L 20 R 249/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 19/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 249/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Rücknahmefiktion nach § 102 Abs 2 SGG kommt nur in begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, in denen sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses vorliegen.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.02.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit, in dem es inhaltlich um die Anerkennung weiterer rentenrechtlicher Zeiten ging, durch sog. fiktive Klagerücknahme beendet ist.

Der 1962 geborene Kläger erhielt von der Beklagten am 17.02.2009 einen Bescheid, in dem nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) von der Beklagten die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die die Zeit bis 31.12.2002 betrafen, verbindlich festgestellt wurden. Weiter wurde ausgeführt, dass die Zeiten vom 01.01.2005 bis 03.06.2005 sowie vom 07.06.2005 bis 17.04.2006 nicht als Anrechnungszeit vorgemerkt werden könnten, weil eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen worden sei.

Mit Schreiben vom 09.03.2009 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Die dort angekündigte weitere Begründung wurde im Folgenden jedoch nicht näher abgegeben. Die Beklagte stellte von sich aus eine Rückfrage bei der Agentur für Arbeit in D., die zusätzliche Erkenntnisse erbrachte. Mit Bescheid vom 17.09.2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seinem Widerspruch insoweit abgeholfen werde, als die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 01.11.2003 bis 07.06.2004 als Anrechnungszeit (d.h. nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) anerkannt werde. Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch sich damit erledigt habe; ansonsten werde um Angabe der Gründe für den weiteren Widerspruch gebeten. Dieser Bescheid werde nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens. Eine Äußerung des Klägers hierzu erfolgte nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit ihm nicht durch den Bescheid vom 17.09.2009 abgeholfen worden war.

Hiergegen hat der Kläger am 04.01.2010 beim Sozialgericht Bayreuth Klage erhoben und zugleich Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt. Er hat geltend gemacht, dass Versicherungsbeiträge aus einem Verdienst von 40.000,00 DM brutto bei der Fa. W. angefallen seien. Auch seien Versicherungsbeiträge für Beschäftigungen bei den Firmen W., H., C., E. und L. anzuerkennen. Bei den Firmen sei die Lohnhöhe nicht korrekt gewesen bzw. eine Beschäftigung nur auf 400-Euro-Basis angemeldet worden, obwohl andere Abmachungen bestanden hätten. Unterlagen hierzu seien von seinem Scheidungsanwalt eingereicht worden. Die Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) seien ebenfalls anzuerkennen.

Mit Schreiben vom 16.03.2010 hat das Sozialgericht den Kläger aufgefordert, einen Rechtsanwalt zu benennen, der das Mandat bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe übernehmen würde. Mit Schreiben vom 14.06.2010 hat das Sozialgericht den Kläger an die Erledigung des Anforderungsschreibens erinnert und eine Frist bis zum 14.07.2010 gesetzt.

Ebenfalls mit Schreiben vom 14.06.2010 ist die Beklagte um Stellungnahme zur Klagebegründung gebeten worden, da seinerzeit der Widerspruch wegen mangelnder Begründung zurückgewiesen worden sei. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 16.06.2010 ausgeführt, dass der Kläger bisher keine Nachweise für die geltend gemachten Zeiten vorgelegt habe und aus der Klagebegründung auch nicht eindeutig zu erkennen sei, was er eigentlich begehre. Die Firma Q.habe im Rahmen der Kontenklärung angegeben, der Kläger sei als geringfügig Beschäftigter angemeldet worden, weil er trotz Aufforderung die Arbeitspapiere nicht vorgelegt gehabt habe. Hinsichtlich der geringeren oder abweichenden Lohnzahlungen bei den Firmen A., B., C. und E. seien keine Nachweise vorgelegt worden. Es sei auch weder angegeben worden, welche Zeiträume betroffen sein sollen, noch welche Einzugsstellen zuständig gewesen seien. Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinsichtlich Lohnhöhe oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses würden zudem nicht in den Aufgabenbereich des Rentenversicherungsträgers fallen.

Am 02.07.2010 hat der Kläger erklärt, dass er keinen vertretungsbereiten Rechtsanwalt finde und aus diesem Grunde das Gericht einen solchen benennen und beauftragen solle. Es sei jedoch auszuschließen, dass Rechtsanwalt Dr. A. zugeordnet werde.

Mit Schreiben vom 15.07.2010 hat das Sozialgericht den Kläger um Stellungnahme zur Klageerwiderung gebeten und insbesondere um die Beantwortung von Fragen zum Zeitraum der Beschäftigung bei den einzelnen Firmen sowie um Übersendung der in der Klageschrift genannten Abrechnungen und der ebenfalls in der Klageschrift genannten Kündigung gebeten. Hierfür ist eine Frist bis zum 13.08.2010 gesetzt gewesen. Mit Schreiben vom 30.08.2010 hat das Sozialgericht den Kläger an die Beantwortung des Schreibens vom 15.07.2010 erinnert und um Erledigung bis 14.09.2010 gebeten. Außerdem hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Klage gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zugenommen gelte, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben werde, d.h. wenn die Beantwortung des Schreibens vom 15.07.2010 nicht innerhalb der letztgenannten Frist bei Gericht eingehe.

Der Kläger hat sich am 01.09.2010 telefonisch an das Sozialgericht gewandt und mitgeteilt, dass nach Beauftragung eines Rechtsanwalts durch das Sozialgericht der Rechtsanwalt dann das gerichtliche Schreiben vom 15.07.2010 beantworten werde. Außerdem würden Verjährungsfristen bezüglich der Anerkennung von Versicherungszeiten laufen, weshalb der Rechtsstreit schnellstmöglich zu bearbeiten sei. Gleiches hat er zur Niederschrift beim Sozialgericht Bayreuth am 02.09.2010 erklärt.

Das Sozialgericht hat den Kläger daraufhin angeschrieben, dass Prozesskostenhilfe leider im Moment noch nicht habe bewilligt werden können, da das Gericht mangels Beantwortung des Schreibens vom 15.07.2010 die Erfolgsaussichten der Klage noch nicht habe prüfen können. Es werde daher noch einmal eindringlich um unverzügliche Beantwortung der mit Schreiben vom 15.07.2010 gestellten Fragen gebeten als Termin habe sich das Gericht den 30.09.2010 vorgemerkt.

Am 03.11.2010 wurde der Kläger erneut an die Beantwortung des Schreibens vom 15.07.2010 erinnert. Eine dritte Erinnerung erfolgt mit Schreiben vom 07.12.2010 und eine vierte Erinnerung mit Schreiben vom 18.01.2011. Das Gericht hat in diesem Schreiben wiederum darauf hingewiesen, dass die Klage gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben werde, d.h. wenn die Beantwortung des Schreibens vom 15.07.2010 nicht innerhalb der letztgenannten Frist bei Gericht eingehe. Dieses Schreiben ist dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 19.01.2011 zugegangen.

Am 20.04.2011 hat das Sozialgericht dem Kläger mitgeteilt, dass er das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben habe und die Klage somit als zurückgenommen gelte.

Am 04.05.2011 ist der Kläger beim Sozialgericht Bayreuth erschienen und hat erklärt, dass er mit dem Schreiben des Gerichts vom 20.04.2011 zur Klagerücknahme nicht einverstanden sei. Er beantrage die Fortsetzung des Verfahrens und die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Da er keinen Anwalt gefunden habe, bitte er das Gericht, nach Möglichkeit zwei Rechtsanwälte in angemessener Nähe zu benennen. Er werde sich dann für einen entscheiden. Dies sollten jedoch nicht die Rechtsanwälte P. und Dr. A. sein.

Das Sozialgericht Bayreuth hat das Verfahren unter dem Az. S 16 R 382/11 fortgesetzt und den Kläger mit Schreiben vom 05.05.2011 nochmals dazu aufgefordert, die offenen - und als Anlage erneut beigefügten - Fragen bis 31.05.2011 zu beantworten. Die Klage gelte als zurückgenommen, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben worden sei. Dieses Schreiben ist dem Kläger am 19.05.2011 zugegangen.

Als auch weiter keine Beantwortung durch den Kläger erfolgt war, hat das Sozialgericht mit Schreiben vom 22.08.2011 mitgeteilt, dass die Klage als zurückgenommen gelte.

Am 05.01.2012 hat der Kläger die Fortführung des Verfahrens beantragt.

Das Gericht hat das Verfahren nochmals und nun unter dem Aktenzeichen S 16 R 19/12 fortgesetzt und die Beteiligten dazu angehört, dass es beabsichtige durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit Schreiben vom 18.01.2012 erklärt. Der Kläger hat mit Telefax vom 19.01.2012 erklärt, dass er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden sei. In dem Verfahren sei Akteneinsicht von verschiedenen Strafverfolgungsbehörden nötig und dies sei nur über einen Anwalt möglich. Der gestellte Prozesskostenhilfeantrag solle rechtzeitig vor der Verhandlung entschieden werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 02.02.2012 hat das Sozialgericht Bayreuth festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Klage erledigt sei. Die Fiktion einer Klagerücknahme sei für Fälle eingeführt worden, in denen Anhaltspunkte für ein Desinteresse des Klägers an der Fortführung des Rechtsstreites bestünden. Danach liege ein Nichtbetreiben vor, wenn sich ein Kläger überhaupt nicht oder nur unzureichend innerhalb von 3 Monaten äußere, sodass nicht oder nur unzureichend dargelegt sei, dass ein Rechtsschutzbedürfnis im konkreten Fall ungeachtet der vorliegenden Indizien fortbestehe. Diese Indizwirkung könne der Kläger dadurch widerlegen, dass er binnen dreimonatiger Frist substantiiert darlege, dass und warum das Rechtsschutzinteresse trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben habe, nicht entfallen sei. Eine Verletzung der sich aus § 103 SGG ergebenden prozessualen Mitwirkungspflicht des Klägers könne solche Anhaltspunkte liefern und tue dies in der Regel dann, wenn das Gericht konkrete Auflagen verfügt habe. Allerdings müsse sich daraus auch der Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der weiteren Verfolgung ableiten lassen. Im Fall des Klägers sei dies zu bejahen. Dem Kläger sei unter Beigabe eines konkreten Fragekatalogs aufgegeben worden, sein Klagebegehren substantiiert zu begründen. An die Beantwortung dieses Schreibens sei er insgesamt 5-mal erinnert worden. Er sei auch auf die sich ergebenden Rechtsfolgen hingewiesen worden, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben werde. Die erfolgte Fristsetzung sei wirksam, da die Betreibensaufforderung vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet worden sei. Zwar habe das Gericht aufgrund der Untersuchungsmaxime nach § 103 SGG den Sachverhalt zu erforschen; die Ermittlungspflicht werde aber durch Mitwirkungspflichten der Beteiligten eingeschränkt. Es würde sich keine Verpflichtung der Gerichte ergeben, ohne konkrete Anhaltspunkte - quasi ins Blaue hinein - Ermittlungen anzustellen. Das Gericht habe ohne Mitwirkung des Klägers weder zielgerichtete Ermittlungen aufnehmen können, noch habe es die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage prüfen können. Weil der Kläger im Rahmen der ihm jeweils gesetzten Fristen keinerlei Vortrag gehalten habe und sein Begehren auch nicht umschrieben habe, sondern einfach nicht reagiert habe, habe er für die Kammer eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass ihn der weitere Verlauf des Rechtsstreites nicht interessiere. Ein irgendwie geartetes Rechtsschutzinteresse war daher nicht mehr zu erkennen, zumal auch insgesamt 5 Erinnerungen im Zeitraum von über einem halben Jahr keinerlei inhaltliche Reaktion des Klägers hervorgerufen hätten. Da die Dreimonatsfrist des § 102 SGG mit der Zustellung des gerichtlichen Schreibens vom 05.05.2011 an den Kläger am 19.05.2011 begonnen und am 18.08.2011 geendet habe, habe sich der vorliegende Rechtsstreit durch fiktive Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 SGG erledigt.

Mit Telefaxschreiben vom 24.02.2012, das am 27.02.2012 beim Bayerischen Landessozialgericht eingegangen ist, hat der Kläger gegen den Gerichtsbescheid Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat er angegeben, dass das Sozialgericht Bayreuth seit Jahren den Rechtsweg behindere, weil für geleistete Arbeit die Prozesskostenhilfe verweigert werde. Die Unterlagen der Arbeitgeber seien bei der Rentenversicherung abgegeben worden. Im Gegenteil zum Arbeitgeber seien bei seiner Familie keine Grundsicherungsleistungen erfolgt. Es seien absichtlich Verfahren vertauscht worden und das Landessozialgericht habe dies mit einer Nichtladung zum Termin gesteigert, da ihm Fahrtkosten zum Termin nicht vorgestreckt worden seien. Er beantrage Akteneinsicht und eine öffentliche mündliche Verhandlung. Außerdem beantrage er die Verfahren und die Akten gegen LSV, AOK Bayern und AOK M. beizuziehen.

Die Beklagte hat entgegnet, dass die Berufung keine Begründung aufweise, die eine Änderung der Gesichtspunkte ergeben würde und deshalb an dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth festgehalten werden solle.

Mit Beschluss vom 24.08.2012 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 19.05.2013 Prozesskostenhilfe beantragt. Es würden hierzu weitere Unterlagen vorgelegt. Diese hat der Kläger im Folgenden trotz Erinnerung nicht vorgelegt.

Mit Beschluss vom 10.09.2013 hat der Senat den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Erfolgsaussicht sei im Falle des Klägers nach der Sach- und Rechtslage zu verneinen. Der Kläger habe weder im fortgesetzten Verfahren erster Instanz, noch im Berufungsverfahren nachvollziehbare Gründe benannt, warum er die vom Sozialgericht Bayreuth gesetzte Frist zur Betreibung des Verfahrens habe verstreichen lassen. Auch seien keine anderen Gründe ersichtlich, warum die Vorschrift des § 102 Abs 2 SGG im Fall des Klägers zu Unrecht angewandt worden wäre.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.02.2012 aufzuheben und das Verfahren an das Sozialgericht Bayreuth zu einer Entscheidung in der Sache zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.02.2012 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Beendigung des Klageverfahrens S 16 R 4/10 bzw. S 16 R 382/11 durch eine sog. fiktive Klagerücknahme festgestellt.

Nach § 102 Abs. 1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen; die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache. Zusätzlich regelt § 102 Abs. 2 SGG, dass die Klage als zurückgenommen gilt (sog. fiktive Klagerücknahme), wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreibt. Der Kläger ist in der Aufforderung darauf hinzuweisen, dass in einem solchen Fall der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

Die Rücknahmefiktion kommt dabei unter Hinweis auf die zu § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergangene Rechtsprechung nur in begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, in denen sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn sich ein Kläger auf die Aufforderung eines Gerichtes nicht oder nur unzureichend innerhalb von 3 Monaten äußert und deshalb nicht dargelegt ist, dass das Rechtsschutzbedürfnis ungeachtet der vorliegenden Indizien fortbesteht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 102 Rn 8a). Bei der Aufforderung des Gerichts, das Verfahren zu betreiben, muss es sich um eine klare Aufforderung handeln, die insbesondere einem nicht rechtskundig vertretenen Kläger deutlich macht, was von ihm erwartet wird (Leitherer a.a.O. Rn 8c). Aus Gründen der Rechtssicherheit wird gefordert, dass die Anordnung durch den Richter mit vollem Namen unterzeichnet, die Aufforderung schriftlich erfolgen und der Zugang an den Kläger nachgewiesen sein muss (Leitherer a.a.O. Rn 8c).

Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats im Fall des Klägers erfüllt gewesen. Nachdem das Sozialgericht zweimal nacheinander die Vorschrift zur Anwendung gebracht hat, ist allerdings zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt die Fiktion der Klagerücknahme zum Tragen gekommen ist.

Aus Sicht des Senats wären die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG bereits mit Ablauf des 20.04.2011 erfüllt gewesen: Das Hinweisschreiben vom 18.01.2011 hatte die formalen Voraussetzungen erfüllt. Die Anordnung trug den vollen Namenszug des zuständigen Richters und es handelte sich um einen schriftlichen Hinweis, dessen Zugang beim Kläger durch Postzustellungsurkunde vom 19.01.2011 belegt ist. Die Dreimonatsfrist war am 19.04.2011 (Dienstag) abgelaufen, ohne dass eine Reaktion des Klägers erfolgt gewesen wäre. Auch die inhaltliche Anforderung war klar: es sollten die Fragen eines bestimmten Schreibens beantwortet werden. Auch diese waren klar und auch von einem nicht vertretenen Prozessbeteiligten ohne rechtliche Kenntnisse zu beantworten: Es war nach dem Zeitpunkt verschiedener Arbeitsverhältnisse gefragt worden und gebeten worden, in der Klageschrift aufgeführte Unterlagen vorzulegen. Der Kläger konnte für die Beantwortung dieser Fragen auch nicht die vorherige Bewilligung von Prozesskostenhilfe verlangen, wie er es zunächst einmal im September 2010 gemacht hatte, da ja die hierfür erforderliche Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage ja gerade von diesen Angaben und Unterlagen abhängig gewesen war.

Die Fortführung eines wirksam durch Klagerücknahme beendeten Verfahrens - auch wenn es sich um eine solche im Rahmen des § 102 Abs. 2 SGG gehandelt hat - steht nicht im freien Ermessen des Sozialgerichts, sondern kommt an sich nur beim Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes in Betracht, der hier nicht benannt worden ist. Warum das Verfahren im Mai 2011 - nunmehr unter dem Aktenzeichen S 16 R 382/11 - gleichwohl inhaltlich fortgesetzt worden ist, geht aus dem angefochtenen Gerichtsbescheid nicht näher hervor. Auch auf die Einwände der Beklagten gegen die Fortführung des Klageverfahrens ist das Sozialgericht nicht erkennbar eingegangen. Möglicherweise ist im Gefolge der sofortigen Reaktion des Klägers auf die Mitteilung, dass sich das Verfahren erledigt habe, ein Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses angenommen worden.

Zu Gunsten des Klägers ist im Weiteren gleichwohl davon auszugehen, dass das Klageverfahren zum Zeitpunkt der neuerlichen Betreibensaufforderung im Mai 2011 noch nicht durch Klagerücknahme beendet gewesen ist. Jedoch auch die neue Aufforderung an den Kläger, das Verfahren inhaltlich zu betreiben, ist ordnungsgemäß erfolgt: Das Hinweisschreiben vom 05.05.2011 hat wiederum die formalen Voraussetzungen erfüllt. Die Anordnung trug den vollen Namenszug des zuständigen Richters und es handelte sich um einen schriftlichen Hinweis, dessen Zugang beim Kläger durch Postzustellungsurkunde vom 19.05.2011 belegt ist. Die Dreimonatsfrist war am 19.08.2011 (Freitag) abgelaufen, ohne dass eine Reaktion des Klägers erfolgt gewesen wäre. Auch die unveränderte inhaltliche Anforderung war - wie bereits dargelegt - klar verständlich. Zur Sicherheit waren dem Kläger die entsprechenden schriftlichen Formulierungen mit dem Hinweisschreiben erneut übermittelt worden.

Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sind erneut nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen der Wiederaufnahme eines Verfahrens sind in den Regeln der §§ 179, 180 SGG iVm § 579, 580, 586 Zivilprozessordnung (ZPO) niedergelegt: Nachdem es zunächst noch keine gerichtliche Entscheidung gegeben hatte und eine Prozessvertretung vor dem Sozialgericht nicht vorgeschrieben ist, scheiden die Gründe nach §§ 179 Abs. 1 Nrn 1 bis 4 ZPO bereits von vornherein aus. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine falschen Eidesleistung, eine falsche Urkunde, ein falsches Gutachten, eine Straftat oder ein zwischenzeitlich aufgehobenes anderes Urteil eine Rolle gespielt hätten. Auch das Auffinden einer Urkunde, die die maßgebliche Situation nachträglich wesentlich anders hätte erscheinen lassen, ist nirgends thematisiert. Insgesamt ist liegt kein Grund für eine Wiederaufnahme vor; der Kläger hat auch keinen solchen Grund namhaft gemacht. Außerdem hat der Kläger auf die Mitteilung der Verfahrensbeendigung im August 2011 zunächst mehrere Monate überhaupt nicht reagiert, ehe er im Januar 2012 die Fortführung des Verfahrens - unter gleichzeitiger Angabe einer Reihe nicht verfahrensgegenständlicher Streitpunkte - beantragt hat. Auch dies unterstützt die Einschätzung, dass der Kläger im Jahr 2011 kein Rechtsschutzinteresse für die Betreibung des bis dahin anhängigen Klageverfahrens gehabt hatte.

Das Sozialgericht Bayreuth hat damit im Ergebnis zu Recht die Rechtswirksamkeit der Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG festgestellt und die - nochmalige - Fortführung der Klage auf Zuerkennung weiterer Beitragszeiten bzw. Beitragszahlungen (Az. S 16 R 4/10 bzw. S 16 R 382/11) damit aus formalen Gründen als unzulässig angesehen. Dass es in seiner Begründung des Gerichtsbescheids im Wesentlichen nur auf die Untätigkeit des Klägers von Mai 2011 bis August 2011 eingegangen ist, ändert an der Richtigkeit der Feststellung der Klagerücknahme nichts.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat, obwohl der Kläger damit nicht einverstanden war. § 105 SGG fordert nur eine Anhörung der Beteiligten, die erfolgt ist, und keine Zustimmung. Die vom Kläger angeführten Gründe betreffen auch nicht die Frage der Rechtmäßigkeit der Feststellung der fiktiven Klagerücknahme, so dass sie zu Recht außer Betracht bleiben konnten. Der für die Entscheidung über die Klagerücknahme nötige Sachverhalt war auch umfassend geklärt und die Entscheidung konzentrierte sich allein auf die Frage der Klagerücknahme, sodass das Sozialgericht auch von einem einfach gelagerten Sachverhalt ausgehen durfte.

Dementsprechend war die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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