Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 346/15 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 420/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.05.2015 wird abgeändert.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern ab sofort vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes längstens bis 31.08.2015
in folgender Höhe zu zahlen:
für 22.07.-31.07.2015; für 01.08.-31.08.2015
ASt zu 1. 106,14 EUR; 318,41 EUR
ASt zu 2. 106,14 EUR; 318,41 EUR
ASt zu 3. 37,61 EUR; 112,82 EUR
ASt zu 4. 29,47 EUR; 88,41 EUR
ASt zu 5. 27,67 EUR; 83,02 EUR
ASt zu 6. 12,52 EUR; 37,57 EUR
ASt zu 7. 12,52 EUR; 37,57 EUR
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für die erste Instanz ganz und für die zweite Instanz zu 1/5 zu tragen.
III. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwältin B., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die Antragsteller (ASt) sind rumänische Staatsangehörige. Die ASt zu 1. und 2. reisten im Februar 2014 mit ihren Kindern, den ASt zu 3. bis 6. (geboren 1999, 2004, 2009 und 2011) in die Bundesrepublik Deutschland ein; der ASt zu 7. wurde 2014 in A-Stadt geboren. Die ASt zu 3. und 4. besuchen seit dem 25.03.2014 die Schule in A-Stadt. Für die ASt zu 3. bis 7. wird Kindergeld iHv 184 EUR (ASt zu 3. und 4.), 190 EUR (ASt zu 5.) bzw. 215 EUR (ASt zu 6. und 7.) bezogen. Die ASt zu 2. bezog bis 06.07.2015 Elterngeld, zuletzt in Höhe von 300 EUR monatlich. Für die von den ASt bewohnte Wohnung fällt nach der Mietbescheinigung vom 08.04.2015 eine Grundmiete zzgl. Nebenkosten iHv monatlich 395 EUR an. Für Heizkosten wurden vom Antragsgegner (Ag) zuletzt monatliche Abschlagszahlungen iHv 130 EUR berücksichtigt. Am 15.05.2014 meldete der ASt zu 1 ein Gewerbe mit den Tätigkeiten Handel mit Altmetall, Blumen, Handel mit Kraftfahrzeugen ohne Lagerung, Kindermode und Accessoires, Spielwaren, Textilien, Haushaltswaren bei der Stadt A-Stadt an. Die ASt zu 2. erhielt am 15.05.2014 eine Reisegewerbekarte für den Verkauf von Ballons, Blumen, Metallwaren, Bekleidung, Gardinen und Kindermode. Über Schulabschlüsse verfügen die ASt zu 1.und 2. nicht. Der ASt zu 1. verfügt über Deutschkenntnisse.
Am 31.07.2014 sprachen die ASt beim Ag vor und beantragten aufstockende Leistungen nach dem SGB II zu ihrer selbständigen Tätigkeit. Aus der selbständigen Tätigkeit seien im Mai und Juni 2014 Betriebseinahmen von voraussichtlich je 445,65 EUR erzielt worden. Weitere Angaben zu Betriebsausgaben und Gewinn für diese Monate waren unvollständig. Für die Monate August 2014 bis Januar 2015 werde von monatlichen Betriebseinnahmen von 300 EUR ausgegangen, die unter Berücksichtigung der Betriebsausgaben zu einem monatlichen Gewinn von 110 EUR (September und Dezember 2014) bzw. 200 EUR (restliche Monate) führe. Der Schrott werde von Freunden gesammelt und direkt verkauft. Die Arbeit werde mit dem Pkw eines Freundes erledigt. Die übrigen Betriebstätigkeiten würden nicht ausgeübt. Der Ag bewilligte sodann vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.12.2014 (Bescheid vom 06.10.2014).
Nach einem Bericht über die Tragfähigkeitsüberprüfung in Bezug auf die selbständige Tätigkeit durch die Beraterin bei der X GmbH vom 02.10.2014 beschränke sich das Geschäft des ASt zu 1. ausschließlich auf den Verkauf von Altmetall. Bis August sei kein nennenswerter Gewinn verblieben. Auch für die folgenden Monate sei kaum von einer Verbesserung auszugehen. Er sei durchaus für Stellenangebote aufgeschlossen. Die ASt zu 2. scheide als potentielle Mitverdienerin wegen des neu geborenen, fünften Kindes aus.
Mit Schreiben vom 27.10.2014 stellte der Ag zunächst die Zahlung von Leistungen vorläufig ein. Für die ausgeübte selbständige Tätigkeit sei eine Anzeige nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz notwendig, die bislang nicht erfolgt sei. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 02.12.2014 gab der ASt zu 1. an, er habe keine Genehmigung für den Schrotthandel bekommen. Zusätzlich verkaufe er zwei- bis dreimal pro Woche für drei bis vier Stunden täglich Blumen in Diskotheken. Mit Bescheid vom 04.12.2014 nahm der Ag die Bewilligung von Alg II ab 01.07.2014 zurück und forderte die ASt zur Erstattung der gezahlten Leistungen auf. Die Selbständigkeit könne nicht anerkannt werden, da die Tätigkeit in Bezug auf den Schrotthandel mangels behördlicher Bestätigung nicht erlaubt sei und die weiteren angemeldeten Tätigkeiten nicht anerkannt werden könnten. Mit Bescheid vom 27.04.2015 hob der Ag den Bescheid vom 04.12.2014 wieder auf.
Am 31.03.2015 beantragten die ASt erneut Alg II beim Ag. Der Gewinn aus ihrer selbständigen Tätigkeit werde für Januar 2015 auf 170 EUR geschätzt, für Februar 2015 auf 200 EUR und für März 2015 auf 270 EUR. Der zu erwartende Gewinn für die Zeit von April bis September 2015 liege zwischen 200 EUR und 400 EUR. Das Gewerbe sei zum 31.01.2015 umgemeldet worden und umfasse nunmehr den Handel mit Blumen, Kindersachen, Accessoires, Textilien und Haushaltswaren. Am 10.04.2015 schloss der Ag mit den ASt zu 1. und 2. jeweils Eingliederungsvereinbarungen ab. Beim ASt zu 1. sollte die Hilfebedürftigkeit durch den Erhalt und den Ausbau der selbständigen Tätigkeit oder die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verringert bzw. beendigt werden. Für die ASt zu 2. wurde als Ziel die Integration in Arbeit und/oder Ausbildung spätestens nach Ende der Elternzeit bzw. die Überbrückung der Elternzeit vereinbart.
Mit Bescheid vom 15.04.2015 lehnte der Ag den Antrag ab. Die angemeldeten Tätigkeiten ließen nicht auf eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit schließen, die einen nachhaltigen Erfolg bewirken könnten. Aus den erzielten Einkünften lasse sich eine Verminderung oder Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nicht ableiten. Es handele sich um eine völlig untergeordnete Tätigkeit. Es sei zu vermuten, die Anmeldung des Gewerbes diene nur zur Umgehung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Über den dagegen eingelegten Widerspruch, wonach eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde und von einer Gewinnsteigerung auszugehen sei, ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden.
Die ASt haben beim Sozialgericht Bayreuth (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die vorläufige Zahlung von Alg II bis längstens 31.08.2015 beantragt. Die Einnahmen der von den ASt zu 1. und 2. betriebenen selbständigen Tätigkeit, insbesondere dem Blumenverkauf in Diskotheken, würden ca. 300 EUR monatlich betragen. Trotz einer Nachzahlung von Alg II Anfang Mai 2015 bestehe eine Eilbedürftigkeit, da hiervon rückständigen Kosten der Unterkunft und Heizung beglichen worden seien. Es sei nicht das wesentliche Interesse der ASt, Sozialleistungen in Deutschland zu beziehen. Der ASt zu 1. verfüge über umfassende Deutschkenntnisse. Eine Integration in den Arbeitsmarkt sei angestrebt und möglich. Mit Beschluss vom 28.05.2015 hat das SG den Antrag abgelehnt (Ziffern I. und II. des Tenors). Es liege ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vor. Es fehle ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU). So werde wegen der fehlenden erforderlichen Anzeige nach § 54 Abs 1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz - KrWG) keine selbständige Tätigkeit der Nr 2 ausgeübt. Auch die Voraussetzungen von Nr 3 seien nicht gegeben, da Nachweise zu Einnahmen aus dem Handel mit Blumen und Kleidung nicht vorlägen und auch Belege für Einkäufe und Ausgaben fehlten. Die Angabe der Gewinnprognose sei willkürlich ohne Rückgriff auf eine geeignete Datengrundlage erfolgt. Ein Aufenthaltsrecht nach den Nrn. 5 und 7 liege nicht vor. Schließlich sei auch ein solches nach Nr 1a nicht gegeben. Darlegungen zu Bewerbungsbemühungen fehlten. Die ASt zu 2. müsse fünf Kinder betreuen und habe keine Schul- und Berufsausbildung. Ihr fehlten zudem Deutschkenntnisse. Der Leistungsausschluss sei rechtmäßig und insbesondere mit Europarecht vereinbar.
Dagegen haben die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Es würden vorläufige Leistungen bis längstens 28.02.2016 begehrt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und teilweise begründet. Die ASt haben Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf vorläufige Leistungen bis längstens 31.08.2015.
Rechtsgrundlage für die Gewährung des diesbezüglichen vorläufigen Rechtsschutzes stellt § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar, da der geltend gemachte Rechtsanspruch in der Hauptsache mittels einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend zu machen ist. Insoweit ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn die ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 - BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 - BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützen - voraus. Die Angaben hierzu haben die ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 ZPO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06; weniger eindeutig BVerfG, Beschluss vom 04.08.2014 - 1 BvR 1453/12).
Unter Beachtung dieser Überlegungen ist den ASt einstweiliger Rechtsschutz in dem vom Tenor bestimmten Umfang zu gewähren, denn die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren sind noch als offen anzusehen.
Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, (Nr 1) die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, (Nr 2) erwerbsfähig sind, (Nr 3) hilfebedürftig sind und (Nr 4) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Dem entgegenstehende Aspekte sind weder ersichtlich noch vom Ag vorgetragen. Nach dem SGB II sind hiervon zwar ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie deren Familienangehörige (§ 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II). Aber auch diesbezüglich ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, nachdem Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen nicht offenkundig auszuschließen sind.
Es ist zwar nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache D. (Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - juris) davon auszugehen, dass die Regelung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II grundsätzlich als europarechtskonform anzusehen sein dürfte, denn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II müssen als beitragsunabhängige Leistungen iSd Art 70 Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EGV 883/2004) - auch wenn Art 3 Abs 5 EGV 883/2004 eine andere Betrachtungsweise nahe legt - gleichwohl als Sozialhilfeleistungen iSd Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (RL 2004/38/EG) qualifiziert werden (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 aaO). Hierbei ist es den Mitgliedstaaten der EU gestattet, nicht erwerbstätige Unionsbürger, die die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG nicht erfüllen, vom Sozialhilfeleistungsbezug auszuschließen (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 aaO Rn.84). Darüber hinaus ist der Rechtsprechung des EuGH bislang kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass auch ein Arbeitssuchender, der keiner Beschäftigung nachgeht, als erwerbstätig iSd Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG anzusehen ist. Zudem ist dem 21. Erwägungsgrund zur RL 2004/38/EG (Amtsblatt der EU vom 30.04.2004; L 158/84) zu entnehmen, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen bleiben soll, zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitssuchenden für einen längeren Zeitraum gewährt, so dass in der Gesamtschau zwar hinreichende Anhaltspunkte für eine Europarechtskonformität des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II bestehen, insbesondere dass kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG vorliegt. Den Gründen der Entscheidung des EuGH ist aber auch zu entnehmen, dass sich das Recht der Mitgliedstaaten, Unionsbürger vom Sozialhilfeleistungsbezug auszuschließen, auf den Personenkreis bezieht, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 aaO Rn. 78). Die Frage, ob diese Ausführungen dahingehend zu verstehen sind, es müsse bei einem Antragsteller ein wie auch immer geartetes Wissen vorhanden sein, dass er im Einwanderungsland nur von staatlichen Hilfen leben muss und leben kann, wird - ebenso wie eventuell erforderliche tatsächliche Feststellungen hierzu - erst im Rahmen des Hauptsacheverfahrens abschließend zu klären sein (so auch Beschluss des Senates vom 14.01.2015 - L 11 AS 836/14 B ER).
Für die ASt zu 1. und 2. erscheint es nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen als lediglich zur Arbeitssuche ergibt, womit ein Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ausscheiden könnte. Es lassen sich hier die Erfolgsaussichten nicht mit der für eine ablehnende Entscheidung in einem Eilverfahren erforderlichen Sicherheit beurteilen, denn der Ag hat den Sachverhalt zur Feststellung des Aufenthaltsrechts der ASt weder abschließend geklärt noch hinreichend und nachvollziehbar dokumentiert. Es fehlen schon ausreichende Feststellungen dazu, in welchem Umfang die ASt zu 1. und 2. die von ihnen behauptete selbständige Tätigkeit betreiben, was zu einem Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU führen könnte. Nach der Änderung des Gewerbes in einen Handel mit Blumen, Kindersachen, Accessoires, Textilien und Haushaltswaren ist nicht erkennbar, dass hier weitere Anzeigen oder Genehmigungen, insb. nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz notwendig wären, um ihren Handel rechtmäßigerweise zu betreiben. Im Dezember 2014 hatte der ASt zu 1. angegeben, allein für den Verkauf der Blumen in Diskotheken zwei- bis dreimal pro Woche drei bis vier Stunden täglich aufzuwenden. Es ist insofern nicht aufgeklärt worden, inwieweit auch noch aktuell diese Tätigkeit ausgeübt wird und in welchem Umfang die weiteren Gewerbeteile betrieben werden. Es ist nicht auszuschließen, dass insofern die ASt zu 2. ebenfalls selbständig tätig wird. Zwar sind in der Tat fünf Kinder zu betreuen und zu versorgen, doch wurden hierzu die ASt nicht einmal befragt. So erscheint eine Betreuung durch andere Personen oder eine wechselnde Betreuung durch die ASt zu 1. und 2. möglich. Insofern wäre ggf. zu beachten, dass auch im Hinblick auf den Arbeitnehmerbegriff iSv § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU die Auffassung vertreten wird, geringfügige Beschäftigungen mit wöchentlich zehn Stunden könnten ausreichend sein (vgl dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2008 - L 14 B 282/08 AS ER - juris). Konkretere Feststellungen zur Höhe des aktuellen Gewinns wurden nicht getroffen. Zwar wurde vom Ag vorgebracht die Gewinnschätzungen seien willkürlich und nicht nachgewiesen. Aufforderungen zu einem konkreten Nachweis durch Vorlage von Rechnungen, Aufzeichnungen oder ähnlichem mit der Belehrung über etwaige Rechtsfolgen einer Untätigkeit im Hinblick auf § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) erfolgten offensichtlich nicht. Unaufgeklärt ist insofern, wie die ASt konkret ihren Lebensunterhalt seit dem 01.01.2015 sicherstellen, obwohl - mit Ausnahme einer Nachzahlung - keine Leistungen mehr vom Ag erbracht worden sind. Schließlich geht der Arbeitsvermittler des Ag offenbar davon aus, die selbständige Tätigkeit sei nicht offensichtlich ungeeignet, eine Grundlage zur Sicherung des Lebensunterhaltes der ASt zu begründen. So wurde in der Eingliederungsvereinbarung vom 10.04.2015 mit dem ASt zu 1. als Ziel vereinbart, die Hilfebedürftigkeit durch den Erhalt und den Ausbau der selbständigen Tätigkeit oder die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu verringern bzw. zu beendigen.
Selbst wenn aber unterstellt, die ASt würden keine selbständige Tätigkeit ausüben und wären auch nicht als arbeitsuchend anzusehen, wird in der Rechtsprechung (so LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 - L 6 AS 62/15 B ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 - juris) die Auffassung vertreten, es sei dann kein Leistungsausschluss gegeben. So ist nach dem Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II eine positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche nötig. Eine erweiternde Auslegung der Norm auf EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht sei nicht möglich, denn es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke für Fälle fehlender Arbeitssuche. Folgt das Aufenthaltsrecht alleine aus der Freizügigkeitsvermutung (§ 7 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EG), bestehe solange ein Leistungsanspruch nach dem SGB II, bis mittels ausländerbehördlichem Verwaltungsakt eine vollziehbare Ausreisepflicht begründet wird, infolgedessen der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II eingreift und der Hilfebedürftige in das System des Asylbewerberleistungsgesetzes - AsylbLG (dort: § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG) übergeleitet wird. Dieser Auffassung wird entgegen gehalten (vgl dazu insbesondere LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B - juris - mwN), das Ergebnis sei wertungswidersprüchlich und hätte zur Folge, dass Bürger, die aufgrund ihrer Arbeitssuche über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügen, vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sein sollen, während sie dann, wenn sie eine Arbeitssuche nicht einmal beginnen, ihre ursprüngliche Absicht, Arbeit zu suchen, aufgeben, oder sich ihre Arbeitssuche als gescheitert herausstellt, zum Leistungsbezug nach dem SGB II berechtigt sein sollen. Der Leistungsausschluss sei insofern dahingehend auszulegen, er erfasse auch die Fälle des fehlenden materiellen Aufenthaltsrechtes. Im Ergebnis ist diese Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärt.
Unklar ist - mangels vom Ag getroffener Feststellungen - mit welchem Zweck die ASt nach Deutschland eingereist sind. Es ist nicht zwangsläufig erkennbar, dass die Einreise nur deshalb erfolgte, um hier Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. So haben sie auch nach ihrer Einreise - offenbar im Februar 2014 - erst am 31.07.2014 Alg II beim Ag beantragt. Eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen erscheint damit ebenfalls nicht zwangsläufig.
Die ASt haben unter Berücksichtigung ihrer Regelbedarfe und dem Anteil an den Bedarfen für Unterkunft und Heizung (525 EUR aufgeteilt auf sieben Personen) folgende Bedarfe:
Regelbedarf; Unterkunft und Heizung; Gesamtsumme:
ASt zu 1. 360,00 EUR, 75,00 EUR, 435,00 EUR
ASt zu 2. 360,00 EUR, 75,00 EUR, 435,00 EUR
ASt zu 3. 302,00 EUR, 75,00 EUR, 377,00 EUR
ASt zu 4. 267,00 EUR, 75,00 EUR, 342,00 EUR
ASt zu 5. 267,00 EUR, 75,00 EUR, 342,00 EUR
ASt zu 6. 234,00 EUR, 75,00 EUR, 309,00 EUR
ASt zu 7. 234,00 EUR, 75,00 EUR, 309,00 EUR
Summe: 2.024,00 EUR, 525,00 EUR, 2.549,00 EUR
Im Hinblick auf das Einkommen ist bei den Kindern jeweils das Kindergeld in voller Höhe zu berücksichtigen, § 11 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB II. Daneben ist das prognostizierte Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit, das der Senat mit 300 EUR zugrunde legt, nach Abzug der Pauschale von 100 EUR (§ 11b Abs 2 Satz 1 SGB II) und dem Erwerbstätigenfreibetrag von 40 EUR (§ 11b Abs 3 SGB II) gemäß dem jeweiligen Anteil der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft am Gesamtbedarf zu verteilen. Hieraus ergibt sich folgende Einkommensanrechnung:
Anteil Erwerbseinkommen, Kindergeld, individuell anzurechnendes EK:
ASt zu 1. 44,59 EUR, 0 EUR, 44,59 EUR,
ASt zu 2. 44,59 EUR, 0 EUR, 44,59 EUR
ASt zu 3. 19,78 EUR, 184,00 EUR, 203,78 EUR
ASt zu 4. 16,19 EUR, 184,00 EUR, 200,19 EUR
ASt zu 5. 15,58 EUR, 190,00 EUR, 205,58 EUR
ASt zu 6. 9,63 EUR, 215,00 EUR, 224,63 EUR
ASt zu 7. 9,63 EUR, 215,00 EUR, 224,63 EUR
Summe: 160,00 EUR, 988,00 EUR, 1.148,00 EUR
Mithin ergeben sich nach Gegenüberstellung von Einkommen und Bedarf folgende monatliche individuelle Leistungsansprüche der ASt:
Leistung:
ASt zu 1. 390,41 EUR
ASt zu 2. 390,41 EUR
ASt zu 3. 173,22 EUR
ASt zu 4. 141,81 EUR
ASt zu 5. 136,42 EUR
ASt zu 6. 84,37 EUR
ASt zu 7. 84,37 EUR
Summe: 1.401,00 EUR
Ein Anordnungsgrund ist vorliegend nur für die Zeit ab der Beschlussfassung durch den Senat gegeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn. 27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl. Beschluss des Senates vom 12.04.2010 - L 11 AS 18/10 B ER - juris). Beides ist vorliegend nicht der Fall. Ein irreparabler Nachteil zulasten der ASt droht vorliegend nicht.
Für den Zeitraum ab der Beschlussfassung durch den Senat bis 31.08.2015 ist ein Anordnungsgrund gegeben. Die ASt haben glaubhaft gemacht, die erhaltene Nachzahlung für die Zeit bis 31.12.2014 insbesondere für die Tilgung von Mietrückständen verbraucht zu haben. Im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter des Alg II und mangels erkennbarer anderer bedarfsdeckender Einnahmen oder Leistungen ist ein Anordnungsgrund gegeben.
Für die Zeit ab September 2015 sieht der Senat keine Notwendigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zum einen war der Antrag vor dem SG auf die Zeit bis 31.08.2015 beschränkt, so dass sich die Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren im Hinblick auf ein Begehren von Alg II bis einschließlich Februar 2016 an den Voraussetzungen des § 99 SGG messen lassen müsste. Unabhängig davon, dass der Ag ggf. konkludent in die Antragsänderung eingewilligt hat, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Ag in der Zeit bis zum 31.08.2015 durch die weitere Aufklärung des Sachverhaltes Umstände ermitteln kann, die seine Leistungsverweigerung rechtfertigen.
Weiter hält es der Senat zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache für angezeigt, bei den den ASt möglicherweise zustehenden Leistungen einen Abschlag von 20% der Regelleistung vorzunehmen (vgl hierzu Beschluss des Senates vom 14.09.2012 - L 11 AS 585/12 B ER - juris). Mithin sind den ASt folgende Leistungen vorläufig zuzusprechen:
Leistung; Abschlag 20%; vorläufiges, monatliches Alg II; anteilig für 22.07.-31.07.2015:
ASt zu 1. 390,41 EUR; 72,00 EUR; 318,41 EUR; 106,14 EUR
ASt zu 2. 390,41 EUR; 72,00 EUR 318,41 EUR; 106,14 EUR
ASt zu 3. 173,22 EUR; 60,40 EUR; 112,82 EUR; 37,61 EUR
ASt zu 4. 141,81 EUR; 53,40 EUR; 88,41 EUR; 29,47 EUR
ASt zu 5. 136,42 EUR; 53,40 EUR; 83,02 EUR; 27,67 EUR
ASt zu 6. 84,37 EUR; 46,80 EUR; 37,57 EUR; 12,52 EUR
ASt zu 7. 84,37 EUR; 46,80 EUR; 37,57 EUR; 12,52 EUR
Summe: 1.401,00 EUR; 996,20 EUR; 332,07 EUR
Die Beschwerde war damit teilweise erfolgreich und der Beschluss des SG insofern abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.
Aus den oben dargelegten Gründen ist die für die Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Beschwerde gemäß § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ebenso wie die notwendigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben. Den ASt war deshalb für das Beschwerdeverfahren PKH zu bewilligen und ihnen ihre Bevollmächtigte beizuordnen.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern ab sofort vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes längstens bis 31.08.2015
in folgender Höhe zu zahlen:
für 22.07.-31.07.2015; für 01.08.-31.08.2015
ASt zu 1. 106,14 EUR; 318,41 EUR
ASt zu 2. 106,14 EUR; 318,41 EUR
ASt zu 3. 37,61 EUR; 112,82 EUR
ASt zu 4. 29,47 EUR; 88,41 EUR
ASt zu 5. 27,67 EUR; 83,02 EUR
ASt zu 6. 12,52 EUR; 37,57 EUR
ASt zu 7. 12,52 EUR; 37,57 EUR
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für die erste Instanz ganz und für die zweite Instanz zu 1/5 zu tragen.
III. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwältin B., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die Antragsteller (ASt) sind rumänische Staatsangehörige. Die ASt zu 1. und 2. reisten im Februar 2014 mit ihren Kindern, den ASt zu 3. bis 6. (geboren 1999, 2004, 2009 und 2011) in die Bundesrepublik Deutschland ein; der ASt zu 7. wurde 2014 in A-Stadt geboren. Die ASt zu 3. und 4. besuchen seit dem 25.03.2014 die Schule in A-Stadt. Für die ASt zu 3. bis 7. wird Kindergeld iHv 184 EUR (ASt zu 3. und 4.), 190 EUR (ASt zu 5.) bzw. 215 EUR (ASt zu 6. und 7.) bezogen. Die ASt zu 2. bezog bis 06.07.2015 Elterngeld, zuletzt in Höhe von 300 EUR monatlich. Für die von den ASt bewohnte Wohnung fällt nach der Mietbescheinigung vom 08.04.2015 eine Grundmiete zzgl. Nebenkosten iHv monatlich 395 EUR an. Für Heizkosten wurden vom Antragsgegner (Ag) zuletzt monatliche Abschlagszahlungen iHv 130 EUR berücksichtigt. Am 15.05.2014 meldete der ASt zu 1 ein Gewerbe mit den Tätigkeiten Handel mit Altmetall, Blumen, Handel mit Kraftfahrzeugen ohne Lagerung, Kindermode und Accessoires, Spielwaren, Textilien, Haushaltswaren bei der Stadt A-Stadt an. Die ASt zu 2. erhielt am 15.05.2014 eine Reisegewerbekarte für den Verkauf von Ballons, Blumen, Metallwaren, Bekleidung, Gardinen und Kindermode. Über Schulabschlüsse verfügen die ASt zu 1.und 2. nicht. Der ASt zu 1. verfügt über Deutschkenntnisse.
Am 31.07.2014 sprachen die ASt beim Ag vor und beantragten aufstockende Leistungen nach dem SGB II zu ihrer selbständigen Tätigkeit. Aus der selbständigen Tätigkeit seien im Mai und Juni 2014 Betriebseinahmen von voraussichtlich je 445,65 EUR erzielt worden. Weitere Angaben zu Betriebsausgaben und Gewinn für diese Monate waren unvollständig. Für die Monate August 2014 bis Januar 2015 werde von monatlichen Betriebseinnahmen von 300 EUR ausgegangen, die unter Berücksichtigung der Betriebsausgaben zu einem monatlichen Gewinn von 110 EUR (September und Dezember 2014) bzw. 200 EUR (restliche Monate) führe. Der Schrott werde von Freunden gesammelt und direkt verkauft. Die Arbeit werde mit dem Pkw eines Freundes erledigt. Die übrigen Betriebstätigkeiten würden nicht ausgeübt. Der Ag bewilligte sodann vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.12.2014 (Bescheid vom 06.10.2014).
Nach einem Bericht über die Tragfähigkeitsüberprüfung in Bezug auf die selbständige Tätigkeit durch die Beraterin bei der X GmbH vom 02.10.2014 beschränke sich das Geschäft des ASt zu 1. ausschließlich auf den Verkauf von Altmetall. Bis August sei kein nennenswerter Gewinn verblieben. Auch für die folgenden Monate sei kaum von einer Verbesserung auszugehen. Er sei durchaus für Stellenangebote aufgeschlossen. Die ASt zu 2. scheide als potentielle Mitverdienerin wegen des neu geborenen, fünften Kindes aus.
Mit Schreiben vom 27.10.2014 stellte der Ag zunächst die Zahlung von Leistungen vorläufig ein. Für die ausgeübte selbständige Tätigkeit sei eine Anzeige nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz notwendig, die bislang nicht erfolgt sei. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 02.12.2014 gab der ASt zu 1. an, er habe keine Genehmigung für den Schrotthandel bekommen. Zusätzlich verkaufe er zwei- bis dreimal pro Woche für drei bis vier Stunden täglich Blumen in Diskotheken. Mit Bescheid vom 04.12.2014 nahm der Ag die Bewilligung von Alg II ab 01.07.2014 zurück und forderte die ASt zur Erstattung der gezahlten Leistungen auf. Die Selbständigkeit könne nicht anerkannt werden, da die Tätigkeit in Bezug auf den Schrotthandel mangels behördlicher Bestätigung nicht erlaubt sei und die weiteren angemeldeten Tätigkeiten nicht anerkannt werden könnten. Mit Bescheid vom 27.04.2015 hob der Ag den Bescheid vom 04.12.2014 wieder auf.
Am 31.03.2015 beantragten die ASt erneut Alg II beim Ag. Der Gewinn aus ihrer selbständigen Tätigkeit werde für Januar 2015 auf 170 EUR geschätzt, für Februar 2015 auf 200 EUR und für März 2015 auf 270 EUR. Der zu erwartende Gewinn für die Zeit von April bis September 2015 liege zwischen 200 EUR und 400 EUR. Das Gewerbe sei zum 31.01.2015 umgemeldet worden und umfasse nunmehr den Handel mit Blumen, Kindersachen, Accessoires, Textilien und Haushaltswaren. Am 10.04.2015 schloss der Ag mit den ASt zu 1. und 2. jeweils Eingliederungsvereinbarungen ab. Beim ASt zu 1. sollte die Hilfebedürftigkeit durch den Erhalt und den Ausbau der selbständigen Tätigkeit oder die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verringert bzw. beendigt werden. Für die ASt zu 2. wurde als Ziel die Integration in Arbeit und/oder Ausbildung spätestens nach Ende der Elternzeit bzw. die Überbrückung der Elternzeit vereinbart.
Mit Bescheid vom 15.04.2015 lehnte der Ag den Antrag ab. Die angemeldeten Tätigkeiten ließen nicht auf eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit schließen, die einen nachhaltigen Erfolg bewirken könnten. Aus den erzielten Einkünften lasse sich eine Verminderung oder Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nicht ableiten. Es handele sich um eine völlig untergeordnete Tätigkeit. Es sei zu vermuten, die Anmeldung des Gewerbes diene nur zur Umgehung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II. Über den dagegen eingelegten Widerspruch, wonach eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde und von einer Gewinnsteigerung auszugehen sei, ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden.
Die ASt haben beim Sozialgericht Bayreuth (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die vorläufige Zahlung von Alg II bis längstens 31.08.2015 beantragt. Die Einnahmen der von den ASt zu 1. und 2. betriebenen selbständigen Tätigkeit, insbesondere dem Blumenverkauf in Diskotheken, würden ca. 300 EUR monatlich betragen. Trotz einer Nachzahlung von Alg II Anfang Mai 2015 bestehe eine Eilbedürftigkeit, da hiervon rückständigen Kosten der Unterkunft und Heizung beglichen worden seien. Es sei nicht das wesentliche Interesse der ASt, Sozialleistungen in Deutschland zu beziehen. Der ASt zu 1. verfüge über umfassende Deutschkenntnisse. Eine Integration in den Arbeitsmarkt sei angestrebt und möglich. Mit Beschluss vom 28.05.2015 hat das SG den Antrag abgelehnt (Ziffern I. und II. des Tenors). Es liege ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vor. Es fehle ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU). So werde wegen der fehlenden erforderlichen Anzeige nach § 54 Abs 1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz - KrWG) keine selbständige Tätigkeit der Nr 2 ausgeübt. Auch die Voraussetzungen von Nr 3 seien nicht gegeben, da Nachweise zu Einnahmen aus dem Handel mit Blumen und Kleidung nicht vorlägen und auch Belege für Einkäufe und Ausgaben fehlten. Die Angabe der Gewinnprognose sei willkürlich ohne Rückgriff auf eine geeignete Datengrundlage erfolgt. Ein Aufenthaltsrecht nach den Nrn. 5 und 7 liege nicht vor. Schließlich sei auch ein solches nach Nr 1a nicht gegeben. Darlegungen zu Bewerbungsbemühungen fehlten. Die ASt zu 2. müsse fünf Kinder betreuen und habe keine Schul- und Berufsausbildung. Ihr fehlten zudem Deutschkenntnisse. Der Leistungsausschluss sei rechtmäßig und insbesondere mit Europarecht vereinbar.
Dagegen haben die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Es würden vorläufige Leistungen bis längstens 28.02.2016 begehrt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und teilweise begründet. Die ASt haben Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf vorläufige Leistungen bis längstens 31.08.2015.
Rechtsgrundlage für die Gewährung des diesbezüglichen vorläufigen Rechtsschutzes stellt § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar, da der geltend gemachte Rechtsanspruch in der Hauptsache mittels einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend zu machen ist. Insoweit ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn die ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 - BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 - BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 - NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl, Rn 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützen - voraus. Die Angaben hierzu haben die ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 ZPO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 - Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06; weniger eindeutig BVerfG, Beschluss vom 04.08.2014 - 1 BvR 1453/12).
Unter Beachtung dieser Überlegungen ist den ASt einstweiliger Rechtsschutz in dem vom Tenor bestimmten Umfang zu gewähren, denn die Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren sind noch als offen anzusehen.
Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, (Nr 1) die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, (Nr 2) erwerbsfähig sind, (Nr 3) hilfebedürftig sind und (Nr 4) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Dem entgegenstehende Aspekte sind weder ersichtlich noch vom Ag vorgetragen. Nach dem SGB II sind hiervon zwar ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie deren Familienangehörige (§ 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II). Aber auch diesbezüglich ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, nachdem Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen nicht offenkundig auszuschließen sind.
Es ist zwar nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache D. (Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - juris) davon auszugehen, dass die Regelung des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II grundsätzlich als europarechtskonform anzusehen sein dürfte, denn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II müssen als beitragsunabhängige Leistungen iSd Art 70 Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EGV 883/2004) - auch wenn Art 3 Abs 5 EGV 883/2004 eine andere Betrachtungsweise nahe legt - gleichwohl als Sozialhilfeleistungen iSd Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (RL 2004/38/EG) qualifiziert werden (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 aaO). Hierbei ist es den Mitgliedstaaten der EU gestattet, nicht erwerbstätige Unionsbürger, die die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG nicht erfüllen, vom Sozialhilfeleistungsbezug auszuschließen (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 aaO Rn.84). Darüber hinaus ist der Rechtsprechung des EuGH bislang kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass auch ein Arbeitssuchender, der keiner Beschäftigung nachgeht, als erwerbstätig iSd Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG anzusehen ist. Zudem ist dem 21. Erwägungsgrund zur RL 2004/38/EG (Amtsblatt der EU vom 30.04.2004; L 158/84) zu entnehmen, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat überlassen bleiben soll, zu bestimmen, ob er anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, die diesen Status beibehalten, und ihren Familienangehörigen Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder im Falle von Arbeitssuchenden für einen längeren Zeitraum gewährt, so dass in der Gesamtschau zwar hinreichende Anhaltspunkte für eine Europarechtskonformität des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II bestehen, insbesondere dass kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG vorliegt. Den Gründen der Entscheidung des EuGH ist aber auch zu entnehmen, dass sich das Recht der Mitgliedstaaten, Unionsbürger vom Sozialhilfeleistungsbezug auszuschließen, auf den Personenkreis bezieht, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen (vgl EuGH, Urteil vom 11.11.2014 aaO Rn. 78). Die Frage, ob diese Ausführungen dahingehend zu verstehen sind, es müsse bei einem Antragsteller ein wie auch immer geartetes Wissen vorhanden sein, dass er im Einwanderungsland nur von staatlichen Hilfen leben muss und leben kann, wird - ebenso wie eventuell erforderliche tatsächliche Feststellungen hierzu - erst im Rahmen des Hauptsacheverfahrens abschließend zu klären sein (so auch Beschluss des Senates vom 14.01.2015 - L 11 AS 836/14 B ER).
Für die ASt zu 1. und 2. erscheint es nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen als lediglich zur Arbeitssuche ergibt, womit ein Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ausscheiden könnte. Es lassen sich hier die Erfolgsaussichten nicht mit der für eine ablehnende Entscheidung in einem Eilverfahren erforderlichen Sicherheit beurteilen, denn der Ag hat den Sachverhalt zur Feststellung des Aufenthaltsrechts der ASt weder abschließend geklärt noch hinreichend und nachvollziehbar dokumentiert. Es fehlen schon ausreichende Feststellungen dazu, in welchem Umfang die ASt zu 1. und 2. die von ihnen behauptete selbständige Tätigkeit betreiben, was zu einem Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU führen könnte. Nach der Änderung des Gewerbes in einen Handel mit Blumen, Kindersachen, Accessoires, Textilien und Haushaltswaren ist nicht erkennbar, dass hier weitere Anzeigen oder Genehmigungen, insb. nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz notwendig wären, um ihren Handel rechtmäßigerweise zu betreiben. Im Dezember 2014 hatte der ASt zu 1. angegeben, allein für den Verkauf der Blumen in Diskotheken zwei- bis dreimal pro Woche drei bis vier Stunden täglich aufzuwenden. Es ist insofern nicht aufgeklärt worden, inwieweit auch noch aktuell diese Tätigkeit ausgeübt wird und in welchem Umfang die weiteren Gewerbeteile betrieben werden. Es ist nicht auszuschließen, dass insofern die ASt zu 2. ebenfalls selbständig tätig wird. Zwar sind in der Tat fünf Kinder zu betreuen und zu versorgen, doch wurden hierzu die ASt nicht einmal befragt. So erscheint eine Betreuung durch andere Personen oder eine wechselnde Betreuung durch die ASt zu 1. und 2. möglich. Insofern wäre ggf. zu beachten, dass auch im Hinblick auf den Arbeitnehmerbegriff iSv § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU die Auffassung vertreten wird, geringfügige Beschäftigungen mit wöchentlich zehn Stunden könnten ausreichend sein (vgl dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2008 - L 14 B 282/08 AS ER - juris). Konkretere Feststellungen zur Höhe des aktuellen Gewinns wurden nicht getroffen. Zwar wurde vom Ag vorgebracht die Gewinnschätzungen seien willkürlich und nicht nachgewiesen. Aufforderungen zu einem konkreten Nachweis durch Vorlage von Rechnungen, Aufzeichnungen oder ähnlichem mit der Belehrung über etwaige Rechtsfolgen einer Untätigkeit im Hinblick auf § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) erfolgten offensichtlich nicht. Unaufgeklärt ist insofern, wie die ASt konkret ihren Lebensunterhalt seit dem 01.01.2015 sicherstellen, obwohl - mit Ausnahme einer Nachzahlung - keine Leistungen mehr vom Ag erbracht worden sind. Schließlich geht der Arbeitsvermittler des Ag offenbar davon aus, die selbständige Tätigkeit sei nicht offensichtlich ungeeignet, eine Grundlage zur Sicherung des Lebensunterhaltes der ASt zu begründen. So wurde in der Eingliederungsvereinbarung vom 10.04.2015 mit dem ASt zu 1. als Ziel vereinbart, die Hilfebedürftigkeit durch den Erhalt und den Ausbau der selbständigen Tätigkeit oder die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu verringern bzw. zu beendigen.
Selbst wenn aber unterstellt, die ASt würden keine selbständige Tätigkeit ausüben und wären auch nicht als arbeitsuchend anzusehen, wird in der Rechtsprechung (so LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 - L 6 AS 62/15 B ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 - juris) die Auffassung vertreten, es sei dann kein Leistungsausschluss gegeben. So ist nach dem Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II eine positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche nötig. Eine erweiternde Auslegung der Norm auf EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht sei nicht möglich, denn es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke für Fälle fehlender Arbeitssuche. Folgt das Aufenthaltsrecht alleine aus der Freizügigkeitsvermutung (§ 7 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EG), bestehe solange ein Leistungsanspruch nach dem SGB II, bis mittels ausländerbehördlichem Verwaltungsakt eine vollziehbare Ausreisepflicht begründet wird, infolgedessen der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II eingreift und der Hilfebedürftige in das System des Asylbewerberleistungsgesetzes - AsylbLG (dort: § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG) übergeleitet wird. Dieser Auffassung wird entgegen gehalten (vgl dazu insbesondere LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B - juris - mwN), das Ergebnis sei wertungswidersprüchlich und hätte zur Folge, dass Bürger, die aufgrund ihrer Arbeitssuche über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügen, vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sein sollen, während sie dann, wenn sie eine Arbeitssuche nicht einmal beginnen, ihre ursprüngliche Absicht, Arbeit zu suchen, aufgeben, oder sich ihre Arbeitssuche als gescheitert herausstellt, zum Leistungsbezug nach dem SGB II berechtigt sein sollen. Der Leistungsausschluss sei insofern dahingehend auszulegen, er erfasse auch die Fälle des fehlenden materiellen Aufenthaltsrechtes. Im Ergebnis ist diese Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärt.
Unklar ist - mangels vom Ag getroffener Feststellungen - mit welchem Zweck die ASt nach Deutschland eingereist sind. Es ist nicht zwangsläufig erkennbar, dass die Einreise nur deshalb erfolgte, um hier Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. So haben sie auch nach ihrer Einreise - offenbar im Februar 2014 - erst am 31.07.2014 Alg II beim Ag beantragt. Eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen erscheint damit ebenfalls nicht zwangsläufig.
Die ASt haben unter Berücksichtigung ihrer Regelbedarfe und dem Anteil an den Bedarfen für Unterkunft und Heizung (525 EUR aufgeteilt auf sieben Personen) folgende Bedarfe:
Regelbedarf; Unterkunft und Heizung; Gesamtsumme:
ASt zu 1. 360,00 EUR, 75,00 EUR, 435,00 EUR
ASt zu 2. 360,00 EUR, 75,00 EUR, 435,00 EUR
ASt zu 3. 302,00 EUR, 75,00 EUR, 377,00 EUR
ASt zu 4. 267,00 EUR, 75,00 EUR, 342,00 EUR
ASt zu 5. 267,00 EUR, 75,00 EUR, 342,00 EUR
ASt zu 6. 234,00 EUR, 75,00 EUR, 309,00 EUR
ASt zu 7. 234,00 EUR, 75,00 EUR, 309,00 EUR
Summe: 2.024,00 EUR, 525,00 EUR, 2.549,00 EUR
Im Hinblick auf das Einkommen ist bei den Kindern jeweils das Kindergeld in voller Höhe zu berücksichtigen, § 11 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB II. Daneben ist das prognostizierte Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit, das der Senat mit 300 EUR zugrunde legt, nach Abzug der Pauschale von 100 EUR (§ 11b Abs 2 Satz 1 SGB II) und dem Erwerbstätigenfreibetrag von 40 EUR (§ 11b Abs 3 SGB II) gemäß dem jeweiligen Anteil der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft am Gesamtbedarf zu verteilen. Hieraus ergibt sich folgende Einkommensanrechnung:
Anteil Erwerbseinkommen, Kindergeld, individuell anzurechnendes EK:
ASt zu 1. 44,59 EUR, 0 EUR, 44,59 EUR,
ASt zu 2. 44,59 EUR, 0 EUR, 44,59 EUR
ASt zu 3. 19,78 EUR, 184,00 EUR, 203,78 EUR
ASt zu 4. 16,19 EUR, 184,00 EUR, 200,19 EUR
ASt zu 5. 15,58 EUR, 190,00 EUR, 205,58 EUR
ASt zu 6. 9,63 EUR, 215,00 EUR, 224,63 EUR
ASt zu 7. 9,63 EUR, 215,00 EUR, 224,63 EUR
Summe: 160,00 EUR, 988,00 EUR, 1.148,00 EUR
Mithin ergeben sich nach Gegenüberstellung von Einkommen und Bedarf folgende monatliche individuelle Leistungsansprüche der ASt:
Leistung:
ASt zu 1. 390,41 EUR
ASt zu 2. 390,41 EUR
ASt zu 3. 173,22 EUR
ASt zu 4. 141,81 EUR
ASt zu 5. 136,42 EUR
ASt zu 6. 84,37 EUR
ASt zu 7. 84,37 EUR
Summe: 1.401,00 EUR
Ein Anordnungsgrund ist vorliegend nur für die Zeit ab der Beschlussfassung durch den Senat gegeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn. 27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl. Beschluss des Senates vom 12.04.2010 - L 11 AS 18/10 B ER - juris). Beides ist vorliegend nicht der Fall. Ein irreparabler Nachteil zulasten der ASt droht vorliegend nicht.
Für den Zeitraum ab der Beschlussfassung durch den Senat bis 31.08.2015 ist ein Anordnungsgrund gegeben. Die ASt haben glaubhaft gemacht, die erhaltene Nachzahlung für die Zeit bis 31.12.2014 insbesondere für die Tilgung von Mietrückständen verbraucht zu haben. Im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter des Alg II und mangels erkennbarer anderer bedarfsdeckender Einnahmen oder Leistungen ist ein Anordnungsgrund gegeben.
Für die Zeit ab September 2015 sieht der Senat keine Notwendigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Zum einen war der Antrag vor dem SG auf die Zeit bis 31.08.2015 beschränkt, so dass sich die Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren im Hinblick auf ein Begehren von Alg II bis einschließlich Februar 2016 an den Voraussetzungen des § 99 SGG messen lassen müsste. Unabhängig davon, dass der Ag ggf. konkludent in die Antragsänderung eingewilligt hat, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Ag in der Zeit bis zum 31.08.2015 durch die weitere Aufklärung des Sachverhaltes Umstände ermitteln kann, die seine Leistungsverweigerung rechtfertigen.
Weiter hält es der Senat zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache für angezeigt, bei den den ASt möglicherweise zustehenden Leistungen einen Abschlag von 20% der Regelleistung vorzunehmen (vgl hierzu Beschluss des Senates vom 14.09.2012 - L 11 AS 585/12 B ER - juris). Mithin sind den ASt folgende Leistungen vorläufig zuzusprechen:
Leistung; Abschlag 20%; vorläufiges, monatliches Alg II; anteilig für 22.07.-31.07.2015:
ASt zu 1. 390,41 EUR; 72,00 EUR; 318,41 EUR; 106,14 EUR
ASt zu 2. 390,41 EUR; 72,00 EUR 318,41 EUR; 106,14 EUR
ASt zu 3. 173,22 EUR; 60,40 EUR; 112,82 EUR; 37,61 EUR
ASt zu 4. 141,81 EUR; 53,40 EUR; 88,41 EUR; 29,47 EUR
ASt zu 5. 136,42 EUR; 53,40 EUR; 83,02 EUR; 27,67 EUR
ASt zu 6. 84,37 EUR; 46,80 EUR; 37,57 EUR; 12,52 EUR
ASt zu 7. 84,37 EUR; 46,80 EUR; 37,57 EUR; 12,52 EUR
Summe: 1.401,00 EUR; 996,20 EUR; 332,07 EUR
Die Beschwerde war damit teilweise erfolgreich und der Beschluss des SG insofern abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.
Aus den oben dargelegten Gründen ist die für die Bewilligung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Beschwerde gemäß § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ebenso wie die notwendigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben. Den ASt war deshalb für das Beschwerdeverfahren PKH zu bewilligen und ihnen ihre Bevollmächtigte beizuordnen.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved