L 15 VK 5/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 VK 5/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VK 5/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein EU Angehöriger, der eine Schädigung nach Ende der Besetzung seines Heimatlandes durch von der deutschen Wehrmacht zurückgelassene Munition erlitten hat, kann eine Versorgung nach dem BVG nicht erhalten.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20. September 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte im Rahmen einer Entscheidung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die frühere bestandskräftige Entscheidung der Versorgungsverwaltung, dem Kläger keine Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren, zu revidieren und dem Kläger Beschädigtenversorgung zu gewähren hat.

Der 1941 geborene Kläger ist slowenischer Staatsangehöriger; er wohnt und arbeitete seit Jahrzehnten in Deutschland.

Im März 1946 wurde er in der Oberkrain (damals Gebiet des jugoslawischen Staates), die bis 1945 von der deutschen Wehrmacht besetzt war, verletzt, als ein Traktor auf einem Feld eine nach Angaben des Klägers aus den Beständen der deutschen Wehrmacht stammende Granate überfuhr, die dabei detonierte. Die Verletzung führte zur Erblindung des linken Auges.

Nach slowenischem Recht ist der Kläger als Kriegsopfer mit einer 60 %-igen Invalidität anerkannt. Er erhält deshalb Entschädigungsleistungen vom slowenischen Staat.

Mit Bescheid vom 19.11.2002 lehnte das damals zuständige Versorgungsamt Heidelberg einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Die Ablehnung wurde wie folgt begründet: Bei dem geltend gemachten Ereignis habe es sich um eine sogenannte unmittelbare Kriegseinwirkung gehandelt. Da der Kläger weder Deutscher noch deutscher Volkszugehöriger sei, könnte ihm Versorgung nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG nur gewährt werden, wenn zum Zeitpunkt der Schädigung der Ort des Vorfalls von der deutschen Wehrmacht besetzt gewesen wäre. Dies sei jedoch im Jahr 1946 nicht mehr der Fall gewesen.

Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Kläger zunächst Widerspruch (ablehnender Widerspruchsbescheid vom 03.01.2003), dann Klage (klageabweisender Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27.10.2003, Az.: S 10 V 201/03) und anschließend Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (Az.: L 8 V 4458/03) ein, die er dann zurücknahm.

In den Jahren 2005, 2006 und 2007 wandte sich der Kläger erfolglos an die Petitionsausschüsse des Bundestags und des Landtags von Baden-Württemberg.

Mit Schreiben vom 02.04.2012 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Versorgung nach dem BVG aufgrund der Invalidität, verursacht durch deutsche Kriegsgewalt.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06.06.2012 ab. Der Bescheid vom 19.11.2002 sei nicht nach § 44 SGB X zurückzunehmen, ein Anspruch auf Versorgung nach dem BVG bestehe nicht. Im gerichtlich bestätigten Bescheid vom 19.11.2002 - so der Beklagte in der Begründung - sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 18.06.2012 Widerspruch ein. Er lebe seit 1970 ununterbrochen im Geltungsbereich des BVG. Das Gebiet, in dem die Körperschädigung im März 1946 geschehen sei, sei bis Mai 1945 von der deutschen Wehrmacht besetzt gewesen. Das von der Wehrmacht mitgebrachte Kriegsmaterial habe mit dieser eine Einheit gebildet. Die Wehrmacht hätte das gesamte Kriegsmaterial nach dem Abzug mitnehmen müssen. Dies habe sie nicht getan und somit den Unfall verursacht. Das betreffende Gebiet sei trotz des Abzugs der Wehrmacht auch noch nach dem Abzug in ursächlichem Zusammenhang mit Kriegsmaterial der Wehrmacht besetzt gewesen. Er gehöre somit zu dem in § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG genannten Personenkreis.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2012 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Am 26.07.2012 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben; die Klage hat er im Wesentlichen wie den Widerspruch begründet.

Mit Urteil vom 20.09.2012 hat das Sozialgericht Würzburg die Klage abgewiesen.

Mit Schreiben vom 07.11.2012 hat der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, Berufung eingelegt. Die Berufung ist wie folgt begründet worden:

Wenn der Kläger Deutscher oder deutscher Volkszugehörigkeit wäre, wären Ansprüche des Klägers gegeben. Die Differenzierung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen verstoße gegen die europarechtlichen Vorgaben des Art. 21 der Charta der Grundrechte der EU. Die europarechtlichen Vorgaben würden der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland vorgehen und müssten berücksichtigt werden. Es verstoße gegen das Diskriminierungsverbot, wenn der Kläger als EU-Bürger aus dem Anwendungsbereich des BVG im vorliegenden Fall herausgenommen werde. Es habe eine europarechtskonforme Auslegung zu erfolgen, so dass auch EU-Bürger in den persönlichen Anwendungsbereich des BVG fallen würden. Das Diskriminierungsverbot müsse bei der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften im Weg einer europarechtskonformen Auslegung berücksichtigt werden.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20.09.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2012 zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 19.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2003 aufzuheben und ihm Heil- und Krankenbehandlung nach den Vorschriften des BVG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Soziagerichts Würzburg sowie die Akten des Sozialgerichts Mannheim zum Az. S 10 V 201/03 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zum Az. L 8 V 4458/03 beigezogen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Entscheidung des Beklagten, den bestandskräftigen Bescheid vom 19.11.2002 nicht im Rahmen einer Entscheidung gemäß § 44 SGB X aufzuheben und dem Kläger keine Versorgung nach dem BVG zu gewähren, ist nicht zu beanstanden. Weder hat der Kläger neue Tatsachen vorgetragen noch ist beim Erlass des bestandskräftigen Bescheids vom 19.11.2002 das Recht unrichtig angewandt worden.

Ein Versorgungsanspruch des Klägers scheitert daran, dass er als slowenischer Staatsangehöriger mit dem geschilderten Ereignis im ehemaligen Jugoslawien nach Ende der deutschen Besetzung nicht dem Anwendungsbereich des BVG unterfällt; er kann einen Anspruch auch nicht aus Grundrechten aus dem Grundgesetz (GG) oder der Charta der Grundrechte der Europäischen Union herleiten.

1. Kein Versorgungsanspruch aus Regelungen des BVG

Der Kläger unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des BVG.

Er ist nicht deutscher Staatsangehöriger im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG.

Bei ausländischen Staatsangehörigen sehen die Regelungen des BVG einen Versorgungsanspruch abschließend (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.08.1974, Az.: 9 RV 406/73) nur dann vor, wenn die Schädigung entweder mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder mit einem militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht (§ 7
Abs. 1 Nr. 2 BVG) oder in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG).

Keine der beiden Alternativen ist vorliegend erfüllt.

§ 7 Abs. 1 Nr. 2 BVG würde eine Dienstleistung im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder für eine deutsche Organisation voraussetzen (vgl. Fehl, in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 7 BVG, Rdnr. 11 f.). Der Kläger hat jedoch keinen derartigen Dienst geleistet.

Die Schädigung ist auch nicht in Deutschland oder in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten. § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG ist nicht einschlägig, da zum Schädigungszeitpunkt im März 1946 die Oberkrain weder Teil des deutschen Staatsgebiets gewesen ist noch - deutlich nach Kriegsende - eine Besetzung durch die deutsche Wehrmacht (mehr) vorgelegen hat.

Wenn der Kläger trotz des lange zuvor erfolgten Abzugs der deutschen Wehrmacht eine Besetzung im Sinn des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG damit zu konstruieren versucht, dass er meint, es liege eine prolongierte Besetzung durch Kriegsmaterial der deutschen Wehrmacht vor, ist dies mit der Gesetzeslage nicht in Einklang zu bringen. Besetzung bedeutet nämlich die - wenn auch nur zeitweilige - Besitzergreifung des Territoriums des Gegners, in der Regel also nach Abschluss der Kampfhandlungen (vgl. Fehl, a.a.O., § 7 BVG, Rdnr. 13). Nach Abzug der Besatzungsmacht kann von einer Besetzung nicht mehr ausgegangen werden, da ab diesem Zeitpunkt die durch die Besetzung verhinderte Ausübung der Hoheitsgewalt wieder auf den zuvor besetzten Staat übergegangen ist.

Im Übrigen könnte der Kläger - darauf weist der Senat der Vollständigkeit halber hin -auch deshalb keine Versorgung nach dem BVG erhalten, da er nach eigenen Angaben wegen des geltend gemachten Ereignisses eine slowenische Kriegsopferrente bezieht und es keine zwischenstaatliche Vereinbarung gibt, die eine von § 7 Abs. 2 BVG abweichende Regelung enthält. Mit der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 2 BVG hat der Gesetzgeber der bei Ausländern bestehenden Gefahr einer Doppelversorgung Rechnung getragen, die dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz widersprechen würde, dass niemand aus gleicher Ursache zweimal mit öffentlichen Mitteln entschädigt werden soll (vgl. Fehl, a.a.O., § 7 BVG, Rdnr. 14),

Bedenken gegenüber der Richtigkeit dieses Ergebnisses bestehen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht. Zwar garantiert der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG allen Menschen die Gleichbehandlung vor dem Gesetz und steht damit auch Ausländern zu (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 23.03.1971, Az.: 2 BvR 59/71). Trotzdem ist dem Gesetzgeber nicht jede Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern generell untersagt, sondern er kann im Rahmen des ihm zustehenden weitreichenden gesetzgeberischen Ermessens auch nach der Staatsangehörigkeit differenzieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.2006, 1 BvL 1/04, 1 BvL 12/04). Voraussetzung für die Anknüpfung eines Leistungsanspruchs an die Staatsangehörigkeit ist aber ein hinreichender sachlicher Grund (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012, Az.: 1 BvL 14/07). Von einem derartigen Grund ist bei der vom Gesetzgeber in § 7 BVG vorgenommenen Differenzierung auszugehen. Wie der Gesetzesbegründung zum BVG (vgl. amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges [Bundesversorgungsgesetz], Bundestags-Drucksache 1. Wahlperiode Nr. 1333, S. 50, 84) zu entnehmen ist, hat der Gesetzgeber Überlegungen dazu angestellt, unter welchen Voraussetzungen auch Ausländer in den Schutzbereich des BVG einzubeziehen sind. So hat er für die zwei in § 7 Abs. 1 BVG geregelten Fallgruppen "ein dringendes Erfordernis" (vgl. amtliche Begründung, a.a.O., S. 50) für die Anwendung des BVG auf Ausländer gesehen. Die Anwendung des BVG auf Ausländer, die militärischen Dienst in der deutschen Wehrmacht oder einen militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation geleistet haben, begründet sich mit der moralischen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, die ausländischen Staatsangehörigen, die während des Krieges ebenso wie deutsche Staatsbürger unter dem Befehl und der Verantwortung deutscher Dienststellen für die Interessen des Deutschen Reiches eingesetzt gewesen sind und Opfer gebracht haben, in gleicher Weise zu versorgen. Sofern das BVG auf Ausländer anzuwenden ist, die in einem von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, stützt sich dies darauf, dass in diesem Fall die Schädigung auf die Besetzung des Gebietes durch deutsche Truppen zurückzuführen ist und es der Regierung des besetzten Landes infolge des Gebiets- und Machtverlustes zu dieser Zeit unmöglich war, ihre Staatsangehörigen vor unmittelbaren Kriegseinwirkungen zu bewahren (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.1963, Az.: 11 RV 1248/60).

2. Kein Versorgungsanspruch bei Berücksichtigung europarechtlicher Regelungen

Der Kläger kann auch aus Europarecht keinen Versorgungsanspruch ableiten.

Die Verordnung (EG) Nr. 883/204 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (früher Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates) ist gemäß Art. 3 Abs. 5 Buchst. b) dieser Verordnung nicht für Leistungen anwendbar, bei denen ein Mitgliedstaat die Haftung für Personenschäden übernimmt und Entschädigung leistet, beispielsweise für Opfer von Krieg und militärischen Aktionen oder der sich daraus ergebenden Folgen, sodass der Kläger nicht auf diesem Weg Leistungen des BVG beanspruchen kann.

Auf Grundrechte aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 21 - Nichtdiskriminierung; Art. 45 - Freizügigkeit) kann sich der Kläger bei der Geltendmachung eines Versorgungsanspruchs nicht stützen, da nach Art. 51 Abs. 1 der Charta diese ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Europäischen Union gilt.

Über das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union kann kein Versorgungsanspruch begründet werden, da die Entschädigung von Kriegsopfern nicht im Anwendungsbereich der Verträge erfolgt.

Da für den Kläger der persönliche Anwendungsbereich des BVG nicht eröffnet ist und ein Versorgungsanspruch auch nicht aus europarechtlichen Regelungen resultiert, kommt eine Versorgung nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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