S 4 R 81/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 81/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 524/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 8/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2008 wird abgeändert, soweit hierdurch der Bescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe auf Null reduziert wurde, stattdessen wird eine Reduzierung auf nur ¾ der Rente wegen voller Erwerbsminderung vorgenommen und der Erstattungsbetrag entsprechend gemindert. Der Bescheid vom 30. Oktober 2008 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 4.244,40 EUR für den Zeitraum vom 01. September bis 31. Dezember 2004 und in Höhe von 3.176 EUR für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2005 wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze. Der Kläger meint, ihm würde für die drei streitgegenständlichen Monate im Jahr 2004 zumindest die Rente in Höhe von drei Vierteln der Vollrente zustehen, für 2005 habe er Anspruch auf Rente in voller Höhe.

Dem 1968 geborenen Kläger bewilligte die Beklagte auf seinen Antrag mit Bescheid vom 18. Februar 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. September 2004 befristet bis zum 28. Februar 2007. Der Kläger war weiterhin als Kommanditist an dem KfZ-Betrieb beteiligt, den er zuvor als Geschäftsführer geleitet hatte und vermietete ihm das Betriebsgrundstück. Er hatte mit Schreiben vom 31. Januar 2005 angegeben, seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb hätten von September bis zum 8. November 2004 bei 0 Euro gelegen. Mit Schreiben vom 24. Mai 2005 gab er an, auch bis 30. April 2005 würden seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb bei 0 Euro liegen. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2006 (Eingang am 18. Oktober 2006) übersandte der Kläger seinen Einkommenssteuerbescheid 2004 mit einem Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 27.325 Euro. Mit Schreiben vom 27. April 2007 hörte die Beklagte den Kläger zu einer teilweisen Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheides und Rückforderung von Rente an. Der Kläger meldete sich nicht. Mit Bescheid vom 14. Juni 2007 berechnete die Beklagte die Rente aufgrund der Höhe des Hinzuverdienstes neu, hob gemäß § 45 SGB X für die Zeit ab 01. September bis 31. Dezember 2004 den Bescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe auf und forderte die Erstattung der Überzahlung in Höhe von 4244,40 EUR. Dagegen erhob der Kläger am 17. Juli 2007 Widerspruch mit der Begründung, er sei als Kommanditist an der Autohaus C GmbH und Co.KG beteiligt und Miteigentümer des an diese vermieteten Grundstücks. Steuerlich habe eine Betriebsaufspaltung vorgelegen, so dass diese Vermietungseinkünfte steuerlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb darstellen. Dem Kläger sei außerdem aus der Beteiligung an der Autohaus C GmbH ein Verlust in Höhe von 19.685,29 EUR zugewiesen worden, der aber steuerlich nicht im Jahr der Entstehung berücksichtigt werde. Er verwies auf den an das Autohaus C GmbH und Co.KG gerichteten Bescheid für 2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Bei richtiger Berechnung ergebe sich ein Hinzuverdienst in Höhe von monatlich nur 215,87 EUR. Die Beklagte teilte daraufhin mit, dass regelmäßig der Einkommenssteuerbescheid maßgeblich, ein Verlustvortrag bzw. Verlustrücktrag nach der Rechtsprechung des BSG nicht zulässig sei, da dies von den Gewinnermittlungsvorschriften des EStG nicht erfasst sei. Die Klägerseite nahm den Widerspruch teilweise zurück und zwar mit der Maßgabe, dass ein Anspruch auf ¾ der Vollrente bestanden habe. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2008 zurück. Arbeitseinkommen sei gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 SGB IV der nach dem Steuerbescheid ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Eine Überprüfung durch den Rentenversicherungsträger komme insoweit nicht in Betracht, so dass der Bescheid vom 18. Februar 2005 gemäß § 45 SGB X aufgehoben werden müsse.

Dagegen hat der Kläger am 12. Februar 2008 Klage erhoben. Die Beklagte hat während des laufenden Klageverfahrens den Bescheid vom 18. Februar 2005 durch Bescheid vom 30. Oktober 2008 hinsichtlich der Rentenhöhe auch für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2005 gem. § 45 zurückgenommen und fordert eine Überzahlung von 3.176,64 EUR zurück. Der Kläger wendet sich auch hiergegen und legt Bescheide des Finanzamtes über seine Einkommenssteuer und über die gesonderte und einheitliche Feststellung bzgl. der Kommanditgesellschaft für 2005 vor. Daraus ergebe sich, dass er 2005 Verluste i.H.v. 66.667,81 Euro hinnehmen musste. Er ist der Meinung, für die Zeit vom 01. September 2004 bis 31. Dezember 2004 habe er Anspruch auf eine Teilrente in Höhe von ¾, für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2005 Anspruch auf Vollrente gehabt. Daher sei die zurückgeforderte Summe entsprechend zu reduzieren.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2008 abzuändern, soweit hierdurch der Bescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe auf Null reduziert wurde, und stattdessen eine Reduzierung nur auf ¾ der Rente wegen voller Erwerbsminderung vorzunehmen und den Erstattungsbetrag entsprechend zu mindern, sowie den Bescheid vom 30. Oktober 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, der Gegenstand er mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist in beiden Teilen zulässig und in vollem Umfang begründet. Der Bescheid vom 14. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2008 und der Bescheid vom 30. Oktober 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Die Klage ist bezüglich des Bescheides vom 30. Oktober 2008 zulässig. Der Bescheid vom 30. Oktober 2008 unterfällt der seit dem 1. April 2008 geltenden Neuregelung des Sozialgerichtsgesetz (SGG). § 96 Abs. 1 SGG lautet danach: "Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt." Da der neue Verwaltungsakt vom 30. Oktober 2008 einen anderen Zeitraum betrifft (nämlich das Jahr 2005) und den angegriffenen Verwaltungsakt vom 14. Juni 2007 insoweit weder abändert noch ergänzt, lediglich den gleichen Bewilligungsbescheid betrifft, ist er nicht automatisch nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand vorliegenden Verfahrens geworden. Jedoch haben die Beteiligten übereinstimmend den Bescheid vom 20. Oktober 2008 zum Gegenstand des Prozesses gemacht. Dies stellt prozessual eine zulässige Klageerweiterung gem. § 99 SGG dar. In der rügelosen Einlassung auf den neuen Streitgegenstand ist gemäß § 99 Abs 2 SGG die Einwilligung der Beklagten in die Klageänderung zu sehen. Die neu hinzugekommene Klage ist ihrerseits zulässig. Insbesondere war der Folgebescheid im Zeitpunkt der Klageänderung nicht bindend geworden, nachdem die Beteiligten übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass er Gegenstand der vorliegenden Klage geworden ist. Dass das Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist, steht einem Sachurteil nicht entgegen. Zwar liegen die Voraussetzungen, unter denen § 78 Abs 1 Satz 2 SGG von der Durchführung des Vorverfahrens entbindet, nicht vor. Es ist jedoch in der Rechtsprechung anerkannt, dass sich über die gesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus aus dem Regelungszweck des § 78 SGG Ausnahmen vom Erfordernis des Vorverfahrens ergeben können. So bedarf es nach allgemeiner Meinung in den Anwendungsfällen des § 96 Abs 1 SGG keiner Nachprüfung der als mitangefochten geltenden Bescheide durch die Widerspruchsbehörde (BSGE 18, 93, 94 = SozR Nr 16 zu § 96 SGG; BSGE 38, 22, 28). Für einen durch (gewillkürte) Klageänderung in das Verfahren einbezogenen Verwaltungsakt hat der 7. Senat des BSG die Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens mit der Begründung verneint, bei dem neuen Verwaltungsakt gehe es um dieselbe Rechtsfrage wie in den zunächst angefochtenen Bescheiden, und die Beklagte, die über den Widerspruch zu befinden gehabt hätte, habe der Klageerweiterung zugestimmt (Urteil vom 21. März 1978, SozR 4600 § 143d Nr. 3 S 9 f.). In anderen Entscheidungen ist die Erteilung eines Widerspruchsbescheides aus prozessökonomischen Erwägungen für entbehrlich gehalten worden, wenn die zuständige Behörde in der Klageerwiderung zu erkennen gegeben hatte, dass sie an der getroffenen Regelung festhalten werde (BSG, SozR 1500 § 78 Nr. 8). Für den Bereich der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, die eine dem § 96 SGG vergleichbare Regelung nicht kennt, besteht Einigkeit, dass ein Widerspruchsbescheid nicht verlangt werden kann, wenn in einem bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt durch einen neuen geändert oder ersetzt wird und dieser im Wege der Klageänderung zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden soll, und dasselbe wird für den Fall angenommen, dass der neue Verwaltungsakt die im Ausgangsbescheid getroffene Regelung für einen späteren Zeitraum wiederholt und das geänderte Klagebegehren im wesentlichen denselben Streitstoff betrifft wie das ursprünglich durchgeführte Vorverfahren (BVerwG NJW 1970, 1564, 1565; DVBl 1982, 1892). Dem Zweck des Vorverfahrens, die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zunächst durch die Verwaltung selbst überprüfen zu lassen, ist vorliegend aufgrund der extremen Nähe der Sachverhalte (Folgemonate nach dem 31. Dezember 2004, Aufhebung des gleichen Ausgangsbescheides für die Vergangenheit) durch die im Ausgangsverfahren getroffene Widerspruchsentscheidung Genüge getan.

Zu Recht hat die Beklagte die Hinzuverdienstgrenze unter Zugrundelegung der vom Kläger vorgelegten Einkommenssteuerbescheide berechnet. Zu Unrecht hat die Beklagte jedoch die Voraussetzungen nach § 45 SGB X für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 18. Februar 2005 für gegeben erachtet.

Gemäß § 45 Abs 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 SGB X lautet: Absatz 1: "Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden." Absatz 2: "Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat." Absatz 3: "Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen ". Absatz 4: "Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen."

Der die Rente bewilligende Bescheid vom 18. Februar 2005 ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Der Bewilligungsbescheid war von Anfang an teilweise rechtswidrig, denn die Hinzuverdienstgrenzen waren bei Beginn der Rente am 1. September und bis zum 31. Dezember 2004 aber auch in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2005 überschritten, so dass der Kläger keinen Anspruch auf die volle Höhe der Rente wegen voller Erwerbsminderung hatte, sondern von September bis Dezember 2004 gar kein Anspruch auf Rente bestand und im Jahre 2005 nur ein Anspruch in Höhe von drei Vierteln der Vollrente bestand.

Gemäß § 96a SGB VI wird die Rente nur dann voll geleistet, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit die maßgeblichen monatlichen Hinzuverdienstgrenzen nicht überschreitet. Zu Recht hat die Beklagte bei der Berechnung des Hinzuverdienstes die Einkommenssteuerbescheide 2004 und 2005 zugrunde gelegt. Was unter Arbeitseinkommen zu verstehen ist, ist der allgemeinen Norm des § 15 SGB IV zu entnehmen (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2004, B 13 RJ 13/04 R, juris). Gemäß § 15 Abs 1 SGB IV in der ab 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2005 geltenden Fassung ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. In ständiger Rechtsprechung hat das BSG insoweit entschieden, dass der Begriff der selbstständigen Tätigkeit i.S.d. § 15 SGB IV alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundenen Einkunftsarten erfasst, das sind nach dem Katalog des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG), Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG), Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 EStG) sowie diesen gleichgestellte Einkünfte (BSG, Urteil vom 30. März 2006 m.w.N., B 10 KR 2/04 R, juris). Dabei ist grundsätzlich von einer Parallelität von Sozialversicherungsrecht und Einkommenssteuerrecht auszugehen (vgl. BSG Urteile vom 7. Oktober 2004, B 13 RJ 13/04 R; 17. Februar 2005, B 13 RJ 43/03 R; 3. Mai 2005, B 13 RJ 8/04 R; 30. März 2006, B 10 KR 2/04 R in ständiger Rechtsprechung, juris). Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen. Denn grundsätzlich war es gerade die Absicht des Gesetzgebers, mit der Neufassung des § 15 SGB IV ab 1. Januar 1995 die Parallelität herzustellen. § 15 Abs 1 SGB IV a.F., wonach bei der Ermittlung des Gewinns steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen waren, ist ersatzlos gestrichen worden. Die Begründung im Gesetzentwurf (BT-Drucks. 12/5700 S.92 zu Art 3 Nr. 2) führt dazu an, dass die ersatzlose Streichung des § 15 Satz 2 SGB IV a.F. aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung erfolge. Die Regelung des § 15 Satz 2 führe in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten. Der Begriff der steuerlichen Vergünstigung sei im Einkommenssteuerrecht nicht eindeutig bestimmt, die Rentenversicherung müsste deshalb selbst das entsprechende Steuerrecht auslegen. Fehler bei der Rechtsanwendung und lange Bearbeitungszeiten seien die Folge. Entspreche das Arbeitseinkommen dem steuerrechtlichen Gewinn, könnten die Angaben direkt aus dem Einkommensteuerbescheid übernommen werden. Einschränkungen hat dieser Grundsatz insoweit durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erhalten, als jedenfalls dann nicht auf die Feststellung der Finanzverwaltung zurückzugreifen ist, wenn der Betroffene gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellung oder steuerrechtlichen Bewertung des Finanzamts schlüssige und erhebliche Einwendungen erhebt (BSG vom 30. März 2006, B 10 KR 2/04 R, juris). Weiter findet die Parallelität zum Einkommensteuerrecht dort ihre Grenzen, wo auch steuerrechtlich gerade keine selbstständige Tätigkeit i.S. des § 2 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG zugrunde liegt (BSG, Urteil vom 17. Februar 2005, B 13 RJ 43/03 R, juris) oder keine eigene selbstständige Tätigkeit vorliegt (für den Fall einer Hinterbliebenenrente: Urteil des BSG vom 27. Januar 1999, B 4 RA 17/98 R, juris). Diese Ausnahmen liegen hier nicht vor. Der Kläger erzielt Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, nämlich durch Beteiligung aus Gewerbebetrieb einschließlich Vermietung des Betriebsgrundstücks. Nachdem der Kläger selbst nicht gegen die Einordnung seiner Einkünfte steuerrechtlich vorgegangen ist, besteht grundsätzlich kein Raum, neben dem steuerrechtlichen Begriff der Gewinneinkünfte aus selbstständiger Tätigkeit eine Grundentscheidung zu treffen, ob eine selbstständige Tätigkeit vorliegt (vgl. BSG vom 07. Oktober 2004, B 13 RJ 13/04 R, juris). Für das hier angewandte Prinzip der Betriebsaufspaltung als im Steuerrecht anerkanntes Institut (vgl. BSG vom 13. September 1997, 4 RA 122/95, juris), bei dem die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wegen der personellen Verflechtung zwischen Besitz und Betriebsunternehmen Einkünfte aus Gewerbebetrieb darstellen, entschieden worden, dass es sich insoweit um Arbeitseinkommen i.S.d. § 15 SGB IV handelt (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Oktober 2009, Az. L 20 R 82/08, juris).

Zu Unrecht hat die Beklagte die Voraussetzungen nach § 45 SGB X als gegeben erachtet.

Die Jahresfristen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides durch die Bescheid vom 14. Juli 2007 und 30. Oktober 2008 sind gewahrt. Die Beklagte hat von den Einkünften 2004 durch Übersendung des Einkommenssteuerbescheides vom 8. März 2006 mit Schreiben vom 16. Oktober am 18. Oktober 2006 erfahren. Von den Einkünften 2005 hat die Beklagte durch Übersendung des Steuerbescheids vom 27. März 2007 am 7. Juli 2008 erfahren.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit gem. § 45 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 SGB X liegen im Hinblick auf beide mit der Klage angegriffenen Bescheide nicht vor.

Die Tatbestandsvoraussetzungen für § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X (vorsätzlich oder grob fahrlässige Falschangaben) sind nicht erfüllt.

Der Bewilligungsbescheid beruht zwar auf falschen Angaben, die der Kläger gemacht hat. Der Kläger hatte in einem Schreiben an die Beklagte vom 3. Februar 2005 zusammen mit seinem Steuerberater angegeben, dass sein Gewinn aus Gewerbebetrieb vom 1. September 2004 bis 8. November 2004 0,- Euro betrage und in einem Schreiben an die Beklagte vom 24. Mai 2005 wiederum zusammen mit seinem Steuerberater angegeben, sein Gewinn aus Gewerbebetrieb für die Zeit vom 1. September 2004 bis 30. April 2005 habe ebenfalls 0,- Euro betragen.

Allerdings waren diese fehlerhaften Angaben zur Überzeugung der Kammer nicht grob fahrlässig. Für die Frage der groben Fahrlässigkeit ist die Legaldefinition des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X maßgeblich, d.h. der Begünstigte muss die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt haben. Maßgebend dafür ist die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten, also ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Diese Sorgfalt ist in besonders schwerem Maße verletzt, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Angaben sind jedenfalls dann falsch gemacht, wenn dem Versicherten ohne weitere Überlegungen klar sein musste, dass er den betreffenden Umstand mitteilen musste. Im vorliegenden Falle wurde seitens der Beklagten formularmäßig die Frage nach dem "nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelten Gewinn aus Einkünften aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und aus Land- und Forstwirtschaft" gestellt. Für die Höhe des Gewinns sei gegebenenfalls eine gewissenhafte Schätzung erforderlich. Rechtlich schwierige Fragen gehören jedoch nicht zu den "einfachsten, naheliegendsten Überlegungen", bei deren Nichtbeachtung eine grob fahrlässige Missachtung der Sorgfaltspflichten gesehen werden kann. Die Angaben des Steuerberaters sind dem Kläger zwar zuzurechnen, aber bei der Frage des Gewinns im Sinne des § 15 SGB IV handelt es sich im Ergebnis um die Auslegung eines Rechtsbegriffes. Im Hinblick auf die hier vorliegende Konstellation einer Betriebsaufspaltung und eines Verlustausgleichs gem. § 15 a EStG musste es sich für den Kläger und seinen Steuerberater nicht aufdrängen, dass die voraussichtlichen Einkünfte allein aus dem Einkommenssteuerbescheid unter Außerachtlassung des nach § 15 a EStG nicht abzugsfähigen Verlusts anzugeben gewesen wären. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Auslegung solcher steuerrechtlicher Begriffe Gegenstand vielfältiger Rechtsprechung ist und war, also keineswegs eindeutig ist. Aus diesen Gründen ist grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr. 3 zu verneinen. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte auch eine "gewissenhafte Schätzung" ausreichen ließ. Bei einer Schätzung ist jedoch grundsätzlich ein etwas geringeres Ausmaß an Richtigkeit zu erwarten, als bei sonstigen Auskünften.

Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X (Kenntnis oder Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit) liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger konnte aus den bereits oben genannten Gründen aus dem Bewilligungsbescheid nicht entnehmen, dass er keinen Anspruch auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung hatte. Insbesondere wurde auch in dem Bewilligungsbescheid bei der Belehrung über die Hinzuverdienstgrenzen lediglich über die "Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit" belehrt, nicht aber darüber, dass dies auch bei Einstellung jeglicher Aktivitäten gilt, also auch bei Einkünften aus Gewerbebetrieb durch Beteiligung. Im Übrigen gelten die oben gemachten Ausführungen zu den Auslegungsschwierigkeiten bei steuerrechtlichen Begriffen im Rentenrecht. Eine Rücknahme für die Vergangenheit wie hier geschehen war daher nicht zulässig. Nachdem weder die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3SGB X gegeben sind, noch der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde, hat der Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2005 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden können. Die Rücknahme ist jedoch erst mit Bescheiden vom 14. Juni 2007 und 30. Oktober 2008 erfolgt, also nicht innerhalb der Zweijahresfrist. Beide Rücknahmebescheide sind insgesamt rechtswidrig.

Im Übrigen hat die Kammer Zweifel an einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung in dem Bescheid vom 14. Juni 2007. Dort hat die Beklagte unter anderem deswegen, weil der Kläger nicht auf das Anhörungsschreiben reagiert hat, die Ermessensausübung nur formelhaft erwähnt. Im Widerspruchsbescheid wird § 45 SGB X überhaupt nicht mehr erwähnt und es werden dementsprechend auch keinerlei Ermessenserwägungen angestellt, obwohl der Kläger sich nunmehr durchaus geäußert hatte. Es werden lediglich Ausführungen zu § 96a SGB VI und § 15 SGB IV gemacht und überhaupt keine Ausführungen, die erkennen lassen, dass der Beklagten ihr Ermessen bewusst gewesen ist. Der maßgebliche abschließende Satz im Widerspruchsbescheid lautet: "Der Rentenbescheid vom 18. Februar 2005 war daher hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 1. September 2004 nach § 45 SGB X zurückzunehmen." Die Beklagte hat den Ermessensnichtgebrauch auch nicht geheilt. Zwar kann die erforderliche Begründung eines Verwaltungsaktes gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB X in seiner seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung noch bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. § 41 Abs. 2 SGB X ermöglicht es jedoch nicht, Ermessenserwägungen während des Klage- oder Berufungsverfahren erstmals anzustellen und mit heilender Wirkung nachzuschieben (vgl. von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 5. Aufl. 2005, § 41 Rdnr. 7). Vor diesem Hintergrund erlaubt § 41 Abs. 2 SGB X der Behörde allenfalls, die Ermessenserwägungen nachträglich mitzuteilen, die sie bei Erlass des Verwaltungsaktes tatsächlich angestellt, aber (irrtümlich oder nachlässigerweise) nicht in die Begründung des Bescheides aufgenommen hat, (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2006 L 29 B 1104/05 AS ER - und Steinwedel in: Kasseler Kommentar, SGB X, § 41 Rn. 24

und 25). Da die Beklagte im Widerspruchsbescheid aber offenbar von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist, ist eine nachträgliche Ermessensausübung im laufenden Klageverfahren ausgeschlossen gewesen.

Entsprechend dem Klageantrag wird er der Bescheid vom 14. Juni 2007 abgeändert, soweit hierdurch der Bescheid vom 18. Februar 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe auf Null reduziert wurde, stattdessen eine Reduzierung nur auf ¾ der Rente wegen voller Erwerbsminderung vorgenommen und der zu zahlende Erstattungsbetrag entsprechend gemindert. Bereits im Widerspruchsverfahren hatte die Beklagte den Widerspruch teilweise zurückgenommen. Dort wurde von einem Hinzuverdienst von 7.639,80 EUR (636,65 EUR im Monat) ausgegangen und der Widerspruch reduziert auf die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von ¾. Den gleichen Klageantrag hat der Kläger bei entsprechender Auslegung auch im Klageverfahren gestellt. Zwar wird die Aufhebung des angegriffenen Bescheides begehrt, aber in der Klagebegründung ein Anspruch in Höhe von 3/4 der Vollrente geltend gemacht. Der Klage war in dem vom Kläger beantragten Umfange stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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