Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 BL 13/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 4/11
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn in den Fällen umfangreicher cerebraler Schäden bereits Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestehen, kommt es auf das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht mehr an.
I. Auf die Berufung werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Dezember 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Die 1998 geborene Klägerin ist mehrfach behindert. Wegen einer spastischen Tetraparese, Schluckstörungen sowie Sondenernährung nach mehrfacher Bauchoperation, geistiger Behinderung, Sprachentwicklungsstörung, Anfallsleiden sowie Harn- und Stuhlinkontinenz wurden für sie ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen B, G, aG, H und RF festgestellt; es besteht Pflegestufe III.
Am 30.06.2006 stellte die Klägerin beim Beklagten Antrag auf Blindengeld. In dem vom Augenarzt Dr. H. im Auftrag des Beklagten erstellten Gutachten wurde festgestellt, dass sich aus dem bisherigen Befund gesetzliche Blindheit nicht ableiten lasse. Es wurde eine VEP-Untersuchung empfohlen. Hiermit hat der Beklagte Prof. Dr. S., Universitätsklinikum B-Stadt, beauftragt. Dieser kam in seinem Gutachten vom 14.06.2007 u.a. zu dem Ergebnis, dass auf Licht eine kurze Aufmerksamkeitsreaktion, jedoch keine gezielte Fixation erfolgt sei; Folgebewegungen seien nicht auslösbar gewesen. Die Augenhintergrunduntersuchung habe bei beiden Augen folgenden Befund ergeben: Sehnervenkopf deutlich abgeblasst, scharf begrenzt, im Netzhautniveau. Die Gefäße seien im Kaliber und Reflexverhalten regelrecht. Die Stelle des schärfsten Sehens sei regelrecht. Die Netzhautperipherie zeige einen regelrechten Befund, keine Risse oder Rissvorstufen. Die Ableitung visuell evozierter Potentiale beidseits sei ohne Erfolg versucht worden, da keine ausreichende Fixaktion aufgenommen worden sei. Prof. Dr. S. stellte fest, dass die Untersuchungsmöglichkeiten bei der Klägerin eine genaue objektive Bestimmung der Sehschärfe nicht zuließen. Der Visus sei beidseits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geringer als 0,1, da sich Folgebewegungen auf optokinetische Reize nicht hätten auslösen lassen. Das Aussehen des Sehnervenkopfes beidseits sowie die psychomotorische Reaktion der Klägerin sprächen für eine hochgradige Sehbehinderung. Allerdings könne ein Sehvermögen von nur 0,02 oder noch geringer nicht zweifelsfrei bestimmt werden. Die ausgeprägte Opticusatrophie beidseits lege nahe, dass bei der Klägerin auch beidseits erhebliche Gesichtsfeldausfälle vorlägen. Dies sei aber - genauso wie die Ableitung der VEP - nicht objektivierbar.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 25.06.2007 den Antrag auf Blindengeld ab. Zur Begründung verwies er auf das Gutachten von Prof. Dr. S. und den geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast.
Hiergegen erhob die Klägerin über ihre Vertreterin am 13.07.2007 Widerspruch. Dieser wurde damit begründet, dass bei der Klägerin aufgrund der vorliegenden weiteren Behinderungen eine zweifelsfreie Feststellung der Blindheit schwer möglich sei. Jedoch würden die vorhandenen Unterlagen den Schluss zulassen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld vorlägen. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.10.2007 stellte die Ärztin P. zusammenfassend fest, dass in den Wahrnehmungsbereichen Sehen, Hören und Fühlen rudimentäre Reaktionen vorhanden seien, eine cerebrale Verarbeitung des Sinneseindrücke jedoch nicht möglich sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2007 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Trotz Einsatz aller diagnostischen Möglichkeiten sei es nicht gelungen, das genaue Ausmaß der offensichtlich vorliegenden Sehstörung festzustellen. Es lasse sich deshalb nicht der objektive Nachweis erbringen, dass Blindheit im Sinne des BayBlindG vorliege.
Hiergegen hat die Klägerin am 16.11.2007 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie über ihre Bevollmächtigte vorgetragen, dass sie nachweislich hirnorganisch so schwer geschädigt sei, dass sie auf optische Reize kaum reagiere. Soweit solche überhaupt aufgenommen würden, würden sie nicht verarbeitet; ein Sehen finde demnach überhaupt nicht statt. Nach der Rechtsprechung müsse in einem solchen Fall von Blindheit im Sinne des Blindengeldgesetzes ausgegangen werden. Ungeachtet der bisher durchgeführten Visusbestimmung sei daher wegen Blindheit die beantragte Leistung zu gewähren.
Im Folgenden hat das SG von der Blindeninstitutsstiftung B-Stadt Entwicklungsberichte (bezüglich der Klägerin) von den Schuljahren 2002/2003 bis 2006/2007 eingeholt. Eine mündliche Verhandlung am 18.09.2008 ist zum Zwecke der Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt worden. Anschließend hat das SG einen weiteren Entwicklungsbericht sowie ärztliche Berichte eingeholt und ausgewertet. Sodann hat das SG Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten. In seinem Gutachten vom 05.07.2010 hat der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie Dr. H. vom Frühdiagnosezentrum B-Stadt, Sozialpädiatrisches Zentrum, auftragsgemäß ausschließlich zu der Frage Stellung genommen, ob die visuelle Wahrnehmung bei der Klägerin deutlich stärker beeinträchtigt sei als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. In dem nur vierseitigen Gutachten hat Dr. H. mitgeteilt, dass die Klägerin von ihm seit 1999 neuropädiatrisch mitbetreut werde. Bei der Klägerin bestehe eine Mehrfachbehinderung. Grobmotorische und handmotorische Funktionen seien gutachterlich nicht verwertbar. Elementare visuelle Funktionen wie Fixieren, Blickfolgebewegungen, wie sie von gesunden Säuglingen im Alter von ca. sechs Wochen mühelos bewältigt würden, seien bei der Klägerin nur sehr gering ausgeprägt. Die Leistungen der Klägerin in anderen Wahrnehmungsbereichen würden etwas schwanken. Die beobachteten und von der Mutter der Klägerin geschilderten Leistungen würden sich mit den Aussagen des Entwicklungsberichts der Blindeninstitutsstiftung vom Schuljahr 2007/2008 decken und entsprächen einem drei bis sechs Monate alten Säugling. Es bestehe somit eine signifikante Diskrepanz zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in den nicht visuellen Bereichen, so dass er, Dr. H., von einer spezifischen Sehstörung ausgehe. Dafür spreche auch, dass objektivierbare Befunde am optischen System vorlägen, nämlich eine Opticusatrophie sowie eine periventrikuläre Leukomalazie, die häufig die Sehstrahlung im Gehirn mitbeteilige. Die Beurteilung der Sehleistung an sich falle in den Aufgabenbereich der augenärztlichen Kollegen. Aufgrund der starken Einschränkungen der elementaren visuellen Reaktionen ist der Gutachter davon ausgegangen, dass die Sehleistung "im Bereich der gesetzlichen Blindheit liegt".
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.08.2010 hat die Ärztin P. darauf hingewiesen, dass die Feststellung einer signifikanten Diskrepanz (zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in den nicht visuellen Bereichen) durch den Gutachter im Widerspruch zu den mitgeteilten Befunden stehe. So sei mit der Klägerin auf keiner Ebene ein Kontakt herstellbar, auch auf Ansprache oder Geräusche hätten sich eine Kopfdrehung oder Blickwendung zur Geräuschquelle hin nicht provozieren lassen. Es sei von einer sehr schwankenden, inkonstanten Reaktionslage in der Sinnesmodalität Hören auszugehen. Zur taktilen Modalität äußere sich der Gutachter nicht, hier sei nur die anamnestische Angabe der Mutter vermerkt, dass das Mädchen die Hände evtl. zum Mund führe, damit aber nichts festhalten könne. Eine Erkundung der Umwelt, von Gegenständen oder des eigenen Körpers durch die Hände erfolge nicht, über die Sprache könne kein Kontakt aufgebaut werden, geschweige denn könnten Aufforderungen befolgt oder eine sinngebende Kommunikation hergestellt werden. Dies sei jedoch Voraussetzung, um eine spezifische Störung des Sehvermögens zu bejahen. Bezüglich der Motorik bestätige Dr. H. selbst, dass die motorische Entwicklung schwerst beeinträchtigt sei.
Zu dem morphologischen Befund einer partiellen Opticusatrophie sei anzumerken, dass eine solche per se nichts über das Sehvermögen aussage. Auf welche Befunde der Sachverständige die Diagnose einer periventrikulären Leukomalazie stütze, sei unklar. Selbst wenn eine solche nachweisbar wäre, so die Ärztin P., könne daraus nicht zwangsläufig eine so schwere Schädigung der Sehstrahlung abgeleitet werden, dass cerebrale Blindheit nachgewiesen sei.
Abschließend sei festzustellen, dass bei der Klägerin eine generalisierte Hirnschädigung mit schwerster Mehrfachbehinderung vorliege, in deren Rahmen die gesamte Wahrnehmung in einem hohen Maß beeinträchtigt sei. Ein relevanter Unterschied zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in den nicht visuellen Bereichen sei nicht nachweisbar, da auf keiner Ebene eine sinngebende Kommunikation möglich sei. Zudem könnten Entwicklungsunterschiede bis zu vier Monaten nicht als signifikant bezeichnet werden. Nach den Griffiths-Entwicklungsskalen (GES) erstreckte sich die Variationsbreite z.B. für die Aufgabe im Bereich Hören und Sprechen "spricht lallend mit freundlichen Personen" auf einen Zeitraum von drei bis acht Monaten. Es gebe also für ein und dasselbe Verhalten eine Entwicklungsspanne von fünf Monaten, die als normal anzusehen sei. Der vom Sachverständigen genannte Entwicklungsunterschied von zwei bis fünf Monaten erlaube somit nicht den Rückschluss, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten.
Auf die mündliche Verhandlung vom 15.12.2010 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des o.g. Bescheids in der Fassung des o.g. Widerspruchsbescheids verurteilt, der Klägerin ab 01.06.2006 Blindengeld zu gewähren und die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Nach Überzeugung des Gerichts sei die Klägerin faktisch blind. Da bei ihr umfangreiche cerebrale Schäden vorlägen, müsse nach der BSG-Rechtsprechung die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sein als die Wahrnehmungen in anderen Modalitäten. Genau hiervon gehe das Gericht im Falle der Klägerin aus. Das SG hat auf die Ausführungen des Gutachters Dr. H. abgestellt.
Gegen das Urteil hat der Beklagte am 07.03.2011 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er hat diese damit begründet, dass aufgrund des Gutachtens von Dr. H. Blindheit nicht angenommen werden könne, da die visuelle Wahrnehmung der Klägerin nicht deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. Bei der Untersuchung durch Dr. H. am 24.06.2010 sei gerade kein Unterschied zwischen den Sinnesmodalitäten Sehen und Hören festgestellt worden. Unabhängig davon sehe der Beklagte bei der inzwischen zwölfjährigen Klägerin bei einem Entwicklungsunterschied von sechs Wochen bis maximal viereinhalb Monaten die Maßgabe des BSG zum Nachweis einer zur faktischen Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens, nämlich dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten, nicht als erfüllt an, da letztendlich weiterhin insgesamt der Entwicklungsstand eines Säuglings bestehe. Infolge der schweren globalen Hirnschädigung bestehe eine generelle und ausgeprägte Herabsetzung aller Sinnesmodalitäten, die eine Kontaktaufnahme bzw. Kommunikation mit der Klägerin auf keiner Ebene ermögliche. Es gehe zudem grundsätzlich um die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem beachtlichen Leistungsunterschied im o.g. Sinn auszugehen sei.
Auf Anträge des Beklagten hat der Senat mit zwei Beschlüssen (Az.: L 15 BL 2/11 ER sowie Az.: L 15 BL 3/12 ER) zur Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil des SG gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden.
Der Senat hat einen ärztlichen Bericht von Dr. H. vom April 2010 ausgewertet. Vom Beklagten ist hierzu u.a. darauf hingewiesen worden, dass eine Kopf- und Blickwendung zu einer Geräuschquelle eine unspezifische Reaktion darstelle und nicht als wesentlich bessere Sinneswahrnehmung gewertet werden könne. Zudem werde die akustische Reaktion naturgemäß in ruhiger Umgebung geprüft; dementsprechend müsse die Prüfung der visuellen Reaktion in einem abgedunkelten Raum erfolgen.
Sodann hat der Senat den Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie und Neuropädiatrie Dr. E. vom Sozialpädiatrischen Zentrum E-Stadt mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dr. E. hat bei der Erstellung seines Gutachtens vom 01.03.2012 u.a. Entwicklungsberichte der Blindeninstitutsstiftung B-Stadt der Schuljahre 2008/2009 bis 2011/2012 berücksichtigt. Er hat folgende Diagnosen festgehalten:
- Zustand nach Frühgeburt, 35 SSW;
- Zustand nach Gastrochisis (OP 12/1998);
- Zustand nach mehrfacher Dünndarmresektion;
- Bilaterale spastische Cerebralparese (GMFCSV, MACSV);
- Schwere mentale Retardierung mit Intelligenzminderung;
- Mikrocephalus;
- Dystrophie;
- Essstörung - versorgt mit PEG-Sonde sowie
- Epilepsie.
Bei schwer geschädigten Kindern sei es so, dass sie auf der Stufe der ersten Lebenswochen zurückbleiben würden, in der den unmittelbar körpereinwirkenden Reizen (Berührung, Kinästhetik, Geschmack) mehr Aufmerksamkeit gelte als den in die Ferne gerichteten Sinnen (Seh- und Hörreizen). Insbesondere entwickle sich bei Kindern mit schwerer Cerebralparese der optische Sinn nicht so, wie dies bei einem gesunden Kind zu erwarten sei. Dies führe dann verständlicherweise zu dem Eindruck einer scheinbaren Blindheit bzw. zum Eindruck, dass das Sehvermögen stärker als die anderen Sinnesmodalitäten eingeschränkt sei. Um eine objektive Darstellung der Entwicklung von Kindern mit schwerer Mehrfachbehinderung und motorischer und mentaler Entwicklungsverzögerung zu erhalten, sei es in der Neuropädiatrie üblich, einen Entwicklungstest einzusetzen, der die Fähigkeiten des Kindes erfassen und abbilden könne (GES). Diese Untersuchung lasse sich nicht technisch messen; es könnten nur die anamnestischen Angaben und die Beobachtung bei der Untersuchung einem Entwicklungsstand zugeordnet werden. Bei der Klägerin würden die Sinnesreaktionen der Telerezeptoren von Hören "eins bis vier Monate" und Sehen "eins bis zwei Monate" nach der entwicklungsneurologischen Untersuchung nach Griffiths zeigen und seien somit als stark beeinträchtigt, jedoch eben gleichwertig zu interpretieren. Auch im Bereich der Handmotorik stufe er, Dr. E., die Klägerin in einem Alter von rund zwei bis drei Monaten ein. Auch wenn die Klägerin nach ihrem chronologischen Alter bereits ein Schulkind sei, müsse sie im Bereich ihrer individuellen Entwicklung als Säugling mit homogenem Entwicklungsprofil eingeschätzt werden.
In Zusammenschau aller Befunde lasse sich bei der Klägerin keine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen.
Der Unterschied zwischen einem bis zwei Monaten im Bereich der visuellen Situation und einem bis vier Monaten im Bereich des Hörens könne nicht als "stärker herabgesetzt" eingestuft werden, da es sich, wie oben beschrieben, um unterschiedliche Wahrnehmungsmodalitäten handle. Die auditive Wahrnehmung sei immer aktiv, die visuelle müsse aktiv eingesetzt werden und löse üblicherweise auch eine motorische Antwort aus. Diese wiederum sei aber bei der Klägerin aufgrund der eingeschränkten motorischen Fähigkeiten nicht möglich. Auch hierdurch könne der Eindruck entstehen, dass die Klägerin vermeintlich besser höre als sehe.
Aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung vom 16.12.2011 zeige sich, dass die Klägerin den eigenen Körper durch passive Bewegungen und Einflüsse durch die Umwelt propriozeptiv wahrnehmen, sich jedoch nicht im Raum orientieren könne, da die Haltungs- und Aufrichtungsstellreflexe sowie die telerezeptorischen Fähigkeiten (visuelle Wahrnehmung im Fernbereich) nicht adäquat funktionierten. Primitive Massenbewegungen seien also möglich und bei guter passiver Stützfunktion könnten somit auch grobe zielmotorische Bewegungen erreicht werden (hier hat der Gutachter auf die Entwicklungsberichte der Blindeninstitutsstiftung B-Stadt verwiesen).
Durch die cerebrale Schädigung hätten sich bei der Klägerin die weiteren Schritte nicht adäquat entwickeln können. Die Klägerin habe nicht die weiteren Entwicklungsstufen der Sensomotorik durchlaufen, die schlussendlich für die Entwicklung der eigenen Aufrichtung und Zielmotorik notwendig seien.
Somit sei davon auszugehen, dass die Klägerin gleichwertig auf visuelle, akustische und sensible Reize reagiere. Die visuelle Wahrnehmung sei damit nicht deutlich stärker herabgesetzt als die Wahrnehmung in den anderen Sinnesmodalitäten. Wie oben ausgeführt schätze er, Dr. E., das Entwicklungsalter bezüglich der Sinnesmodalitäten auf ca. ein bis vier Monate gleichwertig bezüglich akustischer und visueller Wahrnehmung ein.
Auf das Gutachten hin hat der Beklagte darauf verwiesen, dass dieses die Berufung stütze. In der im Folgenden übersandten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat die Ärztin P. u.a. auf die Relevanz der Feststellung von Dr. E. verwiesen, dass der palmare Greifreflex der Klägerin erloschen und gezieltes Greifen nicht mehr möglich sei. Der Gutachter habe die versorgungsärztliche Auffassung bestätigt, dass die Cerebralparese zu einer etwa gleich stark ausgeprägten Herabsetzung aller Wahrnehmungsfähigkeiten geführt habe. Kleinere Unterschiede zwischen den einzelnen Sinneswahrnehmungen bestünden immer, innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite könne jedoch nicht von einer erheblichen Differenz gesprochen werden. Zusammenfassend hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 16.04.2012 hervorgehoben, dass sich das Entwicklungsniveau der 13-jährigen Klägerin im Bereich aller Sinnesmodalitäten auf der Altersskala eines Säuglings zwischen einem und vier Monaten bewege. Ein deutlicher Unterschied in den einzelnen Sinnesbereichen sei nicht festzustellen.
Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht sodann Prof. Dr. D. mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG beauftragt. Dieser hat im Gutachten vom 28.09.2012 u.a. festgestellt, dass eine Visuserhebung (auch bei Verwendung von Messgeräten) nicht möglich gewesen sei. Gleiches gelte wegen fehlender Mitarbeit für die Gesichtsfeldprüfung mit dem Projektionskugelperimeter nach Goldmann mit der Testmarke III/4. Bei Muster-VECP hätten sich keine reproduzierbaren Potentiale ergeben, da keine Fixation aufgenommen worden sei. Ein Blitz-VECP habe bei vorbestehender Epilepsie nicht durchgeführt werden können. Auch der optokinetische Nystagmus (geprüft mit der Catford-Trommel) sei bei fehlender Fixation nicht auslösbar gewesen. Prof. Dr. D. hat auch andere Sinnesreize getestet. Der Sachverständige hat eine reduzierte visuelle Wahrnehmung angenommen, die jedoch durch die geistige Behinderung der Klägerin überlagert sei. Die Reaktionen auf akustische, taktile oder visuelle Reize würden in ähnlichem Ausmaß herabgesetzt erscheinen.
Auf die daraufhin ergangene gerichtliche Anfrage, ob die Klägerin die Klage zurücknehme, hat die Bevollmächtigte erklärt, dass die Klägerseite trotz des negativen Beweisergebnisses hierzu nicht bereit sei. Daraufhin hat am 25.10.2013 ein Erörterungstermin stattgefunden, bei dem auch die Klägerin selbst anwesend gewesen ist. Im Termin hat die Bevollmächtigte der Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits im Hinblick auf die Frage der Abstufung der Wahrnehmung in den einzelnen Sinnesmodalitäten, die noch nicht höchstrichterlich geklärt sei, verwiesen. Mit Schriftsatz vom 06.11.2013 hat die Klägerseite sodann noch Zeugnisse des Förderzentrums der Blindeninstitutsstiftung übersandt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG vom 15.12.2010 aufzuheben.
Der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Beschluss in der mündlichen Verhandlung am 27.11.2013 hat der Senat entschieden, dass die Kosten für das gemäß § 109 SGG erstellte Gutachten von Prof. Dr. D. auf die Staatskasse übernommen werden.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht. Dies hat das SG zu Unrecht bejaht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 25.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 20.07.2011 (GVBl. Nr. 14/2011, S. 311) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG die Formulierung "zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen" keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen oder dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen würde, steht nicht zur Gewissheit des Senats fest. Vielmehr hat der Senat hieran deutliche Zweifel.
Wie der Senat u.a. in den Entscheidungen vom 18.06.2013 (Az.: L 15 BL 6/10) und 08.10.2013 (Az.: L 15 BL 2/09) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen möchte.
Im streitgegenständlichen Fall kann nicht die Rede davon sein, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der blindheitsbegründenden Tatsachen zweifeln würde. Denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kann nicht mit der erforderlichen Gewissheit von einer Blindheit der Klägerin ausgegangen werden; der Nachweis ist nicht erbracht. Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus den Aussagen der beteiligten Gutachter. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen. Selbst die Mutter und Vertreterin der Klägerin scheint im Übrigen (große) Zweifel am Vorliegen von Blindheit zu haben; sie hat gegenüber dem Gutachter Dr. E. angegeben, sie selbst wisse nicht, ob die Klägerin sehen könne.
Zudem würde ein Anspruch auf Blindengeld auch daran scheitern, dass bei der Klägerin keine spezifische Sehstörung gegeben ist, wie nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R) erforderlich ist. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht mehr an.
1. Der Nachweis dafür, dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen oder dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen würde, ist zur Überzeugung des Senats nicht erbracht. Dies ergibt sich bereits ohne Weiteres aus dem vom Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten von Prof. Dr. S. vom 14.06.2007 als auch aus dem gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten von Prof. Dr. D. vom 28.09.2012.
Nach ausdrücklicher Feststellung von Letzterem, der bei der Klägerin die Diagnosen einer rechts und links vorhandenen partiellen Opticusatrophie und einer ausgeprägten geistigen und körperlichen Behinderung mit Reduktion der Verarbeitung aller Sinneseindrücke aller Qualitäten gestellt hat, ist aufgrund der augenärztlichen Untersuchungsbefunde nicht zweifelsfrei nachzuweisen, ob Blindheit im Sinne des BayBlindG vorliegt. Wegen der beidseitigen teilweisen Sehnervenatrophie ist - nach der plausiblen Einschätzung dieses und der weiteren Sachverständigen - zwar von einer reduzierten visuellen Wahrnehmung auszugehen. Diese ist, wie Prof. Dr. D. nachvollziehbar dargestellt hat, jedoch durch die vorbestehende geistige Behinderung und damit gestörte kognitive Verarbeitung der visuellen Informationen überlagert und im Hinblick auf ihr Ausmaß nicht im Einzelnen beurteilbar.
Die erheblichen Zweifel an einer Blindheit der Klägerin werden daneben aber auch durch die weiteren vorliegenden Unterlagen nicht reduziert, sondern - vorsichtig formuliert - eher noch gestärkt. Dies gilt u.a. für die zuletzt übersandten Zeugnisse des Förderzentrums der Blindeninstitutsstiftung, in denen Aussagen zu den Sinnesmodalitäten der Klägerin enthalten sind und z.B. berichtet wird, dass die Klägerin im Schulkreis bei abgedunkeltem Raum zunächst gezielt auf die angeleuchtete weiße Feder geschaut und dann bewusst danach gegriffen habe, sowie dass die optische Erfassung von Gegenständen und Personen für sie in den Hintergrund gerate und deshalb durch spezielle Vorbereitung des Klassenzimmers unterstützt und aktiviert werden müsse; im abgedunkelten Raum und bei Bestrahlung durch Scheinwerferlicht gelinge der Klägerin die Fixierung von Gegenständen und Personen. Entsprechendes gilt für einen früheren Bericht (Schuljahr 2009/2010), in dem die Rede davon ist, dass die Klägerin bei der regelmäßig durchgeführten Sehförderung im Dunkelraum zunehmend Interesse an farbigen Objekten zeige und im visuellen Vergleich erst das eine, dann das andere Objekt ansehe. Regelmäßiges Üben im Erziehungsraum zeige eindeutige Verbesserungen im Bezug auf [Anm.: visuelle] Reaktion und Fixation.
Aus Sicht des Senats ist es zwar durchaus nicht völlig auszuschließen, dass die Klägerin die Blindheitsschwelle des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG überschritten hat. So hat Prof. Dr. S. darauf hingewiesen, dass Blindheit im Sinne des Gesetzes dann vermutet werden müsse, wenn man bei der Klägerin ein Sehvermögen beidseits von 0,05 schätze in Verbindung mit den sehr wahrscheinlich vorhandenen ausgeprägten Gesichtsfeldausfällen. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt - wie oben bereits erwähnt - der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z.B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 10. Aufl., § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (große) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Ansatzpunkte für die Geltung von Beweiserleichterungen irgendwelcher Art sind in keiner Weise ersichtlich.
Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gesichtspunkte, die zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen, sind nicht erkennbar. Der Facharzt Prof. Dr. S. hat ausdrücklich bestätigt, dass es keine Möglichkeit gibt, diesbezüglich eine genauere Einschätzung vorzunehmen. Insbesondere waren in Übereinstimmung mit ihm nicht diagnostische Befunde bildgebender Verfahren (MRT) zu erheben.
Diesem vorliegend gefundenen Ergebnis steht auch nicht die früheren Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27.11.1997, Az.: L 15 BL 10/96) entgegen. Damals hat der Senat einem Kleinkind, bei dem naturgemäß eine genaue Untersuchung nicht möglich war und das später eine Sehschärfe von 0,3 erreicht hat, Blindengeld zugesprochen. Er hat in der Begründung ausgeführt, dass die fehlenden Möglichkeiten apparativer Untersuchung einen gerichtlichen Sachverständigen nicht daran hindern können, seine ärztliche Erfahrung in die Beurteilung einzubringen und in Verbindung mit den vorliegenden Befunden daraus zu schließen, dass die Anspruchsvoraussetzungen für einen gewissen Zeitraum gegeben sind. Daraus ist abgeleitet worden, dass die Funktionsbestimmung gerade im Kindes- und Kleinkindalter unsicher sein könne und dass am Besten entsprechende Nachuntersuchungen erfolgen sollten (z.B. Rohrschneider, Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach, 1/2012, S. 9).
Bereits hieraus wird aber deutlich, dass die Sachlagen nicht vergleichbar sind. Zwar ist auch vorliegend aufgrund des Entwicklungsstandes der Klägerin eine genaue Untersuchung nicht möglich. Der Senat hat jedoch in der damaligen Entscheidung auf eine rückschauende Beurteilung und die später gewonnenen Erkenntnisse, d.h. die später erhobenen genaueren Befunde abgestellt. Solche liegen im streitgegenständlichen Fall aber gerade nicht vor und vor allem haben die Gutachter Dr. E. und Prof. Dr. D. gerade nicht daraus geschlossen, dass die Anspruchsvoraussetzungen (für einen gewissen Zeitraum) gegeben wären.
Im Übrigen ist vorliegend auch nicht der Sonderfall eines apallischen Syndroms gegeben.
2. Daneben fehlt es vorliegend auch an einer im Vergleich zu anderen Gehirnfunktionen spezifischen Störung des Sehvermögens der Klägerin, die nach der Rechtsprechung des BSG Voraussetzung für die Anerkennung von Blindheit im Sinne des BayBlindG ist. Hierauf kommt es jedoch, da schon der Blindheitsnachweis nicht gegeben ist, letztlich nicht mehr an.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 31.01.1995, Az.: 1 RS 1/93, vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, und vom 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R) stehen auch cerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Allerdings ist in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung zu differenzieren, ob das Sehvermögen, das heißt das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt ist, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, die also nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betrifft. Ausfälle allein des Benennen-Könnens erfüllen mithin die Voraussetzungen von Blindheit nicht.
Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden ist nach der Rechtsprechung des BSG (20.07.2005, a.a.O.) darüber hinaus eine weitere Differenzierung erforderlich: Es muss sich im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen.
Diese vom BSG entwickelte zusätzliche Differenzierung beim Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden entspricht, wie der Senat bereits früher festgestellt hat (Urteil vom 17.01.2006, Az.: L 15 BL 1/05), dem sich aus den Motiven des BayBlindG (Landtagsdrucksache 13/458 vom 16.02.1995, S. 5) ergebenden Willen des Landesgesetzgebers insoweit, als dieser Leistungen nach dem BayBlindG aufgrund einer ausschließlich als Folge einer generellen cerebralen Behinderung mit allgemeiner Herabsetzung der kognitiven Fähigkeiten bestehenden Unfähigkeit zur visuellen Wahrnehmung ausschließen wollte. Wie der Senat ebenfalls bereits deutlich gemacht hat, sieht er im Übrigen bereits mit Blick auf den Ausnahmecharakter des Blindengelds im System behinderungsbedingter Sozialleistungen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Erfordernis, die visuelle Wahrnehmung müsse für den Nachweis von Blindheit bei generalisierten cerebralen Schäden deutlich stärker als andere Sinnesmodalitäten betroffen sein, zu einer sachwidrigen Benachteiligung mehrfach schwerst wahrnehmungsbehinderter Menschen führen könnte (Urteil vom 17.07.2012, Az.: L 15 BL 11/08; offen gelassen von LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.01.2011, Az.: L 12 SB 54/09).
Dem entsprechend gilt das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht nur für die Fälle einer faktischen Blindheit, sondern auch für die Anspruchsgrundlage des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG, jedenfalls soweit die Ursachen der Blindheit in einem engen Zusammenhang mit der cerebralen Schädigung stehen (Urteil des Senats vom 17.07.2012, a.a.O.).
Aufgrund der Beweisaufnahme steht - ohne dass es für den Ausgang des Rechtsstreits hierauf im Ergebnis ankäme (s.o.) - zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin keine spezifische Sehstörung gegeben ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem plausiblen und fundierten Gutachten des Sachverständigen Dr. E ... Hingegen kann das (bereits bedenklich kurze) Gutachten des behandelnden Arztes Dr. H., der vom SG gemäß § 106 SGG beauftragt worden ist, nicht überzeugen, anders als das SG angenommen hat.
Hierzu kann im Einzelnen auf die einleuchtenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen und die Berufungsbegründung des Beklagten verwiesen werden (s.o.).
Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten.
Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage gegen die angefochtenen Verwaltungsakte abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn die von der Klägerin geltend gemachte Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen von einem beachtlichen Leistungsunterschied zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten auszugehen sei, ist wie dargelegt für den hier entschiedenen Fall nicht erheblich (vgl. z.B. Leitherer, a.a.O., § 160, Rn. 9, m.w.N.; Fichte, in: Breitkreuz/ ders., SGG, § 160, Rn. 34; Lüdtke, SGG, 12. Aufl., § 160, Rn. 11).
II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Die 1998 geborene Klägerin ist mehrfach behindert. Wegen einer spastischen Tetraparese, Schluckstörungen sowie Sondenernährung nach mehrfacher Bauchoperation, geistiger Behinderung, Sprachentwicklungsstörung, Anfallsleiden sowie Harn- und Stuhlinkontinenz wurden für sie ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen B, G, aG, H und RF festgestellt; es besteht Pflegestufe III.
Am 30.06.2006 stellte die Klägerin beim Beklagten Antrag auf Blindengeld. In dem vom Augenarzt Dr. H. im Auftrag des Beklagten erstellten Gutachten wurde festgestellt, dass sich aus dem bisherigen Befund gesetzliche Blindheit nicht ableiten lasse. Es wurde eine VEP-Untersuchung empfohlen. Hiermit hat der Beklagte Prof. Dr. S., Universitätsklinikum B-Stadt, beauftragt. Dieser kam in seinem Gutachten vom 14.06.2007 u.a. zu dem Ergebnis, dass auf Licht eine kurze Aufmerksamkeitsreaktion, jedoch keine gezielte Fixation erfolgt sei; Folgebewegungen seien nicht auslösbar gewesen. Die Augenhintergrunduntersuchung habe bei beiden Augen folgenden Befund ergeben: Sehnervenkopf deutlich abgeblasst, scharf begrenzt, im Netzhautniveau. Die Gefäße seien im Kaliber und Reflexverhalten regelrecht. Die Stelle des schärfsten Sehens sei regelrecht. Die Netzhautperipherie zeige einen regelrechten Befund, keine Risse oder Rissvorstufen. Die Ableitung visuell evozierter Potentiale beidseits sei ohne Erfolg versucht worden, da keine ausreichende Fixaktion aufgenommen worden sei. Prof. Dr. S. stellte fest, dass die Untersuchungsmöglichkeiten bei der Klägerin eine genaue objektive Bestimmung der Sehschärfe nicht zuließen. Der Visus sei beidseits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geringer als 0,1, da sich Folgebewegungen auf optokinetische Reize nicht hätten auslösen lassen. Das Aussehen des Sehnervenkopfes beidseits sowie die psychomotorische Reaktion der Klägerin sprächen für eine hochgradige Sehbehinderung. Allerdings könne ein Sehvermögen von nur 0,02 oder noch geringer nicht zweifelsfrei bestimmt werden. Die ausgeprägte Opticusatrophie beidseits lege nahe, dass bei der Klägerin auch beidseits erhebliche Gesichtsfeldausfälle vorlägen. Dies sei aber - genauso wie die Ableitung der VEP - nicht objektivierbar.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 25.06.2007 den Antrag auf Blindengeld ab. Zur Begründung verwies er auf das Gutachten von Prof. Dr. S. und den geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast.
Hiergegen erhob die Klägerin über ihre Vertreterin am 13.07.2007 Widerspruch. Dieser wurde damit begründet, dass bei der Klägerin aufgrund der vorliegenden weiteren Behinderungen eine zweifelsfreie Feststellung der Blindheit schwer möglich sei. Jedoch würden die vorhandenen Unterlagen den Schluss zulassen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindengeld vorlägen. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.10.2007 stellte die Ärztin P. zusammenfassend fest, dass in den Wahrnehmungsbereichen Sehen, Hören und Fühlen rudimentäre Reaktionen vorhanden seien, eine cerebrale Verarbeitung des Sinneseindrücke jedoch nicht möglich sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2007 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Trotz Einsatz aller diagnostischen Möglichkeiten sei es nicht gelungen, das genaue Ausmaß der offensichtlich vorliegenden Sehstörung festzustellen. Es lasse sich deshalb nicht der objektive Nachweis erbringen, dass Blindheit im Sinne des BayBlindG vorliege.
Hiergegen hat die Klägerin am 16.11.2007 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie über ihre Bevollmächtigte vorgetragen, dass sie nachweislich hirnorganisch so schwer geschädigt sei, dass sie auf optische Reize kaum reagiere. Soweit solche überhaupt aufgenommen würden, würden sie nicht verarbeitet; ein Sehen finde demnach überhaupt nicht statt. Nach der Rechtsprechung müsse in einem solchen Fall von Blindheit im Sinne des Blindengeldgesetzes ausgegangen werden. Ungeachtet der bisher durchgeführten Visusbestimmung sei daher wegen Blindheit die beantragte Leistung zu gewähren.
Im Folgenden hat das SG von der Blindeninstitutsstiftung B-Stadt Entwicklungsberichte (bezüglich der Klägerin) von den Schuljahren 2002/2003 bis 2006/2007 eingeholt. Eine mündliche Verhandlung am 18.09.2008 ist zum Zwecke der Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt worden. Anschließend hat das SG einen weiteren Entwicklungsbericht sowie ärztliche Berichte eingeholt und ausgewertet. Sodann hat das SG Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten. In seinem Gutachten vom 05.07.2010 hat der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie Dr. H. vom Frühdiagnosezentrum B-Stadt, Sozialpädiatrisches Zentrum, auftragsgemäß ausschließlich zu der Frage Stellung genommen, ob die visuelle Wahrnehmung bei der Klägerin deutlich stärker beeinträchtigt sei als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. In dem nur vierseitigen Gutachten hat Dr. H. mitgeteilt, dass die Klägerin von ihm seit 1999 neuropädiatrisch mitbetreut werde. Bei der Klägerin bestehe eine Mehrfachbehinderung. Grobmotorische und handmotorische Funktionen seien gutachterlich nicht verwertbar. Elementare visuelle Funktionen wie Fixieren, Blickfolgebewegungen, wie sie von gesunden Säuglingen im Alter von ca. sechs Wochen mühelos bewältigt würden, seien bei der Klägerin nur sehr gering ausgeprägt. Die Leistungen der Klägerin in anderen Wahrnehmungsbereichen würden etwas schwanken. Die beobachteten und von der Mutter der Klägerin geschilderten Leistungen würden sich mit den Aussagen des Entwicklungsberichts der Blindeninstitutsstiftung vom Schuljahr 2007/2008 decken und entsprächen einem drei bis sechs Monate alten Säugling. Es bestehe somit eine signifikante Diskrepanz zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in den nicht visuellen Bereichen, so dass er, Dr. H., von einer spezifischen Sehstörung ausgehe. Dafür spreche auch, dass objektivierbare Befunde am optischen System vorlägen, nämlich eine Opticusatrophie sowie eine periventrikuläre Leukomalazie, die häufig die Sehstrahlung im Gehirn mitbeteilige. Die Beurteilung der Sehleistung an sich falle in den Aufgabenbereich der augenärztlichen Kollegen. Aufgrund der starken Einschränkungen der elementaren visuellen Reaktionen ist der Gutachter davon ausgegangen, dass die Sehleistung "im Bereich der gesetzlichen Blindheit liegt".
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.08.2010 hat die Ärztin P. darauf hingewiesen, dass die Feststellung einer signifikanten Diskrepanz (zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in den nicht visuellen Bereichen) durch den Gutachter im Widerspruch zu den mitgeteilten Befunden stehe. So sei mit der Klägerin auf keiner Ebene ein Kontakt herstellbar, auch auf Ansprache oder Geräusche hätten sich eine Kopfdrehung oder Blickwendung zur Geräuschquelle hin nicht provozieren lassen. Es sei von einer sehr schwankenden, inkonstanten Reaktionslage in der Sinnesmodalität Hören auszugehen. Zur taktilen Modalität äußere sich der Gutachter nicht, hier sei nur die anamnestische Angabe der Mutter vermerkt, dass das Mädchen die Hände evtl. zum Mund führe, damit aber nichts festhalten könne. Eine Erkundung der Umwelt, von Gegenständen oder des eigenen Körpers durch die Hände erfolge nicht, über die Sprache könne kein Kontakt aufgebaut werden, geschweige denn könnten Aufforderungen befolgt oder eine sinngebende Kommunikation hergestellt werden. Dies sei jedoch Voraussetzung, um eine spezifische Störung des Sehvermögens zu bejahen. Bezüglich der Motorik bestätige Dr. H. selbst, dass die motorische Entwicklung schwerst beeinträchtigt sei.
Zu dem morphologischen Befund einer partiellen Opticusatrophie sei anzumerken, dass eine solche per se nichts über das Sehvermögen aussage. Auf welche Befunde der Sachverständige die Diagnose einer periventrikulären Leukomalazie stütze, sei unklar. Selbst wenn eine solche nachweisbar wäre, so die Ärztin P., könne daraus nicht zwangsläufig eine so schwere Schädigung der Sehstrahlung abgeleitet werden, dass cerebrale Blindheit nachgewiesen sei.
Abschließend sei festzustellen, dass bei der Klägerin eine generalisierte Hirnschädigung mit schwerster Mehrfachbehinderung vorliege, in deren Rahmen die gesamte Wahrnehmung in einem hohen Maß beeinträchtigt sei. Ein relevanter Unterschied zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in den nicht visuellen Bereichen sei nicht nachweisbar, da auf keiner Ebene eine sinngebende Kommunikation möglich sei. Zudem könnten Entwicklungsunterschiede bis zu vier Monaten nicht als signifikant bezeichnet werden. Nach den Griffiths-Entwicklungsskalen (GES) erstreckte sich die Variationsbreite z.B. für die Aufgabe im Bereich Hören und Sprechen "spricht lallend mit freundlichen Personen" auf einen Zeitraum von drei bis acht Monaten. Es gebe also für ein und dasselbe Verhalten eine Entwicklungsspanne von fünf Monaten, die als normal anzusehen sei. Der vom Sachverständigen genannte Entwicklungsunterschied von zwei bis fünf Monaten erlaube somit nicht den Rückschluss, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten.
Auf die mündliche Verhandlung vom 15.12.2010 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des o.g. Bescheids in der Fassung des o.g. Widerspruchsbescheids verurteilt, der Klägerin ab 01.06.2006 Blindengeld zu gewähren und die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Nach Überzeugung des Gerichts sei die Klägerin faktisch blind. Da bei ihr umfangreiche cerebrale Schäden vorlägen, müsse nach der BSG-Rechtsprechung die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sein als die Wahrnehmungen in anderen Modalitäten. Genau hiervon gehe das Gericht im Falle der Klägerin aus. Das SG hat auf die Ausführungen des Gutachters Dr. H. abgestellt.
Gegen das Urteil hat der Beklagte am 07.03.2011 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er hat diese damit begründet, dass aufgrund des Gutachtens von Dr. H. Blindheit nicht angenommen werden könne, da die visuelle Wahrnehmung der Klägerin nicht deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. Bei der Untersuchung durch Dr. H. am 24.06.2010 sei gerade kein Unterschied zwischen den Sinnesmodalitäten Sehen und Hören festgestellt worden. Unabhängig davon sehe der Beklagte bei der inzwischen zwölfjährigen Klägerin bei einem Entwicklungsunterschied von sechs Wochen bis maximal viereinhalb Monaten die Maßgabe des BSG zum Nachweis einer zur faktischen Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens, nämlich dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten, nicht als erfüllt an, da letztendlich weiterhin insgesamt der Entwicklungsstand eines Säuglings bestehe. Infolge der schweren globalen Hirnschädigung bestehe eine generelle und ausgeprägte Herabsetzung aller Sinnesmodalitäten, die eine Kontaktaufnahme bzw. Kommunikation mit der Klägerin auf keiner Ebene ermögliche. Es gehe zudem grundsätzlich um die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem beachtlichen Leistungsunterschied im o.g. Sinn auszugehen sei.
Auf Anträge des Beklagten hat der Senat mit zwei Beschlüssen (Az.: L 15 BL 2/11 ER sowie Az.: L 15 BL 3/12 ER) zur Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil des SG gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden.
Der Senat hat einen ärztlichen Bericht von Dr. H. vom April 2010 ausgewertet. Vom Beklagten ist hierzu u.a. darauf hingewiesen worden, dass eine Kopf- und Blickwendung zu einer Geräuschquelle eine unspezifische Reaktion darstelle und nicht als wesentlich bessere Sinneswahrnehmung gewertet werden könne. Zudem werde die akustische Reaktion naturgemäß in ruhiger Umgebung geprüft; dementsprechend müsse die Prüfung der visuellen Reaktion in einem abgedunkelten Raum erfolgen.
Sodann hat der Senat den Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie und Neuropädiatrie Dr. E. vom Sozialpädiatrischen Zentrum E-Stadt mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dr. E. hat bei der Erstellung seines Gutachtens vom 01.03.2012 u.a. Entwicklungsberichte der Blindeninstitutsstiftung B-Stadt der Schuljahre 2008/2009 bis 2011/2012 berücksichtigt. Er hat folgende Diagnosen festgehalten:
- Zustand nach Frühgeburt, 35 SSW;
- Zustand nach Gastrochisis (OP 12/1998);
- Zustand nach mehrfacher Dünndarmresektion;
- Bilaterale spastische Cerebralparese (GMFCSV, MACSV);
- Schwere mentale Retardierung mit Intelligenzminderung;
- Mikrocephalus;
- Dystrophie;
- Essstörung - versorgt mit PEG-Sonde sowie
- Epilepsie.
Bei schwer geschädigten Kindern sei es so, dass sie auf der Stufe der ersten Lebenswochen zurückbleiben würden, in der den unmittelbar körpereinwirkenden Reizen (Berührung, Kinästhetik, Geschmack) mehr Aufmerksamkeit gelte als den in die Ferne gerichteten Sinnen (Seh- und Hörreizen). Insbesondere entwickle sich bei Kindern mit schwerer Cerebralparese der optische Sinn nicht so, wie dies bei einem gesunden Kind zu erwarten sei. Dies führe dann verständlicherweise zu dem Eindruck einer scheinbaren Blindheit bzw. zum Eindruck, dass das Sehvermögen stärker als die anderen Sinnesmodalitäten eingeschränkt sei. Um eine objektive Darstellung der Entwicklung von Kindern mit schwerer Mehrfachbehinderung und motorischer und mentaler Entwicklungsverzögerung zu erhalten, sei es in der Neuropädiatrie üblich, einen Entwicklungstest einzusetzen, der die Fähigkeiten des Kindes erfassen und abbilden könne (GES). Diese Untersuchung lasse sich nicht technisch messen; es könnten nur die anamnestischen Angaben und die Beobachtung bei der Untersuchung einem Entwicklungsstand zugeordnet werden. Bei der Klägerin würden die Sinnesreaktionen der Telerezeptoren von Hören "eins bis vier Monate" und Sehen "eins bis zwei Monate" nach der entwicklungsneurologischen Untersuchung nach Griffiths zeigen und seien somit als stark beeinträchtigt, jedoch eben gleichwertig zu interpretieren. Auch im Bereich der Handmotorik stufe er, Dr. E., die Klägerin in einem Alter von rund zwei bis drei Monaten ein. Auch wenn die Klägerin nach ihrem chronologischen Alter bereits ein Schulkind sei, müsse sie im Bereich ihrer individuellen Entwicklung als Säugling mit homogenem Entwicklungsprofil eingeschätzt werden.
In Zusammenschau aller Befunde lasse sich bei der Klägerin keine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen.
Der Unterschied zwischen einem bis zwei Monaten im Bereich der visuellen Situation und einem bis vier Monaten im Bereich des Hörens könne nicht als "stärker herabgesetzt" eingestuft werden, da es sich, wie oben beschrieben, um unterschiedliche Wahrnehmungsmodalitäten handle. Die auditive Wahrnehmung sei immer aktiv, die visuelle müsse aktiv eingesetzt werden und löse üblicherweise auch eine motorische Antwort aus. Diese wiederum sei aber bei der Klägerin aufgrund der eingeschränkten motorischen Fähigkeiten nicht möglich. Auch hierdurch könne der Eindruck entstehen, dass die Klägerin vermeintlich besser höre als sehe.
Aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung vom 16.12.2011 zeige sich, dass die Klägerin den eigenen Körper durch passive Bewegungen und Einflüsse durch die Umwelt propriozeptiv wahrnehmen, sich jedoch nicht im Raum orientieren könne, da die Haltungs- und Aufrichtungsstellreflexe sowie die telerezeptorischen Fähigkeiten (visuelle Wahrnehmung im Fernbereich) nicht adäquat funktionierten. Primitive Massenbewegungen seien also möglich und bei guter passiver Stützfunktion könnten somit auch grobe zielmotorische Bewegungen erreicht werden (hier hat der Gutachter auf die Entwicklungsberichte der Blindeninstitutsstiftung B-Stadt verwiesen).
Durch die cerebrale Schädigung hätten sich bei der Klägerin die weiteren Schritte nicht adäquat entwickeln können. Die Klägerin habe nicht die weiteren Entwicklungsstufen der Sensomotorik durchlaufen, die schlussendlich für die Entwicklung der eigenen Aufrichtung und Zielmotorik notwendig seien.
Somit sei davon auszugehen, dass die Klägerin gleichwertig auf visuelle, akustische und sensible Reize reagiere. Die visuelle Wahrnehmung sei damit nicht deutlich stärker herabgesetzt als die Wahrnehmung in den anderen Sinnesmodalitäten. Wie oben ausgeführt schätze er, Dr. E., das Entwicklungsalter bezüglich der Sinnesmodalitäten auf ca. ein bis vier Monate gleichwertig bezüglich akustischer und visueller Wahrnehmung ein.
Auf das Gutachten hin hat der Beklagte darauf verwiesen, dass dieses die Berufung stütze. In der im Folgenden übersandten versorgungsärztlichen Stellungnahme hat die Ärztin P. u.a. auf die Relevanz der Feststellung von Dr. E. verwiesen, dass der palmare Greifreflex der Klägerin erloschen und gezieltes Greifen nicht mehr möglich sei. Der Gutachter habe die versorgungsärztliche Auffassung bestätigt, dass die Cerebralparese zu einer etwa gleich stark ausgeprägten Herabsetzung aller Wahrnehmungsfähigkeiten geführt habe. Kleinere Unterschiede zwischen den einzelnen Sinneswahrnehmungen bestünden immer, innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite könne jedoch nicht von einer erheblichen Differenz gesprochen werden. Zusammenfassend hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 16.04.2012 hervorgehoben, dass sich das Entwicklungsniveau der 13-jährigen Klägerin im Bereich aller Sinnesmodalitäten auf der Altersskala eines Säuglings zwischen einem und vier Monaten bewege. Ein deutlicher Unterschied in den einzelnen Sinnesbereichen sei nicht festzustellen.
Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht sodann Prof. Dr. D. mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG beauftragt. Dieser hat im Gutachten vom 28.09.2012 u.a. festgestellt, dass eine Visuserhebung (auch bei Verwendung von Messgeräten) nicht möglich gewesen sei. Gleiches gelte wegen fehlender Mitarbeit für die Gesichtsfeldprüfung mit dem Projektionskugelperimeter nach Goldmann mit der Testmarke III/4. Bei Muster-VECP hätten sich keine reproduzierbaren Potentiale ergeben, da keine Fixation aufgenommen worden sei. Ein Blitz-VECP habe bei vorbestehender Epilepsie nicht durchgeführt werden können. Auch der optokinetische Nystagmus (geprüft mit der Catford-Trommel) sei bei fehlender Fixation nicht auslösbar gewesen. Prof. Dr. D. hat auch andere Sinnesreize getestet. Der Sachverständige hat eine reduzierte visuelle Wahrnehmung angenommen, die jedoch durch die geistige Behinderung der Klägerin überlagert sei. Die Reaktionen auf akustische, taktile oder visuelle Reize würden in ähnlichem Ausmaß herabgesetzt erscheinen.
Auf die daraufhin ergangene gerichtliche Anfrage, ob die Klägerin die Klage zurücknehme, hat die Bevollmächtigte erklärt, dass die Klägerseite trotz des negativen Beweisergebnisses hierzu nicht bereit sei. Daraufhin hat am 25.10.2013 ein Erörterungstermin stattgefunden, bei dem auch die Klägerin selbst anwesend gewesen ist. Im Termin hat die Bevollmächtigte der Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits im Hinblick auf die Frage der Abstufung der Wahrnehmung in den einzelnen Sinnesmodalitäten, die noch nicht höchstrichterlich geklärt sei, verwiesen. Mit Schriftsatz vom 06.11.2013 hat die Klägerseite sodann noch Zeugnisse des Förderzentrums der Blindeninstitutsstiftung übersandt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG vom 15.12.2010 aufzuheben.
Der Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Beschluss in der mündlichen Verhandlung am 27.11.2013 hat der Senat entschieden, dass die Kosten für das gemäß § 109 SGG erstellte Gutachten von Prof. Dr. D. auf die Staatskasse übernommen werden.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht. Dies hat das SG zu Unrecht bejaht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 25.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 20.07.2011 (GVBl. Nr. 14/2011, S. 311) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG die Formulierung "zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen" keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen oder dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen würde, steht nicht zur Gewissheit des Senats fest. Vielmehr hat der Senat hieran deutliche Zweifel.
Wie der Senat u.a. in den Entscheidungen vom 18.06.2013 (Az.: L 15 BL 6/10) und 08.10.2013 (Az.: L 15 BL 2/09) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf ihr Vorliegen stützen möchte.
Im streitgegenständlichen Fall kann nicht die Rede davon sein, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der blindheitsbegründenden Tatsachen zweifeln würde. Denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kann nicht mit der erforderlichen Gewissheit von einer Blindheit der Klägerin ausgegangen werden; der Nachweis ist nicht erbracht. Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus den Aussagen der beteiligten Gutachter. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen. Selbst die Mutter und Vertreterin der Klägerin scheint im Übrigen (große) Zweifel am Vorliegen von Blindheit zu haben; sie hat gegenüber dem Gutachter Dr. E. angegeben, sie selbst wisse nicht, ob die Klägerin sehen könne.
Zudem würde ein Anspruch auf Blindengeld auch daran scheitern, dass bei der Klägerin keine spezifische Sehstörung gegeben ist, wie nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R) erforderlich ist. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht mehr an.
1. Der Nachweis dafür, dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen oder dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen würde, ist zur Überzeugung des Senats nicht erbracht. Dies ergibt sich bereits ohne Weiteres aus dem vom Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten von Prof. Dr. S. vom 14.06.2007 als auch aus dem gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten von Prof. Dr. D. vom 28.09.2012.
Nach ausdrücklicher Feststellung von Letzterem, der bei der Klägerin die Diagnosen einer rechts und links vorhandenen partiellen Opticusatrophie und einer ausgeprägten geistigen und körperlichen Behinderung mit Reduktion der Verarbeitung aller Sinneseindrücke aller Qualitäten gestellt hat, ist aufgrund der augenärztlichen Untersuchungsbefunde nicht zweifelsfrei nachzuweisen, ob Blindheit im Sinne des BayBlindG vorliegt. Wegen der beidseitigen teilweisen Sehnervenatrophie ist - nach der plausiblen Einschätzung dieses und der weiteren Sachverständigen - zwar von einer reduzierten visuellen Wahrnehmung auszugehen. Diese ist, wie Prof. Dr. D. nachvollziehbar dargestellt hat, jedoch durch die vorbestehende geistige Behinderung und damit gestörte kognitive Verarbeitung der visuellen Informationen überlagert und im Hinblick auf ihr Ausmaß nicht im Einzelnen beurteilbar.
Die erheblichen Zweifel an einer Blindheit der Klägerin werden daneben aber auch durch die weiteren vorliegenden Unterlagen nicht reduziert, sondern - vorsichtig formuliert - eher noch gestärkt. Dies gilt u.a. für die zuletzt übersandten Zeugnisse des Förderzentrums der Blindeninstitutsstiftung, in denen Aussagen zu den Sinnesmodalitäten der Klägerin enthalten sind und z.B. berichtet wird, dass die Klägerin im Schulkreis bei abgedunkeltem Raum zunächst gezielt auf die angeleuchtete weiße Feder geschaut und dann bewusst danach gegriffen habe, sowie dass die optische Erfassung von Gegenständen und Personen für sie in den Hintergrund gerate und deshalb durch spezielle Vorbereitung des Klassenzimmers unterstützt und aktiviert werden müsse; im abgedunkelten Raum und bei Bestrahlung durch Scheinwerferlicht gelinge der Klägerin die Fixierung von Gegenständen und Personen. Entsprechendes gilt für einen früheren Bericht (Schuljahr 2009/2010), in dem die Rede davon ist, dass die Klägerin bei der regelmäßig durchgeführten Sehförderung im Dunkelraum zunehmend Interesse an farbigen Objekten zeige und im visuellen Vergleich erst das eine, dann das andere Objekt ansehe. Regelmäßiges Üben im Erziehungsraum zeige eindeutige Verbesserungen im Bezug auf [Anm.: visuelle] Reaktion und Fixation.
Aus Sicht des Senats ist es zwar durchaus nicht völlig auszuschließen, dass die Klägerin die Blindheitsschwelle des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG überschritten hat. So hat Prof. Dr. S. darauf hingewiesen, dass Blindheit im Sinne des Gesetzes dann vermutet werden müsse, wenn man bei der Klägerin ein Sehvermögen beidseits von 0,05 schätze in Verbindung mit den sehr wahrscheinlich vorhandenen ausgeprägten Gesichtsfeldausfällen. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt - wie oben bereits erwähnt - der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z.B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 10. Aufl., § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (große) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Ansatzpunkte für die Geltung von Beweiserleichterungen irgendwelcher Art sind in keiner Weise ersichtlich.
Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gesichtspunkte, die zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen, sind nicht erkennbar. Der Facharzt Prof. Dr. S. hat ausdrücklich bestätigt, dass es keine Möglichkeit gibt, diesbezüglich eine genauere Einschätzung vorzunehmen. Insbesondere waren in Übereinstimmung mit ihm nicht diagnostische Befunde bildgebender Verfahren (MRT) zu erheben.
Diesem vorliegend gefundenen Ergebnis steht auch nicht die früheren Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27.11.1997, Az.: L 15 BL 10/96) entgegen. Damals hat der Senat einem Kleinkind, bei dem naturgemäß eine genaue Untersuchung nicht möglich war und das später eine Sehschärfe von 0,3 erreicht hat, Blindengeld zugesprochen. Er hat in der Begründung ausgeführt, dass die fehlenden Möglichkeiten apparativer Untersuchung einen gerichtlichen Sachverständigen nicht daran hindern können, seine ärztliche Erfahrung in die Beurteilung einzubringen und in Verbindung mit den vorliegenden Befunden daraus zu schließen, dass die Anspruchsvoraussetzungen für einen gewissen Zeitraum gegeben sind. Daraus ist abgeleitet worden, dass die Funktionsbestimmung gerade im Kindes- und Kleinkindalter unsicher sein könne und dass am Besten entsprechende Nachuntersuchungen erfolgen sollten (z.B. Rohrschneider, Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach, 1/2012, S. 9).
Bereits hieraus wird aber deutlich, dass die Sachlagen nicht vergleichbar sind. Zwar ist auch vorliegend aufgrund des Entwicklungsstandes der Klägerin eine genaue Untersuchung nicht möglich. Der Senat hat jedoch in der damaligen Entscheidung auf eine rückschauende Beurteilung und die später gewonnenen Erkenntnisse, d.h. die später erhobenen genaueren Befunde abgestellt. Solche liegen im streitgegenständlichen Fall aber gerade nicht vor und vor allem haben die Gutachter Dr. E. und Prof. Dr. D. gerade nicht daraus geschlossen, dass die Anspruchsvoraussetzungen (für einen gewissen Zeitraum) gegeben wären.
Im Übrigen ist vorliegend auch nicht der Sonderfall eines apallischen Syndroms gegeben.
2. Daneben fehlt es vorliegend auch an einer im Vergleich zu anderen Gehirnfunktionen spezifischen Störung des Sehvermögens der Klägerin, die nach der Rechtsprechung des BSG Voraussetzung für die Anerkennung von Blindheit im Sinne des BayBlindG ist. Hierauf kommt es jedoch, da schon der Blindheitsnachweis nicht gegeben ist, letztlich nicht mehr an.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 31.01.1995, Az.: 1 RS 1/93, vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, und vom 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R) stehen auch cerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Allerdings ist in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung zu differenzieren, ob das Sehvermögen, das heißt das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt ist, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, die also nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betrifft. Ausfälle allein des Benennen-Könnens erfüllen mithin die Voraussetzungen von Blindheit nicht.
Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden ist nach der Rechtsprechung des BSG (20.07.2005, a.a.O.) darüber hinaus eine weitere Differenzierung erforderlich: Es muss sich im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen.
Diese vom BSG entwickelte zusätzliche Differenzierung beim Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden entspricht, wie der Senat bereits früher festgestellt hat (Urteil vom 17.01.2006, Az.: L 15 BL 1/05), dem sich aus den Motiven des BayBlindG (Landtagsdrucksache 13/458 vom 16.02.1995, S. 5) ergebenden Willen des Landesgesetzgebers insoweit, als dieser Leistungen nach dem BayBlindG aufgrund einer ausschließlich als Folge einer generellen cerebralen Behinderung mit allgemeiner Herabsetzung der kognitiven Fähigkeiten bestehenden Unfähigkeit zur visuellen Wahrnehmung ausschließen wollte. Wie der Senat ebenfalls bereits deutlich gemacht hat, sieht er im Übrigen bereits mit Blick auf den Ausnahmecharakter des Blindengelds im System behinderungsbedingter Sozialleistungen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Erfordernis, die visuelle Wahrnehmung müsse für den Nachweis von Blindheit bei generalisierten cerebralen Schäden deutlich stärker als andere Sinnesmodalitäten betroffen sein, zu einer sachwidrigen Benachteiligung mehrfach schwerst wahrnehmungsbehinderter Menschen führen könnte (Urteil vom 17.07.2012, Az.: L 15 BL 11/08; offen gelassen von LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.01.2011, Az.: L 12 SB 54/09).
Dem entsprechend gilt das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht nur für die Fälle einer faktischen Blindheit, sondern auch für die Anspruchsgrundlage des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG, jedenfalls soweit die Ursachen der Blindheit in einem engen Zusammenhang mit der cerebralen Schädigung stehen (Urteil des Senats vom 17.07.2012, a.a.O.).
Aufgrund der Beweisaufnahme steht - ohne dass es für den Ausgang des Rechtsstreits hierauf im Ergebnis ankäme (s.o.) - zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin keine spezifische Sehstörung gegeben ist. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem plausiblen und fundierten Gutachten des Sachverständigen Dr. E ... Hingegen kann das (bereits bedenklich kurze) Gutachten des behandelnden Arztes Dr. H., der vom SG gemäß § 106 SGG beauftragt worden ist, nicht überzeugen, anders als das SG angenommen hat.
Hierzu kann im Einzelnen auf die einleuchtenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen und die Berufungsbegründung des Beklagten verwiesen werden (s.o.).
Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten.
Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage gegen die angefochtenen Verwaltungsakte abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn die von der Klägerin geltend gemachte Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen von einem beachtlichen Leistungsunterschied zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten auszugehen sei, ist wie dargelegt für den hier entschiedenen Fall nicht erheblich (vgl. z.B. Leitherer, a.a.O., § 160, Rn. 9, m.w.N.; Fichte, in: Breitkreuz/ ders., SGG, § 160, Rn. 34; Lüdtke, SGG, 12. Aufl., § 160, Rn. 11).
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