Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 15/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 35/14 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Offene Erfolgsaussichten für eine Klage gegen die Ablehnung eines Erlasses einer Forderung.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 29.01.2014 wird aufgehoben.
II. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B., B-Stadt, zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwaltes beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG). Streitig ist dort der Erlass einer Forderung der Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Grundsicherung für den Landkreis Lüneburg (ARGE), mit deren Einziehung die Beklagte beauftragt ist.
Zusammen mit seiner Ehefrau bewohnt der 1948 geborene Kläger eine Wohnung in Polen. Er bezieht eine Rente von der Deutschen Rentenversicherung In Höhe von 745,40 EUR. Nach eigenen Angaben verdiene seine Ehefrau monatlich 180 EUR. Die Kaltmiete betrage 300 EUR und für Gas, Wasser, Abwasser, Strom und Müllabfuhr müsse er 160 EUR zahlen.
Mit Schreiben vom 05.09.2013 forderte die Beklagte den Kläger auf, eine restliche Forderung aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der ARGE vom 02.11.2009 - mit diesem war die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.11.2007 bis 31.01.2009 wegen zumindest grob fahrlässig gemachten falschen Angaben in Bezug auf den Aufenthalt in Deutschland aufgehoben und die Erstattung von 13.042,64 EUR gefordert worden - und Mahngebühren in Höhe von 12.283,79 EUR zu bezahlen. Der Kläger teilte hierzu mit, sein alleiniges Einkommen in Form einer Rente betrage monatlich 745,40 EUR, weshalb er die Forderung nicht begleichen könne. Es werde deren "Niederschlagung" beantragt. Mit Bescheid vom 12.09.2013 lehnt die Beklagte den Erlass der Forderung mangels Unbilligkeit ab. Der Kläger lebe im Ausland und eine Hilfebedürftigkeit im Sinne des Sozialgesetzbuches liege nicht vor. Insbesondere sei seine wirtschaftliche Existenz durch die Einziehung der Forderung nicht vernichtet oder ernsthaft gefährdet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Ein Erlass komme dann nicht in Betracht, wenn eine Stundung ausreiche, um den mit der Einziehung der Forderung verbundenen "Härten" Rechnung zu tragen. Die monatliche Rente des Klägers in Höhe von 745,40 EUR könne wie Arbeitseinkommen übertragen/verpfändet sowie gepfändet werden. Zur Ermittlung der pfändbaren Beträge seien die Werte der Tabelle zu § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) heranzuziehen. Nach der ab dem 01.07.2012 geltenden Fassung betrage die Pfändungsfreigrenze grundsätzlich 1.028,89 EUR monatlich. Im Hinblick auf den Wohnsitz in Polen sei die für den Kläger geltende Pfändungsfreigrenze nach dem Lebenshaltungsindex zu berechnen, der laut UBS für Polen 68,9 % betrage. Daraus ergebe sich eine individuelle Pfändungsfreigrenze in Höhe von 708,91 EUR, die unter dem monatlichen Einkommen des Klägers liege. Aus den vorliegenden Unterlagen und auch aus den sonstigen bekannten Umständen ergebe sich keine Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz.
Der Kläger hat dagegen Klage zum SG erhoben und die Bewilligung von PKH beantragt. Er bestreite seinen Lebensunterhalt derzeit mit der Rente in Höhe von 745,40 EUR. Seine Miete betrage 460 EUR, die Heizkosten und sonstige Nebenkosten 124 EUR. Mit Beschluss vom 29.01.2014 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Die Voraussetzungen für einen Erlass der Forderung lägen nicht vor. Es fehle an einer Unbilligkeit der Einziehung.
Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Pfändungsfreigrenze liege seit 01.07.2013 für eine Person bei 1.049,99 EUR und unter Berücksichtigung der Ehefrau bei 1.279,99 EUR. Die Berechnung der Kosten in Polen sei nicht mehr zeitgemäß. Es seien die Zahlen aus 2009 zugrunde gelegt worden. Auch eine Erlassunwürdigkeit sei nicht gegeben. Er sei vom Amtsgericht Lüneburg freigesprochen worden. Letztlich habe auch die ARGE nicht mit Sicherheit darlegen können, dass Leistungen zu Unrecht bezogen worden seien.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch begründet. Dem Kläger ist für das erstinstanzliche Verfahren PKH zu bewilligen.
Nach § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R - juris - Rn 26 = SozR 3-1500 § 62 Nr 19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 73a Rn 7) ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH-Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind nicht im PKH-Verfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993 - 1 BvR 1523/92 - juris - Rn 21 = NJW 1994, 241f). PKH muss jedoch nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (vgl BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - Rn 29 - juris = BVerfGE 81, 347ff). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 - juris - Rn 23 = NJW 2008, 1060ff).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage in diesem Sinne ist nicht auszuschließen. Es erscheint fraglich, ob die von der Beklagten im Bescheid vom 12.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2013 getroffene Entscheidung rechtmäßig ist.
Nach § 44 SGB II dürfen die Leistungsträger nach dem SGB II - mithin auch die Beklagte als Leistungsträger iSv § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II - Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Es handelt sich dabei im Hinblick auf den Wortlaut ("darf") um eine Ermessensentscheidung. Der Begriff "unbillig" kann dabei nicht losgelöst davon gewürdigt werden, dass er ein Können der Behörde zur Folge hat. Eine Aufspaltung in einen unbestimmten Rechtsbegriff (unbillig) und ein Folgeermessen (kann) würde dazu führen, dass kein Raum für eine Ermessensentscheidung der Behörde bestünde. Ist eine Unbilligkeit anzunehmen, wäre der Erlass zu gewähren, anderenfalls abzulehnen. Eine solche unlösbare Verzahnung zwingt dazu, nur eine einheitlich zu treffende Ermessensentscheidung anzunehmen (vgl dazu eingehend BSG, Urteil vom 09.02.1995 - 7 RAr 78/93 - juris - zu § 59 Bundeshaushaltsordnung -BHO-).
Jedenfalls unter Berücksichtigung des Widerspruchsbescheides hat die Beklagte vorliegend eine Ermessensentscheidung getroffen. Für eine sachliche Unbilligkeit (vgl dazu Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 44 Rn 12; Pilz in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2011, § 44 SGB II Rn 11) gibt es keine Anhaltspunkte. Insbesondere trägt die Beklagte kein Verschulden an der rechtswidrigen Leistungserbringung an den Kläger.
Es könnte jedoch eine persönliche Unbilligkeit vorliegen. Eine solche ist insbesondere anzunehmen, wenn der Schuldner ohne Erlass den notwendigen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten könnte (vgl BVerwG, Urteil vom 23.08.1990 - 8 C 42/88 - NJW 1991, 1073; Pilz aaO Rn 8). Dabei sind auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ehegatten zu berücksichtigen (BVerwG aaO mit Verweis auf BFH, Beschluss vom 31.03.1982 - I B 97/81 - BStBl. 1982 II 530). Unabhängig davon, dass - unter Berücksichtigung der Ehefrau - wohl auch unter Zugrundelegung der Berechnungsmaßstäbe der Beklagten die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO (ab 01.07.2013) im Hinblick auf das Renteneinkommen des Klägers nicht erreicht sein dürften, wäre auch unter Berücksichtigung einer Bedarfsberechnung nach dem SGB II bzw. dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) von einer fehlenden Möglichkeit zur Bestreitung des Lebensunterhaltes auszugehen. Zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2013 - betrug der maßgebliche Regelbedarf bei Eheleuten insgesamt 690 EUR (2 x 345 EUR). Unter Berücksichtigung des Lebenshaltungskostenindex für Polen, den die Beklagte mit 68,9% angesetzt hat - dies dürfte im Hinblick auf die vergleichenden Preisniveaus von Eurostat (http://epp.eurostat.ec.europa.eu) für 2012 für Deutschland mit 101,1 und für Polen mit 56,7 nicht unrealistisch sein -, ergibt sich ein Bedarf für Polen von 475,41 EUR (68,9% von 690 EUR). Zuzüglich der Miete und der Nebenkosten von insgesamt 460 EUR (300 EUR zzgl. 160 EUR) könnte dieser Bedarf von insgesamt 935,41 EUR vom Gesamteinkommen der Eheleute in Höhe von 925,40 EUR (745,40 EUR + 180 EUR) nicht gedeckt werden. Hinzu kommt, dass der Kläger bereits 65 Jahre alt ist und davon ausgegangen werden kann, dass sich seine Einkommenslage nicht nachhaltig verbessern wird. Allerdings wird das SG ggf. noch Ermittlungen zur genauen Höhe der Miete und der Nebenkosten sowie der Höhe des Einkommens der Ehefrau treffen müssen.
Es ist derzeit ohne weitere Ermittlungen auch nicht feststellbar, ob der Kläger tatsächlich erlassunwürdig ist und deshalb ein Erlass ausscheiden könnte (vgl dazu BFH, Urteil vom 02.03.1961 - IV 126/60 U - BFHE 73, 53; Pilz aaO Rn 10; Greiser aaO Rn 11). Eine Erlassunwürdigkeit kann bei einem Erstattungsanspruch z.B. angenommen werden, wenn die unrechtmäßige Erbringung der Leistung durch vorsätzliche Falschangaben bewirkt worden ist (Pilz aaO). Ob der Kläger die falschen Angaben zu seinem Aufenthaltsort seinerzeit vorsätzlich gemacht hat, ist derzeit unklar. Der Kläger hat vorgetragen, ein entsprechendes Strafverfahren sei eingestellt worden. Aus dem zugrundeliegenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der ARGE vom 02.11.2009 geht nur hervor, dass die Angaben zumindest grob fahrlässig falsch gemacht worden sind. Ob sich hierzu weiteres aus dem gegen den Bescheid gerichteten Widerspruchs- bzw. Klageverfahren ergibt, ist nach Aktenlage nicht erkennbar. Auch scheint in Rechtsprechung und Literatur bisher offen, ob schon grob fahrlässiges Verhalten zu einer Erlassunwürdigkeit führen kann. Das SG hat sich hierzu in seinem Beschluss vom 29.01.2014 nicht eingelassen. Dort bleibt völlig offen, aus welchen Gründen das SG vom Nichtvorliegen der Erlassvoraussetzungen ausgeht.
Nach alledem kann eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage vor dem SG nicht ausgeschlossen werden. Ob hier die Beklagte über einen Erlass auch in Bezug auf die zurückgeforderten Leistungen für Unterkunft und Heizung entscheiden konnte, oder hierfür nicht - vorbehaltlich einer etwaigen Übertragung der Befugnis - vielmehr der Jobcenter (früher ARGE) bzw. der kommunale Träger der Leistungen nach dem SGB II zuständig ist, kann insofern für eine Bewilligung der PKH dahinstehen.
Dem Kläger war deshalb PKH für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen und ihm sein Bevollmächtigter beizuordnen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Bewilligung von PKH ohne Ratenzahlung liegen vor.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
II. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B., B-Stadt, zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwaltes beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG). Streitig ist dort der Erlass einer Forderung der Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Grundsicherung für den Landkreis Lüneburg (ARGE), mit deren Einziehung die Beklagte beauftragt ist.
Zusammen mit seiner Ehefrau bewohnt der 1948 geborene Kläger eine Wohnung in Polen. Er bezieht eine Rente von der Deutschen Rentenversicherung In Höhe von 745,40 EUR. Nach eigenen Angaben verdiene seine Ehefrau monatlich 180 EUR. Die Kaltmiete betrage 300 EUR und für Gas, Wasser, Abwasser, Strom und Müllabfuhr müsse er 160 EUR zahlen.
Mit Schreiben vom 05.09.2013 forderte die Beklagte den Kläger auf, eine restliche Forderung aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der ARGE vom 02.11.2009 - mit diesem war die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.11.2007 bis 31.01.2009 wegen zumindest grob fahrlässig gemachten falschen Angaben in Bezug auf den Aufenthalt in Deutschland aufgehoben und die Erstattung von 13.042,64 EUR gefordert worden - und Mahngebühren in Höhe von 12.283,79 EUR zu bezahlen. Der Kläger teilte hierzu mit, sein alleiniges Einkommen in Form einer Rente betrage monatlich 745,40 EUR, weshalb er die Forderung nicht begleichen könne. Es werde deren "Niederschlagung" beantragt. Mit Bescheid vom 12.09.2013 lehnt die Beklagte den Erlass der Forderung mangels Unbilligkeit ab. Der Kläger lebe im Ausland und eine Hilfebedürftigkeit im Sinne des Sozialgesetzbuches liege nicht vor. Insbesondere sei seine wirtschaftliche Existenz durch die Einziehung der Forderung nicht vernichtet oder ernsthaft gefährdet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Ein Erlass komme dann nicht in Betracht, wenn eine Stundung ausreiche, um den mit der Einziehung der Forderung verbundenen "Härten" Rechnung zu tragen. Die monatliche Rente des Klägers in Höhe von 745,40 EUR könne wie Arbeitseinkommen übertragen/verpfändet sowie gepfändet werden. Zur Ermittlung der pfändbaren Beträge seien die Werte der Tabelle zu § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) heranzuziehen. Nach der ab dem 01.07.2012 geltenden Fassung betrage die Pfändungsfreigrenze grundsätzlich 1.028,89 EUR monatlich. Im Hinblick auf den Wohnsitz in Polen sei die für den Kläger geltende Pfändungsfreigrenze nach dem Lebenshaltungsindex zu berechnen, der laut UBS für Polen 68,9 % betrage. Daraus ergebe sich eine individuelle Pfändungsfreigrenze in Höhe von 708,91 EUR, die unter dem monatlichen Einkommen des Klägers liege. Aus den vorliegenden Unterlagen und auch aus den sonstigen bekannten Umständen ergebe sich keine Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz.
Der Kläger hat dagegen Klage zum SG erhoben und die Bewilligung von PKH beantragt. Er bestreite seinen Lebensunterhalt derzeit mit der Rente in Höhe von 745,40 EUR. Seine Miete betrage 460 EUR, die Heizkosten und sonstige Nebenkosten 124 EUR. Mit Beschluss vom 29.01.2014 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Die Voraussetzungen für einen Erlass der Forderung lägen nicht vor. Es fehle an einer Unbilligkeit der Einziehung.
Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Pfändungsfreigrenze liege seit 01.07.2013 für eine Person bei 1.049,99 EUR und unter Berücksichtigung der Ehefrau bei 1.279,99 EUR. Die Berechnung der Kosten in Polen sei nicht mehr zeitgemäß. Es seien die Zahlen aus 2009 zugrunde gelegt worden. Auch eine Erlassunwürdigkeit sei nicht gegeben. Er sei vom Amtsgericht Lüneburg freigesprochen worden. Letztlich habe auch die ARGE nicht mit Sicherheit darlegen können, dass Leistungen zu Unrecht bezogen worden seien.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch begründet. Dem Kläger ist für das erstinstanzliche Verfahren PKH zu bewilligen.
Nach § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält PKH ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl BSG, Urteil vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R - juris - Rn 26 = SozR 3-1500 § 62 Nr 19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 73a Rn 7) ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH-Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen sind nicht im PKH-Verfahren zu entscheiden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl BVerfG, Beschluss vom 14.07.1993 - 1 BvR 1523/92 - juris - Rn 21 = NJW 1994, 241f). PKH muss jedoch nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (vgl BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - Rn 29 - juris = BVerfGE 81, 347ff). Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchstrichterliche Klärung noch aus, so ist es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen der fehlenden Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 - juris - Rn 23 = NJW 2008, 1060ff).
Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage in diesem Sinne ist nicht auszuschließen. Es erscheint fraglich, ob die von der Beklagten im Bescheid vom 12.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2013 getroffene Entscheidung rechtmäßig ist.
Nach § 44 SGB II dürfen die Leistungsträger nach dem SGB II - mithin auch die Beklagte als Leistungsträger iSv § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II - Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Es handelt sich dabei im Hinblick auf den Wortlaut ("darf") um eine Ermessensentscheidung. Der Begriff "unbillig" kann dabei nicht losgelöst davon gewürdigt werden, dass er ein Können der Behörde zur Folge hat. Eine Aufspaltung in einen unbestimmten Rechtsbegriff (unbillig) und ein Folgeermessen (kann) würde dazu führen, dass kein Raum für eine Ermessensentscheidung der Behörde bestünde. Ist eine Unbilligkeit anzunehmen, wäre der Erlass zu gewähren, anderenfalls abzulehnen. Eine solche unlösbare Verzahnung zwingt dazu, nur eine einheitlich zu treffende Ermessensentscheidung anzunehmen (vgl dazu eingehend BSG, Urteil vom 09.02.1995 - 7 RAr 78/93 - juris - zu § 59 Bundeshaushaltsordnung -BHO-).
Jedenfalls unter Berücksichtigung des Widerspruchsbescheides hat die Beklagte vorliegend eine Ermessensentscheidung getroffen. Für eine sachliche Unbilligkeit (vgl dazu Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 44 Rn 12; Pilz in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2011, § 44 SGB II Rn 11) gibt es keine Anhaltspunkte. Insbesondere trägt die Beklagte kein Verschulden an der rechtswidrigen Leistungserbringung an den Kläger.
Es könnte jedoch eine persönliche Unbilligkeit vorliegen. Eine solche ist insbesondere anzunehmen, wenn der Schuldner ohne Erlass den notwendigen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten könnte (vgl BVerwG, Urteil vom 23.08.1990 - 8 C 42/88 - NJW 1991, 1073; Pilz aaO Rn 8). Dabei sind auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ehegatten zu berücksichtigen (BVerwG aaO mit Verweis auf BFH, Beschluss vom 31.03.1982 - I B 97/81 - BStBl. 1982 II 530). Unabhängig davon, dass - unter Berücksichtigung der Ehefrau - wohl auch unter Zugrundelegung der Berechnungsmaßstäbe der Beklagten die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO (ab 01.07.2013) im Hinblick auf das Renteneinkommen des Klägers nicht erreicht sein dürften, wäre auch unter Berücksichtigung einer Bedarfsberechnung nach dem SGB II bzw. dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) von einer fehlenden Möglichkeit zur Bestreitung des Lebensunterhaltes auszugehen. Zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2013 - betrug der maßgebliche Regelbedarf bei Eheleuten insgesamt 690 EUR (2 x 345 EUR). Unter Berücksichtigung des Lebenshaltungskostenindex für Polen, den die Beklagte mit 68,9% angesetzt hat - dies dürfte im Hinblick auf die vergleichenden Preisniveaus von Eurostat (http://epp.eurostat.ec.europa.eu) für 2012 für Deutschland mit 101,1 und für Polen mit 56,7 nicht unrealistisch sein -, ergibt sich ein Bedarf für Polen von 475,41 EUR (68,9% von 690 EUR). Zuzüglich der Miete und der Nebenkosten von insgesamt 460 EUR (300 EUR zzgl. 160 EUR) könnte dieser Bedarf von insgesamt 935,41 EUR vom Gesamteinkommen der Eheleute in Höhe von 925,40 EUR (745,40 EUR + 180 EUR) nicht gedeckt werden. Hinzu kommt, dass der Kläger bereits 65 Jahre alt ist und davon ausgegangen werden kann, dass sich seine Einkommenslage nicht nachhaltig verbessern wird. Allerdings wird das SG ggf. noch Ermittlungen zur genauen Höhe der Miete und der Nebenkosten sowie der Höhe des Einkommens der Ehefrau treffen müssen.
Es ist derzeit ohne weitere Ermittlungen auch nicht feststellbar, ob der Kläger tatsächlich erlassunwürdig ist und deshalb ein Erlass ausscheiden könnte (vgl dazu BFH, Urteil vom 02.03.1961 - IV 126/60 U - BFHE 73, 53; Pilz aaO Rn 10; Greiser aaO Rn 11). Eine Erlassunwürdigkeit kann bei einem Erstattungsanspruch z.B. angenommen werden, wenn die unrechtmäßige Erbringung der Leistung durch vorsätzliche Falschangaben bewirkt worden ist (Pilz aaO). Ob der Kläger die falschen Angaben zu seinem Aufenthaltsort seinerzeit vorsätzlich gemacht hat, ist derzeit unklar. Der Kläger hat vorgetragen, ein entsprechendes Strafverfahren sei eingestellt worden. Aus dem zugrundeliegenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der ARGE vom 02.11.2009 geht nur hervor, dass die Angaben zumindest grob fahrlässig falsch gemacht worden sind. Ob sich hierzu weiteres aus dem gegen den Bescheid gerichteten Widerspruchs- bzw. Klageverfahren ergibt, ist nach Aktenlage nicht erkennbar. Auch scheint in Rechtsprechung und Literatur bisher offen, ob schon grob fahrlässiges Verhalten zu einer Erlassunwürdigkeit führen kann. Das SG hat sich hierzu in seinem Beschluss vom 29.01.2014 nicht eingelassen. Dort bleibt völlig offen, aus welchen Gründen das SG vom Nichtvorliegen der Erlassvoraussetzungen ausgeht.
Nach alledem kann eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage vor dem SG nicht ausgeschlossen werden. Ob hier die Beklagte über einen Erlass auch in Bezug auf die zurückgeforderten Leistungen für Unterkunft und Heizung entscheiden konnte, oder hierfür nicht - vorbehaltlich einer etwaigen Übertragung der Befugnis - vielmehr der Jobcenter (früher ARGE) bzw. der kommunale Träger der Leistungen nach dem SGB II zuständig ist, kann insofern für eine Bewilligung der PKH dahinstehen.
Dem Kläger war deshalb PKH für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen und ihm sein Bevollmächtigter beizuordnen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Bewilligung von PKH ohne Ratenzahlung liegen vor.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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