L 10 AL 183/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 71/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 183/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Regelungen über die Ausschlussfrist in § 324 Abs 3 SGB III stehen nicht in Widerspruch zu Europäischem Recht.
Zeigt sich ein Insolvenzverwalter an und bleibt der Arbeitnehmer dennoch zunächst zwei Wochen bis zum Ablauf der Ausschlussfrist untätig, hat er sich nicht ausreichend um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 04.04.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.03.2009.

Der Kläger ist gelernter Bäcker. Seit Dezember 2001 war er als geschäftsführender Gesellschafter zunächst mit einem Gesellschaftsanteil von 1/2, später von 1/3, bei der B.- und E. GmbH (B.) beschäftigt. Im Rahmen der Gesellschafterversammlung der B. am 30.03.2009 wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen und der Geschäftsführungsdienstvertrag außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt, gekündigt. Dagegen wandte sich der Kläger mit einer Klage an das Landgericht B-Stadt (Az: 1 HK O 68/09) und machte daneben rückständige Gehaltsforderungen geltend. Im Rahmen einer Verhandlung vor dem Landgericht B-Stadt, bei der der Kläger auch selbst anwesend war, wurde vom gegnerischen Rechtsanwalt mitgeteilt, dass am 16.04.2010 beim Amtsgericht - Insolvenzgericht - B-Stadt ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich des Vermögens der B. gestellt worden sei. Die Klage vor dem Landgericht B-Stadt hat der Kläger am 09.10.2012 zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 30.06.2010 hat das Amtsgericht - Insolvenzgericht - B-Stadt das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. eröffnet (Az: ) und Rechtsanwalt Dr.H., B-Stadt, als Insolvenzverwalter bestellt. Dieser zeigte sich mit Schreiben vom 06.08.2010 gegenüber dem Kläger an und forderte zum Ausgleich noch offener Beträge auf.

Nach eigenen Angaben habe der Kläger am 31.08.2010 seinen Bevollmächtigten aufgesucht und anschließen - auf den Rat des Bevollmächtigten - noch am selben Tag bei der Beklagten Insolvenzgeld im Hinblick auf nicht geleistetes Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.03.2009 beantragt. Der Antrag sei innerhalb der Ausschlussfrist gestellt worden, da mit "Beschluss vom 01.07.2010" das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen sei der Eröffnungsbeschluss nicht an ihn zugestellt worden. Der Bevollmächtigte habe aber mit Schreiben vom 16.08.2010 beim Insolvenzgericht nachgefragt, ob und wann mit der Eröffnung des Verfahrens zu rechnen sei.

Mit Bescheid vom 07.12.2010 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Insolvenzgeld ab. Das Insolvenzverfahren sei bereits am 30.06.2010 eröffnet worden. Trotz Kenntnis des Bevollmächtigten habe dieser nicht rechtzeitig innerhalb der Zwei-Monats-Frist einen Insolvenzgeldantrag gestellt. Am 31.08.2010 sei diese Frist abgelaufen gewesen und eine Nachfrist könne nicht gewährt werden. In seinem dagegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, eine Vollmacht hätte zunächst nicht vorgelegen und er habe keine Kenntnis von einem Insolvenzereignis gehabt. Erst am 15.09.2010 habe der Insolvenzverwalter den Eröffnungsbeschluss vom 30.06.2010 übersandt. Im Übrigen sei unter Berücksichtigung der Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt vom 23.02.2005 - L 2 AL 55/03 - und des LSG Hessen vom 26.10.2007 - L 7 AL 185/05 - die Fristenregelung des § 324 Abs 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) europarechtskonform und damit restriktiv auszulegen. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Die zweimonatige Ausschlussfrist zur Geltendmachung des Insolvenzgeldes sei am 30.08.2010 abgelaufen. Aus dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 hätte eindeutig geschlossen werden können, dass bereits eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei. Nachdem der Kläger erst am 31.08.2010 wieder Kontakt zu seinem Bevollmächtigten aufgenommen habe, habe er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht. Im Hinblick auf die durch das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 vermittelte Kenntnis vom Insolvenzverfahren könne keine Nachfrist eröffnet werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei ebenfalls nicht möglich.

Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und ergänzend ausgeführt, er habe aus dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 keine hinreichende Kenntnis vom Insolvenzereignis gehabt. Es sei auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Bürgers abzustellen. Er selbst sei gelernter Bäcker. Der Umstand, dass er von einem Insolvenzverwalter angeschrieben worden sei, lasse noch nicht den Schluss auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu. Auch die rechtlichen Regelungen seien ihm nicht bekannt gewesen. So sei er davon ausgegangen, dass er als ehemaliger Geschäftsführer überhaupt keinen Anspruch auf Insolvenzgeld haben könne. Unter Berücksichtigung einer europarechtskonformen Auslegung hätte jedenfalls eine Nachfrist eingeräumt werden müssen. Schließlich hätte er nicht wissen können, dass ein Eröffnungsbeschluss mit dem Datum 30.06.2010, 24.00 Uhr, nicht als Eröffnungsdatum 01.07.2010 anzusehen sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 04.04.2012 abgewiesen. Der Antrag auf Insolvenzgeld sei außerhalb der Ausschlussfrist gestellt worden. Dies habe der Kläger auch zu vertreten. Unter Zugrundlegung der Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Bürgers hätte er aus dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 auf ein Insolvenzereignis schließen können. Eine europarechtskonforme Auslegung des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III ergebe kein anderes Ergebnis. Der Kläger habe mehr als drei Wochen verstreichen lassen, bis er einen Insolvenzgeldantrag gestellt habe. Zu den Sorgfaltspflichten rechtsunkundiger Arbeitnehmer gehöre es, sich rechtzeitig sachkundigen Rechtsrat zu verschaffen.

Der Kläger hat dagegen Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er sei unverschuldet daran gehindert gewesen, die Ausschlussfrist des § 324 SGB III einzuhalten. Die Frage danach, ob dem Kläger als geschäftsführendem Gesellschafter einer GmbH im vorliegenden Fall Insolvenzgeld in der Sache zugestanden hätte, könne von einem rechts-unkundigen Laien in der Regel nicht ohne Hinzuziehung von Rechtskundigen beantwortet werden. In materieller Hinsicht habe er aber Anspruch auf Insolvenzgeld. Im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30.06.2010 um 24.00 Uhr sei unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Tag nur maximal 24 Stunden haben könne, für die Berechnung der Antragsfrist der 01.07.2010 anzusetzen. Im Übrigen habe der Kläger die Versäumung der Ausschlussfrist nicht zu vertreten gehabt. Nach einer Entscheidung des EuGH vom 18.09.2003 sei eine zurückhaltende Beurteilung der Anforderungen geboten, die insbesondere an rechtsunkundige Arbeitnehmer zu stellen sind. Insbesondere dürfe die Ausschlussfrist nicht ungünstiger sein als andere inländische Fristen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen sei ihm der Eröffnungsbeschluss nicht zugestellt worden. Aus dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 16.08.2010 sei für ihn noch nicht erkennbar gewesen, ob bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet gewesen sei, da auch eine nur vorläufige Insolvenzverwaltung hätte angeordnet worden sein können. Er habe im maßgebenden Zeitraum psychische Probleme gehabt. Auch am 31.08.2010, als er zu seinem Bevollmächtigten gegangen sei, sei nicht klar gewesen, ob bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet gewesen ist. Erst mit Schreiben vom 15.09.2010 sei der genaue Inhalt des Eröffnungsbeschlusses bekannt geworden. Dennoch habe er am 31.08.2010 vorsorglich den Insolvenzgeldantrag gestellt und sich deshalb mit der gebotenen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche gekümmert. Ebenso habe er versucht, vor dem Landgericht B-Stadt seine Vergütungsansprüche durchzusetzen. Der Beklagten sei es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, sich auf einen etwaigen Fristablauf wegen Überschreitens einer juristischen Sekunde zu berufen.

Der Kläger beantragt:
Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 04.04.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 07.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 werden aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld für den beantragten Zeitraum zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 04.04.2012 als unbegründet zurückzuweisen.

Der Insolvenzgeldantrag sei nicht innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III gestellt worden. Die Vorschrift sei europarechtskonform. Der Kläger habe die Ausschlussfrist aus Gründen versäumt, die er zu vertreten habe. Bereits im April 2010 sei ihm bekannt geworden, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden sei. Spätestens mit Zugang des Schreibens des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 sei das Laufen eines Insolvenzverfahrens bekannt gewesen. Eine rechtzeitige Antragstellung sei insofern bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt problemlos möglich gewesen.

Im Rahmen des Erörterungstermins am 30.09.2013 hat der Kläger angegeben, er habe das Schreiben vom 06.08.2010 nach seinem Urlaub bekommen. Er fahre immer Anfang August zu Ferienbeginn für etwa zehn Tage in den Urlaub. Die Beteiligten haben erklärt, sie wünschen eine Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Auszüge aus der Akte des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - B-Stadt - Az. - und des Landgerichts B-Stadt - Az. 1 HK O 68/09 - sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Das Gericht konnte durch den bestellten Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben sich hiermit ausdrücklich einverstanden erklärt (§ 155 Abs 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG- iVm § 124 Abs 2 SGG).

Die form- und fristgerechte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), in der Sache jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 07.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld, da er dieses nicht rechtzeitig beantragt hat. Nach § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III idF des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) vom 24.03.1997 (BGBl I 594) ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird (§ 324 Abs 3 Satz 2 SGB III).

Ein Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III idF Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10.12.2001 (BGBl I 3443) ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des B. am 30.06.2010 begründet. Ausweislich der Akte des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - B-Stadt (Az. ) erging ein entsprechender Beschluss an diesem Tage und ist dementsprechend vom erlassenden Richter unterzeichnet. Auch die übrigen Verfügungen über die Bekanntmachung und Mitteilungen datieren auf den 30.06.2010 und sind entsprechend unterschrieben. Für das Gericht stellt sich damit kein Zweifel daran, dass das Insolvenzverfahren tatsächlich am 30.06.2010 und nicht erst am Folgetag eröffnet worden ist. Die Antragsfrist nach § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III begann damit am 01.07.2010 zu laufen und endete am 30.08.2010 (§ 26 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB X- iVm §§ 187 Abs 1, 188 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-). Für den Beginn der Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III ist der Eintritt des jeweiligen Insolvenzfalles und nicht der Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von sämtlichen Merkmalen des Tatbestandes erheblich (vgl BSG, Urteil vom 04.03.1999 - B 11/10 AL 3/98 R - juris; Urteil vom 26.08.1983 - 10 RAr 1/82 - SozR 4100 § 141e Nr 5; Urteil vom 14.08.1984 - 10 RAr 18/83 - SozR 4100 § 141e Nr 6; Scholz in: Mutschler/Schmidt-de Caluwe/Coseriu, SGB III, 5. Aufl 2013, § 324 Rn 16). Der Insolvenzgeld-Antrag des Klägers vom 31.08.2010 wurde somit nicht innerhalb der Ausschlussfrist gestellt.

Der Anwendung der Regelung über die Ausschlussfrist steht europäisches Recht in Form der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, 36) nicht entgegen. Mit dieser Richtlinie wurde die frühere Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20.10.1980 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, 23) konsolidiert. Die Regelungen sollen einen Mindestschutz der Arbeitnehmer im Falle einer Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers sichern. Eine Bestimmung darüber, ob die Mitgliedstaaten eine Ausschlussfrist vorsehen dürfen, binnen deren ein Arbeitnehmer Insolvenzgeld stellen muss, enthält die Richtlinie 2008/94/EG ebenso wenig wie ihre Vorgängerrichtlinie 80/987/EWG. Die Richtlinie würde infolgedessen nach den Grundsätzen der Gleichwertigkeit und der Effektivität nur dann der Anwendung einer Ausschlussfrist, binnen derer ein Arbeitnehmer nach nationalem Recht einen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld stellen muss, entgegenstehen, wenn die betreffende Frist weniger günstig ist als bei gleichartigen innerstaatlichen Anträgen und so ausgestaltet ist, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (so EuGH, Urteil vom 18.09.2003 - C-125/01 - Pflücke - Slg 2003 I-9375). Dies ist aber im Hinblick auf die Ausschlussregelung des § 324 Abs 3 SGB III nicht der Fall. Auch bei vergleichbaren Lohnersatzleistungen, wie beispielsweise dem Arbeitslosengeld oder dem Kurzarbeitergeld sind die Anforderungen grundsätzlich nicht großzügiger und eine Durchsetzung des Anspruchs auf Insolvenzgeld wird nicht praktisch unmöglich gemacht (vgl dazu im Einzelnen BSG, Beschluss vom 17.10.2007 - B 11a AL 75/07 B - SozR 4-4300 § 324 Nr 4; Sächs. LSG, Urteil vom 17.04.2007 - L 1 AL 282/04 - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.03.2012 - L 18 AL 340/09 - juris; Scholz aaO § 324 Rn 17).

Es ist auch nicht die weitere Zwei-Monats-Frist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III eröffnet. Diese beginnt zwar erst mit dem Wegfall des Hindernisses für die Beantragung des Insolvenzgeldes zu laufen, setzt aber voraus, dass die Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III unvertretbar versäumt ist. Fällt das Hindernis schon während des Laufes der Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III weg, so ist die Nachfrist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III nicht eröffnet; maßgeblich bleibt dann die erste Frist (vgl BSG, Urteil vom 18.01.1990 - 10 RAr 14/89 - juris; Urteil vom 10.04.1985 - 10 RAr 11/84 - SozR 4100 § 141e Nr 8; Urteil vom 16.11.1984 - 10 RAr 17/83; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.12.2005 - L 28 AL 167/04; BayLSG, Urteil vom 15.10.2002 - L 11 AL 327/01 - alle zitiert nach juris; Hassel in: Brand, SGB III, 6. Aufl 2012, § 324 Rn 26; Scholz aaO § 324 Rn 18).

Entscheidend ist dabei, ob die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III schuldhaft versäumt worden ist, wobei die Rechtsgrundsätze anzuwenden sind, die die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entwickelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.1990, aaO). Es gilt der Verschuldensmaßstab des § 276 BGB, womit auch einfache Fahrlässigkeit zu vertreten ist. Der Antragsteller hat die ihm zumutbare und den Umständen nach erforderliche Sorgfalt anzuwenden, wobei es auf einen auf den jeweiligen Arbeitnehmer bezogenen individuellen Sorgfaltsmaßstab ankommt (Scholz aaO § 324 Rn 19; Hassel aaO § 324 Rn 23).

Der Kläger hat unter Berücksichtigung dieses Maßstäbe im vorliegenden Fall die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III schuldhaft versäumt. Mit Erhalt des Schreibens des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010, in dem sich dieser dem Kläger gegenüber angezeigt hat, musste dem Kläger klar gewesen sein, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. eröffnet worden war. In Zusammenschau mit dem zuvor in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht B-Stadt - bei der der Kläger anwesend war - erhaltenen Hinweis, ein Insolvenzantrag sei bereits gestellt worden, konnte mit Anzeige eines Insolvenzverwalters für den Kläger kein vernünftiger Zweifel mehr daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren nunmehr eröffnet worden ist. Umgekehrt ist wegen der geschilderten Umstände gerade nicht davon auszugehen, der Kläger habe annehmen können, es handele sich nur um die Anzeige eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Im Schreiben vom 06.08.2010 ist hiervon an keiner Stelle die Rede und es gibt auch keine Hinweise hierauf. Er war unter Berücksichtigung seiner Ausbildung als Bäcker und seiner Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter auch von seinen intellektuellen Fähigkeiten her in der Lage aus dem Schreiben den Schluss auf eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B. zu ziehen. Hiervon konnte sich das Gericht zudem unter Berücksichtigung des persönlichen Auftretens des Klägers im Rahmen des Erörterungstermins überzeugen. Konkrete Anhaltspunkte, der Kläger sei hierzu wegen psychischer Probleme nicht in der Lage gewesen, wurden nicht weiter vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es hierbei nicht um schwierige Denkfolgerungen gegangen ist.

Soweit der Kläger vorbringt, ihm sei seinerzeit nicht klar gewesen, dass ihm als geschäftsführendem Gesellschafter im Hinblick auf eine mögliche Arbeitnehmereigenschaft Insolvenzgeld hätte zustehen können, ist dies ohne Belang. Zu den Sorgfaltspflichten, die im Rahmen des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III zu beachten sind, gehört es für einen rechtsunkundigen Arbeitnehmer, sich rechtzeitig sachkundigen Rechtsrat zu verschaffen. Ein Vertretenmüssen liegt insbesondere dann vor, wenn der Berechtigte die Antragstellung wegen einer rechtsirrigen Beurteilung der Voraussetzungen für eine fristgerechte Antragstellung unterlässt (vgl BSG, Urteil vom 18.01.1990 - 10 RAr 14/89 - juris; Hassel aaO § 324 Rn 22). Gleiches gilt für die Unkenntnis von der Notwendigkeit der Beantragung von Leistungen innerhalb der Ausschlussfristen des § 324 Abs 3 SGB III (vgl BSG, Urteil vom 10.04.1985 - 10 RAr 11/84 - SozR 4100 § 141e Nr 8). Es ist auch nicht erforderlich, dass dem Kläger der Eröffnungsbeschluss hätte vorliegen müssen. Ausreichend war es, dass sich ihm aus dem Schreiben vom 06.08.2010 der Eintritt des Insolvenzereignisses hätte erschließen müssen, was zur umgehenden Einholung von Rechtsrat und zur Beantragung von Insolvenzgeld hätte führen müssen (dies führt im Übrigen auch das LSG Hessen in seinem Urteil vom 26.10.2007 - L 7 AL 185/05 - info also 2008, 17 - aus). Dies zeigt dann letztlich die am 31.08.2010 erfolgte Beratung durch den Bevollmächtigten, auf die hin der Kläger umgehend den Antrag bei der Beklagten gestellt hat. Wäre er unmittelbar nach Erhalt des Schreibens des Insolvenzverwalters zu seinem Bevollmächtigten gegangen und hätte sich beraten lassen, wäre eine rechtzeitige Antragstellung problemlos möglich gewesen. Damit hat er sich nicht im erforderlichen Maße um die Durchsetzung seiner Ansprüche gekümmert und damit die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III schuldhaft versäumt.

Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger das Schreiben des Insolvenzverwalters Mitte August erhalten. Im Erörterungstermin gab er glaubhaft an, das Schreiben nach seinem Urlaub erhalten zu haben. Nachdem er weiter angegeben hat, immer Anfang August für zehn Tage in den Urlaub zu fahren, hat er das Schreiben um den 15.08.2010 bekommen. Damit hätte für die Einholung von Rechtsrat und die Beantragung des Insolvenzgeldes knapp zwei Wochen Zeit zur Verfügung gestanden, was im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung aller Umstände als ausreichend anzusehen ist. So ist einem rechtsunkundigen Arbeitnehmer keine generelle Überlegungsfrist von zwei Wochen vom Zeitpunkt der Kenntnis des Insolvenzereignisses an einzuräumen (vgl BSG, Urteil vom 18.01.1990 - 10 RAr 14/89 - juris). Schließlich ist hier auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2008/94/EG keine anderweitige Auslegung des § 324 Abs 3 SGB III oder gar eine Nichtanwendung der Vorschrift angezeigt. Nach Kenntnis vom Insolvenzereignis hätte der Kläger hinreichend Zeit gehabt, sich Rechtsrat einzuholen und den entsprechenden Antrag bei der Beklagten zu stellen. Im vorliegenden Fall wurde demnach die Durchsetzung der Ansprüche durch die Ausschlussfrist nicht unzumutbar erschwert. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall von den Entscheidungen des LSG Sachsen-Anhalt vom 23.02.2005 - L 2 AL 55/03 - und des LSG Hessen vom 26.10.2007 - L 7 AL 185/05, auf die der Kläger verwiesen hat. Dort ging es um die Zurechnung des Verschuldens eines Bevollmächtigten bzw um einen Fall, bei dem den Antragsteller kein Verschulden an der fehlenden Kenntnis vom Insolvenzereignis getroffen hatte und kein dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 06.08.2010 entsprechender Hinweis vorgelegen hat. Dass die Frist nur um einen einzigen Tag versäumt worden ist führt schließlich ebenfalls nicht zu einer anderen Betrachtung. Es ist allen Fristen immanent, dass diese versäumt sind, wenn nicht rechtzeitig die notwendige Handlung vorgenommen wird. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Frist nur knapp oder deutlich überschritten wird.

Im Hinblick auf die Versäumung der Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III steht dem Kläger gegen die Beklagte somit kein Anspruch auf Bewilligung von Insolvenzgeld zu. Die Berufung war damit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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