L 19 R 134/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 409/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 134/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
I. Die Frage, ob bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X richtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach Maßgabe der Rechtsnormen, die bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes zu beachten waren.
II. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist insoweit rechtswidrig im Sinne der Vorschriften über die Rücknahme ein Verwaltungsakt, der auf einer später vom Bundesverfassungsgericht rückwirkend für nichtig erklärten Gesetzesvorschrift beruht.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.02.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zutreffend die Rechtmäßigkeit ihres Änderungsbescheides über die Regelaltersrente der Klägerin festgestellt hat, mit dem ein Zuschlag wegen Kindererziehung zuerkannt worden war.

Die 1946 geborene Klägerin ist die Mutter von vier Kindern - gemäß Versicherungsverlauf geboren in den Jahren 1970, 1974, 1981 und 1982 - und hat diese jeweils in den ersten Lebensjahren erzogen.

Auf den Antrag der Klägerin bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 06.04.2011 ab 01.05.2011 Regelaltersrente. Dabei wurden Kindererziehungszeiten für vier Kinder berücksichtigt, wobei diese nach § 249 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 30.06.2014 geltenden Fassung jeweils zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt endeten, da die Kinder sämtlich vor dem 01.01.1992 geboren waren. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Die Regelaltersrente der Klägerin wurde mit Bescheid vom 15.08.2014 mit Wirkung vom 01.07.2014 an neu berechnet, wobei ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung nach dem zum 01.07.2014 eingeführten § 307d SGB VI im Umfang von vier Entgeltpunkten zuerkannt wurde. Gegen diesen Bescheid, der eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthalten hatte, legte die Klägerin keinen Widerspruch ein.

Mit einem auf den 11.02.2016 datierten Schreiben, das am 15.02.2016 bei der Beklagten einging, stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich ihrer Altersrentenzahlung, da eine Ungleichbehandlung zu Müttern mit Geburten ab 1992 vorliege. Die Beklagte lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24.02.2016 weitere Erhöhungen der Rente aus Gründen der Kindererziehung ab, da dies über das geltende Recht hinausgehen würde und gemäß der Rechtsprechung auch verfassungsrechtlich keine Bedenken bestehen würden.

Der hiergegen am 03.03.2016 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Die Berechnung der Kindererziehungszeit und des Zuschlages sei gemäß der aktuellen Gesetzeslage erfolgt. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz sei nicht ersichtlich; die Anwendung einer Stichtagsregelung sei zulässig.

Zur Begründung der hiergegen am 06.06.2016 per Telefax zum Sozialgericht Bayreuth erhobenen Klage hat die Klägerin letztlich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und eine Verletzung des Schutzes der Familie geltend gemacht. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb für die vor 1992 geborenen Kinder weniger als drei Jahre an Kindererziehungszeiten zuerkannt werden könnten. Auch die im Urteil des LSG Niedersachsen vom 04.11.2013 (Az. L 2 R 352/13) angesprochene zeitliche Streckung überzeuge nicht, da es der Verwaltungsvereinfachung gedient hätte, in einem einzigen Bescheid die gesamte Abänderung vorzunehmen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21.02.2017 die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe § 307d SGB VI im Fall der Klägerin zutreffend angewandt und die Klägerin habe keinen Anspruch auf weitere vier Entgeltpunkte für ihre vier Kinder. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus Verfassungsrecht. Art. 6 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip verpflichte den Gesetzgeber nur allgemein zum Familienlastenausgleich; der konkret geltend gemachte Anspruch lasse sich daraus nicht ableiten. Es liege auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, weder im Verhältnis zu ausschließlich Erwerbstätigen noch gegenüber denjenigen, die - bei niedrigerer Kinderzahl - Erwerbstätigkeit und Kindererziehung gleichzeitig geleistet hätten. Der Gesetzgeber sei der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgabe nachgekommen, mit jedem Reformschritt Nachteile der von der Stichtagsregelung betroffenen Familien zu verringern.

Hiergegen hat die Klägerin am 03.03.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Sie hat mit Schriftsatz vom 28.04.2017 zunächst ihre bisherige Begründung wiederholt. Weiter hat sie vorgebracht, dass ein Wertungswiderspruch vorliege, weil die Angleichung der Renten in Ost und West beschlossen worden sei, während bei den Kindererziehungszeiten nur eine Linderung der Ungleichbehandlung vorgenommen worden sei.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.02.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 24.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.08.2014 zu verurteilen, der Klägerin unter Berücksichtigung eines weiteren Zuschlages in Höhe von vier persönlichen Entgeltpunkten ab 01.07.2014 eine höhere Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.02.2017 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143, 144, 153 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht ist mit Urteil vom 21.02.2017 zum zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Zuerkennung weiterer persönlicher Entgeltpunkte für Kindererziehung und auch nicht auf Gewährung einer höheren Altersrente ab 01.07.2014 hat.

Der Bescheid vom 24.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2016 beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, unter Abänderung des Bescheides vom 15.08.2014 einen weiteren Zuschlag in Höhe von vier persönlichen Entgeltpunkten zu berücksichtigen und ab 01.07.2014 eine höhere Altersrente zu gewähren.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X soll insbesondere dazu dienen, auch nach der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen Fehler, durch die Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht werden, noch korrigieren zu können. Allerdings sind die Voraussetzungen für eine Korrektur des Bescheides vom 15.08.2014 nicht erfüllt.

Von einem unrichtigen Sachverhalt ist die Beklagte ist bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.08.2014 nicht ausgegangen: Sie hat schon bei der ursprünglichen Rentenberechnung zu Grunde gelegt gehabt, dass die Klägerin vier Kinder geboren hat und diese jeweils im ersten Lebensjahr - und darüber hinaus - auch erzogen hat, wobei diese Geburten sämtlich vor 1992 erfolgt waren. Dieser Sachverhalt ist auch für den Bescheid vom 15.08.2014 zu Grunde gelegt worden. Hinzu kam, dass der Klägerin jeweils für den 12. Lebensmonat der Kinder eine Kindererziehungszeit zuerkannt worden war. Dieser Sachverhalt ist insgesamt zutreffend, was von der Klägerseite auch nicht bestritten wird.

Die Beklagte hat bei dem zur Überprüfung gestellten Änderungsbescheid auch das Recht richtig angewandt. § 307d Abs. 1 SGB VI sieht vor, dass ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für die Kindererziehung für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind berücksichtigt wird, wenn am 30.06.2014 Anspruch auf eine Rente bestand, in der Rente eine Kindererziehungszeit für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet worden war und kein Anspruch nach §§ 294 und 294a SGB VI besteht. Nach § 307d Abs. 2 Satz 1 SGB VI beträgt der Zuschlag für jedes Kind einen Entgeltpunkt. Bei der Klägerin bestand zum Stichtag Anspruch auf Rente, in der für vier Kinder jeweils in deren 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt Kindererziehungszeiten angerechnet worden waren. Die Klägerin ist auch nicht vor 1921 geboren, so dass die §§ 294, 294a SGB VI nicht einschlägig sind. Damit ergab sich ein Zuschlag von vier Punkten für die Altersrente der Klägerin. Die Beklagte ist genau zu diesem Ergebnis gelangt.

Die Frage, ob bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht richtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach Maßgabe der Rechtsnormen, die bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsaktes zu beachten waren. Eine Prüfung der anzuwendenden Rechtsnormen auf Verfassungsmäßigkeit - wie von der Klägerseite gewollt - ist anders als im Rechtsbehelfsverfahren nicht angezeigt; solange die streitige Rechtsnorm im Zeitpunkt des Erlasses des zu überprüfenden Verwaltungsaktes anwendbar war, ist auch dieser Verwaltungsakt rechtmäßig. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist insoweit rechtswidrig im Sinne der Vorschriften über die Rücknahme ein Verwaltungsakt, der auf einer später vom Bundesverfassungsgericht rückwirkend für nichtig erklärten Gesetzesvorschrift beruht (vgl. Schütze in: v. Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rn 7). Dies trifft für § 307d SGB VI nicht zu.

Damit ist keine der beiden Voraussetzungen des § 44 SGB X in Bezug auf den Bescheid vom 15.08.2014 erfüllt und die Beklagte hat zu Recht bei der Überprüfung eine Abänderung des Bescheides nicht vorgenommen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind daher nicht zu beanstanden und auch das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis zutreffend.

Aber selbst für den Fall, dass man anders als der Senat auch im Überprüfungsverfahren eine volle Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der anzuwenden Vorschriften vornehmen wollte, ergäbe sich nichts anderes. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 15.03.2017 (Az. L 19 R 218/16 - juris) näher ausgeführt hat, sieht er in der vom Gesetzgeber in § 307d SGB VI getroffenen Regelung keinen Verfassungsverstoß, insbesondere hält er die dahinter stehende Stichtagsregelung für verfassungsgemäß.

Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.02.2017 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen. Insbesondere hat sich im vorliegenden Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 SGG keine klärungsfähige Rechtsfrage ergeben, über die in der Revision sachlich zu entscheiden sein könnte.
Rechtskraft
Aus
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