronisches HWS-Syndrom mit vertebragenem Schwindel und Kribbelparästhesien beide Hände bei multipler cervikaler Discopathie, ein rezidivierendes LWS-Syndrom bei Fehlstellung und multipler lumbaler Discopathie, ein Zustand nach Hallux-valgus-Operation rechts (2007) mit Restbeschwerden sowie ein leichtes Übergewicht diagnostiziert. Die Klägerin sei sowohl als Fotolaborantin als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich einsetzbar. Zu vermeiden seien schwere körperliche Belastungen im Sinne von Heben und Tragen schwerer Lasten sowie einseitige Körperhaltungen. Aus einer von der Beklagten eingeholten Arbeitgeberauskunft der Firma R. ergibt sich, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft eine ungelernte Tätigkeit darstellte. Nach sozialmedizinischer Auswertung der Befundunterlagen lehnte die Beklagte mit angefochtenem Bescheid vom 1. Juli 2009 den Rentenantrag ab. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht. Maßgeblicher Hauptberuf sei die Tätigkeit als Reinigungskraft. Damit könne die Klägerin uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, bei ihr lägen erhebliche Schäden auf orthopädischem Fachgebiet vor. Ein weiteres Attest von Dr. F. wurde übersandt. Aus diesem ergebe sich, dass die Klägerin zusätzlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide.

Die Beklagte zog daraufhin einen Entlassungsbericht der AHG Klinik W. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 28. Dezember 2009 bis 22. Februar 2010 bei. Dort wurden bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Abhängigkeitssyndrom von Alkohol
2. Depressive Episode, leicht
3. Anpassungsstörung
4. Essstörung
5. Abhängigkeitssyndrom von Tabak.

Die Klägerin sei unter Abstinenzbedingungen noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie als Raumpflegerin mindestens 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei Vermeidung von häufigem Bücken, Heben von schweren Lasten, Zwangshaltungen und längerem Sitzen zu verrichten.

Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2010 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und auf erhebliche Probleme auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet verwiesen.
Dr. F. bestätige, dass die Klägerin nur noch unter vier Stunden täglich arbeiten könne. Das SG hat diverse Befundberichte sowie einen Entlassungsbericht des Klinikums Bad B. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 16. März bis 6. April 2011 beigezogen. Hier wurden bei der Klägerin ein chronisch-degeneratives Lumbalsyndrom bei schwerer Osteochondrose und alter BS-Protrusion L 5/S 1, ein chronisches Cervicalsyndrom bei muskulärer Dysbalance und Fehlstatik, ein Schulterarmsyndrom rechts (Zustand nach Sturz mit Schultergelenksprellung), eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leicht, sowie eine Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent, diagnostiziert. Die Klägerin sei noch in der Lage, als Reinigungskraft sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden und mehr leichte bis mittelschwere Arbeiten zu verrichten.

Das SG hat gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis erhoben durch Einholung eines chirurgischen Gutachtens von Dr. S. vom 19. Juli 2011 sowie eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. W. vom 14. Dezember 2011.

Dr. S. hat bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Fehlhaltungen und Verbiegungen der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen und Bandscheibenschäden an allen Wirbelsäulenabschnitten, teilweise mit Berührung der Nervenwurzeln sowie Einengung der Nervenwurzelaustrittslöcher und des Spinalkanals, aber keine Claudicatio spinalis. Funktionsbehinderungen, teilweise schmerzhaft.
2. Funktionsbehinderung mit belastungsbedingten Beschwerden am rechten Schultergelenk
3. Geringe Fingergelenkspolyarthrosen, Verdacht auf CTS beidseits (morgendliche Gefühlsstörungen)
4. Kniegelenksarthrose ohne Funktionsbehinderung, belastungsbedingte Beschwerden, Fußfehlform beidseits, eingeschränkte Beweglichkeit der rechten Großzehe nach Operation
5. Seelische Störung (rezidivierende Depressionen, Angst- und Panikstörungen)
6. Chronische Magenbeschwerden.

Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich sechs Stunden und mehr leichte körperliche Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, am günstigsten in Wechselhaltung, zu verrichten. Vermieden werden müssten schweres oder mittelschweres Heben und Tragen, Zwangshaltungen, häufige Arbeiten in kniender oder gebückter Haltung, häufige Überkopfarbeiten, häufiges Klettern und Steigen, Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen und besondere nervliche Belastungen. Der Schutz vor Nässe, Kälte und Zugluft sei notwendig. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.

Dr. W. hat bei der Klägerin eine emotional instabile Persönlichkeit mit den Symptomen depressiver Stimmungseinbrüche, autoaggressive Impulse, eine Essstörung, einen Alkoholabusus in der Vergangenheit, eine posttraumatische Belastungsstörung, ein chronisches HWS/LWS-Syndrom, derzeit ohne radikuläre Symptomatik und ohne motorische Defizite sowie ein Karpaltunnel-Syndrom beidseits, links stärker als rechts, festgestellt. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen, Arbeiten auf Gerüsten und Leitern mit Absturzgefahr oder an Maschinen, Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützapparates wie überwiegendes Stehen oder Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken oder Überkopfarbeiten, Arbeiten in Zwangshaltungen und häufiges Steigen, Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung (Akkord-/Fließbandarbeit, Wechsel-Nachtschicht, Lärm).

Die Klägerin hat daraufhin einen Befundbericht der behandelnden Nervenärztin Dr. R. übersandt, wonach die Klägerin aufgrund ihrer psychovegetativen Beeinträchtigungen bei fehlender ausreichender sozialer Kompetenz und Belastbarkeit nicht mehr in der Lage sei, über drei Stunden täglich Arbeiten zu verrichten. In einer ergänzenden Stellungnahme unter dem 16. März 2012 hat Dr. W. an ihrer sozialmedizinischen Beurteilung festgehalten.

Hierzu hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 7. April 2012 Stellung genommen. Die Fragestellung von Dr. W., ob sich die Klägerin eine Pförtnertätigkeit vorstellen könne, lasse Zweifel an der Objektivität der Sachverständigen aufkommen. Der Sachverständigen dürfte bekannt sein, dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt klassische Pförtnertätigkeiten praktisch nicht mehr gebe. Die Klägerin sei durch die Fragestellung der Sachverständigen völlig überfordert gewesen und habe aus ihrer Unsicherheit heraus diese Frage entgegen ihrer inneren Überzeugung mit ja beantwortet. Patienten mit einem Borderline-Syndrom seien für Pförtnertätigkeiten nicht geeignet. Sie litten unter einer affektiven Instabilität und hätten Schwierigkeiten, Wut zu kontrollieren. Sie zeigten dissoziative Symptome und paranoide Vorstellungen, alles Wesensmerkmale, die für einen Pförtnerdienst höchst ungeeignet seien. Auch habe die Sachverständige in Bezug auf das angebliche Interesse der Klägerin an Schulungen des Arbeitsamtes etwas missverstanden. Die Klägerin habe im Jahre 2004 beim Arbeitsamt B-Stadt wegen einer PC-Schulung angefragt, um eine leichte Bürotätigkeit ausüben zu können. Die Schulung sei jedoch mit der Begründung verweigert worden, sie sei für einen solchen Kurs nicht hinreichend qualifiziert. Schließlich habe die Klägerin auch keinen Lebenspartner. Der gelegentliche Besuch einer Sauna und eines Thermalbades seien keine Kriterien, die die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verhinderten.

Das SG hat daraufhin die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2012 unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Sachverständigen Dr. S. und Dr. W. abgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 7. April 2012, der vom SG völlig ignoriert worden sei. Auch sei die Klägerin auf orthopädischem Gebiet von einem Chirurgen statt von einem Orthopäden begutachtet worden. Es wurde beantragt, die Klägerin auf orthopädischem und psychiatrischem Gebiet erneut begutachten zu lassen.

Die Beklagte wies darauf hin, dass die Klägerin vorbehaltlich einer individuellen Wartezeitprüfung einen Altersrentenanspruch mit Abschlägen realisieren könnte, und riet eine entsprechende Antragstellung an.

Der Senat teilte der Klägerin mit, dass von Amts wegen keine weiteren Gutachten in Auftrag gegeben würden.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG hat der Senat ein nervenärztliches Gutachten von Dr. C. vom 11. Dezember 2012 eingeholt. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit deutlichen depressiven Stimmungsseinbrüchen, Neigung zu chronischem Alkoholmissbrauch und zu Selbstbeschädigungshandlungen, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Alkoholkrankheit (aktueller Rückfall), ein beginnendes Karpaltunnel-Syndrom beidseits unter Ausschluss eines persistierenden sensomotorischen Defizits, eine rezidivierende Lumboischialgie rechts unter Ausschluss eines radikulären Ausfallsyndroms bei bekannten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen sowie ein Schmerzsyndrom rechtes Knie und linke Schulter bei Zustand nach Meniskusoperation rechts 7/2012. Die Klägerin könne auch leichte körperliche Tätigkeiten nur noch weniger als drei Stunden täglich durchführen.

Hierzu hat der sozialmedizinische Dienst der Beklagten Stellung genommen und ausgeführt, der Einschätzung von Dr. C. könne nicht gefolgt werden.

Die Klägerin legte daraufhin weitere orthopädische Befundberichte vor, zu denen der ärztliche Dienst der Beklagten ebenfalls Stellung genommen hat, und beantragte die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bei Dr. C. zu den Ausführungen der Beklagten. In seiner Stellungnahme vom 18. März 2013 hat Dr. C. an seiner sozialmedizinischen Beurteilung festgehalten. Die Beklagte und die Klägerin haben sich hierzu mit Schriftsätzen vom 8. Mai 2013 bzw. 13. Juni 2013 geäußert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26. Juni 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2010 aufzuheben und der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 1. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2010 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2, 1 SGB VI und Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 Abs. 1, 2 SGB VI zu.

Gem. § 43 Abs. 2, 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei bzw. sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG und dem Bayerischen Landessozialgericht steht für den erkennenden Senat fest, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert ist, ohne dass die qualitativen Leistungseinschränkungen jedoch einen rentenerheblichen Umfang angenommen hätten. Eine quantitative Leistungseinschränkung liegt nicht vor. Die insoweit abweichende Leistungsbeurteilung von Dr. C. überzeugt den Senat nicht.

Bei der Klägerin stehen die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet im Vordergrund.

Bei der Untersuchung der Klägerin durch die erfahrene Gerichtssachverständige Dr. W. war die Klägerin freundlich zugewandt, vom Affekt eher leicht gedrückt, aber schwingungsfähig. Von Seiten des Antriebs zeigten sich keine gravierenden Auffälligkeiten. Sie gab einen Tagesablauf mit diversen Aktivitäten an (Fahrt in die Stadt mit dem Bus, Wahrnehmung von Terminen, Kontaktaufnahme mit dem Lebenspartner, Besorgung der Wohnung, Lesen, jährlicher Urlaub mit kleineren Bergtouren, längere Spaziergänge, Sauna- und Thermalbadaufenthalte). Von Seiten der Konzentration, Auffassungsgabe und Aufmerksamkeit zeigten sich keine Auffälligkeiten. Hinweise auf eine hirnorganische Symptomatik, inhaltliche Denkstörungen, Störungen des Icherlebens oder Halluzinationen ergaben sich nicht. In neurologischer Hinsicht war der Hirnnervenbefund unauffällig. Bei der Überprüfung der Motorik waren die HWS und LWS leicht klopfschmerzhaft, es zeigten sich aber keine Muskelathropien oder Paresen. Die Muskeleigenreflexe waren allseits mittellebhaft auslösbar, der Muskeltonus war regelgerecht, die Koordination unauffällig.

Die Klägerin berichtete über sexuellen Missbrauch durch beide Elternteile in der Kindheit. Mit Ende 20 seien ihr die Missbrauchserlebnisse zum Teil bewusst geworden. Sie leide bis heute unter Flash-back-Erlebnissen. Auch hätten sich Essstörungen, eine Alkoholabhängigkeit sowie die Neigung zu autoaggressiven Handlungen (Zufügung von Verletzungen im Gesicht) bei ihr herausgebildet.

Die Sachverständige Dr. W. ist unter Berücksichtigung der Umstände, dass sich bei der Klägerin keine schwere depressive Episode nachweisen ließ, die Klägerin affektiv recht ausgeglichen wirkte, keine gravierende Antriebsstörung und kein sozialer Rückzug vorliegen, die Klägerin sich selbst als leistungsfähig für leichte Tätigkeiten, die Rücksicht auf ihre Wirbelsäulenerkrankung nehmen würden einschätzte, sowie angesichts des unauffälligen neurologischen Befunds für den Senat nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten nicht eingeschränkt ist.

Die hiergegen erhobenen Einwendungen von Dr. R. überzeugen den Senat nicht. Danach komme es bekanntermaßen in Gutachtenssituationen zu einem oberflächlich wirkenden, angepassten Verhalten. Die Klägerin dissimuliere aufgrund ihres Schamgefühls ihre eigentlichen Beschwerden im Alltag und könne gegenüber Fremden ihre tiefstinnersten psychischen Beeinträchtigungen kaum mitteilen. Die Klägerin habe gelernt, eine Fassade aufzubauen mit pseudoangepasstem Verhalten ohne je ihre eigenen Gefühle oder Bedürfnisse adäquat zu äußern, so dass hier leider der Eindruck entstehe, dass die jahrelange Traumatisierung keine wesentlichen Folgen und Beeinträchtigungen nach sich gezogen hätten. Dies betreffe auch die scheinbar "Heile-Welt-Darstellung" bezogen auf die Alltagsgestaltung. Diese entsprächen nicht den täglich quälenden Aspekten von destruktivem Verhalten und Impulsstörungen (Selbstverletzung, Essstörung, früherer Substanzmissbrauch, suizidales Denken). Bei der Klägerin liege keine gesunde psychosoziale Funktionsfähigkeit vor. Bei ihr habe sich eine psychiatrische Komorbidität entwickelt im Sinne einer Persönlichkeitsveränderung begleitet von rezidivierenden depressiven Episoden, misstrauischer Grundhaltung, Entfremdungsgefühl verbunden mit Gefühl emotionaler Betäubung, Bedrohungsgefühl von außen, allgemeiner Hoffnungslosigkeit und innerer Leere. Durch eine Tätigkeit würden traumatische Erlebnisse an diversen Arbeitsstellen reaktiviert und die psychische Beeinträchtigung erneut verstärkt werden.

Dr. W. hat dem nachvollziehbar entgegengehalten, dass bei der Klägerin durchaus eine posttraumatische Belastungsstörung und eine emotional instabile Persönlichkeit vom Borderline-Typus anzunehmen seien, die die angegebenen Beschwerden miterklärten. Sie verwies aber auf den nicht schwerwiegenden psychopathologischen Befund und die Angaben der Klägerin zu ihrer Lebensgestaltung. Für den Senat ist dabei nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin in der Begutachtungssituation bei Dr. W., bei der ihren Einlassungen erhebliche Bedeutung für die Gewährung der von ihr begehrten Rente wegen Erwerbsminderung zukommen, ein oberflächlich wirkendes angepasstes Verhalten an den Tag gelegt haben soll, das von der erfahrenen Gerichtsachverständigen Dr. W. nicht als solches erkannt worden wäre. Die Klägerin hat sämtliche von Dr. R. erwähnten Störungen einschließlich der Missbrauchserfahrungen, der Essstörungen und der Selbstverletzungstendenzen Dr. W. mitgeteilt und nicht etwa unerwähnt gelassen. Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass die von der Klägerin Dr. W. mitgeteilten Alltagsaktivitäten der Wahrheit entsprechen. Es gibt keinerlei nachvollziehbaren Grund dafür, warum die Klägerin - bei von Dr. S. attestierter hoher (sprachgebundener) Intelligenz - insoweit gegenüber Dr. W. zu ihren eigenen Lasten die Unwahrheit gesagt haben sollte. Dabei kommt es - das sei bereits an dieser Stelle erwähnt - auch nicht darauf an, ob die Klägerin mit ihrer Borderline-Symptomatik noch in der Lage ist, Tätigkeiten als Pförtnerin zu verrichten. Denn der Benennung einer Verweisungstätigkeit bedarf es nicht.

Das Gutachten von Dr. C. kann für den Senat ebenfalls nicht schlüssig nachweisen, dass bei der Klägerin die quantitative Leistungsfähigkeit auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingeschränkt ist.

Bei der Untersuchung der Klägerin in körperlich-neurologischer Hinsicht fanden sich nach der Einschätzung von Dr. C. nur Gesundheitsstörungen, die in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. S. in seinem chirurgischen Gutachten vom 19. Juli 2011 allein die von Dr. S. erwähnten qualitativen Leistungseinschränkungen bedingen, jedoch keine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit.

In psychiatrischer Hinsicht war die Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. C. in allen Qualitäten voll orientiert. Merkfähigkeit und Altgedächtnis waren intakt, fortlaufende Subtraktionsaufgaben wurden rasch und sicher bewältigt. Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit waren adäquat unauffällig. Das Antriebsniveau war nur mäßiggradig, die Psychomotorik nur leicht reduziert. Psychotische Phänomene wie inhaltliche Denk-, Ich- oder Wahrnehmungsstörungen konnte Dr. C. nicht feststellen. Von geschilderten Suizidgedanken konnte sich die Klägerin distanzieren. In psychopathologischer Hinsicht war die Klägerin ausgeprägt depressiv verstimmt bei deutlicher ängstlicher und innerer Anspannung mit häufigen Flash-back-Erinnerungen, Neigung zu Selbsthass, raschen Stimmungsschwankungen zwischen Einsamkeitsgefühlen einerseits sowie Angst vor Ablehnung und rascher emotionaler Dekompensation bei näheren Sozialkontakten andererseits. Einen Anhalt für zerebrale Funktionsstörungen konnte Dr. C. nicht feststellen.

Dr. C. ist ebenfalls zu der Einschätzung gekommen, dass bei der Klägerin eine schwere ausgeprägte depressive Symptomatik nicht vorliegt. Bei ausgeprägter emotional instabiler Persönlichkeitsstörung sowie posttraumatischer Belastungsstörung sei es der Klägerin jedoch nicht möglich, einer erneuten Berufstätigkeit nachzugehen, da sie hierdurch zwangsweise unausweichliche emotionale persönliche Kontakte zu Mitarbeitern und Arbeitskollegen eingehen müsste, was wiederum zu einer schweren Gesundheitsschädigung in Form von erneuten Alkoholrückfällen, vermehrten Selbstbeschädigungen sowie verstärkten depressiven Einbrüchen führen würde.

Der Senat teilt die Einschätzung der Beklagten, dass diese Annahme spekulativ ist. Die Persönlichkeitsstörung der Klägerin hat sich aufgrund der traumatischen Kindheit bereits früh abgezeichnet. Trotz dieser lebenslang bestehenden Störung war die Klägerin dazu in der Lage, Beschäftigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Schwankungen zum Störungsbild der emotionalen Instabilität dazu gehören. So war die Klägerin auch in der Lage, einen von Dr. C. berichteten Alkoholrückfall aus eigenem Antrieb wieder zu beenden und dem Drang zur Selbstverletzung im Vorfeld der Begutachtung durch Dr. C. zu widerstehen.

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Ärzte der Beklagten und die vom SG beauftragte Dr. W., sondern auch die Ärzte in den Einrichtungen der stationären Rehabilitation, in denen sich die Klägerin im November/Dezember 2008 (J. Reha-Kliniken Bad F.) bzw. Dezember 2009 bis Februar 2010 (Klinik W. Bad H.) sowie März/April 2011 (Bad B.) aufgehalten hat, aus der schon damals vorliegenden Persönlichkeitsstörung der Klägerin nicht abgeleitet haben, die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin sei eingeschränkt. Die Klägerin war auch in der Lage, die durchaus mit Kontakt zu verschiedenen Therapeuten und anderen Mitpatienten gekennzeichneten Maßnahmen zu absolvieren, wobei der Klägerin von der Einrichtung Bad B. ausdrücklich bestätigt wurde, dass ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht beeinträchtigt sei. Damit ist die Einschätzung von Dr. C. nicht vereinbar, die Klägerin sei nicht in der Lage, emotionale persönliche Kontakte zu Mitarbeitern und Arbeitskollegen einzugehen.

Darüber hinaus hat die Beklagte zurecht darauf verwiesen, dass die Behandlungsmöglichkeiten der Klägerin sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch bei weitem noch nicht ausgeschöpft seien.

Auch aus orthopädischer-chirurgischer Sicht lässt sich eine quantitative Leistungseinschränkung der Klägerin nicht begründen. Insoweit ist auf das überzeugende Gutachten von Dr. S. vom 19. Juli 2011 zu verweisen, dem auch Dr. C. nichts entgegengesetzt, sondern vielmehr dessen orthopädischer Beurteilung zugestimmt hat. Auch aus den neu vorgelegten Befundberichten der Chirurgen Dr. S. und Dr. F. ergibt sich kein abweichendes Ergebnis. Hierin wird über eine transarthroskopische Innenmeniskus-Hinterhornteilresektion rechts, eine Teilresektion des Außenmeniskus rechts sowie eine Knorpelglättung des medialen Femurkondylus berichtet bei Chondromalazie Grad III retropatellar, des femoralen Gleitlagers und medialen Femurkondylus rechts. Aus den Befundberichten geht hervor, dass nach der operativen Intervention nur noch Restbeschwer- den bestehen. Nach weiteren radiologischen Untersuchungen, in denen bereits eine Vollbelastung beschrieben wird, ergab eine erneute Vorstellung der Klägerin in der Gemeinschaftspraxis Dres. F./S. im Januar 2013, dass unter Schonung eine Beschwerdebesserung mit freier Beweglichkeit eingetreten und eine Vollbelastung erlaubt sei. Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten hat hierzu überzeugend ausgeführt, dass bei weiterem fachärztlichen Behandlungsbedarf eine Besserung der Kniegelenksbeschwerden rechts festzustellen sei. Eine quantitative Leistungseinschränkung oder weitere qualitative Leistungseinschränkungen resultieren hieraus nicht.

Ungeachtet eines Leistungsvermögens von sechs Stunden und mehr für zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wäre ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung jedoch dann gegeben, wenn bei ihr eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegen sollte und ihr keine Tätigkeit benannt werden könnte, die sie trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könnte. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B5 RJ 64/02 R). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal " Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG Urteil vom 10. Dezember 2003, B5 RJ 64/02 R, in juris).

Der Senat geht insoweit vom Vorliegen der qualitativen Leistungseinschränkungen aus, die von Dr. S. und Dr. W. festgestellt und oben aufgeführt wurden. Diese Einschränkungen stellen keine schwere spezifische Leistungsbehinderung und auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen dar. Die Klägerin ist in ihrer Handbeweglichkeit nicht eingeschränkt, auch liegt keine Einschränkung der Wegefähigkeit vor. Die festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen sind nicht ungewöhnlich, korrespondieren mit der Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin auf leichte Tätigkeiten und schränken auch ihren Einsatzbereich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht wesentlich ein.

Damit scheidet die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1, 2 SGB VI aus. Auch die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit kommt nicht in Betracht. Die Klägerin hat sich von ihrem erlernten Beruf der Fotolaborantin gelöst und zuletzt über Jahre in wechselnden Anstellungen ungelernte Tätigkeiten als Reinigungskraft und Stationshilfe verrichtet. Berufsschutz als Facharbeiterin oder Angelernte im oberen Bereich (Anlerndauer mehr als ein Jahr bis zu zwei Jahren) besteht daher nicht. Sie ist damit nach dem sog. Stufenschema des BSG uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Da insoweit noch eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden und mehr besteht, kommt auch die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved