L 12 EG 31/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 EG 43/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 EG 31/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG ist auch, wer rechtzeitig den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, stellt, ohne sich eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG ausstellen zu lassen. Denn bei rechtzeitiger Antragstellung gilt nach § 81 Abs. 4 AufenthG der bisherige Aufenthaltstitel als fortbestehend. Der Ausstellung einer körperlichen Fiktionsbescheinigung bedarf es nicht.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.06.2012 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Klägerin ist russische Staatsangehörige und begehrt vom Beklagten Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat ihrer Tochter J. (geboren 13.11.2010). In den letzten 12 Monaten vor der Geburt ihrer Tochter übte sie keine Erwerbstätigkeit aus. Die Klägerin war im Besitz einer bis zum 01.04.2011 gültigen Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2 Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), die sie zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte.

Am 16.12.2010 beantragte die Klägerin Elterngeld für den 1. bis 12. Lebensmonat von. Mit Bescheid vom 30.12.2010 bewilligte der Beklagte zunächst Elterngeld für die Lebensmonate 1 - 5 (13.11.2010 des 12.03.2011), da die Aufenthaltsgenehmigung bis 01.04.2011 befristet war. Sofern innerhalb des möglichen Elterngeldbezugszeitraumes eine über den 01.04.2011 hinaus gültige Aufenthaltsgenehmigung vorgelegt werde, könne über den weiteren Anspruch auf Elterngeld entschieden werden.

Am 24.03.2011 beantragte die Klägerin beim Landratsamt B-Stadt die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Das Landratsamt B-Stadt stellte am 29.06.2011 die beantragte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2 AufenthG (gültig bis 01.04.2013) aus, die die Klägerin wiederum zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Am 05.07.2011 ging beim Beklagten eine Kopie der am 29.06.2011 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis ein. Außerdem übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Bescheinigung des Landratsamtes B-Stadt vom 04.07.2011, mit der ihr bescheinigt wurde, dass sie am 24.03.2011 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig vor Ablauf des Aufenthaltstitels beantragt habe und die Aufenthaltserlaubnis damit gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend galt.

Mit Bescheid vom 08.07.2011 bewilligte der Beklagte der Klägerin Elterngeld auch für den 9. bis 12. Lebensmonats des Kindes (13.07. bis 12.10.2011) in Höhe von jeweils 300 EUR monatlich. Für den 6. bis 8. Lebensmonat (13.04. bis 12.07.2011) lehnte er die Zahlung mit der Begründung ab, dass für diesen Zeitraum kein Aufenthaltstitel vorgelegen habe und die Klägerin daher nicht anspruchsberechtigt gewesen sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2011 zurück. Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Klägerin sei wegen des fehlenden Aufenthaltstitels nicht anspruchsberechtigt. Zwar habe sie für die Zeit zwischen dem Ablauf des bisherigen bis zur Aushändigung des neuen Aufenthaltstitels dem Grunde nach einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland gehabt, sie sei aber nicht tatsächlich im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels oder einer Fiktionsbescheinigung gewesen, so dass die Zahlung von Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat von ausgeschlossen sei.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage zum Sozialgerichts Augsburg. Sie habe rechtzeitig, also vor Ablauf der Geltungsdauer ihres Aufenthaltstitels bei der Ausländerbehörde ein Verlängerungsantrag gestellt, so dass sie aufgrund der Fiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG die Anspruchsvoraussetzung nach § 1 Abs. 7 BEEG erfüllt habe. Die Ausstellung eine "körperlichen" Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG sei zur Begründung der Anspruchsberechtigung nicht erforderlich.
Das SG gab der Klage mit Urteil vom 27.06.2012 statt und verurteilte den Beklagten, der Klägerin Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat von zu bewilligen. Die Klägerin erfülle auch in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere die des § 1 Abs. 7 BEEG, denn sie habe in diesem Zeitraum eine Aufenthaltserlaubnis besessen, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte (§ 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG). Die Klägerin sei zunächst unstreitig bis zum 01.04.2011 sowie ab 29.06.2011 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Auch für den Zeitraum vom 02.04.2011 bis zum 28.06.2011 habe die Klägerin eine zum Bezug von Elterngeld berechtigende Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG besessen, wie sich aus § 81 Abs. 4 AufenthG ergebe. Gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG gelte der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt. In diesen Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels gelte der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Antrag - wie vorliegend - rechtzeitig, das heißt vor Ablauf der Geltungsdauer des bestehenden Aufenthaltstitels - gestellt worden sei. Die Fortgeltungswirkung baue dabei auf einen bestehenden Aufenthaltstitel auf. Die Fiktionswirkung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG erfülle zur Überzeugung der Kammer die zum Bezug von Elterngeld berechtigende Vorschrift des § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG. Da die Fiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG den bisherigen Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen als fortbestehend ausweise, sei nicht nur der bisherige Aufenthaltstitel, sondern die fiktive Fortgeltung dieses Aufenthaltstitels durch § 81 Abs. 4 AufenthG als Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG anzusehen Das SG verwies in seiner Begründung hierzu auch auf einen Beschluss des BayLSG vom 28.05.2010, L 12 EG 9/10 B ER. Dem stehe die unterbliebene Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG in der Form des nach § 58 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung vorgesehenen Vordrucks der Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht entgegen. Denn die materiellen Wirkungen eines rechtzeitigen Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ergäben sich allein aus § 81 Abs. 4 AufenthG. Die Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG habe nur deklaratorische Wirkung, so wie sie auch nur die "Wirkung der Antragstellung" bescheinige und damit keinen eigenen Aufenthaltstitel darstelle. Sie diene lediglich als Nachweis für den fiktiv fortbestehenden Aufenthaltstitel. Aufgrund der von der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren beigebrachten Bescheinigung des Landratsamtes B-Stadt vom 04.07.2011 bestünden keine Zweifel, dass er die Klägerin im Besitz des zum Bezug von Elterngeld berechtigenden Aufenthaltstitels gewesen sei. Das Landratsamt B-Stadt habe sowohl die rechtzeitige Beantragung der Verlängerung des Aufenthaltstitels vor dessen Ablauf bestätigt als auch das Fortbestehen der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG bescheinigt. Dass die Klägerin nicht im Besitz der Bescheinigung über den materiell bestehenden Aufenthaltstitel in Gestalt des in § 58 Nr. 3 der Aufenthaltsverordnung vorgesehenen Vordrucks war, stehe ihrer Anspruchsberechtigung nicht entgegen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht. Die nachträgliche Bestätigung der Ausländerbehörde sei der zeitgerechten Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG nicht gleichgestellt. Die Klägerin habe keinen Nachweis über das Fortbestehen des Aufenthaltstitels in der vorgeschriebenen Form, da nach der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 das Bundesministerium des Inneren die Verwendung des bundesweiten Vordruckmusters zwingend vorschreibe. Die Verwendung anderer Modelle für rechtswidrig. Die Klägerin habe damit keinen Nachweis über das Fortbestehen des Aufenthaltstitels in der vorgeschriebenen Form. Die Fiktionsbescheinigung werde jedoch benötigt, um die aufenthaltsrechtliche Situation durchgehend in dem Zeitraum zu belegen, in dem die Klägerin nicht im Besitz eines Dokuments über den bestehenden Aufenthaltstitel sei. Die nach Ablauf des "offenen Zeitraums" zwischen zwei Aufenthaltstitel formlose Bestätigung der Ausländerbehörde könne die vor Ablauf des Aufenthaltstitels ausgestellte Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG nicht ersetzen.

Die Vertreterin des Beklagten beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.06.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hält das Urteil des SG für zutreffend. Die Klägerin habe wegen der damit einhergehenden Gebührenpflichtigkeit keine Fiktionsbescheinigung beantragt. Die Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG habe jedoch nur deklaratorische Wirkung für den Zeitraum bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag. Die fiktive Fortgeltung des Aufenthaltstitels durch § 81 Abs. 4 AufenthG gelte als Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Beklagtenakten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151, 153 SGG), aber nicht begründet. Das SG Augsburg hat der Klage zu Recht stattgegeben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat von zu bewilligen.

Die Klägerin erfüllte in den streitigen Lebensmonaten 6 - 8 unstreitig die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEEG. Daneben setzt der Anspruch auf Elterngeld für die Klägerin als russische Staatsangehörige - und damit nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin - die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 BEEG voraus.

Nach § 1 Abs. 7 BEEG ist ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde

a) nach § 16 oder § 17 AufenthG erteilt,

b) nach § 18 Abs. 2 AufenthG erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

c) nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt,

d) nach § 104 a AufenthG erteilt oder

3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und

a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und

b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Die Klägerin war auch im streitigen Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG, denn wegen der rechtzeitigen Antragstellung auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis galt nach § 81 Abs. 4 AufenthG der bisherige Aufenthaltstitel, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte, als fortbestehend. In diesen Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Antrag - wie hier - rechtzeitig, das heißt vor Ablauf der Geltungsdauer des bestehenden Aufenthaltstitels gestellt worden ist. Die Fortgeltungsfiktion baut dabei auf einen bestehenden Aufenthaltstitel auf. Die Fiktion bedeutet, dass der Ausländer so gestellt wird, als bestehe der bisherige Aufenthaltstitel fort (Samel in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, Komm. zu § 81 AufenthG, Rdnr. 18). Die Fiktion der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG erfüllt nach Auffassung des Senats (vergleiche Beschluss vom 28.05.2010, L 12 EG 9/10 B ER) die zum Bezug von Elterngeld berechtigende Vorschrift des § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG, weil die Klägerin zum einen eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und zum anderen diese zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Der Besitz eines zum Bezug von Elterngeld berechtigenden ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels setzt einen für die Bezugszeit geltenden Verwaltungsakt der Ausländerbehörde voraus. Da die Fiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG den bisherigen Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen als fortbestehend ausweist, ist nicht nur der bisherige Aufenthaltstitel, sondern in die fiktive Fortgeltung dieses Aufenthaltstitels durch § 81 Abs. 4 AufenthG als im Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG anzusehen. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Dass der Klägerin keine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG ausgestellt wurde, ist für ihren Anspruch auf Elterngeld ohne Bedeutung. Denn mit der Fiktionsbescheinigung, die im Übrigen nicht gesondert beantragt werden muss, wird nur die Fortgeltung des Aufenthaltstitels, die fiktive Erlaubnis und in die fiktive Duldung deklaratorisch bestätigt, sie vermag dagegen nicht konstitutiv einen Rechtsstatus zu begründen (Samel in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, Komm. zu § 81 AufenthG, Rdnr. 37).

Das SG hat in seiner Entscheidung vom 27.06.2012 die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides im Übrigen zutreffend und eingehend dargestellt. Der Senat weist die Berufung aus diesen zutreffenden Gründen zurück und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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