L 15 SF 231/13 E

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 SF 215/13 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 231/13 E
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein auf einen Wiedereinsetzungsantrag zurückgehender gerichtlicher Beschluss des Inhalts, dass der Vergütungsantrag für ein Gutachten fristgerecht gestellt und daher mangels Fristversäumung eine Wiedereinsetzung überhaupt nicht erforderlich sei, stellt eine auf die Frage der Fristgerechtheit des Vergütungsantrags reduzierte richterliche (Teil )Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG dar. Dagegen ist eine Beschwerde der Staatskasse statthaft.
2. Die 3 Monats Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG beginnt wie bei Gutachten gem. § 106 SGG auch bei Gutachten gem. § 109 SGG mit dem Eingang des Gutachtens bei Gericht zu laufen.
3. Der Eingang der Rechnung des Sachverständigen für das von ihm erstellte Gutachten innerhalb der 3 Monats Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG muss im Vollbeweis nachgewiesen sein. Die Nichterweislichkeit geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Sachverständigen.
4. § 2 Abs. 2 JVEG sieht nur eine Wiedereinsetzung auf Antrag vor.
5. Die 2 Wochen Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gilt auch für die Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes.
6. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gebietet es, von einer Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes im Rahmen der Darlegungslast eines Antragstellers schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet.
7. Die verfassungsrechtlich gebotene weite Auslegung des Begriffs der Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast verlangt ein Korrektiv, um Missbrauch zu vermeiden. Das Gericht hat daher in einem zweiten Schritt die Frage zu prüfen, ob es möglicherweise erst nach weiterer Sachprüfung einen Wiedereinsetzungsgrund tatsächlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Juli 2013 wird aufgehoben.

II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Vergütung für das Gutachten vom 18.11.2012 (Rechnung vom 14.01.2013) wird abgelehnt.



Gründe:


I.

Streitig ist, ob der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin die Vergütungsforderung für ein von ihr im Auftrag des Gerichts erstelltes Gutachten zu spät geltend gemacht hat und ob ihr für den Fall der Verfristung Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

In dem beim Sozialgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen S 2 R 1221/11 geführten rentenrechtlichen Klageverfahren erstellte die Beschwerdegegnerin, die vom dortigen Kläger gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) benannt worden war, ein internistisch-pneumologisches Gutachten. Das auf den 18.11.2012 datierte Gutachten ging am 17.01.2013 ohne Begleitschreiben beim SG ein. Der Eingang einer Rechnung der Beschwerdegegnerin ist in diesem Zusammenhang nicht vermerkt.

Mit Telefax vom 03.07.2013 wurde dem SG eine Rechnung vom 14.01.2013 zum Gutachten vom 18.11.2012 übersandt. Anlass für dieses Telefax war - so die Bevollmächtigten der Beschwerdegegnerin im Schreiben vom 10.10.2013 auf Nachfrage des Senats - ein Anruf des SG in der Praxis der Beschwerdegegnerin am 03.07.2013, bei dem - so die Bevollmächtigten - mitgeteilt worden sei, dass bei Gericht noch keine Rechnung für das Gutachten vorliege.

Mit Schreiben vom 05.07.2013 teilte der Kostenbeamte des SG der Beschwerdegegnerin mit, dass die Rechnung für das Gutachten erst am 03.07.2013 eingegangen sei und daher wegen der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 JVEG der Anspruch erloschen sei.

Über die Ablehnung der Vergütung hat sich die Beschwerdegegnerin telefonisch am 08.07.2013 beschwert. Die Rechnung - so die Beschwerdegegnerin bei diesem Telefonat - sei laut ihrer EDV am 14.01.2013 erstellt und zusammen mit dem Gutachten an das SG geschickt worden. Da in der Sache des Begutachteten weitere Gutachten für andere Kammern des SG erstellt worden seien, habe sie mit einer Mahnung gewartet. Sie sei sich sicher, die Rechnung zusammen mit dem Gutachten versandt zu haben. Es sei auch möglich, dass die Rechnung auf dem Weg zum Gericht oder dort verloren gegangen sei. Das SG hätte sie auf eine eventuell fehlende Rechnung aufmerksam machen müssen. Sie bitte um nochmalige Überprüfung und Begleichung der Rechnung.

Mit Schreiben vom 25.07.2013 haben sich die Bevollmächtigten der Beschwerdegegnerin, wie schon zuvor die Beschwerdegegnerin selbst, dahingehend eingelassen, dass die Rechnung zusammen mit dem Gutachten versandt worden sei. Da es noch eine weitere Anfrage des Gerichts an die Beschwerdegegnerin gegeben habe, sei es ihr nicht ungewöhnlich erschienen, dass der Ausgleich der Rechung noch nicht erfolgt sei. Am 12.05.2013 habe sie eine erste Mahnung an das Gericht geschickt. Vorsorglich für den Fall, dass die Rechnung nicht in der Gerichtsakte sein sollte, werde Wiedereinsetzung beantragt.

Beigelegt worden ist dem Schreiben vom 25.07.2013 eine eidesstattliche Erklärung einer Mitarbeiterin der Praxis der Gutachterin, die darin Folgendes erklärt hat: In der großen Praxis seien nur sie und im Vertretungsfall eine Kollegin mit dem Schriftverkehr mit den Sozialgerichten betraut. Im Fall der streitgegenständlichen Begutachtung sei sie zuständig gewesen. Sie habe sich in solchen Fällen die ständige Übung angeeignet, das Gutachten mit allen Akten und der Rechnung zusammenzustellen und in einem Konvolut zur Abgabe beim SG bereit zu machen. Die Abgabe erfolge persönlich bei Gericht durch sie selbst oder einen anderen Mitarbeiter der Praxis. Dass auch im vorliegenden Fall die Rechnung im zeitlichen Zusammenhang mit der Gutachtenserstellung gefertigt worden sei, ersehe sie aus dem Rechnungsdatum. Dies schließe sie auch daraus, dass nur noch die Beschwerdegegnerin eine Rechnung bei sich habe, aber keine weitere Rechnung in der Praxis vorliege. Die Rechnung werde stets nur dreifach (zwei Ausfertigungen für den Auftraggeber, eine für den das Gutachten erstellenden Arzt) ausgedruckt. Die Rechnung müsse daher tatsächlich an das SG gegangen sein. Die gesamten Unterlagen habe eine Mitarbeiterin der Praxis zum SG gebracht. Da es in der Folge zu keiner Meldung des SG gekommen sei, dass Gutachten und Akten nicht eingegangen seien, gehe sie davon aus, dass das Aktenkonvolut mit Rechnung in zweifacher Ausfertigung beim SG eingegangen sei.

Mit Beschluss vom 30.07.2013 hat das SG festgestellt, dass der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Vergütung noch nicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG erloschen sei (Satz 1 des Tenors). Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt (Satz 2 des Tenors).

Das SG hat dies wie folgt begründet: Die 3-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG habe noch gar nicht zu laufen begonnen. Das JVEG regle allein Vergütungs- und Entschädigungsansprüche Anspruchsberechtigter gegenüber der Staatskasse. Erfolge jedoch - wie hier - die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG unter Abhängigmachung von einem Kostenvorschuss des Klägers, sei der Vergütungsanspruch des Sachverständigen gegenüber der Staatskasse davon abhängig, dass das Gericht durch Beschluss die Kosten der Gutachtenserstellung der Staatskasse auferlege (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Hierbei könne der Beschluss nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG von Amts wegen oder auf Antrag des Klägers ergehen. Es sei dabei herrschende Meinung, dass der Antrag, die Kosten für ein gemäß § 109 SGG erstelltes Gutachten auf die Staatskasse zu übernehmen, nicht an die Einhaltung bestimmter gesetzlicher Fristen gebunden sei und die Vorschrift des § 2 Abs. 1 JVEG auf den Kostenübernahmeanspruch aus § 109 SGG nicht anwendbar sei. Da im vorliegenden Fall aber bislang gerade nicht durch gerichtlichen Beschluss entschieden worden sei, ob die Staatskasse die Vergütung der Beschwerdegegnerin zu tragen habe, bestehe noch kein Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Kostenübernahme gegen die Staatskasse aus § 109 SGG, auf den die Fristenregelung des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG anzuwenden wäre. Vielmehr beginne demgemäß die 3-Monats-Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG erst mit Zustellung des Beschlusses zu laufen, der die Staatskasse zu einer Vergütung verpflichte, daran fehle es aber bislang.

Dagegen hat die Staatskasse am 14.08.2013 Beschwerde eingelegt und der Argumentation des SG zum Fristbeginn widersprochen. Zudem sei - so die Staatskasse - erst im anwaltlichen Schreiben vom 25.07.2013 ein Wiedereinsetzungsantrag zu sehen. Dieser sei aber verfristet.

Beigezogen worden sind vom Kostensenat die erstinstanzlichen Streit- und Kostenakten.

II.

Die gemäß § 4 Abs. 3 JVEG statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Feststellung des SG, dass der Vergütungsanspruch für das Gutachten noch nicht erloschen sei, ist aufzuheben. Die Rechnungsstellung durch die Beschwerdegegnerin ist verfristet. Wiedereinsetzung ist ihr nicht zu gewähren.

1. Anzuwendendes Recht

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz -
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn die Beschwerdegegnerin als Berechtigte ist vor dem gemäß Art. 55
2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.

2. Auslegung des angegriffenen Beschlusses des SG

Der Beschluss geht zwar auf einen Wiedereinsetzungsantrag zurück, enthält in der Sache aber keine inhaltliche Entscheidung zur Wiedereinsetzung. Denn das SG ist bei der Vorprüfung des Wiedereinsetzungsantrags zu dem Ergebnis gekommen, dass mangels Fristversäumung bei der Stellung des Vergütungsantrags eine Wiedereinsetzung überhaupt nicht erforderlich sei (Satz 1 des Tenors: " ... wird festgestellt, dass der Anspruch ...noch nicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG erloschen ist."). Der Beschluss des SG stellt damit eine auf die Frage der Fristgerechtheit des Vergütungsantrags reduzierte richterliche (Teil-)Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG dar. Die in Satz 2 des Tenors enthaltene Regelung ("Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt."), die den Wiedereinsetzungsantrag betrifft, stellt lediglich ein quasi automatisches unselbständiges "Anhängsel" ohne weitergehenden Regelungscharakter dar.

3. Zulässigkeit der Beschwerde

3.1. Statthaftigkeit der Beschwerde

Da angefochten eine richterliche (Teil-)Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG ist (vgl. oben Ziff. 2.), ist die Beschwerde gemäß § 4 Abs. 3 JVEG statthaft.

3.2. Beschwer

Die Staatskasse ist durch die Entscheidung des SG insofern beschwert, als bei Eintreten der Bestandskraft des Beschlusses des SG die anspruchsausschließende Frage der Verfristung des Vergütungsantrags einer Prüfung nicht mehr zugänglich wäre und daher bei der zu erwartenden Kostenfestsetzung der Beschwerdegegnerin eine Vergütung in dann noch näher zu bestimmender Höhe zugesprochen würde.

Dass es sich im zu entscheidenden Fall um ein Gutachten gemäß § 109 SGG gehandelt hat und die Kosten dafür ohne entsprechenden gerichtlichen Beschluss von dem den Antrag gemäß § 109 SGG stellenden Kläger zu tragen sind, steht der Annahme einer Beschwer nicht entgegen. Denn der Vergütungsanspruch des gemäß § 109 SGG benannten Sachverständigen ist gegen das auftraggebende Gericht und damit die Staatskasse gerichtet. Zudem ist die Staatskasse auch gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass die Vergütung eines Gutachtens gemäß
§ 109 SGG nicht anderen Regeln oder einer weniger genauen Prüfung folgt als bei einem Gutachten gemäß § 106 SGG. Wenn der Staatskasse - was der Senat für unvertretbar hält - die Beschwer abgesprochen würde, hätte dies eine untragbare Konsequenz: Denn dann hätte weder die Staatskasse - wegen der angenommenen fehlenden Beschwer - noch der Kläger - wegen der fehlenden Beteiligtenstellung im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG - eine Möglichkeit, sich gegen eine inhaltlich falsche Kostenfestsetzung zur Wehr zu setzen. Es muss daher zwingend auch in den Fällen des § 109 SGG von einer Beschwer der Staatskasse ausgegangen werden.

3.3. Kein Ausschluss der Beschwerde wegen § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG

§ 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG steht - auch nicht im Weg analoger Anwendung - einer Beschwerde der Staatskasse nicht entgegen.

3.3.1. Keine direkte Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG

Einer direkten Anwendung steht entgegen, dass vorliegend eine auf die Frage der Fristgerechtheit des Vergütungsantrags reduzierte richterliche (Teil-)
Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG Streitgegenstand ist. Für eine derartige Entscheidung kommt § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG seinem Wortlaut nach nicht zur Anwendung.

3.3.2. Keine analoge Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG

Für eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG ist kein Raum.

Wie in vielen anderen Rechtsbereichen auch (vgl. z.B. § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG, § 60 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung, § 56 Finanzgerichtsordnung, § 46 Abs. 2 Strafprozessordnung), ist auch im Anwendungsbereich des JVEG gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG eine Beschwerde nur gegen eine die Wiedereinsetzung ablehnende Entscheidung eröffnet; eine dem Wiedereinsetzungsantrag stattgebende gerichtliche Entscheidung ist unanfechtbar. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass bei allen nur die Frage der Fristgerechtheit der Geltendmachung der Vergütungsforderung betreffenden gerichtlichen Entscheidungen eine Beschwerde ausgeschlossen ist, wenn die gerichtliche Entscheidung für den Vergütungsberechtigten positiv ausgefallen ist, verbietet sich.

Der Senat verkennt bei dieser Argumentation nicht, dass der Inhalt des Beschlusses des SG vom Ergebnis, wie es sich aus der Sicht der Beschwerdegegnerin darstellt, einem positiven Wiedereinsetzungsbeschluss sehr ähnelt - in beiden Fällen hat der Vergütungsberechtigte die Bestätigung erhalten, dass sein Vergütungsanspruch nicht an der Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG scheitert. Dies lässt es aber nicht zu, auch eine rechtliche Gleichstellung des vorliegenden Beschlusses mit einem die Wiedereinsetzung gewährenden gerichtlichen Beschluss zu fingieren. Denn der Beschwerdeausschluss des § 2 Abs. 2 Satz 3 JVEG stellt eine Spezialregelung dar, die aufgrund des Sondercharakters nicht verallgemeinert werden kann und daher einer analogen Anwendung entzogen ist. Mit einer vorweggenommenen, auf die Frage der Fristgerechtheit des Vergütungsantrags reduzierten richterlichen (Teil-)Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG kann daher die Frage der Fristgerechtheit der Stellung des Vergütungsantrags nicht der gemäß § 4 Abs. 3 JVEG grundsätzlich eröffneten Beschwerdemöglichkeit entzogen werden.

3.4. Beschwerdewert erreicht

Gemäß § 4 Abs. 3 JVEG ist die Beschwerde eröffnet, wenn der Beschwerdewert über 200,- EUR liegt oder die Beschwerde vom Ausgangsgericht zugelassen worden ist. Im vorliegenden Fall ergibt sich die über 200,- EUR liegende Beschwer für die Staatskasse daraus, dass die Beschwerdegegnerin eine Vergütungsforderung in Höhe von 1.116,76 EUR geltend gemacht hat. Für die Staatskasse beinhaltet die vom SG getroffene, auf die Frage der Fristgerechtheit des Vergütungsantrags reduzierte richterliche (Teil-)Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG eine Beschwer in Höhe der Vergütungsforderung, da zwar mit der getroffenen Entscheidung noch keine Vergütung in dieser Höhe festgestellt worden ist, wegen einer Verfristung des Vergütungsantrags die Geltendmachung der Forderung für die Staatskasse aber nicht als bereits abgewehrt betrachtet werden kann.

4. Begründetheit der Beschwerde

Im vorliegenden Fall ist der Entschädigungsantrag - entgegen der Ansicht des SG - zu spät gestellt worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor. Die Beschwerde der Staatskasse hat daher vollen Erfolg.

4.1. Vergütungsantrag zu spät gestellt

Der Vergütungsanspruch war bereits erloschen, als die Honorarforderung für das Gutachten vom 18.11.2012 geltend gemacht wurde.

Der Anspruch auf Vergütung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG im Falle der schriftlichen Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen hat.

Vorliegend ist das Gutachten vom 18.11.2012 am 17.01.2013 beim SG eingegangen. Die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des dafür entstandenen Vergütungsanspruchs ist am 17.04.2013 (Mittwoch) abgelaufen.

Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Vergütungsforderung bedarf es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Beschluss vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13 - m.w.N.).

Ein erstmaliger Eingang der auf den 14.01.2013 datierten Rechnung der Beschwerdegegnerin beim SG ist erst mit dem Telefax der Beschwerdegegnerin vom 03.07.2013 belegt, dem die Rechnung beigefügt war. Dieser Eingang der Rechnung ist erst weit nach Ablauf der dreimonatigen Frist für die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs erfolgt.

Ein früherer Rechnungseingang - und zwar noch innerhalb der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG - ist nicht in dem dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.

Vollbeweis bedeutet, dass die für die Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein müssen. Erst wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung für das Vorliegen der Tatsachen sprechen, kann das Gericht diese Tatsachen als gegeben annehmen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.03.1958, Az.: 8 RV 387/55). Das Gericht muss vom Vorliegen der Tatsachen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können (vgl. BSG, Urteil vom 02.02.1978, Az.: 8 RU 66/77). Bestehen noch Zweifel, die nicht ausgeräumt werden können, geht die Frage der Aufklärbarkeit nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch geltend macht.

Nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist die Behauptung der Beschwerdegegnerin, dass die Rechnung dem Gutachten vom 18.11.2012 beigelegt gewesen und damit ein rechtzeitiger Zugang erfolgt sei.

Tatsächlich ist in den Gerichtsakten eine Rechnung nicht enthalten. Irgendwelche aktenkundige und jegliche Zweifel ausschließende Hinweise darauf, dass die Rechnung zusammen mit dem Gutachten übersandt worden wäre, beispielsweise ein Zuleitungsschreiben mit den übersandten Anlagen und einer Abzeichnung durch die Eingangsstelle des Gerichts, gibt es nicht. Allein mit den Angaben der Beschwerdegegnerin, auch wenn diese durchaus plausibel erscheinen, lässt sich der Vollbeweis des Eingangs bei Gericht nicht führen (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 18.02.2004, Az.: I R 78/03, der regelmäßig nicht einmal für die Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Aufgabe zur Post eine eidesstattliche Versicherung des Bevollmächtigten des die Wiedereinsetzung Begehrenden ausreichen lässt). Denn weder die Angaben der Beschwerdegegnerin noch die allgemeine Lebenserfahrung sind geeignet, jegliche Zweifel an einem nicht erfolgten Eingang der Rechnung zusammen mit dem Gutachten bei Gericht auszuräumen. So ist es nach der Lebenserfahrung nicht auszuschließen, dass die Rechnung nicht beigelegt worden ist. Die Beschwerdegegnerin selbst hat die Möglichkeit eines Verlusts der Rechnung auf dem Weg zum Gericht gesehen, wie sie im Telefonat vom 08.07.2013 erkennen hat lassen. Auch die in Kopie mit Schreiben vom 25.07.2013 vorgelegte Mahnung ist nicht geeignet, die Beifügung einer Rechung zum Gutachten zu belegen, zumal die Mahnung vom 12.05.2013 vor dem Schreiben vom 25.07.2013 beim SG nicht vorgelegen hat.

Nicht ankommen kann es auf die Frage, ob der fehlende Nachweis des Rechnungseingangs vielleicht nicht auf ein Vergessen bei der Versendung oder einen Verlust auf dem Postweg, sondern auf ein Übersehen und versehentliches Vernichten bei Gericht zurückzuführen ist. Denn wenn der Nachweis des Eingangs bei Gericht nicht im Vollbeweis geführt werden kann, kann sich die Frage nicht stellen, ob eine Vernichtung nach Eingang bei Gericht in Betracht kommt. Solange der Eingang nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, ist die Frage eines potentiellen Verlustes zu einem späteren Zeitpunkt rein spekulativ und ohne rechtliche Bedeutung (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 21.12.2012, Az.: L 15 SF 208/10 B E - mit einer kritischen Auseinandersetzung mit der früheren Rechtsprechung des Senats).

Ein fristgerechter Eingang der Rechnung für das Gutachten vom 18.11.2012 ist damit nicht (im Vollbeweis) nachgewiesen. Dies geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

Wenn das SG demgegenüber meint, dass die Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG überhaupt noch nicht zu laufen begonnen habe, irrt es.

Das SG weist zutreffend darauf hin, dass sich der Fristbeginn für die dreimonatige Antragsfrist bei der Vergütung von Gutachten grundsätzlich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 (hier: Nr. 1) JVEG ergibt. Wenn das SG aber der Ansicht ist, dass das JVEG vorliegend nicht zur Anwendung komme, da dieses Gesetz nur die Ansprüche gegen die Staatskasse regle, ein Anspruch gegen die Staatskasse aber (noch) nicht bestehe, da das Gericht der Hauptsache die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG (noch) nicht durch Beschluss gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG auferlegt habe, kann dem nicht gefolgt werden.

Die Erstellung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG wird - wie auch eines Gutachtens von Amts wegen gemäß § 106 SGG - durch das Gericht, nicht durch den Beteiligten in Auftrag gegeben. Es macht keinen Unterschied, ob die Beweisaufnahme gemäß § 106 SGG oder gemäß § 109 SGG durchgeführt wird (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 109, Rdnr. 19). Dementsprechend ist Schuldner der Vergütung - anders als bei einem vom Beteiligten selbst in Auftrag gegebenen Privatgutachten - die Staatskasse. Würde der Argumentation des SG gefolgt, könnte demgegenüber der den Antrag gemäß § 109 SGG stellende Kläger vom Sachverständigen in Anspruch genommen werden, obwohl er bereits zuvor dem Gericht die zu erwartenden Gutachtenskosten vorgeschossen hat.

Das SG hat verkannt, dass mit einen Beschluss gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht der Schuldner gegenüber dem Sachverständigen bestimmt, sondern eine Regelung zur endgültigen Kostentragung im Verhältnis zwischen Staatskasse und Kläger getroffen wird. Auf die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs des Sachverständigen gegenüber der Staatskasse als seinem Auftraggeber kann dies keine Auswirkung haben. Denn die Vergütung des Sachverständigen gemäß § 109 SGG erfolgt in gleicher Weise wie bei von Amts wegen eingeholten Gutachten gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 402 ff Zivilprozessordnung (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 19).

Etwas anderes ergibt sich weder aus der vom SG angeführten Kommentarliteratur noch aus der vom SG herangezogenen Rechtsprechung.

Keller (vgl. a.a.O, § 109, Rdnr. 16b) führt zum Kostenübernahmeantrag gemäß
§ 109 SGG Folgendes aus:

"Für diesen Antrag gilt die Frist des § 2 Abs 1 S 1JVEG; Fristbeginn ist die Zustellung des Beschlusses über die Übernahme der Gutachtenskosten auf die Staatskasse".

Diese Ausführungen betreffen aber nicht den Vergütungsanspruch des Sachverständigen. Denn die Vorschriften des SGG enthalten keine Regelung zum Vergütungsanspruch von Sachverständigen. Mit den Worten "Für diesen Antrag" bezieht sich Keller vielmehr auf einen Antrag des Klägers, ihm analog § 191 SGG auch eine Entschädigung nach dem JVEG für die ihm anlässlich der Begutachtung gemäß § 109 SGG entstandenen Kosten (z.B. Fahrtkosten, Verdienstausfall, Zeitversäumnis usw.) zu gewähren. Ein derartiger Antrag des Klägers auf Entschädigung ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG grundsätzlich binnen drei Monaten ab dem Begutachtungstag zu stellen. Da eine Entschädigung für eine Begutachtung gemäß § 109 SGG aber so lange nicht in Betracht kommt, als die Kosten für das Gutachten - im Verhältnis zum Kläger - nicht von der Staatskasse übernommen worden sind, kommt bis zu einem positiven Kostenübernahmebeschluss gemäß § 109 SGG eine Geltendmachung eines Anspruchs des Klägers auf seine eigene Entschädigung nicht in Betracht. Ergeht ein derartiger positiver Kostenübernahmebeschluss, ist regelmäßig die sich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG ergebende Antragsfrist abgelaufen. Damit wäre der Anspruch erloschen, was normalerweise zur Konsequenz hätte, dass nur über einen Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG die Möglichkeit bestünde, eine Entschädigung zu erhalten. Einer solchen Beurteilung könnte ein Wertungswiderspruch zu der "normalen" gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG entgegen gehalten werden. Dann nach letzterer Regelung hat ein Kläger bei einer Begutachtung gemäß § 106 SGG drei Monate Zeit, seine Entschädigung anzumelden. Bei einem Gutachten gemäß § 109 SGG und einem positiven Kostenübernahmebeschluss hingegen müsste er innerhalb der ausgesprochen kurzen Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag von zwei Wochen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG seinen Entschädigungsantrag stellen, wobei die Frist mit Zugang des Kostenübernahmebeschlusses zu laufen beginnen würde. Diesem Wertungswiderspruch - drei Monate Antragsfrist bei der Wahrnehmung eines Gutachtenstermins gemäß § 106 SGG einerseits, zwei Wochen Wiedereinsetzungsfrist als faktische Antragsfrist bei einer Begutachtung gemäß § 109 SGG - will Keller damit Rechnung tragen, dass er den Fristbeginn für die dreimonatige Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG bei Gutachten gemäß § 109 SGG mit dem Zugang des Kostenübernahmebeschlusses fingiert.

Nichts anderes haben die vom SG angeführten Gerichtsentscheidungen zum Inhalt:

Gegenstand des Beschlusses des Thüringer Landessozialgerichts (LSG) vom 26.08.2011, Az.: L 6 SF 84/11, war allein die Frage der Entschädigung des Klägers, der Kosten für die Wahrnehmung eines Gutachtenstermins geltend gemacht hatte. Mit der Frage des Vergütungsanspruchs des Sachverständigen hat sich das LSG bei dieser Entscheidung nicht befasst, was sich schon aus dem Leitsatz (nach juris) ergibt:

"Die Drei-Monats-Frist des § 2 Abs 1 S 1 JVEG für die Geltendmachung der Entschädigung (hier: Fahrtkosten) beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, dass die Kosten des Gutachtens nach § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen werden."

Auch das Hessische LSG hat sich in seinem Beschluss vom 29.09.2005, Az.: L 5 B 148/05 R, nicht mit dem Vergütungsanspruch des Sachverständigen befasst. Gegenstand des Verfahrens war vielmehr erneut die Frage der Entschädigung des Klägers für die Wahrnehmung eines Gutachtenstermins im Rahmen der Begutachtung gemäß § 109 SGG.

4.2. Keine Wiedereinsetzung

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, da es nicht glaubhaft gemacht werden konnte, dass die Beschwerdegegnerin ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war.

4.2.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn
- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d.h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung, einen Wiedereinsetzungsantrag stellt,
- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12),
- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG den Vergütungsanspruch beziffert und
- sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (vgl. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, und vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Vorlage einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10, und vom 15.02.2013, Az.: L 15 SF 211/12 B).

4.2.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

4.2.2.1. Fristgerechte Antragstellung

Die Beschwerdegegnerin hat fristgerecht bereits im Telefonat am 08.07.2013 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Die Beschwerdeführerin hat im Schreiben vom 10.10.2013 vortragen lassen, dass es am 03.07.2013 in ihrer Praxis anlässlich eines Telefonats mit einem Mitarbeiter des SG bekannt geworden sei, dass dem SG noch keine Rechnung zum Gutachten vom 18.11.2012 vorlag. Der Senat geht in der Folge zugunsten der Beschwerdeführerin von der Richtigkeit dieses Vortrags aus, ohne ihn näher zu hinterfragen, da es darauf letztlich nicht ankommt.

Für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG eine Frist von zwei Wochen eröffnet. Innerhalb dieser Frist hat die Beschwerdegegnerin konkludent im Telefonat vom 08.07.2013 einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt, weil sie vorgetragen hat, dass ihr eine Fristversäumung nicht vorgeworfen werden könne, da sie die Rechnung zusammen mit dem Gutachten übersandt habe, und eine Vergütung ihres Gutachtens begehrt hat. Die nachzuholende Handlung, die Übermittlung der Rechnung für das Gutachten, ist bereits am 03.07.2013 erfolgt.

Formvorschriften, die einem wirksamen Wiedereinsetzungsantrag im Telefonat vom 08.07.2013 entgegen stehen würden, gibt es nicht. Es ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 236 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -), dass der Wiedereinsetzungsantrag den gleichen Formvorschriften folgt, wie sie für die versäumte Rechtshandlung gelten. Für die Geltendmachung einer Forderung nach dem JVEG und damit der Vergütungsforderung eines Sachverständigen gibt es, auch wenn die schriftliche Antragstellung die Regel ist, keine Formvorschrift, sodass auch eine mündliche/telefonische Antragstellung ausreichend ist (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, Rdnr. 2.2; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl. 2012, § 2 JVEG, Rdnr. 14; für den Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung: vgl. Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 4.2; Hartmann, a.a.O, § 4 JVEG, Rdnr. 11).

Wenn die beschwerdeführende Staatskasse demgegenüber im Schreiben vom 14.08.2013 die Ansicht vertritt, dass das Telefonat vom 08.07.2013 noch keinen Wiedereinsetzungsantrag enthalte, weil die Antragstellerin dort nur um Überprüfung der Angelegenheit und Begleichung der Rechnung gebeten habe und sich dazu auf den Beschluss des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10 beruft, kann dies nicht überzeugen. Der der vorgenannten Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem hier zu entscheidenden nicht vergleichbar. Dort war - so der damalige Antragsteller - bei der ursprünglichen Abrechnung des Gutachtens aufgrund eines Softwarefehlers eine zu niedrige Vergütungsforderung in Rechnung gestellt worden. Es war eine überarbeitete Rechnung mit einem höheren Gesamtbetrag an das Gericht geschickt worden und gebeten worden, "das Versehen zu entschuldigen und den Differenzbetrag nachzuentrichten". Der Senat hatte in der damaligen Entscheidung auf Folgendes hingewiesen:

"Das Antragserfordernis verbietet es auch, allein in der verspäteten Vorlage einer Rechnung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen. Denn würde die verspätete Rechnungsstellung als Wiedereinsetzungsantrag gesehen, würde damit der gesetzgeberische Wille, eine Wiedereinsetzung nur von Amts wegen zuzulassen, konterkariert. Im Übrigen wäre es auch in der Sache nicht vertretbar, in einer verspäteten Rechnungsstellung ohne irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller der Verspätung bewusst gewesen sein könnte und diese begründen möchte, einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen. Denn mangels entsprechenden und insbesondere nach außen erkennbaren Bewusstseins würde dem Rechnungssteller ein einschlägiger Wille unterstellt, den er gar nicht gehabt hat. Dies wäre bei allem Wohlwollen für einen Rechnungssteller nicht mehr vertretbar. Zudem würde es in einem derartigen Fall auch an der im Rahmen der Darlegungslast des Antragstellers erforderlichen Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes mangeln (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12)."

Davon, dass im vorliegenden Fall sich die Beschwerdegegnerin beim Telefonat vom 08.07.2013 nicht der Verfristung bewusst gewesen wäre, kann gerade nicht ausgegangen werden. Denn ausweislich des Telefonvermerks ist auch die Frage nach dem Verbleib der Rechnung, die nach Angaben der Beschwerdegegnerin dem Gutachten beigefügt gewesen sein soll, besprochen worden. Das im Raum stehende Problem der zu späten Rechnungsstellung war der Beschwerdegegnerin daher bewusst. Vor diesem Hintergrund hat sie um nochmalige Überprüfung und Begleichung der Rechung, also konkludent um Wiedereinsetzung gebeten. Im Übrigen - darauf weist der Senat lediglich der Vollständigkeit halber hin - konnte es in der oben zitierten Entscheidung offen bleiben, ob sich der Antragsteller der Fristversäumnis bewusst war oder nicht; denn darauf kam es schon deshalb nicht an, weil ein Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls verfristet gewesen war.

4.2.2.2. Fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes

Die Beschwerdegegnerin hat im Telefonat vom 08.07.2013 einen Wiedereinsetzungsgrund, nämlich dass sie alles fristgerecht erledigt habe und ihr der fehlende Nachweis des Zugangs der Rechnung bei Gericht nicht vorgeworfen werden könne, fristgerecht glaubhaft gemacht.

4.2.2.2.1. Wiedereinsetzungsgrund

Vom Vortrag einer unverschuldeten Fristversäumung und damit einem Wiedereinsetzungsantrag ist auch dann auszugehen, wenn ein Antragsteller angibt, die Frist überhaupt nicht versäumt zu haben, da er alles fristgemäß erledigt habe (vgl. Beschlüsse des Senats vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12, und vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13). Eine Fristversäumung kann nicht nur dadurch eintreten, dass eine erforderliche Handlung nicht rechtzeitig vorgenommen wird, sondern auch dadurch, dass der Betroffene selbst zwar alles rechtzeitig unternimmt, dann aber durch Umstände außerhalb seines Einflussbereichs oder infolge der Einschaltung Dritter die Einhaltung der Frist vereitelt wird (vgl. Beschlüsse des Senats vom 21.12.2011, Az.: L 15 SF 208/10 B E, und vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12). Ein geradezu typischer Fall, in dem eine Wiedereinsetzung in Betracht kommt, ist es, wenn ein Schreiben rechtzeitig zur Post gegeben wird, dann aber wegen Umständen im Verantwortungsbereich der Post die Einhaltung der Frist vereitelt wird (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 28.03.1994, Az.: 2 BvR 814/93, und vom 29.12.1994, Az.: 2 BvR 106/93; BSG, Urteil vom 30.09.1996, Az.: 10 RAr 1/96) oder der Zugang beim Empfänger sich überhaupt nicht nachweisen lässt (vgl. BFH, Beschlüsse vom 19.06.1996, Az.: I R 13/96, und vom 23.12.2005, Az.: VI B 110/05; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2011, Az.: I ZB 74/09; BSG, Beschluss vom 11.11.2003, Az.: B 2 U 293/03 B).

Nicht anders stellt sich der Fall hier dar: Die Beschwerdegegnerin behauptet, alles getan zu haben, um den rechtzeitigen Eingang der Rechnung zu bewirken, ein rechtzeitiger Eingang lässt sich aber nicht nachweisen.

4.2.2.2.2.
Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast - Allgemeines

Die Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gilt nicht nur für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags und die Bezifferung des Anspruchs, sondern auch für die Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen, wobei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung aus verfassungsrechtlichen Gründen aber nicht überspannt werden dürfen. Um die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht ins Leere laufen zu lassen, ist im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von einer Glaubhaftmachung daher schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, in dem die [verfassungs-]rechtliche Problematik umfassend dargestellt ist).

4.2.2.2.3. Erfüllung der Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast im hier zu entscheidenden Fall

Mit den Angaben, die die Beschwerdegegnerin im Telefonat vom 08.07.2013 gemacht hat, wie sie sich aus dem gerichtlichen Telefonvermerk von diesem Tag ergeben, ist sie diesen Anforderungen innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gerecht geworden. So hat sie vorgetragen, dass die Rechung, wie sich aus ihrer EDV ergebe, vor Überbringung des Gutachtens erstellt und dann zusammen mit dem Gutachten an das SG geschickt worden sei.

Weitergehende Anforderungen können an den von der Beschwerdegegnerin im Rahmen ihrer Darlegungslast glaubhaft zu machenden Wiedereinsetzungsgrund nicht gestellt werden. Zwar verkennt der Senat nicht, dass die Behauptung, die Rechnung sei zusammen mit dem Gutachten übermittelt worden, durchaus auch eine "Schutzbehauptung" darstellen kann, die nicht zu widerlegen ist und bei der es nicht abwegig ist, dass damit lediglich ein in der Vergangenheit vergessenes Beifügen der Rechnung verschleiert werden soll. Derartige, nicht völlig an den Haaren herbeigezogene Zweifel können aber einer Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds im Rahmen der Darlegungslast nicht entgegen stehen, da anderenfalls die Anforderungen an dieser Stelle in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise überspannt würden. Auch sieht der Senat keine Missbrauchsgefahr infolge dieser antragstellerfreundlichen Auslegung. Denn in einem späteren Schritt wird zu prüfen sein, ob sich der Senat nach den von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugen kann (so auch Beschluss des Senats vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13; vgl. dazu unten Ziff. 4.2.2.4.). Insofern besteht ein geeignetes und ausreichendes Korrektiv, das einen Missbrauch verhindert.

Ob die Angaben der Beschwerdegegnerin tatsächlich geeignet sind, die Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes zu begründen, ist daher an dieser Stelle nicht zu prüfen.

4.2.2.3. Fristgerechte Bezifferung des Vergütungsanspruchs

Mit ihrem Telefax vom 03.07.2013 hat die Beschwerdegegnerin den Vergütungsanspruch fristgerecht beziffert.

Sie hat bereits mit dem angenommenen Beginn der mit Telefonat am 03.07.2013 in Lauf gesetzten Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG ihren Vergütungsanspruch beziffert, da sie an diesem Tag eine Kopie der Rechnung an das SG gefaxt hat.

4.2.2.4. Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft gegeben

Für den Senat liegt nach den weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft vor.

4.2.2.4.1. Anforderungen an das glaubhafte Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes - Allgemeines

Bei der verfassungsrechtlich gebotenen weiten Auslegung des Begriffs der Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast (vgl. oben Ziff. 4.2.2.2.) genügt dort schon allein der Vortrag eines schlüssigen und lebensnahen Sachverhalts durch den Antragsteller, ohne dass dafür weitere Beweise von ihm verlangt werden könnten. Würde dies aber allein für die Wiedereinsetzung ausreichen, wäre einer Manipulation Tür und Tor geöffnet. Denn ein Antragsteller könnte sich dadurch eine Wiedereinsetzung erschleichen, dass er wahrheitswidrig, aber schlüssig einen lebensnahen Sachverhalt beschreibt, der - wenn er denn tatsächlich gegeben wäre - eine Wiedereinsetzung begründen würde. Über den Vortrag eines schlüssigen und lebensnahen Sachverhalts durch den Antragsteller hinaus wird daher in einem zweiten Schritt vom Gericht die Frage zu prüfen sein, ob es - möglicherweise erst nach weiteren von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen - einen Wiedereinsetzungsgrund tatsächlich glaubhaft, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, für gegeben hält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.07.1969, Az.: 2 BvR 753/68; Beschlüsse des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12). Dieser zweite Schritt unterfällt der Aufklärung durch das Gericht von Amts wegen und lässt keinen Rückschluss auf eine mangelhafte Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast zu (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.10.1997, Az.: 3St RR 54/97; Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Weder das JVEG noch das sozialrechtliche Prozessrecht (SGG) enthalten - anders als z.B. das Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, dort § 23 Abs. 1 Satz 2 ("Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist."), oder das Fremdrentengesetz, dort § 4 Abs. 1 Satz 2 ("Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.") - eine Legaldefinition zum Begriff der Glaubhaftmachung. Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung ist der Begriff der Glaubhaftmachung aber auch für das JVEG im vorgenannten Sinn auszulegen. Näher - hier im Zusammenhang mit
§ 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) - hat das BSG den Begriff der Glaubhaftmachung beispielsweise im Urteil vom 17.04.2013, Az.: B 9 V 3/12 R, erläutert und dort Folgendes ausgeführt:

"Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-?Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-?3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15)."

Im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung im Sinn des
§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG hat sich das Gericht die Überzeugung davon zu bilden, ob der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund überwiegend wahrscheinlich ist, also die gute Möglichkeit besteht, dass sich das Geschehen tatsächlich so zugetragen hat, wie dies der die Wiedereinsetzung Begehrende vorgetragen hat.

Da die gesetzliche Regelung des § 202 SGG i.V.m. § 294 ZPO die zulässigen Mittel einer Glaubhaftmachung nicht näher einschränkt, kann nach den Maßstäben des einfachen Rechts im - wohl eher seltenen - Einzelfall auch eine bloße "schlichte Erklärung" des Antragstellers als hinreichende Glaubhaftmachung angesehen werden. Aus dieser Geeignetheit im Einzelfall kann aber nicht der Rückschluss gezogen werden, dass die Glaubhaftmachung durch "schlichte Erklärung" regelmäßig und ganz allgemein bei naheliegenden Versäumnisgründen unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG zu stellen wäre (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 11.02.1976, Az.: 11.02.1976).

Zu beachten ist jedenfalls, dass, um den in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Justizgewährungsanspruch nicht ins Leere laufen zu lassen oder unzulässig einzuschränken, die Anforderungen an die Wiedereinsetzung im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts bei der Prüfung, ob eine für die Wiedereinsetzung erforderliche Tatsache glaubhaft gemacht ist, nicht überspannt werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 02.07.1974, Az.: 2 BvR 32/74, vom 03.06.1975, Az.: 2 BvR 457/74, vom 15.04.1980, Az.: 2 BvR 461/79, vom 26.04.2004, Az.: 1 BvR 1819/00, vom 04.05.2004, Az.: 1 BvR 1892/03, vom 27.09.2012, Az.: 2 BvR 1766/12, und vom 18.10.2012, Az.: 2 BvR 2776/10).

4.2.2.5. Erfüllung der Anforderungen an das glaubhafte Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes im hier zu entscheidenden Fall

Die Beschwerdegegnerin hat nicht nur eine "schlichte Erklärung" zum Wiedereinsetzungsgrund abgegeben, sondern mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 25.07.2013 weitere Nachweise dafür vorgelegt. Diese Nachweise können aber nach der Überzeugung des Senats nicht glaubhaft machen, dass die Rechnung vom 14.01.2013 dem Gutachten bei der Übermittlung an das SG tatsächlich beigelegen hat und erst auf dem Weg zum SG oder beim SG verloren gegangen ist. Ein Wiedereinsetzungsgrund ist damit nicht glaubhaft gemacht.

Die dem Schreiben vom 25.07.2013 beigefügte "1. Mahnung" vom 12.05.2013, die aus nicht näher ersichtlichen Gründen erst in Kopie als Anlage zum Schreiben vom 25.07.2013 beim SG bekannt geworden ist, kann keinerlei Hinweise darauf geben, ob die Rechnung vom 14.01.2013 zusammen mit dem Gutachten auf den Weg zum Sozialgericht gebracht worden ist. Genauso gut denkbar ist es, dass es im Januar 2013 vergessen worden ist, die Rechnung dem Gutachten beizufügen.

Auch die eidesstattliche Versicherung der Praxismitarbeiterin der Beschwerdegegnerin kann einen Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft, also überwiegend wahrscheinlich, machen. Zwar hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Mitarbeiterin ihre Angaben entsprechend ihren tatsächlichen Erinnerungen und den Tatsachen gemacht hat. Insbesondere ist kein Anhaltspunkt ersichtlich, der auf eine Zweckrichtung der inhaltlichen Angaben, nämlich um eine Wiedereinsetzung zu erschleichen, hindeuten würde. Denn die Mitarbeiterin macht keine Angaben zu Details, die aufgrund der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit und der Tatsache, dass in der Praxis der Sachverständigen offensichtlich nicht wenige Gutachten erstellt werden, Zweifel wecken würden, ob die Mitarbeiterin sich tatsächlich so weitgehend erinnern kann. Vielmehr erläutert die Mitarbeiterin im Wesentlichen nur die allgemeine Handhabung in der Praxis und zieht aus bestimmten Umständen den Rückschluss, dass auch im vorliegenden Fall die Rechnung dem Gutachten beigelegen haben muss. So folgert sie zum einen aus dem Rechnungsdatum, dass die Rechnung (Rechnungsdatum 14.01.2013) im zeitlichen Zusammenhang mit der Gutachtenserstellung (Eingang bei Gericht am 17.01.2013) gefertigt sein muss. Zum anderen begründet sie ihre Annahme einer Übersendung an das Gericht damit, dass die Rechung immer dreifach (eine Rechnung für die Sachverständige, zwei für das Gericht) ausgedruckt werde, in der Praxis aber nur noch die Rechnung für die Sachverständige vorliege, die anderen beiden Rechnungsausfertigungen daher an das SG gegangen sein müssen. Schließlich weist sie darauf hin, dass es keine Rückmeldung des SG gegeben habe, dass die Akten, denen sie immer die Rechnung beilege, nicht vollständig bei Gericht eingegangen seien.

Alle drei Gesichtspunkte können es nach der Überzeugung des Senats nicht überwiegend wahrscheinlich machen, dass die Rechnung zusammen mit dem Gutachten zum SG gebracht worden ist. Der Senat bezweifelt nicht, dass die Rechnung zeitnah zur Fertigstellung des Gutachtens angefertigt worden ist. Die Erstellung der Rechnung macht aber nicht die Übersendung an das SG glaubhaft. Es ist genauso gut denkbar, dass es vergessen worden ist, die Rechnung auszudrucken und dem Gutachten beizulegen; auch dass die Rechnung zwar ausgedruckt, aber dann in der Praxis untergegangen ist, ist mindestens genauso gut möglich wie ein Untergang erst auf dem Weg zum oder bei Gericht. Aus dem selben Grund macht auch die Tatsache, dass sich in den Unterlagen der Beschwerdegegnerin eine Ausfertigung der Rechnung befunden hat, eine Übersendung an das Gericht nicht wahrscheinlicher als ein Vergessen der Übersendung oder einen Untergang in der Praxis der Beschwerdegegnerin. Schließlich deutet auch eine fehlende Rückmeldung des SG, dass Gutachten und Akten nicht vollständig bei Gericht eingegangen wären, nicht auf einen Rechnungseingang bei Gericht hin. Denn eine Praxis der Gerichte, den Sachverständigen umgehend davon in Kenntnis zu setzen, wenn die Rechnung dem Gutachten nicht beigefügt gewesen ist, gibt es nicht, geschweige denn eine Hinweispflicht (vgl. oben Ziff. 4.1). Vielmehr ist es, wie die Erfahrung zeigt, in nicht wenigen Fällen so, dass die Rechnung mit einem separaten Schreiben übermittelt wird.

Der Senat sieht es bei umfassender Würdigung aller Umstände zwar als durchaus möglich an, dass die Beschwerdegegnerin tatsächlich die Rechnung mit dem Gutachten zusammen bereits im Januar 2013 übersandt hat und die Rechnung dann auf dem Weg zum oder bei Gericht verloren gegangen ist. Es besteht aber genauso gut die Möglichkeit, dass es die Beschwerdegegnerin oder eine Mitarbeiterin, deren Verschulden sich die Beschwerdegegnerin zurechnen lassen müsste, bei der Übersendung des Gutachtens vergessen hat, die Rechnung beizulegen. Davon, dass ersterer Möglichkeit gegenüber der letzteren ein - wenn auch nur gewisses - Übergewicht zukommen sollte, kann sich der Senat nicht überzeugen. Gerade weil bei Eingang des Gutachtens weitere Unterlagen als zusammen mit dem Gutachten eingelaufen vermerkt worden sind ("5 Akten, 1 CD") und auf die vollständige Erfassung des Eingangs wegen dessen Bedeutung bei Gericht grundsätzlich große Sorgfalt verwendet wird, hält es der Senat für zumindest gleich wahrscheinlich, dass es auf ein Verschulden der Beschwerdegegnerin zurückzuführen ist, dass die Rechnung nicht bei Gericht eingegangen ist.

Die Beschwerdegegnerin kann sich auch nicht dadurch vom nicht rechtzeitigen Eingang der Rechnung bei Gericht exkulpieren, dass sie dafür kein Verschulden treffe. Die Beschwerdegegnerin hat hinsichtlich der Wahrung der Frist für die Abrechnung ihres Gutachtens diejenige Sorgfalt nicht beachtet, die für einen gewissenhaften und seine Pflichten und Rechte sachgemäß wahrnehmenden Betroffenen im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten gewesen wäre. Sie hat die Möglichkeit der Fristversäumnis durch ein Vergessen der Übersendung der Rechnung entweder gar nicht vorausgesehen (unbewusste Fahrlässigkeit) oder nicht vermieden (bewusste Fahrlässigkeit) (vgl. BSG, Beschluss vom 09.10.2012, Az.: B 5 R 196/12 B). Denn sie hat keinerlei Vorkehrungen getroffen, die Fristeinhaltung sicher zu stellen (vgl. Beschluss des Senats vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12). Dies ergibt sich aus der Beschreibung des Gutachtensablaufs, wie er in der eidesstattlichen Versicherung vom 25.07.2013 dargestellt ist

Der Beschwerdegegnerin kann daher bezüglich der Abrechnung ihres Gutachtens vom 18.11.2012 keine Wiedereinsetzung gewährt werden.

Der Kostensenat des Bayerischen Landessozialgerichts trifft diese Entscheidung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 2 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. § 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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