Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 7 SB 7414/10
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 25. 3. 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. 9. 2010 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt war, den Grad der Behinderung (GdB) vom 50 ab 1978 aufzuheben.
Das damals zuständige Versorgungsamt Erfurt des Freistaates Thüringen stellte mit Bescheid vom 19. 6. 1992 bei dem 1960 geborenen Kläger einen GdB von 50 fest.
Auf seinen Neufeststellungsantrag vom 30. 9. 2008 hob der Beklagte den Bescheid vom 19. 6. 1992 auf und stellte unter Zugrundelegung folgender Behinderungen:
1. Hirnleistungsminderung nach Schädel-Hirn-Trauma, postoperative Epilepsie 2. Schädel-Hirn-Trauma 3. obstruktive Ventilationsstörungen 4. Sehbehinderung 5. Coxarthrose beidseits 6. Lumbalsyndrom 7. Bluthochdruck
für die Behinderungen Punkt 2 bis 4 einen GdB von 50 mit Wirkung ab 1. 9. 1978 und einen GdB von 70 mit Wirkung ab 1. 5. 1998 sowie für die Behinderungen Punkt 1 und 3 bis 7 einen GdB von 80 mit Wirkung ab 2. 10. 2008 fest (Bescheid vom 22. 7. 2009).
Der Bescheid wurde bestandskräftig. Ab September 2009 wandte sich der Beklagte an das Thüringer Landesverwaltungsamt, welches dem Beklagten mit Schreiben vom 3. 12. 2009 mitteilte, dass der Bescheid vom 22. 7. 2009 hinsichtlich des Feststellungsbeginns eines GdB von 50 ab 1. 9. 1978 rechtswidrig begünstigend sei.
Daraufhin nahm der Beklagte nach Anhörung des Klägers den Bescheid vom 22. 7. 2009 insoweit zurück, als hierin der Bescheid vom 20. 1. 1992 in der Fassung vom 19. 6. 1992 aufgehoben und mit Wirkung ab 1. 9. 1978 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für einen GdB von 50 festgestellt wurde. Die Feststellung einer Behinderung und des darauf beruhenden GdB auf der Grundlage des in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1978 geltenden schwerbehinderten Rechts für einen Bürger der früheren DDR sei zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, der Bescheid sei insoweit rechtwidrig, als er hierzu eine Regelung treffen würde. Der Kläger hätte aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht bestehen würde. Dies sei anzunehmen, da es sich bei der Schwerbehindertenfeststellung ab dem Jahre 1978 um einen solchen Fehler handeln würde, der ohne Weiteres erkennbar und augenfällig gewesen sei (Bescheid vom 25. 3. 2010).
Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde durch das Thüringer Landesverwaltungsamt des Freistaates Thüringen als unbegründet zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 21. 9. 2010).
Hiergegen richtet sich die am 21. Oktober 2010 erhobene Klage.
Der Kläger vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die Aufhebung der Bewilligung rechtswidrig gewesen sei. Er sei davon ausgegangen, dass die Bemessung des GdB von 50 ab 1. 9. 1978 richtig gewesen sei. Er sei ja auch wegen des Unfalls 1979 ausgemustert worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 25. 3. 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. 9. 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Er verweist im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide sowie die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (GZ: 25-0622), die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der geheimen Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 25. 3. 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. 9. 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in dessen Rechten. Der Beklagte hat zu Unrecht die Feststellung eines GdB von 50 ab 1. 9. 1978 aufgehoben.
Maßgebliche Rechtsvorschrift ist § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach darf ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X).
Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X).
Der Bescheid vom 22. 7. 2009 war insoweit rechtswidrig, als er für die Zeit ab 1. 9. 1978 einen GdB von 50 festgestellt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob zum damaligen Zeitpunkt aus medizinischen Gründen ein GdB von 50 zutreffend gewesen wäre. Der Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit ab 1. 9. 1978 standen jedoch Rechtsgründe entgegen. Zunächst ist hierzu allerdings festzuhalten, dass sich die Rechtswidrigkeit - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht aus dem Einigungsvertrag ergibt. Die Regelung des Einigungsvertrages schließt grundsätzlich nicht die rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 aus, sondern trifft u. a. lediglich Regelungen, die die Gültigkeit der Schwer- und Schwerstbeschädigten -ausweise, die gem. der Anordnung über die Anerkennung als Beschädigte und Ausgabe von Beschädigtenausweise vom 10. Juni 1971 in der ehemaligen DDR ausgegeben worden sind, betreffen. Diese galten bis zum Auflauf ihrer Gültigkeit, längstens bis zum 31. Dezember 1993, als Ausweise über die Eigenschaft als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 bei Ausweisstufe II, 80 bei Ausweisstufe III und 100 bei Ausweisstufe IV (vgl. Einigungsvertrag Anlage I, Kapitel VIII, E III, Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet E - Arbeitsmarktpolitik Arbeitsförderung, Arbeitslosenversicherung Abschnitt III, Nr. 1a BB). Da der Kläger aber nie Inhaber eines Schwer- und Schwerstbeschädigtenausweises der ehemaligen DDR war, sind die Bestimmungen des Einigungsvertrages nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der rückwirkenden Feststellung eines GdB zu begründen.
Die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. 7. 2009 ergibt sich jedoch daraus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 22. 7. 2009 keinen Anspruch auf die rückwirkende Feststellung eines Status als schwerbehinderter Mensch im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) gehabt hat. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Zum Nachweis dieser Eigenschaft ist jedoch eine wirkliche Feststellung erforderlich. Dementsprechend stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (vgl. § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Von welchem Zeitpunkt an diese Feststellung zu treffen ist, wird im SGB IX nicht ausdrücklich geregelt. Hinreichende Maßgaben zur Bestimmung des Wirksamkeitsbeginns einer GdB-Feststellung lassen sich jedoch aus dem Sinn und Zweck solcher Feststellungen und dem Erfordernis einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes herleiten (BSG vom 7. 4. 2011, AZ: B 9 SB 3/10 R). Dabei ist davon auszugehen, dass es sich um Statusfeststellungen handelt, die in einer Vielzahl von Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen und Nachteilsausgleichen ermöglichen sollen. Da eine derartige Inanspruchnahme regelmäßig nicht (für längere Zeit) rückwirkend möglich ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn die GdB-Feststellung für die Zeit ab Antragstellung erfolgt (BSG ebenda). Mit der Stellung des Antrages bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von den behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte (BSG ebenda).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ließ sich das besondere Interesse des Klägers an einer rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 22. 7. 2009 auch nicht ansatzweise feststellen. Weder hat der Kläger vorgetragen, noch ergibt sich dies nach Aktenlage, dass der Kläger aus der Feststellung eines GdB von 50 zum Zeitpunkt ab 1. 9. 1978 irgendwelche Vorteile, beispielsweise den Bezug einer abschlagsfreien Altersrente, ziehen könnte. Von daher war das besondere Interesse des Klägers an der rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit ab 1. 9. 1978 zu verneinen, mit der Folge, dass der Bescheid vom 22. 7 2009 insoweit rechtswidrig begünstigend für den Kläger gewesen ist. Es besteht auch kein Anhalt dafür, dass der Kläger schutzwürdig im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X gewesen ist.
Allerdings kann sich der Kläger auf die Vorschrift des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X berufen. Danach wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 und - im vorliegenden Fall ohne Relevanz - § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Da Anhaltspunkte dafür fehlen, dass der Kläger den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat bzw. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 SGB X), kommt eine Rücknahme des Bescheides vom 22. 7. 2009 nur dann in Betracht, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit der rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit ab 1. 9. 1978 kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Für eine solche grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. 7. 2009 bestehen nach Auffassung der Kammer nicht die geringsten Anhaltspunkte. Weder musste der Kläger die - insoweit nicht zutreffende - Rechtsauffassung des Beklagten zur Anwendbarkeit des Einigungsvertrages noch die einschlägige Rechtsprechung des BSG zum Erfordernis des "besonderen Interesses" an einer rückwirkenden Feststellung des GdB kennen, zumal diese offensichtlich auch bei dem Beklagten nicht vorhanden gewesen ist. Der Kläger ist darüber hinaus weder ein mit der Anwendung des SGB IX vertrauter Jurist noch findet sich nach Aktenlage der geringste Hinweis darauf, dass dem Kläger die Rechtslage bekannt war bzw. sich ihm hätte aufdrängen müssen, etwa indem ihm seitens des Beklagten die entsprechende Rechtslage vor Erteilung des Bescheides vom 22.07.2012 mitgeteilt wurde. Vielmehr hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2012 überzeugend bekundet, dass er von der Richtigkeit der Bemessung des GdB von 50 ab 1. 9. 1978 ausgegangen ist. Da somit die Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht vorliegen konnte der Klage der Erfolg nicht versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte berechtigt war, den Grad der Behinderung (GdB) vom 50 ab 1978 aufzuheben.
Das damals zuständige Versorgungsamt Erfurt des Freistaates Thüringen stellte mit Bescheid vom 19. 6. 1992 bei dem 1960 geborenen Kläger einen GdB von 50 fest.
Auf seinen Neufeststellungsantrag vom 30. 9. 2008 hob der Beklagte den Bescheid vom 19. 6. 1992 auf und stellte unter Zugrundelegung folgender Behinderungen:
1. Hirnleistungsminderung nach Schädel-Hirn-Trauma, postoperative Epilepsie 2. Schädel-Hirn-Trauma 3. obstruktive Ventilationsstörungen 4. Sehbehinderung 5. Coxarthrose beidseits 6. Lumbalsyndrom 7. Bluthochdruck
für die Behinderungen Punkt 2 bis 4 einen GdB von 50 mit Wirkung ab 1. 9. 1978 und einen GdB von 70 mit Wirkung ab 1. 5. 1998 sowie für die Behinderungen Punkt 1 und 3 bis 7 einen GdB von 80 mit Wirkung ab 2. 10. 2008 fest (Bescheid vom 22. 7. 2009).
Der Bescheid wurde bestandskräftig. Ab September 2009 wandte sich der Beklagte an das Thüringer Landesverwaltungsamt, welches dem Beklagten mit Schreiben vom 3. 12. 2009 mitteilte, dass der Bescheid vom 22. 7. 2009 hinsichtlich des Feststellungsbeginns eines GdB von 50 ab 1. 9. 1978 rechtswidrig begünstigend sei.
Daraufhin nahm der Beklagte nach Anhörung des Klägers den Bescheid vom 22. 7. 2009 insoweit zurück, als hierin der Bescheid vom 20. 1. 1992 in der Fassung vom 19. 6. 1992 aufgehoben und mit Wirkung ab 1. 9. 1978 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für einen GdB von 50 festgestellt wurde. Die Feststellung einer Behinderung und des darauf beruhenden GdB auf der Grundlage des in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1978 geltenden schwerbehinderten Rechts für einen Bürger der früheren DDR sei zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, der Bescheid sei insoweit rechtwidrig, als er hierzu eine Regelung treffen würde. Der Kläger hätte aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht bestehen würde. Dies sei anzunehmen, da es sich bei der Schwerbehindertenfeststellung ab dem Jahre 1978 um einen solchen Fehler handeln würde, der ohne Weiteres erkennbar und augenfällig gewesen sei (Bescheid vom 25. 3. 2010).
Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde durch das Thüringer Landesverwaltungsamt des Freistaates Thüringen als unbegründet zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 21. 9. 2010).
Hiergegen richtet sich die am 21. Oktober 2010 erhobene Klage.
Der Kläger vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die Aufhebung der Bewilligung rechtswidrig gewesen sei. Er sei davon ausgegangen, dass die Bemessung des GdB von 50 ab 1. 9. 1978 richtig gewesen sei. Er sei ja auch wegen des Unfalls 1979 ausgemustert worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 25. 3. 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. 9. 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Er verweist im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide sowie die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (GZ: 25-0622), die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der geheimen Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 25. 3. 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. 9. 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in dessen Rechten. Der Beklagte hat zu Unrecht die Feststellung eines GdB von 50 ab 1. 9. 1978 aufgehoben.
Maßgebliche Rechtsvorschrift ist § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach darf ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X).
Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X).
Der Bescheid vom 22. 7. 2009 war insoweit rechtswidrig, als er für die Zeit ab 1. 9. 1978 einen GdB von 50 festgestellt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob zum damaligen Zeitpunkt aus medizinischen Gründen ein GdB von 50 zutreffend gewesen wäre. Der Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit ab 1. 9. 1978 standen jedoch Rechtsgründe entgegen. Zunächst ist hierzu allerdings festzuhalten, dass sich die Rechtswidrigkeit - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht aus dem Einigungsvertrag ergibt. Die Regelung des Einigungsvertrages schließt grundsätzlich nicht die rückwirkende Feststellung eines GdB von 50 aus, sondern trifft u. a. lediglich Regelungen, die die Gültigkeit der Schwer- und Schwerstbeschädigten -ausweise, die gem. der Anordnung über die Anerkennung als Beschädigte und Ausgabe von Beschädigtenausweise vom 10. Juni 1971 in der ehemaligen DDR ausgegeben worden sind, betreffen. Diese galten bis zum Auflauf ihrer Gültigkeit, längstens bis zum 31. Dezember 1993, als Ausweise über die Eigenschaft als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 bei Ausweisstufe II, 80 bei Ausweisstufe III und 100 bei Ausweisstufe IV (vgl. Einigungsvertrag Anlage I, Kapitel VIII, E III, Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet E - Arbeitsmarktpolitik Arbeitsförderung, Arbeitslosenversicherung Abschnitt III, Nr. 1a BB). Da der Kläger aber nie Inhaber eines Schwer- und Schwerstbeschädigtenausweises der ehemaligen DDR war, sind die Bestimmungen des Einigungsvertrages nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der rückwirkenden Feststellung eines GdB zu begründen.
Die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. 7. 2009 ergibt sich jedoch daraus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 22. 7. 2009 keinen Anspruch auf die rückwirkende Feststellung eines Status als schwerbehinderter Mensch im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) gehabt hat. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Zum Nachweis dieser Eigenschaft ist jedoch eine wirkliche Feststellung erforderlich. Dementsprechend stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (vgl. § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Von welchem Zeitpunkt an diese Feststellung zu treffen ist, wird im SGB IX nicht ausdrücklich geregelt. Hinreichende Maßgaben zur Bestimmung des Wirksamkeitsbeginns einer GdB-Feststellung lassen sich jedoch aus dem Sinn und Zweck solcher Feststellungen und dem Erfordernis einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes herleiten (BSG vom 7. 4. 2011, AZ: B 9 SB 3/10 R). Dabei ist davon auszugehen, dass es sich um Statusfeststellungen handelt, die in einer Vielzahl von Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen und Nachteilsausgleichen ermöglichen sollen. Da eine derartige Inanspruchnahme regelmäßig nicht (für längere Zeit) rückwirkend möglich ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn die GdB-Feststellung für die Zeit ab Antragstellung erfolgt (BSG ebenda). Mit der Stellung des Antrages bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von den behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte (BSG ebenda).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ließ sich das besondere Interesse des Klägers an einer rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 22. 7. 2009 auch nicht ansatzweise feststellen. Weder hat der Kläger vorgetragen, noch ergibt sich dies nach Aktenlage, dass der Kläger aus der Feststellung eines GdB von 50 zum Zeitpunkt ab 1. 9. 1978 irgendwelche Vorteile, beispielsweise den Bezug einer abschlagsfreien Altersrente, ziehen könnte. Von daher war das besondere Interesse des Klägers an der rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit ab 1. 9. 1978 zu verneinen, mit der Folge, dass der Bescheid vom 22. 7 2009 insoweit rechtswidrig begünstigend für den Kläger gewesen ist. Es besteht auch kein Anhalt dafür, dass der Kläger schutzwürdig im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X gewesen ist.
Allerdings kann sich der Kläger auf die Vorschrift des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X berufen. Danach wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 und - im vorliegenden Fall ohne Relevanz - § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Da Anhaltspunkte dafür fehlen, dass der Kläger den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat bzw. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 SGB X), kommt eine Rücknahme des Bescheides vom 22. 7. 2009 nur dann in Betracht, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit der rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit ab 1. 9. 1978 kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Für eine solche grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 22. 7. 2009 bestehen nach Auffassung der Kammer nicht die geringsten Anhaltspunkte. Weder musste der Kläger die - insoweit nicht zutreffende - Rechtsauffassung des Beklagten zur Anwendbarkeit des Einigungsvertrages noch die einschlägige Rechtsprechung des BSG zum Erfordernis des "besonderen Interesses" an einer rückwirkenden Feststellung des GdB kennen, zumal diese offensichtlich auch bei dem Beklagten nicht vorhanden gewesen ist. Der Kläger ist darüber hinaus weder ein mit der Anwendung des SGB IX vertrauter Jurist noch findet sich nach Aktenlage der geringste Hinweis darauf, dass dem Kläger die Rechtslage bekannt war bzw. sich ihm hätte aufdrängen müssen, etwa indem ihm seitens des Beklagten die entsprechende Rechtslage vor Erteilung des Bescheides vom 22.07.2012 mitgeteilt wurde. Vielmehr hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2012 überzeugend bekundet, dass er von der Richtigkeit der Bemessung des GdB von 50 ab 1. 9. 1978 ausgegangen ist. Da somit die Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht vorliegen konnte der Klage der Erfolg nicht versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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