L 8 SO 176/13 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 22 SO 387/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 176/13 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 201 Abs. 1 SGG ist auch bei Anerkenntnissen anwendbar.
2. Die Umsetzung eines Anerkenntnisses über nur eine Anspruchsvoraussetzung erfordert einen Ausführungsbescheid.
3. In einem Ausführungsbescheid über ein Teilanerkenntnis zu Berechnungselementen kann auch die Ablehnung des Anspruchs wegen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzung erfolgen.
4. Ausführungsbescheide erfordern einen gewissen Bearbeitungsaufwand, der nicht innerhalb kürzester Zeit bewerkstelligt werden kann.
5. Die teilweise Ablehnung einer Leistung steht nicht dem Fall iS von § 201 SGG gleich, in dem ein Beklagter ausdrücklich erkärt, er werde dem Anerkenntnis nicht nachkommen.
6. Die Wartepflicht für Vollstreckungsanträge hat sich in etwa an den Wertungen des Gesetzgebers auszurichten (§ 882a ZPO).
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 23. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts B., wird abgelehnt.



Gründe:


I.

Die Beschwerde richtet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts München (SG) in welchem als Vollstreckungsmaßnahme die Androhung eines Zwangsgeldes abgelehnt worden ist.
Als Titel liegen Anerkenntnisse aus einem Rechtsstreit (Aktenzeichen: S 22 SO 13/12) mit dem Gegenstand eines Anspruchs des Klägers auf Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII vor. Der 1992 geborene, damalige Kläger (jetzt: Beschwerdeführer) bezog Leistungen des Beigeladenen zu 1 (Sozialgeld), was zunächst zum Ausschluss einer Grundsicherungsleistung nach dem 3. Kapitel des SGB XII führte. Nach einem Gutachten des Landesarztes vom 19.12.2012 anerkannte die Beklagte am 06.02.2013 zwar keine Leistungsberechtigung, wohl aber dauerhafte volle Erwerbsunfähigkeit ab August 2011. Auf Klageerweiterung vom 06.03.2013 wegen der Nebenforderung einer Verzinsung anerkannte die Beklagte dies am 19.04.2013 für die Zeit ab 01.03.2012. Insoweit erfolgte die Annahme des Anerkenntnisses am 29.04.2013.
Am 15.05.2013 stellte der vormalige Kläger einen Vollstreckungsantrag beim SG. Die Beklagte habe diesen am 07.03.2013 zu einem neuen Grundsicherungsantrag aufgefordert und am 17.04.2013 die Bewilligung von Grundsicherung nach dem 4. Kapitel SGB XII für die Zeit ab dem 01.08.2012 versagt. Mit Bescheid vom 24.05.2013 hat die Beklagte aber für die Zeit vom 01.08.2011 bis 30.06.2012 Grundsicherungsleistungen festgestellt und Verzinsung ab 01.03.2012 zuerkannt. Insgesamt ergab sich eine Nachzahlung von 1551,07 EUR.
Mit Beschluss vom 23. Juli 2013 hat das SG die Anträge zurückgewiesen. Der Antrag auf Androhung eines Zwangsgeldes sei unzulässig. § 201 SGG gelte entsprechend zwar auch für ein angenommenes Anerkenntnis. Da im SGG nichts Abweichendes bestimmt sei, müssten aber nach § 198 SGG i.V.m. §§ 724, 750 ZPO die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung) gegeben sein. Es fehle eine nach § 724 ZPO erforderliche Vollstreckungsklausel. Erst diese mache den Titel vollstreckbar.
Am 19.08.2013 ist die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung vom Urkundsbeamten des SG abgelehnt worden. Erinnerung ist eingelegt.
Am 12.08.2013 hat der Kläger (bei dem SG) Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG - Eingang: 21.08.2013) eingelegt.
Zur Begründung wird angeführt, dass die Beklagte aus skurrilen Gründen die Nachzahlung durch Versagungsbescheid vom 17.04.2013 wegen mangelnder Mitwirkung abgelehnt habe. Damit sei das Anerkenntnis nicht umgesetzt worden.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt - § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gegenstand der Beschwerde ist die Ablehnung einer Maßnahme zur Vollstreckung. In derartigen Angelegenheiten ist die Beschwerde nicht ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG). Die Beschwerde ist auch ansonsten zulässig.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Die Ablehnung des Vollstreckungsantrags durch das SG erfolgte zu Recht. Die Beklagte hat insbesondere die Ausführung des vorherigen Titels nicht verzögert (vgl. § 201 Abs. 1 Satz 1 SGG). Sie ist vielmehr ihrer Verpflichtung rechtzeitig nachgekommen.

Kommt eine Behörde in den Fällen des § 131 SGG der im Urteil auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung ein Zwangsgeld bis zu tausend Euro durch Beschluss androhen und nach vergeblichem Fristablauf festsetzen (§ 201 Abs. 1 SGG). § 201 SGG schließt die Rechtsschutzlücke, die dadurch entsteht, dass die Gerichte häufig keinen bezifferten Betrag austenorieren. Ein Hauptanwendungsfall von § 201 SGG ist die Durchsetzung der Verpflichtung zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts (§ 131 Abs. 2 SGG) sowie die im Sozialgerichtsprozess häufigen Grundurteile nach § 130 Abs. 1 SGG, soweit sie eine Verpflichtung zum Erlass eines ausführenden Verwaltungsaktes enthalten. Diese Sachlage (entsprechend eines Regelungsgehalts von Grundurteilen bzw. einer erfolgreichen Verpflichtungsklage auf Erlass eines gebundenen Verwaltungsaktes) besteht hier auch. § 201 Abs. 1 SGG ist auch auf Anerkenntnisse übertragbar (vgl. BSG Beschluss vom 06.08.1999, B 4 RA 25/98 B Rz. 19, Groß in Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz 4. Auflage 2012, § 201 Rn. 5).
Das vorliegende "Anerkenntnis" bezieht sich auf die volle dauerhafte Erwerbsminderung als Vorfrage für das Bestehen der streitgegenständlichen Rechte- und Pflichtenbeziehung eines Anspruchs nach dem 4. Kap. des SGB XII. Die Beschwerdegegnerin hat sich in ihren Anerkenntnissen, aus denen die Vollstreckung betrieben werden soll, auf die Feststellung einer dauerhaften volle Erwerbsminderung beschränkt und zur Leistung der Grundsicherung für die Zeit ab dem 01.08.2011 und zur Verzinsung der Nachzahlung dem Grunde nach verpflichtet (vollstreckungsrechtlicher Grundsatzes der Titelklarheit). Tatsächlich verlangt eine Leistungsberechtigung im Sinne von § 41 SGB XII aber daneben die Feststellung einer Hilfebedürftigkeit sowie einen bestimmten Umfang der Leistungen im Sinne von § 42 SGB XII, ggf. in der besonderen Form des notwendigen Lebensunterhalts in Einrichtungen (§ 27b SGB XII). Dieses prozessuale Verhalten entsprach auch dem allgemein gehaltenen Klageanträgen, die weder in zeitlicher Hinsicht noch dem Umfang nach individualisiert waren. Die Beteiligten sind augenfällig von der für Grundurteile iS von § 130 Abs. 1 Satz 1. SGG vorausgesetzten Lage ausgegangen, die Beklagte werde zur Umsetzung des Anerkenntnisses einen sog Ausführungsbescheid erlassen. Unerheblich ist im Hinblick auf den vollstreckbaren Inhalt, ob dies zu Recht einem Anerkenntnis im Sinne von § 101 SGG entspricht (BSG 13.5.2009 - B 4 AS 58/08 R, BSGE 103, 153 zum Teilanerkenntnis zu Berechnungselementen), da formal jedenfalls das Verfahren als angenommenes Anerkenntnis ein Ende genommen hat (prozessrechtliche Wirkung), ohne dass es eines Anerkenntnisurteils bedürfte (vgl. bei Erlass eines Urteils zur Problematik eines Zwischenurteils iS § 130 Abs. 2 SGG).
Die Beschwerdegegnerin hat sich damit zu Recht nur verpflichtet gehalten, entsprechende positive Ausführungsbescheide zu dem "anerkannten" Anspruch - dem Element der dauerhaften vollen Erwerbsunfähigkeit - zu erlassen. Bestimmte Beträge über eine bestimmte Leistungsdauer sind dagegen in den Anerkenntnissen nicht zugesichert worden.
Derartige Ausführungsbescheide erfordern aber einen gewissen Bearbeitungsaufwand, der nicht innerhalb kürzester Zeit bewerkstelligt werden kann. Besonders auch wegen des Wechsels des Beschwerdeführers von der Werkstatt in eine Einrichtung waren weitere Erkenntnisse zu gewinnen und zu verarbeiten. Sofern insoweit in Ausführung des "Anerkenntnisses" zum Teil auch eine Ablehnung der Leistung erfolgt, ist dies nicht zu beanstanden. Auch damit ist die Beschwerdegegnerin ihrem Anerkenntnis nachgekommen.
Es liegt durch die teilweise Ablehnung einer Leistung keiner der für die Annahme eines Zwangsgelds unproblematischen Fälle vor, in denen ein Beklagter ausdrücklich erklärt, er werde dem Urteil (Anerkenntnis) nicht nachkommen. Damit handelt es sich hier um einen Antrag nach unangemessen kurzer Zeit, dem es am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn es fehlt an einer besonderen Dringlichkeit der Sache, die es erforderlich machen würde, schon am 15.05.2013 einen Vollstreckungsantrag beim SG anzubringen, nachdem das verfahrensbeendende Anerkenntnis gut 14 Tage zuvor am 29.04.2013 erfolgt ist. Es geht bei den prozessbefangenen Leistungen für die Vergangenheit nicht um gegenwärtig existenzsichernde Leistungen, bei denen der Antragsgegner wenigstens ausreichende Abschlagszahlungen möglichst schnell zur Verfügung zu stellen hätte.
Die Wartepflicht für Vollstreckungsanträge hat sich im Übrigen in etwa auch an den Wertungen des Gesetzgebers auszurichten. Insoweit bestimmt § 882a ZPO, dass die Zwangsvollstreckung gegen den Bund oder ein Land wegen einer Geldforderung, soweit nicht dingliche Rechte verfolgt werden, erst vier Wochen nach dem Zeitpunkt beginnen darf, in dem der Gläubiger seine Absicht, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, der zur Vertretung des Schuldners berufenen Behörde und, sofern die Zwangsvollstreckung in ein von einer anderen Behörde verwaltetes Vermögen erfolgen soll, auch dem zuständigen Minister der Finanzen angezeigt hat.
Darüber hinaus müssen, wie das SG zu Recht ausführt, für die Einleitung der Vollstreckung mittels Zwangsgeld die sonstigen Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, wie sie sich aus der ZPO ergeben; gemäß § 198 Abs. 1 SGG gilt für die Vollstreckung das 8. Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend, soweit sich aus dem SGG nichts anderes ergibt. Da im SGG nichts Abweichendes bestimmt ist, müssen nach § 198 SGG i.V.m. §§ 724, 750 ZPO die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung) gegeben sein (LSG Bayern, Beschluss vom 14.05.2012 - L 7 AS 196/12 B, LSG Thüringen, Beschluss vom 10.06.2009, L 6 B 23/09 KR). Es fehlt die nach § 724 ZPO erforderliche Vollstreckungsklausel, die bei Einreichung des Vollstreckungsantrags am 15. 05.2013 noch nicht vorlag, wie der Beschwerdeführer selbst einräumte. Erst diese macht den Titel vollstreckbar (vgl. LSG Thüringen a.a.O. Rz. 19). Am 25.10.2013 wurde durch Beschluss des SG der Urkundsbeamte zwar zur Erteilung einer Vollstreckungsklausel angewiesen. Das ändert aber nichts daran, dass der Vollstreckungsantrag beim Gericht des ersten Rechtszugs, das als das Gericht zuständig ist, das im ersten Rechtszug entschieden hat, zu stellen ist.
Im Übrigen fehlte es, wie oben bereits ausgeführt, nicht nur an der Vollstreckungsklausel.
Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Der Antrag auf PKH war mangels Erfolgsaussicht des Vollstreckungsantrags abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
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