L 15 SF 121/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 121/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Entschädigung für Verdienstausfall eines Selbständigen kann nicht erfolgen, wenn es keinen Hinweis auf eine selbständige Tätigkeit gibt.
Die Entschädigung des Antragstellers für die Wahrnehmung des Termins vor dem Bayer. Landessozialgericht am 11.02.2011 wird auf 32,- EUR festgesetzt.



Gründe:


I.

Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und
-entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Wahrnehmung eines Gerichtstermins, zu dem sein persönliches Erscheinen angeordnet worden ist.

In dem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) unter dem Aktenzeichen
L 9 AL 25/08 geführten Rechtsstreit des Antragstellers, zu dem das Verfahren L 9 AL 17/08 hinzuverbunden worden war, fand am 11.02.2011 eine mündliche Verhandlung statt; das persönliche Erscheinen des Antragstellers war angeordnet. Geladen wurde der Antragsteller, dessen Anwälte in beiden Verfahren der Hauptsache nur eine Adresse in G. angegeben hatten, unter einer Adresse in A-Stadt. Warum die Ladung an diese Adresse gegangen ist, ist den Akten nicht zu entnehmen.

Mit beim LSG am 18.02.2011 eingegangenen Schreiben beantragte der Antragsteller die Entschädigung für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 11.02.2011. Er machte neben Fahrtkosten für 90 km von G. zum Gericht und zurück einen Verdienstausfall bei Selbständigen nach dem "Höchstentschädigungssatz" für die Zeit von 9.30 Uhr bis 13.00 Uhr geltend.

Mit Schreiben vom 07.03.2011 setzte der Kostenbeamte des Bayer. LSG die Entschädigung auf 13,- EUR fest. Dabei ging er von Fahrtkosten vom Ladungsort (A-Stadt) zum Gericht und zurück aus; der Antragsteller habe vor der mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt, warum er nicht vom Ladungsort anreisen werde. Eine Entschädigung für Verdienstausfall lehnte der Kostenbeamte ab, da keinerlei Hinweise auf eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers vorlägen.

Dagegen hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 31.03.2011 gewandt. Er hat vorgetragen, dass die Fahrtkosten falsch bemessen worden seien; von G. und zurück betrage die Strecke 80 km. Zudem habe ihm das Gericht nicht mitgeteilt, warum seine Angaben zur Selbständigkeit unglaubhaft seien; das Gericht hätte ihn darauf hinweisen müssen, wenn es seine Angaben nicht für glaubhaft halte.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 20.04.2011 ist der Antragsteller u.a. um nähere Erläuterung zum geltend gemachten Verdienstausfall gebeten worden; er möge mitteilen, ob und wenn ja welcher selbständigen Tätigkeit er nachgehe. Trotz nochmaliger gerichtlicher Erinnerung hat der Antragsteller auf die Anfrage des Gerichts nicht reagiert.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 31.03.2011 die richterliche Festsetzung beantragt.

Die Entschädigung für die Wahrnehmung des Termins vom 11.02.2011 ist auf 32,- EUR festzusetzen.

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Berechnung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungswege sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos (ständige Rechtsprechung, vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, Rdnr. 4.12 - m.w.N.). Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die Kostenfestsetzung im Verwaltungsweg beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten vorgenommen worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 17.07.2012, Az.: L 15 SF 29/12; vgl. auch Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 4.12 - m.w.N).

Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich - wie hier - um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinne des § 183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.

1.
Anzuwendendes Recht

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz -
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn der Antragsteller als Berechtigter ist vor dem gemäß Art. 55
2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.

2. Fahrtkosten

Für Fahrtkosten gemäß § 5 JVEG ist eine Entschädigung in Höhe von 20,- EUR zu leisten.

2.1. Allgemeines

Der Gesetzgeber hat mit § 5 JVEG dem Zeugen bzw. Beteiligten ein Wahlrecht eröffnet, ob er mit öffentlichen Verkehrsmitteln (§ 5 Abs. 1 JVEG) oder mit dem Kraftfahrzeug (§ 5 Abs. 2 JVEG) zum gerichtlich festgesetzten Termin anreist. Der Fahrtkostenersatz folgt der getroffenen Wahl des Beförderungsmittels. Wählt der Beteiligte wie hier die Anreise mit dem Kraftfahrzeug, werden ihm gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG für jeden gefahrenen Kilometer 0,25 EUR ersetzt.

Zu entschädigen sind die objektiv erforderlichen Fahrtkosten. Was objektiv erforderlich ist, ist unter Berücksichtigung der im gesamten Kostenrecht geltenden Kostenminimierungspflicht zu ermitteln. Dabei geht der Senat in großzügigerer Auslegung, als sie teilweise von anderen Gerichten zugrunde gelegt wird, davon aus, dass nicht nur die Kosten für die kürzeste Strecke (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 27.09.2005, Az.: L 6 SF 408/05), sondern grundsätzlich auch die Kosten für die schnellste, obgleich längere Strecke zu ersetzen sind, wobei weitere Ausnahmen dann zu akzeptieren sind, wenn die höheren Kosten durch besondere Umstände gerechtfertigt sind (z.B. Unzumutbarkeit der kürzesten bzw. schnellsten Strecke oder Umwege durch Straßensperrungen) (vgl. Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12).

Die Ermittlungen zur Streckenlänge können unter Zuhilfenahme der im Internet jedermann zugänglichen Routenplaner vorgenommen werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 24.04.2013, Az.: L 15 SF 62/13)

Grundsätzlich sind der Ermittlung der Fahrtkostenentschädigung eine An- und Rückreise vom bzw. zum Ladungsort zugrunde zu legen (vgl. Grundsatzbeschluss vom 06.11.2013, Az.: L 15 SF 191/11 B E, der auch die Konstellationen benennt, die eine Berücksichtigung der Reisekosten von einem weiter entfernten Ort zulassen).

2.2. Entscheidung im vorliegenden Fall

Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller zwar unter einer Adresse in A-Stadt geladen worden. Gleichwohl ist der Anfahrt bzw. Rückfahrt eine Abreise von dem etwas weiter entfernt liegenden G. bzw. dorthin zurück zugrunde zu legen. Grund dafür ist nicht, dass eine der im Beschluss vom 06.11.2013,
Az.: L 15 SF 191/11 B E, aufgezeigten Konstellationen vorliegt, sondern dass die Ladung des Antragstellers an eine Adresse erfolgt ist, für die sich aus den Akten kein Grund entnehmen lässt. So haben weder der Antragsteller selbst noch seine Bevollmächtigten je dem Gericht eine andere Adresse des Antragsteller als die in G. angegeben. Auch sonst ist den Akten nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller zwischenzeitlich seinen Wohnsitz geändert hätte. Aus welchen Gründen das Gericht der Hauptsache für die Ladung des Antragstellers eine andere Adresse verwendet hat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Jedenfalls würde es zu weit gehen, vom Antragsteller eine Mitteilung zu erwarten, dass er von G. anreisen werde, wenn er ohnehin nie eine andere Adresse gegenüber dem Gericht verwendet hat.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller zunächst eine Fahrtstrecke von 90 km, dann mit Schreiben vom 31.03.2011 von 80 km angegeben. Die letztere Streckenangabe entspricht weitgehend der Strecke, wie sie sich bei der Zuhilfenahme von im Internet jedermann zugänglichen Routenplanern (z.B. von Falk) für die Fahrt vom angegebenen Wohnort des Antragstellers in G. zum Gerichtsort und zurück ergibt.

Bei gefahrenen 80 km und einer Entschädigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG in Höhe von 0,25 EUR für jeden gefahrenen Kilometer errechnet sich ein Fahrtkostenersatz in Höhe von 20,- EUR.

3. Verdienstausfall

Eine Entschädigung für Verdienstaufall gemäß § 22 JVEG, hier eines Selbständigen, wie dies der Antragsteller angegeben hat, hat nicht zu erfolgen.

Voraussetzung ist, dass ein Verdienstausfall eingetreten ist. Ein solcher ist hier nicht nachgewiesen.

Wie hoch die Nachweispflichten bei selbständig Tätigen sind, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn weder hat der Antragsteller auch nur den geringsten Nachweis für die behauptete selbständige Tätigkeit vorgelegt noch ergibt sich aus den Akten des Hauptsacheverfahrens irgendein Hinweis auf eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers. Auch hat der Antragsteller - trotz Erinnerung - nicht auf das gerichtliche Schreiben vom 20.04.2011 reagiert, mit dem ihm zwei leicht und kurz zu beantwortende Fragen zur behaupteten selbständigen Tätigkeit gestellt worden sind. Im Raum steht also nur eine ganz allgemein gehaltene Behauptung des Antragstellers, nämlich er sei "selbständig tätig", ohne dass der Antragsteller irgendwelche weitergehenden Angaben gemacht hätte. Dies reicht selbstverständlich nicht, um den Nachweis einer selbständigen Tätigkeit zu führen.

4. Entschädigung für Zeitversäumnis

Dem Antragsteller ist aber eine Entschädigung für Zeitversäumnis im Sinn des § 20 JVEG zu leisten.

Eine Entschädigung für Zeitversäumnis wird - auch bei Beteiligten des sozialgerichtlichen Verfahrens - regelmäßig dann zu erbringen sein, wenn weder ein Verdienstausfall noch Nachteile bei der Haushaltsführung geltend gemacht werden können. Denn bei dieser Entschädigung für sonstige Nachteile ist es nicht erforderlich, dass dem Berechtigten geldwerte Vorteile entgehen (vgl. Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 20.5). Zudem besteht mit § 20 letzter Halbsatz JVEG eine widerlegbare gesetzliche Vermutung dahingehend, dass ein Nachteil erstanden ist.

Mit der Frage, wann die gesetzliche Vermutung als widerlegt zu betrachten ist, hat sich der Senat eingehend in seinem grundlegenden Beschluss vom 30.07.2012,
Az.: L 15 SF 439/11, auseinander gesetzt. Danach ist lediglich dann, wenn dem Antragsteller "ersichtlich" kein Nachteil entstanden ist, eine Entschädigung für Zeitversäumnis nicht zu leisten. Davon, dass ersichtlich kein Nachteil entstanden ist, ist dann auszugehen, wenn sich aus den eigenen Angaben des Antragstellers ergibt, dass er die Zeit nicht anderweitig sinnvoll verwendet hätte, oder wenn es offensichtlich ist, dass ein Nachteil nicht eingetreten ist. Von ersterem ist dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Antrag nichts angibt, was auf eine Zeitversäumnis hindeutet und nicht einmal durch Ankreuzen der entsprechenden Stelle im Antragsformular zu erkennen gibt, dass ihm eine Zeitversäumnis entstanden ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 277/10, und vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11). Ob der Nichteintritt eines Nachteils aus anderen Gründen ersichtlich, d.h. offensichtlich erkennbar ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten sind dabei angesichts der gesetzlichen Vermutung nur sehr gering (vgl. Beschluss des Senats vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11). Denn mit der Entschädigung für Zeitversäumnis gemäß § 20 JVEG wird auch der Verlust von Freizeit entschädigt, wobei die Verwendung von Freizeit sehr vielgestaltig ist und im Belieben des Einzelnen steht. Eine Beurteilung der Wertigkeit der Freizeitgestaltung steht dem Kostenbeamten genauso wie dem Kostenrichter nicht zu.

Ist die Tatsache, dass keinerlei Angaben zur Zeitversäumnis gemacht werden oder nicht einmal ein Kreuz an der entsprechenden Stelle des Entschädigungsantrags gesetzt wird, damit zu erklären, dass der Antragsteller einen Verdienstausfall geltend macht, steht dies einer Entschädigung von Zeitversäumnis, wenn keine Entschädigung für Verdienstausfall möglich ist, nicht entgegen. Denn die fehlenden Angaben zur Zeitversäumnis sind dann damit zu erklären, dass der Antragsteller eine (höhere) Entschädigung für Verdienstausfall angestrebt hat. Es kann ihm in einem solchen Fall nicht zum Nachteil gereichen, dass er im Antrag zur Zeitversäumnis keine Angaben gemacht hat (vgl. Beschlüsse des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12, vom 24.04.2013, Az: L 15 SF 62/13, und vom 06.11.2013, Az.: L 15 SF 191/11 B E).

Dem Antragsteller ist daher für die geltend gemachte und dem Senat plausibel erscheinende Zeit der Abwesenheit von zu Hause von dreieinhalb Stunden, gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 JVEG aufgerundet auf vier Stunden, Entschädigung für Zeitversäumnis von 3,- EUR je Stunde, also insgesamt in Höhe von 12,- EUR zu gewähren.

Der Antragsteller ist deshalb für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 11.02.2011 mit insgesamt 32,- EUR zu entschädigen

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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