L 15 SF 338/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 135/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 338/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gebietet es, von einer Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds im Rahmen der Darlegungslast eines Antragstellers schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Antragstellers bestehen.
2. Die verfassungsrechtlich gebotene weite Auslegung des Begriffs der Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast verlangt ein Korrektiv, um Missbrauch zu vermeiden. Das Gericht hat daher in einem zweiten Schritt die Frage zu prüfen, ob es möglicherweise erst nach weiterer Sachprüfung einen Wiedereinsetzungsgrund tatsächlich glaubhaft, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, für gegeben hält.
3. Eine schlichte Erklärung des Antragstellers wird nur im seltenen Einzelfall für eine Glaubhaftmachung genügen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Geltendmachung der Entschädigung für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 29.04.2013 wird abgelehnt.



Gründe:


I.

Streitig ist, ob der Antragstellerin für die Geltendmachung der Entschädigung für die Wahrnehmung eines Gerichtstermins Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.

In den beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter den Aktenzeichen L 7 AS 589/11 u.a. geführten Berufungsverfahren fand am 29.04.2013 eine mündliche Verhandlung statt, an der die Antragstellerin nach Anordnung des persönlichen Erscheinens teilnahm.

Mit per Einschreiben am 26.09.2013 zugestelltem Schreiben vom 24.09.2013 bat die Antragstellerin das Bayer. LSG, ihren "Antrag vom 25.07.2013 zu bearbeiten". Dem Schreiben lagen Kopien eines auf den 25.07.2013 datierten Entschädigungsantrags für die mündliche Verhandlung am 24.09.2013 und zweier Fahrkarten bei.

Mit Schreiben vom 30.09.2013 teilte die Kostenbeamtin des Bayer. LSG der Antragstellerin mit, dass der Entschädigungsantrag am 26.09.2013 bei Gericht eingegangen sei und daher der Entschädigungsanspruch wegen der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 JVEG erloschen sei.

Mit Schreiben vom 13.10.2013, bei Gericht eingegangen am 16.10.2013, hat sich die Antragstellerin sinngemäß gegen die Ablehnung der Entschädigung gewandt. Sie hat vorgetragen, den Entschädigungsantrag fristgerecht mit einfachem Brief versandt zu haben. Da sie keine Antwort erhalten habe, habe sie nochmals eine Kopie des Antrags per Einschreiben geschickt.

Auf die gerichtliche Bitte vom 14.11.2013 hin, das fristgerechte Versenden des Antrags mit einfachem Brief näher zu erläutern und etwaige weitere Nachweise vorzulegen, hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 15.12.2013 mitgeteilt, dass sie den Entschädigungsantrag ausreichend frankiert in den Briefkasten geworfen habe, dafür aber leider keinen Nachweis habe.

II.

Der mit Schreiben vom 13.10.2013 gestellte Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG ist abzulehnen, da sich der Senat bei den von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen nicht vom Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrunds überzeugen hat können.

Im vorliegenden Fall ist der Entschädigungsantrag zu spät gestellt worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung sind nicht erfüllt.

1. Anzuwendendes Recht

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz -
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn die Antragstellerin als Berechtigte ist vor dem gemäß Art. 55
2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.

2. Entschädigungsantrag zu spät gestellt

Der Entschädigungsanspruch war bereits erloschen, als der Entschädigungsantrag für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 29.04.2013 beim Bayer. LSG einging.

Der Anspruch auf Entschädigung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG im Falle der Teilnahme an einem Gerichtstermin mit der Beendigung dieses Termins zu laufen.

Vorliegend hat die mündliche Verhandlung, für die eine Entschädigung begehrt wird, am 29.04.2013 stattgefunden.

Ein erstmaliger Eingang des Entschädigungsantrags der Antragstellerin bei Gericht ist erst mit dem Eingang des Schreibens vom 24.09.2013 am 26.09.2013 belegt. Mit diesem Schreiben hat die Antragstellerin eine Kopie ihres auf den 25.07.2013 datierten Entschädigungsantrags übersandt. Dieser Eingang des Entschädigungsantrags ist erst weit nach Ablauf der dreimonatigen Frist für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs erfolgt. Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Entschädigungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 25.11.2013, Az.: L 15 SF 258/13).

3. Keine Wiedereinsetzung

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, da es nicht glaubhaft gemacht werden konnte, dass die Antragstellerin ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war.

3.1. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Allgemeinen

Einem Anspruchsteller nach dem JVEG ist bei Versäumung der Frist gemäß
§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn
- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG, d.h. innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses für die (rechtzeitige) Antragstellung, einen Wiedereinsetzungsantrag stellt,
- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft macht (vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang die ausführlichen Erwägungen im Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12),
- er innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG den Vergütungs- bzw. Entschädigungsanspruch beziffert und
- sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 JVEG nicht mehr beantragt werden.

Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen ist dem JVEG - im Gegensatz zu vielen anderen gesetzlichen Regelungen - fremd (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12, vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 27.03.2013, Az.: L 15 SF 181/12 B). Das Antragserfordernis verbietet es zudem, allein in der verspäteten Vorlage einer Entschädigungsforderung einen Wiedereinsetzungsantrag zu sehen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 03.01.2013, Az.: L 15 SF 255/10, und vom 15.02.2013, Az.: L 15 SF 211/12 B).

3.2. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall

3.2.1. Fristgerechte Antragstellung

Die Antragstellerin hat fristgerecht einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 30.09.2013 musste der Antragstellerin bewusst sein, dass der auf den 25.07.2013 datierte Entschädigungsantrag vor ihrem Schreiben vom 24.09.2013 dem LSG nicht vorgelegen hatte. Für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG eine Frist von zwei Wochen eröffnet.

Mit Schreiben vom 13.10.2013 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Dieser Antrag ist innerhalb der mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 30.09.2013, der bei entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post fingiert werden kann, in Lauf gesetzten Frist von zwei Wochen, nämlich am 16.10.2013, bei Gericht eingegangen.

3.2.2. Fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds

Die Antragstellerin hat in ihrem Schreiben vom 13.10.2013 einen Wiedereinsetzungsgrund, nämlich dass sie den Entschädigungsantrag fristgerecht mit einfachem Brief übersandt habe, fristgerecht glaubhaft gemacht.

3.2.2.1. Wiedereinsetzungsgrund

Vom Vortrag einer unverschuldeten Fristversäumung und damit einem Wiedereinsetzungsantrag ist auch dann auszugehen, wenn ein Antragsteller angibt, die Frist überhaupt nicht versäumt zu haben, da er alles fristgemäß erledigt habe (vgl. Beschluss des Senats vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12). Eine Fristversäumung kann nicht nur dadurch eintreten, dass eine erforderliche Handlung nicht rechtzeitig vorgenommen wird, sondern auch dadurch, dass der Betroffene selbst zwar alles rechtzeitig unternimmt, dann aber durch Umstände außerhalb seines Einflussbereichs oder infolge der Einschaltung Dritter die Einhaltung der Frist vereitelt wird (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 30.10.2013, Az.: L 15 SF 231/13 E). Ein geradezu typischer Fall, in dem eine Wiedereinsetzung in Betracht kommt, ist es, wenn ein Schreiben rechtzeitig zur Post gegeben wird, dann aber wegen Umständen im Verantwortungsbereich der Post die Einhaltung der Frist vereitelt wird (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschlüsse vom 28.03.1994, Az.: 2 BvR 814/93, und vom 29.12.1994, Az.: 2 BvR 106/93; Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 30.09.1996, Az.: 10 RAr 1/96) oder der Zugang beim Empfänger sich überhaupt nicht nachweisen lässt (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschlüsse vom 19.06.1996, Az.: I R 13/96, und vom 23.12.2005, Az.: VI B 110/05; Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluss vom 03.02.2011, Az.: I ZB 74/09; BSG, Beschluss vom 11.11.2003, Az.: B 2 U 293/03 B).

Nicht anders stellt sich der Fall hier dar: Die Antragstellerin behauptet, alles getan zu haben, um den rechtzeitigen Eingang des Entschädigungsantrags zu bewirken, ein rechtzeitiger Eingang lässt sich aber nicht nachweisen.

3.2.2.2. Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast - Allgemeines

Die Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gilt nicht nur für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags und die Bezifferung des Anspruchs, sondern auch für die Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen, wobei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung aus verfassungsrechtlichen Gründen aber nicht überspannt werden dürfen. Um die vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 2
Satz 1 JVEG vorgesehene Möglichkeit der Wiedereinsetzung nicht ins Leere laufen zu lassen, ist im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von einer Glaubhaftmachung daher schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet, und keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben bestehen (vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, in dem die [verfassungs-]rechtliche Problematik umfassend dargestellt ist).

3.2.2.3. Erfüllung der Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast im hier zu entscheidenden Fall

Mit dem Vortrag im Schreiben vom 13.10.2013 wird die Antragstellerin diesen Anforderungen innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gerecht. So hat sie vorgetragen, dass sie den Entschädigungsantrag fristgerecht mit einfachem Brief übersandt habe. Dieser Vortrag ist plausibel und schlüssig, gibt er doch einen der Lebenserfahrung nach nicht fernliegenden Sachverhalt wieder. Weitergehende Anforderungen können an den von der Antragstellerin im Rahmen ihrer Darlegungslast glaubhaft zu machenden Wiedereinsetzungsgrund nicht gestellt werden. Der Senat verkennt zwar nicht, dass die Behauptung, der Entschädigungsantrag sei fristgerecht versandt worden, durchaus auch eine falsche Behauptung darstellen kann, die kaum zu widerlegen ist und bei der es nicht abwegig ist, dass damit lediglich ein in der Vergangenheit vergessenes Übersenden des Entschädigungsantrags verschleiert werden soll. Diese nicht völlig an den Haaren herbeigezogenen Zweifel können aber einer Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds im Rahmen der Darlegungslast nicht entgegenstehen, da anderenfalls die Anforderungen an dieser Stelle in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise überspannt würden. Irgendwelche Missbrauchsgefahren infolge dieser antragstellerfreundlichen Auslegung sieht der Senat nicht, da in einem späteren Schritt (vgl. unten Ziff. 3.2.4.) zu prüfen sein wird, ob sich der Senat nach den von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom glaubhaften, d.h. überwiegend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugen kann (vgl. Beschluss des Senats vom 12.09.2013, Az.: L 15 SF 190/13). Insofern besteht ein Korrektiv, das einen Missbrauch verhindert.

Ob die Angaben der Antragstellerin tatsächlich geeignet sind, die Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds zu begründen, ist an dieser Stelle nicht zu prüfen.

3.2.3. Fristgerechte Bezifferung des Entschädigungsanspruchs

Mit Schreiben vom 24.09.2013 hat die Antragstellerin den Entschädigungsanspruch fristgerecht beziffert.

Sie hat bereits vor Beginn der mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 30.09.2013 in Lauf gesetzten Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG und damit selbstverständlich vor Ablauf der genannten Frist ihren Entschädigungsanspruch beziffert, da sie ihrem Schreiben vom 24.09.2013 eine Kopie des auf den 25.07.2013 datierten Entschädigungsantrags beigelegt hatte. Dieser Fall ist nicht anders zu beurteilen, als wenn die Antragstellerin erst nach Erkennen der Fristversäumung eine Kopie des Entschädigungsantrags vorgelegt hätte.

3.2.4. Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft gegeben

Für den Senat liegt nach den weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund aber nicht glaubhaft vor.

3.2.4.1. Anforderungen an das glaubhafte Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes - Allgemeines

Bei der verfassungsrechtlich gebotenen weiten Auslegung des Begriffs der Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast (vgl. oben Ziff. 3.2.2.) genügt dort schon der Vortrag eines schlüssigen und lebensnahen Sachverhalts durch den Antragsteller, ohne dass dafür weitere Beweise von ihm verlangt werden könnten. Würde dies aber für die Wiedereinsetzung ausreichen, wäre einer Manipulation Tür und Tor geöffnet. Denn ein Antragsteller könnte sich allein dadurch eine Wiedereinsetzung erschleichen, dass er wahrheitswidrig, aber schlüssig einen lebensnahen Sachverhalt beschreibt, der - wenn er denn tatsächlich gegeben wäre - eine Wiedereinsetzung begründen würde. Über den Vortrag eines schlüssigen und lebensnahen Sachverhalts durch den Antragsteller hinaus wird daher in einem zweiten Schritt vom Gericht die Frage zu prüfen sein, ob das Gericht - möglicherweise erst nach weiteren von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen - einen Wiedereinsetzungsgrund tatsächlich glaubhaft, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, für gegeben hält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.07.1969, Az.: 2 BvR 753/68; Beschlüsse des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12, und vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12). Dieser zweite Schritt unterfällt der Aufklärung durch das Gericht von Amts wegen und lässt keinen Rückschluss auf eine mangelhafte Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast zu (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.10.1997, Az.: 3St RR 54/97; Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12).

Weder das JVEG noch das sozialrechtliche Prozessrecht enthalten - anders als z.B. das Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - dort § 23 Abs. 1 Satz 2 ("Eine Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.") - oder das Fremdrentengesetz - dort § 4 Abs. 1 Satz 2 ("Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.") - eine Legaldefinition des Begriffs der Glaubhaftmachung. Wegen der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung ist der Begriff der Glaubhaftmachung aber auch für das JVEG im vorgenannten Sinn auszulegen. Näher - hier im Zusammenhang mit § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) - hat das BSG den Begriff der Glaubhaftmachung beispielsweise im Urteil vom 17.04.2013, Az.: B 9 V 3/12 R, erläutert und dort Folgendes ausgeführt:

"Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-?Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-?3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-?Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-?3900 § 15 Nr 4 S 15)."

Um den in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verankerten Justizgewährungsanspruch nicht ins Leere laufen zu lassen oder unzulässig einzuschränken, dürfen die Anforderungen an die Wiedereinsetzung im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei der Prüfung, ob eine für die Wiedereinsetzung erforderliche Tatsache glaubhaft gemacht ist, nicht überspannt werden (ständige Rechtsprechung des BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 02.07.1974, Az.: 2 BvR 32/74, vom 03.06.1975, Az.: 2 BvR 457/74, vom 15.04.1980, Az.: 2 BvR 461/79, vom 26.04.2004, Az.: 1 BvR 1819/00, vom 04.05.2004, Az.: 1 BvR 1892/03, vom 27.09.2012, Az.: 2 BvR 1766/12, und vom 18.10.2012, Az.: 2 BvR 2776/10).

Im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung im Sinn des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG hat sich das Gericht die Überzeugung davon zu bilden, ob der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund überwiegend wahrscheinlich ist, also die gute Möglichkeit besteht, dass sich das Geschehen tatsächlich so zugetragen hat, wie dies der die Wiedereinsetzung Begehrende vorgetragen hat.

Da die gesetzliche Regelung des § 202 SGG i.V.m. § 294 Zivilprozessordnung die zulässigen Mittel einer Glaubhaftmachung nicht näher einschränkt, kann nach den Maßstäben des einfachen Rechts im - wohl eher seltenen - Einzelfall auch eine bloße schlichte Erklärung des Antragstellers ausreichend für eine hinreichende Glaubhaftmachung sein. Aus dieser Geeignetheit im Einzelfall kann aber nicht der Rückschluss gezogen werden, dass die Glaubhaftmachung durch schlichte Erklärung regelmäßig und ganz allgemein bei naheliegenden Versäumnisgründen unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG zu stellen wäre (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 11.02.1976, Az.: 2 BvR 849/75). Vielmehr geht beispielsweise der BFH in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 18.02.2004, Az.: I R 78/03) davon aus, dass jedenfalls dann, wenn die Fristeinhaltung im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit fraglich ist, eine eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten allein nicht geeignet ist, die rechtzeitige Aufgabe zur Post zu beweisen. Der BFH verlangt dafür vielmehr Beweismittel, die mit hinreichender Sicherheit den Schluss auf die Richtigkeit des zur Entschuldigung Vorgetragenen zulassen, z.B. Kopien von Fristen- oder Postausgangsbüchern (vgl. BFH, Beschluss vom 07.02.1997, Az.: III B 146/96). Dies hat der BFH sogar für den Fall bestätigt, dass der Bevollmächtigte geltend macht, er selbst habe das Schriftstück zur Post gegeben (vgl. BFH, Beschluss vom 04.11.1999, Az.: X B 81/99).

3.2.4.2. Erfüllung der Anforderungen an das glaubhafte Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds im hier zu entscheidenden Fall

Die Antragstellerin hat nur eine schlichte Erklärung zum Wiedereinsetzungsgrund abgegeben, ohne weitere konkrete Nachweise dafür vorlegen zu können. Dies hat sie selbst im Schreiben vom 15.12.2013 zugestanden, als sie vom Gericht zu weiteren Nachweisen und den näheren Umständen befragt worden war. Allein eine solche Erklärung genügt vorliegend nicht, um den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund nach der Überzeugung des Senats glaubhaft zu machen. Der Senat sieht es zwar als durchaus möglich an, dass die Antragstellerin tatsächlich den Entschädigungsantrag fristgerecht zur Post gegeben hat und der Brief dann auf dem Postweg verloren gegangen ist. Es besteht aber durchaus auch die Möglichkeit, dass es die Antragstellerin vergessen hat, den Entschädigungsantrag rechtzeitig zu stellen, und dieses Versäumnis dadurch verschleiern hat wollen, dass sie wegen der Entscheidung über den Entschädigungsantrag "nachgefragt" hat. Davon, dass ersterer Möglichkeit gegenüber der letzteren ein - wenn auch nur gewisses - Übergewicht zukommen sollte, kann sich der Senat nicht überzeugen. Würde dies anders gesehen, hätte dies faktisch zur Konsequenz, dass eine schlichte Erklärung ohne irgendwelche weiteren Anhaltspunkte oder Nachweise regelmäßig ausreichend wäre, eine Wiedereinsetzung zu bewirken - eine Konsequenz, wie sie nicht mit der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.02.1976, Az.: 2 BvR 849/75) in Einklang zu bringen wäre.

Die Angabe der Antragstellerin, sie habe den Entschädigungsantrag fristgerecht zur Post gegeben - und es treffe sie daher kein Verschulden am nicht fristgerechten Eingang bei Gericht -, kann damit für den Senat nicht glaubhaft gemacht werden.

Der Antragstellerin kann daher bezüglich der Geltendmachung der Entschädigung für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 29.04.2013 keine Wiedereinsetzung gewährt werden.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung als Einzelrichter zu entscheiden gehabt (§ 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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