S 12 AS 2975/10

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 12 AS 2975/10
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Einer auf die Bescheidung eines Widerspruchs gegen einen Erstattungsbescheid gerichteten Untätigkeitsklage ermangelt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Widerspruch aufschiebende Wirkung entfaltet und die aufschiebende Wirkung auch nicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Erstattungsforderung entfallen ist. Denn mit einer Entscheidung über der Widerspruch könnte weder die rechtliche noch die tatsächliche Stellung der Kläger in Bezug auf den Erstattungsbescheid verbessert werden.
SOZIALGERICHT NORDHAUSEN Beschluss In dem Rechtsstreit 1 ..., 2 ..., gesetzlich vertreten durch Frau ..., 3 ..., 4 ..., 5. , zu 3 bis 5: gesetzlich vertreten durch Frau., gesetzlich vertreten durch., zu 1 bis 5 wohnhaft: ..., - Kläger - zu 1 Prozessbevollm.: Kanzlei., ..., gegen Jobcenter , vertreten durch die Geschäftsführung, , - Beklagte - Prozessbevollm.: Rechtsanwälte ...,., hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Nordhausen durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht Grönke-Reimann, ohne mündliche Verhandlung am 2. Februar 2012 beschlos-sen: Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Kostengrundentscheidung nach näherer Maßgabe des § 193 Abs. 1 Satz 3 So-zialgerichtsgesetz (SGG) nach Erledigung der Hauptsache.

Die Kläger beziehen Grundsicherungsleistungen nach näherer Bestimmung des Sozialgesetz-buch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II); sie hatten zunächst unter dem 3. Mai 2010 Untätigkeitsklage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, über den Widerspruch vom 3. Februar 2010 gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Januar 2010 zu entscheiden. Zu deren Begründung hatten sie ausgeführt, daß die Klage nach Ablauf von drei Monaten zulässig und begründet sei. Ein weiteres Abwarten sei nicht mehr zumutbar; Gründe für die verzögerte Widerspruchsbearbeitung seien nicht erkennbar.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 3. Mai 2010 den Widerspruch als unbegründet zurückge-wiesen.

In der weiteren Folge haben die Kläger unter dem 12. September 2011 die Erledigung der Hauptsache erklärt und eine gerichtliche Kostenentscheidung beantragt. Sie haben ausgeführt, daß "die Beklagte schlicht verpflichtet (sei), die Bearbeitung der Widersprüche/Anträge so zu organisieren, daß die Entscheidung hierüber beim Bevollmächtigten innerhalb des Frist des § 88 SGG ... zugeht".

Die Kläger beantragen,

der Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Kläger aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

zu erkennen, daß die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben.

Die Beklagte hat herausgestellt, daß Sinn und Zweck der streitgegenständlichen Untätigkeits-klage nicht erkennbar seien. Denn mit ihrem Widerspruch vom 3. Februar 2010 wenden sich die Kläger gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid (Rückforderung ca. 356 Euro) vom 4. Januar 2010; - indessen entfalte der Widerspruch gegen einen Aufhebungs- und Er-stattungsbescheid kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, so daß eine Vollziehung der Rück-forderung bis zur Widerspruchsentscheidung von den Klägern nicht zu gewärtigen sei. Daher -so die weiteren Ableitungen der Beklagten- erscheine die Erhebung der Untätigkeitsklage als (bloße) Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ohne eigenen Nutzen; das Gebühren-interesse des Prozeßbevollmächtigten sei nicht als eigenes Interesse der Kläger anzusprechen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den in der Akte befindlichen Schriftwechsel insgesamt verwiesen. Darüber hinaus hat die Gerichtsakte L 9 SF 1111/10 vorgelegen: den Befangenheitsantrag vom 3. September 2010 hat das Thüringer Landessozialgericht mit Beschluss vom 28. Juli 2011 als unbegründet zurückgewiesen.

II.

Nach angenommenem Anerkenntnis -hier in Form der Erklärung der Erledigung der Haupt-sache vom 12. September 2011- und dadurch bedingter Verfahrensbeendigung nach § 101 Abs. 2 SGG ist auf Antrag der Kläger (nur noch) über die Kostentragungspflicht zu entschei-den, § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG.

Maßgeblich für das auszuübende sachgemäße Ermessen ist dabei einerseits das in § 91a Zi-vilprozeßordnung (ZPO) verankerte Unterlegensprinzip, wonach summarisch der vermutliche Ausgang des Verfahrens zu ermitteln und danach die Kostenlast zu verteilen ist. Andererseits ist in sozialgerichtlichen Verfahren auch das Veranlassungs- und Verursachungsprinzip zu beachten, wonach kostenrelevant sein kann, ob eine Behörde Anlaß für eine unbegründete Klage gegeben hat (MEYER-LADEWIG/KELLER/LEITHERER, SGG, 9. Auflage, § 193 Rn. 13). Schließlich kann das Verhalten der Prozeßbeteiligten relevant sein.

Hieran gemessen erscheint es sachgerecht, der Beklagten keine Kostentragungspflicht aufzu-erlegen. Dabei läßt sich das Gericht im Streitfall von folgenden Überlegungen leiten:

1. Mit Beschluss vom 2. August 2011, Az. S 12 AS 4365/10 hat das Gericht zu den Obliegen-heiten bei der Erhebung von Untätigkeitsklagen u.a. wie folgt ausgeführt: " ... regelmäßig ist es den Rechtsschutzsuchenden vor Erhebung einer Untätigkeitsklage zuzumuten, bei der Be-hörde selbst vorstellig zu werden, um die Gründe der Verzögerung zu erfahren und auf die Notwendigkeit der Erteilung eines zeitnahen Bescheides hinzuwirken (Landessozialgericht Niedersachsen, Beschluss vom 11. November 1991, Az. L 7 S (Ar) 175/91 und Sozialgericht Duisburg, Beschluss vom 13. Februar 2009, Az. S 10 R 193/07). Dem haben die Kläger nicht entsprochen, so daß eine Kostentragungspflicht der Beklagten ... insoweit zu verneinen ist ..." Dem hat das Gericht im streitgegenständlichen Fall nichts hinzuzufügen.

2. Einer auf die Bescheidung eines Widerspruchs gegen einen Erstattungsbescheid gerichteten Untätigkeitsklage ermangelt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn -wie vorliegend- der Widerspruch aufschiebende Wirkung entfaltet und die aufschiebende Wirkung auch nicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Erstattungsforderung entfallen ist. Dabei geht das Gericht im Grundsatz davon aus, daß regelmäßig ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen ist, wenn der Kläger Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes ist. Daher müs-sen besondere Umstände hinzutreten, die das Rechtsschutzbedürfnis ausschließen. In Folge dessen ist ein Rechtsschutzbedürfnis (nur) zu verneinen, wenn der Kläger mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung offensichtlich keinerlei nennenswerte rechtliche oder tatsächliche Vorteile erlangen kann (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. November 1996, 4 C 13/95) und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb für ihn nutzlos erscheint (Bundesver-waltungsgericht, Urteil vom 21. November 1996, 4 C 13/95; REDEKER/VON OERTZEN, Ver-waltungsgerichtsordnung, 12. Aufl., § 42 Rn. 28 m.w.N.). Im Streitfall ist zu beachten, daß die Bestimmung des § 39 Nr. 1 SGB II -hiernach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf-hebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung- nicht greift, weil mit dem Erstattungsbescheid vom 4. Januar 2010 die Erstattung der gezahlten Leistun-gen nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gefordert wird (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. September 2011, Az. L 19 AS 1509/11 B ER, L 19 AS 1510/11; CONRADIS im MÜNDER, SGB II, § 39 Rn. 7 - jeweils m.w.N.). Daher hat bereits der Widerspruch vom 3. Februar 2010 aufschiebende Wirkung; auch hat die Be-klagte nicht die sofortige Vollziehung der Erstattungsforderung angeordnet. Bei dieser Sach- und Rechtslage aber kann das Gericht nicht erkennen, wie durch eine obsiegende Untätig-keitsklage auf Bescheidung des Widerspruchs gegen den Erstattungsbescheid die tatsächliche oder rechtliche Stellung der Kläger verbessert werden könnte. Denn bereits mit der Erhebung des Widerspruches vom 3. Februar 2010 waren die (Rück-)Zahlungspflichten der Kläger bis zur Widerspruchsentscheidung ausgesetzt. Mit einer Entscheidung über der Widerspruch vom 3. Februar 2010 konnte daher weder die rechtliche noch die tatsächliche Stellung der Kläger in Bezug auf den Erstattungsbescheid verbessert werden.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG.
Rechtskraft
Aus
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