L 19 R 787/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 4564/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 787/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Verweisbarkeit einer Fleischereifachverkäuferin auf zumutbare Tätigkeiten.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.08.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Die 1957 geborene Klägerin erlernte von August 1972 bis Juli 1975 den Beruf einer Fleischereifachverkäuferin. In der Folgezeit war sie nach ihren Angaben im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb tätig, wobei sie ab 1990 wieder eine Beschäftigung als Fleischereifachverkäuferin aufnahm.

Auf eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme hin erfolgte im Frühjahr 2004 zunächst eine Wiedereingliederung in den Betrieb. Ab dem 12.07.2004 wurde der Klägerin erneut Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und nach diesem Zeitpunkt ging die Klägerin ihrer Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr nach. Zunächst bezog die Klägerin Krankengeld; in der Zeit vom 17.05.2005 bis 12.05.2006 wurde dann eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben durchgeführt, mit der die Klägerin insbesondere durch PC-Kurse auf Büroarbeiten vorbereitet wurde. Ab dem 13.05.2006 war die Klägerin arbeitslos gemeldet und bezog bis 11.05.2007 Arbeitslosengeld I. Im September 2006 wurde bei der Klägerin durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Unterfranken eine gesundheitliche Einschränkung mit einem GdB von 20 festgestellt.

Am 15.03.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Auf Veranlassung der Beklagten wurde die Klägerin am 29.03.2007 durch den Orthopäden Dr. S. und am 16.04.2007 neurologisch-psychiatrisch durch Dr. D. und Diplommedizinerin L. untersucht. Zusammengefasst wurden dabei folgende Gesundheitsstörungen bei der Klägerin beschrieben:
1. Chronisches Lumbalsyndrom mit Einschränkung der Beweglichkeit bei einem röntgenologisch nachweisbaren deutlichen Bandscheibenschaden L4/L5 ohne radikuläre Ausfälle.
2. Leichtes Impingementsyndrom an beiden Schultergelenken mit endgradiger Einschränkung des Abspreizens der Arme.
3. Senk-Spreizfüße.
4. Migränesymptomatik, medikamentös kompensiert.
Aus sozialmedizinischer Sicht sei die Klägerin sowohl für die Tätigkeit der Fleischereifachverkäuferin als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten täglich 6 Stunden und mehr einsatzfähig. Das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken, ständige Zwangshaltungen des Rumpfes sowie häufige Überkopfarbeit mit beiden Armen seien zu vermeiden.

Der beratende Arzt der Beklagten Dr. L. sah eine Einsatzfähigkeit für mittelschwere Tätigkeiten ohne länger dauernde Zwangshaltungen und ohne gehäufte Überkopfarbeit als möglich an. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.05.2007 eine Rentengewährung ab, da weder teilweise, noch volle Erwerbsminderung vorliege und die Klägerin auch in der Lage sei, in ihrem bisherigen Beruf mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 15.05.2007 Widerspruch ein und berief sich im Weiteren auf ein Attest des Orthopäden Dr. W. vom 25.05.2007, wonach sie aufgrund schwerer orthopädischer Erkrankungen im Beruf als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr einsatzfähig sei. Auch Dr. S. aus der behandelnden allgemeinmedizinischen Praxis unterstützte den Widerspruch der Klägerin und gab, dass aufgrund der vorliegenden Erkrankungen eine Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr (auch nicht in einem Umfang von 3/4) möglich sei. Nach Einholung eines Befundberichts bei Dr. W. kam die beratende Ärztin der Beklagten, Frau S., am 24.09.2007 zum Ergebnis, dass wegen der qualitativen Einschränkungen für die Klägerin die Tätigkeit der Fleischereifachverkäuferin nur noch reduziert möglich sei.

Die Beklagte zog berufskundliche Angaben aus ihrem Berufsgruppenkatalog zur Tätigkeit einer Kassiererin an Etagenkassen in großen Bekleidungsgeschäften bei. Danach handele es sich um eine körperlich leichte Tätigkeit überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum Haltungswechsel; bei Einschränkungen der Stressbelastbarkeit sei die Einsatzfähigkeit im Einzelnen zu prüfen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Einschränkung der Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei nicht belegt. Zwar sei wegen der Anforderung des schweren Hebens die Tätigkeit der Fleischereifachverkäuferin nur noch reduziert möglich; es liege jedoch weiterhin ein 6-stündiges Leistungsvermögen für die Tätigkeit einer Kassiererin an einer Etagenkasse vor und die Klägerin müsse sich auf eine derartige Tätigkeit verweisen lassen.

Mit Schreiben vom 18.12.2007 hat die Klägerin am 20.12.2007 Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Das Sozialgericht hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr. W., Dr. C. und Dr. D. eingeholt. Eine fachorthopädische Behandlung ist demnach nicht regelmäßig und eine fachpsychiatrische Behandlung überhaupt nicht erfolgt.

Das Sozialgericht hat anschließend ein Gutachten beim Orthopäden, Neurochirurgen und Sozialmediziner Dr. R. erstellen lassen, der am 09.08.2008 die Gesundheitsstörungen der Klägerin folgendermaßen beschrieben hat:
1. Degeneratives Lendenwirbelsäulenleiden, Osteochondrose L4/L5, Bandscheibenschäden.
2. Degeneratives Halswirbelsäulenleiden.
3. Bursitis Trochanterica bds.
4. Endgradiges Impingement der rechten Schulter.
5. Senk-Spreizfuß, z.Zt. beschwerdefrei.
6. Migräne.
7. Hyperreagibles Bronchialsystem.
8. Hypertonus.
Bei der Klägerin erscheine derzeit eine 6-stündige Tätigkeit möglich, wobei es sich um leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel aus Sitzen, Stehen und Gehen handeln solle. Permanentes Stehen und große Gehstrecken könnten nicht erwartet werden. In Anbetracht der vorliegenden Migräne sollten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, etwa in Nachtschicht, nicht erfolgen. Ansonsten seien auch absturzgefährdete Arbeitsplätze, gehäufte Hebetätigkeiten, gehäufte Zwangshaltungen wie Vorbeuge- oder Überkopfarbeiten und Tätigkeiten mit besonderen Witterungseinflüssen oder mit bronchialen Reizstoffen zu vermeiden. Die Tätigkeit als Fleischereifachverkäuferin sei bei den geschilderten Belastungen nicht zumutbar. Der Beruf der Kassiererin an einer Etagenkasse erscheine auch unter Berücksichtigung des vorliegenden nervenärztlichen Gutachtens als zumutbar.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist im Folgenden ein Gutachten beim Ärztl. Direktor des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Schloss W., Prof. Dr. V., eingeholt worden, das unter wesentlicher Beteiligung von Dr. M. erstellt worden ist. Das Gutachten vom 09.03.2009 ist zum Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vorliege. Gegenüber den Vorgutachten sei keine medizinische Veränderung eingetreten. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Stellung ausüben. Vermieden werden sollten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung; stündliche Pausen sollten erfolgen. Aus psychiatrischer Sicht erscheine die Ausübung des Berufes der Fleischereifachverkäuferin zumutbar und sinnvoll. Die Arbeit als Kassiererin an einer belebten Etagenkasse erscheine aufgrund der deutlichen höheren Umweltreize und der vermehrten Stressbelastung durch Zeitdruck sowie kaum wechselnder Arbeitshaltung nicht zumutbar. Zur Besserung und möglichen weitgehenden Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sei dringend eine ambulante oder stationäre Heilbehandlung iS einer psychotherapeutischen Behandlung empfohlen.

Im Nachgang zu dem Gutachten hat die Klägerin Atteste ihres behandelnden Allgemeinarztes Dr. C. vom 31.03.2009 und des Orthopäden Dr. D. vom gleichen Tag vorgelegt. Dr. D. hat die berufliche Belastbarkeit der Klägerin als Fleischereifachverkäuferin bei derzeit unter 4 Stunden täglich angesehen. Dr. C. hat darüber hinaus eine Vollzeitbeschäftigung von mindestens 6 Stunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr für möglich gehalten.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2009 hat die Beklagte als weitere Verweisungstätigkeiten die Tätigkeiten einer Bürohilfskraft bzw. Registraturmitarbeiterin sowie die Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Poststelle von Behörden benannt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12.08.2009 die Klage abgewiesen. Eine zeitliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei nach den eingeholten Gutachten nicht nachgewiesen. Die vom Gutachter Prof. Dr. V. geforderten stündlichen Pausen seien nicht hinreichend begründet und seien nicht nachvollziehbar dargelegt. Jedoch sei nachvollziehbar, dass die von der Klägerin zu verrichtende Tätigkeit ohne stresshaften Zeitdruck möglich sein sollte. In Betracht käme als Verweisungstätigkeit die von der Beklagten benannte Tätigkeit einer Registratorin. Es handele sich um eine leichte Tätigkeit ohne nennenswerten Zeitdruck. Auch sei hinsichtlich der Einarbeitung kein Problem zu erwarten, da die Klägerin eine Maßnahme zur beruflichen Integration für PC- und Büroarbeiten im Jahre 2006 erfolgreich abgeschlossen habe. Unbeachtlich sei, dass die Klägerin bislang keinen ihrem verbliebenen Leistungspotential entsprechenden Arbeitsplatz gefunden habe, weil dies in das Risiko der Arbeitslosenversicherung falle und nicht einen Rentenanspruch gegenüber der Beklagten begründen könne.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin mit Schreiben vom 28.08.2009 am 31.08.2009 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die vom Sozialgericht angenommene Verweisungstätigkeit sei für die Klägerin nicht geeignet. Als Registratorin komme es selten zu wechselnder Arbeitshaltung. Aufgrund der Verantwortung, die diese Tätigkeit mit sich bringe, sei die Klägerin vermehrter Stressbelastung ausgesetzt und wegen der mit der Bedienung eines Computers verbundenen Reizüberflutung über einen längeren Zeitraum würde sich das Krankheitsbild der Klägerin verschlechtern. Eine zumutbare Verweisungstätigkeit liege somit nicht vor.

Der Senat hat eine Arbeitgeberauskunft bei der Metzgerei E. eingeholt, die ergänzend ihr Schreiben an die Krankenkasse über die im Jahr 2004 durchgeführte Wiedereingliederungsmaßnahme beigefügt hat. In einem von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlauf sind nach dem letzten Pflichtbeitrag aus Arbeitslosengeld-I-Bezug im Mai 2007 nur noch Einträge wegen einer im Februar 2007 begonnenen geringfügigen versicherungsfreien Beschäftigung enthalten.

Der Senat hat zunächst Befundberichte bei Dr. D. und Dr. C. eingeholt. Die bei einem Behandlungstermin bei der Neurologin Dr. B. vorgeschlagene neurochirurgische Behandlung ist beim Neurochirurgen Dr. F. erfolgt, von dem ebenfalls ein Befundbericht eingeholt worden ist.

Im Weiteren hat der Senat ein fachorthopädisches Gutachten bei Dr. J. in Auftrag gegeben, der die Klägerin am 09.08.2011 untersucht hat. In seinem Gutachten vom 07.11.2011 hat er neben den vorhandenen Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen als gegeben erachtet:
1. Degeneratives LWS-Syndrom mit Verschleißerscheinungserkrankung zwischen dem 4. und 5. LKW und pseudoradikulärer Ausstrahlung ins linke Bein.
2. Degeneratives HWS-Syndrom mit sensiblem C6-Syndrom rechts und ausgeprägten Myalgien im HWS-Bereich.
3. Bursitis trochanterica links mehr als rechts.
4. Impingement beider Schultern, rechts vermehrt.
5. Senk-Spreizfuß bds., klinisch stumm.
6. Hypertonus.
Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine mindestens 6-stündige Tätigkeit ausüben, wobei es sich um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnden Stellungen von Sitzen, Stehen und Gehen handeln müsse. Zu vermeiden seien Zwangshaltungen, länger vornüber gebeugtes Arbeiten, Heben und Tragen schwerer Lasten über 15 kg, vermehrter Stress und Druck wie z.B. bei Akkordarbeit, Tätigkeiten auf Leitern oder in größerer Höhe sowie Tätigkeiten mit Einflüssen von übergroßer Kälte, Hitze oder Zugluft.

Auf Antrag der Klägerin ist im Folgenden ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG, nunmehr durch den Dr. I. eingeholt worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 06.08.2012 die Gesundheitsstörungen der Klägerin folgendermaßen gefasst:
1. Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, neuroforaminale Engen und Bandscheibenprotrusionen C3/C4 bis C5/C6 sowie neurosensibles Defizit C5/C6 rechts.
2. Nervenwurzelreizerscheinung der Lendenwirbelsäule bei Neuroforamenstenosen L4/L5 und L5/S1 mit pseudoradikulärer Ausstrahlung.
3. Funktionseinschränkung beider Schultergelenke bei Verschleiß im Schultergelenk bds.
4. Geringe Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks bei initialer Gonarthrose.
5. Funktionseinschränkungen des rechten Sprunggelenkes bei ligamentären Reizungen am Innenknöchel.
6. Geringe Funktionseinschränkungen bei wiederkehrenden Reizerscheinungen an beiden großen Rollhügeln der Hüftgelenke und an den Epikondylen der Ellbogengelenke.
Ferner als übernommene Diagnosen:
7. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung.
8. Bronchiale Hyperreagibilität.
9. Hypertonus.
10. Adipositas.
Der Gesundheitszustand habe sich im Vergleich zu den Vorgutachten nicht wesentlich verändert. Die Klägerin könne eine mindestens 6-stündige Tätigkeit ausüben, wobei es sich um eine leichte Tätigkeit vorwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels handeln sollte und die Tätigkeit in geschlossenen Räumen stattfinden sollte. Das Heben und Tragen von Lasten, das Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ständiges Treppengehen und Einwirkungen von Lärm und Nässe seien der Klägerin nicht zumutbar. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, in ihrem Beruf als Fleischereifachverkäuferin zu arbeiten.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass aus den vorliegenden Gutachten belegt sei, dass sie als Fleischereifachverkäuferin nicht mehr tätig sein könne. Eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit sei wegen der Gesundheitsstörungen, der einzuhaltenden Pausenzeiten und Einschränkungen sowie ihres Alters nicht möglich; auch könne eine solche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gefunden werden.

Im Verhandlungstermin hat die Beklagte die Klägerin auf die Tätigkeiten einer Kassiererin an einer Etagenkasse, einer Kassiererin in Bädern, Museen und Theatern, einer Telefonistin sowie auf qualifizierte Tätigkeiten in einer Registratur oder Poststelle verwiesen. Die Klägerin hat eingewendet, dass sie bei der Qualifizierungsmaßnahme im Jahr 2005/2006 zwar ein Zertifikat erhalten habe, sich aber stetig überfordert gefühlt habe: Sie habe den Umgang mit dem Computer nicht richtig verstanden und sei häufig weinend davor gesessen, was andere Kursteilnehmer bestätigen könnten.

Mit Einverständnis der Beteiligten ist am 05.12.2012 die mündliche Verhandlung eröffnet worden, in der der Berichterstatter anstelle des Senats entscheiden sollte. Die Beteiligten haben weiterhin ihre unterschiedlichen Auffassungen über die Möglichkeiten der Klägerin zur Ausübung der genannten Verweisungsberufe vertreten.

Die Klägerin beantragt,
1. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.08.2009 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 07.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2007 verurteilt, bei der Klägerin den Leistungsfall der vollen, hilfsweise der teilweisen Erwerbsminderung auf Dauer und weiterhin hilfsweise der teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer mit dem 15.03.2007 festzustellen und der Klägerin ab dem 01.04.2007 entsprechende Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.08.2009 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Entscheidung konnte durch den Berichterstatter anstelle des Senats getroffen werden (§ 155 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 SGG), nachdem die Beteiligten dem zugestimmt hatten.

Die Leistungsfähigkeit der Klägerin stellt sich aktuell folgendermaßen dar:
Sie ist noch in der Lage, täglich mehr als 6 Stunden leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, vorwiegend im Sitzen zu verrichten. Zu vermeiden sind:
- mehr als gelegentliche mittelschwere Arbeitsanteile,
- besondere nervliche Belastungen wie Akkordarbeit,
- Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg,
- Zwangshaltungen insbesondere längeres vornübergebeugtes Arbeiten,
- Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr,
- Einwirkungen von Kälte, Hitze, Nässe, Zugluft und Lärm,
- Arbeiten außerhalb geschlossener Räume.

Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit wird wesentlich auf die aktuellen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. J. gestützt, wobei aber sämtliche im Verfahren gehörten Sachverständigen die zeitliche Einsatzfähigkeit der Klägerin an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes in gleicher Weise beschreiben. Soweit in dem Attest des behandelnden Hausarztes eine weitergehende zeitliche Einschränkung auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt anklingt, handelt es sich um eine in keiner Weise näher begründete singuläre Auffassung.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind Versicherte voll erwerbsgemindert, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine teilweise Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI liegt vor, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Bei der Klägerin ist nach den nahezu einhelligen ärztlichen Feststellungen an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes weder eine zeitliche Einschränkung auf weniger als 3 Stunden, noch auf weniger als 6 Stunden festzustellen, so dass die medizinischen Voraussetzungen weder für den Hauptantrag, noch für den Hilfsantrag der Klägerin erfüllt sind.

Auch liegt bei der Klägerin keiner der von der Rechtsprechung vorgesehenen Sonderfälle vor, in denen trotz an sich zeitlich nicht eingeschränkten Einsatzvermögens, gleichwohl eine volle Erwerbsminderung anzunehmen ist (vgl. Kasseler Kommentar, Stand 01.04.2011, Gürtner, § 43 SGB VI, Rn. 37, 38). Insbesondere sind die Einschränkungen der Arbeitsbedingungen in körperlicher und psychischer Hinsicht nicht so umfangreich, dass durch sie bereits eine solche Summierung von Einschränkungen vorliegen würde, die eine Pflicht der Beklagten zur Benennung von konkreten Verweisungstätigkeiten auslösen würde. Auch ist ein über die im Arbeitszeitgesetz vorgesehenen Pausenregelungen hinausgehender zusätzlicher Pausenbedarf auch an ansonsten geeigneten Arbeitsplätzen nicht nachgewiesen. Es ist nicht nachzuvollziehen, aus welchen Gründen die Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung und die in vielen Arbeitszeitmodellen vorgesehenen individuellen Verteilzeiten z.B. für Toilettengänge nicht ausreichen sollten, um mit den üblichen Pausen zurechtzukommen.

Neben den genannten medizinischen Voraussetzungen sind für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zugleich auch die sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Gleichlautend sind hierfür in § 43 Abs. 1 Satz 1 Nrn 2 und 3 SGB VI und § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI bzw. in § 240 Abs. 1 SGB VI, der die Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen fordert und damit auf § 43 Abs. 1 Satz 1 Nrn 2 und 3 SGB VI verweist, die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit und der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen notwendig. Unproblematisch hat die Klägerin die allgemeine Wartezeit erfüllt (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), da sie weit mehr als die mindestens erforderlichen 60 Monate an Pflichtbeiträgen gezahlt hat. Dagegen hätte die Klägerin bei einem eventuellen aktuellen medizinischen Leistungsfall die erforderliche Beitragsanzahl von 36 Monaten Pflichtbeitragszeiten in den letzten 5 Jahren nicht mehr aufzuweisen, da sie nur eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung ohne Zahlung von Pflichtbeiträgen ausübt und auch keine Gründe für eine Verlängerung des 5-Jahres-Zeitraumes vorliegen; im Zeitraum von Dezember 2007 bis Dezember 2012 sind keine Pflichtbeiträge gezahlt worden und auch keine sog. Streckungstatbestände nach § 43 Abs. 4 SGB VI angefallen. Dagegen wären bei der Rentenantragstellung im März 2007 noch sämtliche Kalendermonate im maßgeblichen Zeitraum mit Pflichtbeiträgen belegt gewesen. Damit im Zeitraum vor einem hypothetischen medizinischen Leistungsfall noch ausreichend Monate mit Pflichtbeitragszeiten vorhanden wären (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI), hätte dieser Leistungsfall spätestens im Juni 2009 eingetreten sein müssen; auf eine evtl. Verschlechterung der Gesundheit nach diesem Zeitpunkt kam es somit für eine mögliche Rentengewährung nicht mehr an.

Ein Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI besteht ebenfalls nicht. Zwar gehört die Klägerin nach ihrem Geburtsjahrgang zu dem von § 240 Abs 1 Nr 1 SGB VI erfassten Personenkreis, weil sie vor dem 02.01.1961 geboren ist. Sie ist jedoch nicht berufsunfähig im Sinne dieser Vorschrift.

Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden täglich gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst dabei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie des bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin kann ihren erlernten Beruf als Fleischereifachverkäuferin zwar aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist; gleichwohl liegt keine Berufsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes vor. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die Unfähigkeit im Beruf als Fleischereifachverkäuferin ohne zeitliche Einschränkung zu arbeiten ab dem Attest des Dr. W. vom 25.05.2007 als nachgewiesen anzusehen ist, - was aus Sicht des Senates am wahrscheinlichsten ist - oder ob man vom Nachweis der entsprechenden medizinischen Situation bereits zu einem früheren Zeitpunkt oder aber erst zum Zeitpunkt der sozialmedizinischen Beurteilung durch den ärztlichen Dienst der Beklagten, d.h. ab dem 24.09.2007 ausgehen wollte. Die Klägerin hätte zu jedem der in Frage kommenden Zeitpunkte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt gehabt, war jedoch nicht berufsunfähig, weil sie trotz der vorhandenen Gesundheitsstörungen zur Überzeugung des Senats noch zumutbare Verweisungstätigkeiten ausüben konnte.

Die Klägerin verfügt über ihre Ausbildung als Fachverkäuferin über ausreichende Vorkenntnisse um die Tätigkeit einer Kassiererin unabhängig vom konkreten Einsatzort ausüben zu können. Durch die erfolgreich absolvierte einjährige Teilhabemaßnahme hat die Klägerin auch die ausreichenden Vorkenntnisse zur Ausübung von Büroberufen, d.h. konkret auch als Registraturkraft, als Poststellenmitarbeiterin und als Telefonistin vermittelt bekommen.

Die genannten Tätigkeiten sind der Klägerin auch in sozialer Hinsicht zumutbar. Dazu ist zunächst festzustellen, dass die erlernte Tätigkeit der Klägerin als Fleischereifachverkäuferin im so genannten Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts der Stufe der Facharbeiter zuzuordnen ist, so dass die Klägerin zumutbar nur auf andere Facharbeitertätigkeiten oder auf angelernte Tätigkeiten verwiesen werden kann (vgl. Kasseler Kommentar, Stand 01.04.2011, Niesel, § 240 SGB VI Rn 24, 30, 95, 97). Sowohl die Tätigkeiten einer Kassiererin an einer Etagenkasse, als auch einer Kassiererin in Bädern, Museen und Theatern, einer Registraturkraft, mit einer Poststellenmitarbeiterin und eine Telefonistin sind als Anlerntätigkeiten - jedenfalls in bestimmten Ausprägungen - anzusehen und damit als Verweisungstätigkeiten für Facharbeiter zumutbar.

Die somatischen Erkrankungen der Klägerin lassen eine Beschäftigung der Klägerin in den Tätigkeiten einer Registraturkraft, einer Poststellenmitarbeiterin und einer Telefonistin als zumutbar erscheinen, weil es sich um leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus handelt, die auch nicht die weiteren Belastungseinschränkungen der Klägerin übersteigen würden. Dies gilt auch für die Tätigkeit der Telefonistin, weil dort durch moderne technische Hilfsmittel eine größere Bewegungsfreiheit als in früheren Jahren ermöglicht wird. Auch für Kassentätigkeiten wird aus orthopädischer Sicht keine die gesundheitliche Situation der Klägerin überfordernde Belastung angenommen. Selbst bei der Arbeit an einer Etagenkasse, bei der heute eher ein erhöhter Tätigkeitsanteil im Stehen anfallen dürfte, sieht der Sachverständige Dr. R. noch eine ausreichende gesundheitliche Belastbarkeit bei der Klägerin als vorhanden an. Eine wesentliche Verschlechterung der gesundheitlichen Situation auf orthopädischem Gebiet ist in der Folgezeit nach dem Gutachten des Dr. R. nicht belegt worden - zumindest nicht für die für eine eventuelle Rentengewährung maßgebliche Zeit bis einschließlich Juni 2009.

Die Klägerin ist auch nicht aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen an der Ausübung der genannten Verweisungstätigkeiten gehindert. Dies ergibt sich für die Tätigkeiten einer Registraturkraft, einer Poststellenmitarbeiterin und einer Kassiererin in Bädern, Museen und Theatern schon dadurch, dass dort nicht mit regelmäßiger Stressbelastung zu rechnen ist. Eine höhere Stressbelastung mag in den Tätigkeiten eine Telefonistin und einer Kassiererin an eine Etagenkasse vorhanden sein. Diese Tätigkeiten könnten aufgrund der vom Sachverständigen Prof. Dr. V. genannten psychischen Einschränkungen für die Klägerin möglicherweise gesundheitlich nicht ausübbar sein. Hierbei ist jedoch zweierlei zu berücksichtigen. Zum einen schränkt der ärztliche Sachverständige die mögliche Überbelastung auf "belebte" Etagenkassen ein, bei denen er mit deutlich erhöhten Umweltreizen und vermehrter Stressbelastung rechnet. Zum anderen führt er aber auch aus, dass die Erwerbsfähigkeit auf psychischem Gebiet bei der Klägerin durch eine dringend erforderliche - aber bisher nicht durchgeführte - adäquate ambulante oder stationäre Heilbehandlung möglichst weitgehend wiederhergestellt werden könnte. Hierzu ist festzuhalten, dass in rechtlicher Hinsicht, eine Begründung für das Vorliegen einer dauerhaften Erwerbsminderung nicht auf eine psychische Erkrankung gestützt werden kann, die die bisher keiner adäquate Behandlung zugeführt wurde. Solange nämlich zumutbare Behandlungsoptionen auf neurologisch/psychiatrischen Fachgebiet, sei es ärztlicher, therapeutischer oder auch medikamentöser Art, bestehen, scheidet die Annahme einer quantitativen Leistungsminderung nach ständiger Rechtsprechung des BSG aus (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.03.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jew. zit. nach juris; BayLSG zuletzt Urteil vom 21.03.2012 - L 19 R 35/08 mwN). Wenn dies schon für eventuell festgestellte zeitliche Einschränkungen so gilt, ist dies umso mehr zu beachten, wenn es sich bei den Einschränkungen lediglich um Einschränkungen der Arbeitsbedingungen handelt, die durch eine entsprechende Behandlung wesentlich gemindert werden könnten. Insofern können auch die beiden weiteren genannten Verweisungstätigkeiten als zumutbar angesehen werden. Und auch für die von der Klägerin vorgetragene psychische Überforderungssituationen beim Umgang mit einem Computer gilt in gleicher Weise, dass - selbst wenn eine derartige Belastungssituation hätte nachgewiesen werden können - eine Stabilisierung auf psychischem Gebiet durch eine adäquate Behandlung zur Vermeidung derartiger psychischer Überreaktionen in der Zukunft beitragen würde. Zudem hat sich während des einjährigen Schulungskurses, den die Klägerin besucht hat, keine wesentliche gesundheitliche Verschlechterung auf psychischem Gebiet ergeben. Vielmehr hat die Klägerin auch in dieser Zeit keinen solchen Leidensdruck verspürt, dass sie eine fortlaufende fachpsychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung hätte durchführen lassen.

In der Folgezeit bis Ende Juni 2009, dem Zeitpunkt zu dem letztmalig die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt waren, hat sich keine wesentliche Veränderungen der gesundheitlichen Situation der Klägerin ergeben gehabt, so dass auch die Verweisung auf die genannten Verweisungsberufe in diesem Zeitraum fortbestanden hat und Berufsunfähigkeit somit nicht vorgelegen hat. Selbst zu einem späteren Zeitpunkt wäre ein gesundheitlich bedingter Ausschluss von der Ausübung der Verweisungstätigkeiten bisher nicht erkennbar.

Dementsprechend ist auch der weitere Hilfsantrag der Klägerin unbegründet und die Berufung war insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved