L 10 AL 258/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 53/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 258/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
unzulässige Nichtigkeitsfeststellungsklage, Untätigkeitsklage und Leistungsklage
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 26.08.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Versagung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab dem 01.11.2003 bis 14.03.2004 streitig.

Der 1961 geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und bezog zunächst bis 29.11.1995 Arbeitslosengeld und im Anschluss daran Alhi bzw. Unterhaltsgeld. In seinem Fortzahlungsantrag auf Alhi vom 01.11.2003 - eingegangen am 03.11.2003 - verneinte der Kläger die Frage danach, ob er oder seine Ehefrau Eigentümer bebauter Grundstücke seien.

Auf Anfrage der Beklagten teilte der Kläger am 12.12.2003 erneut mit, er besitze keine Immobilie im Ausland. Die Beklagte versagte darauf mit Bescheid vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 die Leistungen ab dem 01.11.2003. Der Kläger habe Nachweise über Immobilien in Polen, an denen er nach Kenntnis der Beklagten zumindest Miteigentum habe, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt. Damit sei er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und habe die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Die Entscheidung beruhe auf §§ 60, 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).

Eine dagegen gerichtete Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17.07.2007 abgewiesen (S 10 AL 259/07 WA). Die dagegen eingelegte Berufung hat der Senat mit Urteil vom 24.11.2011 (L 10 AL 233/08) mangels Einhaltens der Berufungsfrist als unzulässig verworfen.

Am 02.03.2012 hat der Kläger beim SG "Feststellungs-, Untätigkeits- und Verpflichtungsklage wegen des Bescheides der Beklagten vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004" erhoben. Er habe wahrheitsgemäß angegeben, nicht Besitzer einer Immobilie im Ausland zu sein. Insofern beziehe er sich auf diverse Beweise. Obwohl er seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen sei, warte die Beklagte weiter ab und ändere ihre Bescheide nicht. Hierzu sei sie nach § 67 SGB I verpflichtet. Unabhängig davon sei bei Staatsangehörigen aus Nicht-EU-Ländern ein Wohnhaus im Heimatland nicht zu verwerten. Die angefochtenen Bescheide seien aufzuheben und die Alhi auszuzahlen. Eine Feststellungsklage sei nicht an eine Frist gebunden. Die Beklagte sei zu verpflichten, ihren Verpflichtungen nachzukommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.08.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Untätigkeitsklage sei unzulässig, da es insofern an einem offenen Antrag des Klägers bei der Beklagten fehle. Das Verwaltungsverfahren betreffend die Leistung von Alhi für den Zeitraum 01.11.2003 bis 14.03.2004 sei durch die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts rechtskräftig abgeschlossen. Die Feststellungsklage sei ebenso unzulässig, da das vorliegende Begehren mit einer Leistungsklage verfolgt werden könne. Für eine zulässige Verpflichtungsklage fehle es an der Durchführung eines Vorverfahrens.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 20.11.2014 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Er habe in erster Linie eine Feststellungsklage hinsichtlich der Nichtigkeit des Bescheides der Beklagten vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 erhoben. Sein Begehren könne er nicht mit einer Leistungsklage verfolgen. Er habe sich zwischenzeitlich auch direkt an die Beklagte gewandt, den Bescheid abzuändern und die Alhi auszuzahlen bzw. nach § 67 SGB I zu entscheiden. Dies habe sie mit Schreiben vom 09.10.2014 abgelehnt. Obwohl sie sich der Fehlerhaftigkeit ihrer Entscheidung bewusst sei, bleibe die Beklagte untätig. Dies sei festzustellen und sie anschließend zu verpflichten, ihrer Verpflichtung nachzukommen.

Der Kläger beantragt: 1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 26.08.2014 wird aufgehoben. 2. Es wird festgestellt, dass der angefochtene Bescheid vom 21.01.2004 und der Widerspruchsbescheid vom 11.03.2004 nichtig sind. 3. Die Beklagte wird unter für nichtig erklärtem bzw. Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 verurteilt, dem Kläger die Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.11.2003 bis 14.03.2004 samt 4% Zinsen ab 01.11.2003 zu bewilligen und auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG verwiesen. Mit einer Klageänderung bzw. -erweiterung in Bezug auf ihr Schreiben vom 09.10.2014 oder einer diesbezüglichen Untätigkeitsklage sei sie nicht einverstanden.

Mit Beschluss vom 09.11.2015 hat der Senat die Berufung auf den Berichterstatter übertragen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), über die gemäß § 153 Abs 5 SGG durch den Berichterstatter mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden werde konnte, ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Streitgegenstand ist vorliegend zunächst der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004. Daneben begehrt der Kläger alternativ dessen Aufhebung sowie die Zahlung von Alhi für die Zeit vom 01.11.2003 bis 14.03.2004. Aus den Begründungen von Klage und Berufung folgt, dass es ihm zudem um eine Untätigkeitsklage geht.

Eine - nicht fristgebundene - Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 55 Rn 14) in Bezug auf die Nichtigkeit des Bescheides vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004, der einen Verwaltungsakt darstellt, ist bereits unzulässig, da es beim Kläger an einem entsprechenden Feststellungsinteresse fehlt. Die Klage gegen den Bescheid vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17.07.2007 abgewiesen (S 10 AL 259/07 WA). Die dagegen eingelegte Berufung hat der Senat mit Urteil vom 24.11.2011 (L 10 AL 233/08) verworfen, so dass diesbezüglich zwischen den Beteiligten bindend feststeht, dass die Entziehung der Leistungen ab 01.11.2003 zu Recht erfolgt ist (§ 77 SGG). Aus der Feststellung der Nichtigkeit könnte der Kläger daher keine Rechte gegenüber der Beklagten herleiten (vgl LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.12.2007 - L 7 SO 217/07 - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.06.2007 - L 12 AL 83/06 - juris).

Im Übrigen wäre eine solche Klage jedenfalls unbegründet. Nach § 40 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf diese Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakt nichtig (§ 40 Abs 2 SGB X), (1.) der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, (2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, (3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, (4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirk-licht oder (5.) der gegen die guten Sitten verstößt.

Weder einer der ausdrücklich genannten Nichtigkeitsgründe noch andere Anhaltspunkte liegen vor, aus denen sich die Nichtigkeit der streitgegenständlichen Bescheide ergeben könnte. Alleine - vom Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides aus zu beurteilende (vgl dazu Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 40 Rn 4) - mögliche Ermessensfehler oder die Frage, ob der Kläger ausreichende Unterlagen vorgelegt hatte bzw. die Vorlage von der Beklagten verlangt werden konnte, stellen keinen besonders schwerwiegenden, offensichtlichen Fehler dar.

Eine Aufhebung des Bescheides vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 kann der Kläger auch nicht im Wege der Anfechtungsklage erreichen (§ 54 Abs 1 SGG). Einer erneuten Klage auf Aufhebung des Bescheides steht die Rechtskraft des Urteils des Senats vom 24.11.2011 (L 10 AL 233/08) entgegen (vgl Keller, aaO, § 141 Rn 6a). Wegen der bestandskräftig gewordenen Entziehung der Leistungen durch den Bescheid vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 kann eine Zahlung von Alhi aus dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid nicht verlangt werden. Insofern kommt bereits deshalb weder die Feststellung eines solchen Anspruchs des Klägers noch eine Verurteilung bzw. Verpflichtung der Beklagten zur Leistung in Betracht.

Soweit der Kläger eine Untätigkeit der Beklagten rügt und insofern eine Änderung des Bescheides vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 bzw. eine Nachzahlung von Leistungen nach Nachholung der Mitwirkungshandlungen begehrt, könnte er damit eine Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 nach § 44 SGB X bzw. einen Antrag auf die Nachzahlung nach § 67 SGB I meinen. Die Zulässigkeit einer diesbezüglichen Untätigkeitsklage setzt jedoch nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGG einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes voraus, über den die Beklagte nicht entschieden hat. Entsprechende Anträge könnten insofern in dem vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Schreiben vom 15.09.2014 an die Beklagte gesehen werden. Die Beklagte hat dies aber bereits mit Schreiben vom 09.10.2014 abgelehnt. Eine Untätigkeit liegt damit nicht vor.

Das Schreiben der Beklagten vom 09.10.2014 - in dem man eine Ablehnung eines Überprüfungsantrages in Bezug auf den Bescheid vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2004 und eine Ablehnung einer Entscheidung nach § 67 SGB I sehen könnte - ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Das Schreiben lag vor Klageerhebung nicht vor und ändert oder ersetzt keinen anderen Bescheid, so dass es nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens bzw. Berufungsverfahrens geworden ist. Eine entsprechende Klageänderung bzw. -erweiterung sieht der Senat nicht als sachdienlich an. Insofern wäre zu prüfen, ob - wollte man in dem Schreiben vom 09.10.2014 einen Verwaltungsakt sehen - dieser mangels (rechtzeitigem) Widerspruch nicht bereits bestandskräftig geworden ist. Zudem würde die Zulässigkeit der entsprechenden Klage zunächst die Durchführung eines entsprechenden Widerspruchsverfahrens voraussetzen. Eine Zustimmung der Beklagten liegt ebenfalls nicht vor.

Die Berufung war demnach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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