L 3 (18) RA 29/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 4 RA 24/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 (18) RA 29/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18. April 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Rente des Klägers ungekürzt auszahlen muss, obwohl zwei Versorgungsaus gleiche durchgeführt worden sind.

Der im ... 1941 geborene Kläger war in erster Ehe mit B. W., geb. M., verheiratet. Die Ehe wurde im Februar 1981 rechtskräftig geschieden. Im Zuge des Versorgungsausgleichs übertrug das Familiengericht D Rentenanwartschaften des Klägers auf das Versicherungskonto seiner ersten Ehefrau.

Der Kläger heiratete im ... 1981 R. W., geb. G ... Ihr gewährte die Beklagte ab Dezember 1982 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; der Kläger erhält seit September 1989 Erwerbsunfähigkeitsrente. Bei der Berechnung seiner Rente ließ die Beklagte den Abschlag aus dem Versorgungsausgleich mit seiner ersten Ehefrau unberücksichtigt, weil er weiterhin verpflichtet war, ihr Unterhalt zu zahlen.

Die zweite Ehe des Klägers wurde im Oktober 1997 geschieden; von seinem Versicherungskonto wurden auf das Versicherungskonto seiner zweiten Ehefrau - bezogen auf das Ende der Ehezeit am 31. März 1996 - Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 353,88 DM übertragen (Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Mai 1998, rechtskräftig seit dem 21. August 1998).

Mit Bescheid vom 25. September 1998 berechnete die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers neu und berücksichtigte dabei die Abschläge aus dem ersten und zweiten Versorgungsausgleich. Dagegen erhob der Kläger am 21. Oktober 1998 Wider spruch und führte zur Begründung aus, er sei seiner ersten Ehe frau weiterhin unterhaltspflichtig. Seine zweite Ehefrau erhalte ihre Erwerbsunfähigkeitsrente zu Unrecht, weil sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfülle, keinen Berufsschutz genieße und in Spanien eine selbständige Tätigkeit ausübe.

Nachdem die Beklagte den Zuschlag aus dem Versorgungsausgleich zugunsten seiner zweiten Ehefrau ab dem 01. November 1998 rentensteigernd berücksichtigt hatte (Bescheid vom 30. September 1998), "wandelte" sie ihre Erwerbsunfähigkeitsrente vom 01. Juni 1997 bis zum 31. Dezember 1998 rückwirkend in eine Berufsunfähigkeitsrente um. Seit dem 01. Januar 1999 erhält die zweite Ehefrau des Klägers wieder Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Gegenüber dem Kläger machte die Beklagte durch Teilabhilfebescheid vom 18. November 1998 die Kürzung seiner Erwerbsunfähigkeitsrente aufgrund des ersten Versorgungsausgleichs rückgängig. Mit Bescheid vom 19. Mai 1999 lehnte sie es jedoch ab, ihm die Erwerbsunfähigkeitsrente auch "hinsichtlich der zweiten Scheidung" ungekürzt auszuzahlen, weil die zweite Ehefrau "aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht" Rente erhalte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück, weil seine zweite Ehefrau ihre Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente aufgrund eines rechtswirksamen Bescheids beziehe.

Dagegen hat der Kläger am 25. Januar 2000 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, seine zweite Ehefrau habe ab September 1981 bis August 1989 eine private Wohnungsvermittlung betrieben, später als Kranken- und Pflegefachkraft gearbeitet und in Spanien eine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Deshalb ständen ihr weder eine Berufs- noch eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu. Wenn die Beklagte ihr dennoch rechtswidrig Rente zahle, dürfe dies nicht zu seinen Lasten gehen.

Während des Klageverfahrens gewährte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 28. März 2001 Altersrente für Schwerbehinderte ab dem 01. Juni 2001 und berücksichtigte dabei weiterhin den Abschlag aus dem zweiten Versorgungsausgleich.

Mit Urteil vom 18. April 2002 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Beklagte habe die Rente des Klägers aufgrund des zweiten Versorgungsausgleichs zu Recht gekürzt, weil er seiner zweiten Ehefrau weder Unterhalt zahle noch zahlen müsse. Sie erhalte seit Dezember 1982 aufgrund bindender Bescheide durchgehend Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Dagegen könne der Kläger als mittelbar Betroffener nichts unternehmen. Er könne die Beklagte allenfalls auffordern, die Rechtmäßigkeit des Rentenbezugs von Amts wegen zu überprüfen. Eine entsprechende Prüfung habe die Beklagte durchgeführt; weitere subjektive Rechte stünden ihm nicht zu. Auch das Rentnerprivileg des § 101 Abs. 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) könne der Kläger nicht beanspruchen, weil seine zweite Ehefrau bereits Rentnerin sei und sich der Zuschlag aus dem Versorgungsausgleich zu ihren Gunsten sofort rentensteigernd auswirke.

Nach Zustellung am 26. April 2002 hat der Kläger gegen diese Entscheidung am 23. Mai 2002 Berufung eingelegt und vorgetragen, der Versorgungsausgleich werde zu Gunsten seiner zweiten Ehefrau erst bei Eintritt eines neuen Versicherungsfalles wirksam. Deshalb sei er so zu behandeln, als ob seine zweite Ehe frau (noch) keine Rente bezöge. Im Übrigen habe seine zweite Ehefrau bereits bei der Rentenantragsstellung im November 1982

ihre selbständige Tätigkeit als Immobilienmaklerin verschwiegen und wahrheitswidrig angegeben, gelernte Krankenschwester zu sein. Während des Rentenbezugs habe sie weiterhin als selbständige Immobilienmaklerin und Modeberaterin sowie als abhängig beschäftigte Krankenschwester und Pflegehelferin gearbeitet und dabei mehr als geringfügige Einkünfte erzielt habe. Wegen ihrer Selbständigkeit und den mehr als geringfügigen Einnahmen habe sie nie Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gehabt. Be rufsunfähigkeit scheide ebenfalls aus, weil sie als angelernte Krankenschwester keinen Berufsschutz genieße. Bis seine zweite Ehefrau einen rechtmäßigen Rentenanspruch erwerbe, müsse seine Rente aufgrund des Rentnerprivilegs ungekürzt weitergezahlt werden. Er habe nämlich einen Anspruch darauf, dass die Beklag te sich rechtmäßig verhalte, seine Rente korrekt berechne und in voller Höhe auszahle. Dabei sei sie nicht an ihre Feststel lungen aus dem Sozialversicherungsverhältnis mit seiner zweiten Ehefrau gebunden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18. April 2002 abzuändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 25. September 1998, 18. November 1998 und 19. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 28. Dezember 1999 und des Altersrentenbescheids vom 28. März 2001 zu verurteilen, ihm ungekürzte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 30. Oktober 1998 hinaus bis zum 31. Mai 2001 sowie ungekürzt Altersrente wegen Schwerbehinderung ab dem 01. Juni 2001 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte (Versicherungsnummer: ...) verwiesen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), weil er keinen Anspruch auf ungekürzte Auszahlung seiner Rente hat.

Sofern ein Versorgungsausgleich durch Übertragung von Renten anwartschaften zu Lasten des Versicherten durchgeführt worden ist, hat die Beklagte nach § 76 Abs. 1 und 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) einen Abschlag an Entgeltpunkten zu berücksichtigen. Die Entgeltpunkte werden nach § 76 Abs. 4 SGB VI in der Weise ermittelt, dass der Monatsbetrag der Rentenanwartschaft (353,88 DM) durch den aktuellen Rentenwert mit seinem Wert bei Ende der Ehezeit (hier: 46,23 DM) geteilt wird. Demgemäß hat die Beklagte den Abschlag von 7,6548 Entgeltpunkten zutreffend ermittelt, was unter den Beteiligten auch unstreitig.

Das sog. Rentnerprivileg des § 101 Abs. 3 Satz 1 SGB VI greift nicht zugunsten des Klägers ein. Danach wird der Rentenabschlag "suspendiert", wenn die Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich zu Lasten des Versicherten erst nach dem Rentenbeginn wirksam wird. In diesem Falle wird die Rente des Ausgleichsverpflichteten erst gemindert, wenn bei einer Rente aus der Versicherung des Ausgleichsberechtigten ein Zuschlag zu berücksichtigen ist.

Die Vorschrift kann einerseits in dem Sinne verstanden werden, dass die Kürzung der Versorgung nur bei Bestehen eines Rentenanspruchs des früheren Ehegatten, d.h. erst bei rechtmäßiger Gewährung einer Rente, eintreten soll. Bei dieser Auslegung wäre der Rentenabschlag solange zu suspendieren, bis die Beklagte einen rechtmäßigen Rentenbescheid erlässt. Andererseits kann die Norm aber auch so interpretiert werden, dass die Kür zung beim Ausgleichsverpflichteten immer schon dann erfolgen soll, wenn dem ausgleichsberechtigten früheren Ehegatten eine Rente aufgrund eines (bestandskräftigen) Bescheids gewährt wird. In diesem Fall würde der Rentenbescheid an die zweite Ehefrau zu Lasten des Klägers Tatbestandwirkung entfalten. Dies hätte gleichzeitig zur Folge, dass der Kläger (und dessen Ver sorgungsträger) diesen Verwaltungsakt - abgesehen von dessen Nichtigkeit - ohne Anfechtungsmöglichkeit hinnehmen müsste.

Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 25. November 1986, Az.: 11a RA 18/85, BSGE 61, 27, 28) hat dem § 83a Abs. 4 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), der Vorgängerregelung des § 101 Abs. 3 SGB VI, Tatbestandswirkung zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Versorgungsträger (Versicherungsträger) des ausgleichsverpflichteten Ehegatten und im Streitfall das für die Anfechtung der Kürzung zuständige Gericht nicht darüber zu entscheiden haben, ob dem ausgleichsberechtigten Ehegatten die (gewährte) Rente zusteht oder nicht. In dieser Frage dürfe es keine unterschiedliche Beurteilung unter den Leistungsträgern geben. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Hätte der Versicherungsträger des ausgleichsverpflichteten Ehegatten nämlich in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Rentengewährung an den ausgleichsberechtigten Ehegatten zu Recht erfolgt, wären divergierende Entscheidungen vorprogrammiert: Müsste die Beklagte in diesem Fall beide Renten ungekürzt zahlen, würde die divergierende Entscheidung zu einer finanziellen Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft führen, was nicht zu rechtfertigen wäre. Würde man dagegen die Rente der zweiten Ehefrau kürzen, verstieße dies gegen den Grundgedanken des Versorgungsausgleichs: die vermögensrechtliche Auseinandersetzung der geschiedenen Ehegat ten durch Teilung der Versorgungsanwartschaften umfassend und abschließend zu regeln. Dieser Zielsetzung widerspräche es, wenn der Ausgleichsberechtigte bzw. sein Versicherungsträger auf das Wirksamwerden der übertragenen Rentenanwartschaften Einfluss hätte. Denn dann würde sich das Risiko, Rentenansprü che durchzusetzen, zu Ungunsten des Ausgleichsberechtigten ver lagern. Zudem bestünde die Gefahr, dass der Ausgleichsverpflichtete seine Einflussmöglichkeiten für eine "Verhinderungsstrategie" ausnutzt (BVerfG, Beschluss vom 09. Januar 1991, Az.: 1 BvR 207/87, NJW 1991, 1878, 1879).

Da der Rentenbescheid an die zweite Ehefrau zu Lasten des Klä gers Tatbestandswirkung hat, wird der Versorgungsausgleich zu ihren Gunsten nicht erst bei Eintritt eines neuen Versicherungsfalles wirksam. Denn nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 100 Abs. 1 SGB VI hat die zweite Ehefrau des Klägers einen Anspruch darauf, dass der Zuschlag aus dem Versorgungsausgleich bei ihrer Rente bereits von dem Kalendermonat an rentensteigernd berücksichtigt wird, zu dessen Beginn er wirksam wird. Da das Urteil des OLG Hamm vom 14. Mai 1998 seit dem 21. August 1998 rechtskräftig ist, hatte sie ab dem 01. September 1998 einen Anspruch auf Er höhung ihrer Rente. Allerdings konnte die Beklagte, um Doppel leistungen zu vermeiden, gem. § 1587p des Bürgerlichen Gesetz buches (BGB) noch bis zum Ablauf des Monats befreiend an den Kläger leisten, der dem Monat folgt, in dem ihr die Entscheidung des Familiengerichts zugestellt worden ist. Da die Beklag te erst am 10. September 1998 erfuhr, dass das Urteil des OLG Hamm rechtskräftig ist, endete die Schutzfrist des § 1587p BGB am 30. Oktober 1998. Insofern ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Rente des Klägers aufgrund des Versorgungsausgleichs erst (bzw. aus Sicht des Klägers schon) ab dem 01. November 1998 kürzte.

Die Kürzung ist schließlich auch nicht gem. § 5 Abs. 1 des Ge setzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird die Versorgung des Verpflichteten aufgrund des Versorgungsausgleichs nicht gekürzt, solange der Berechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Rente erhalten kann und er gegen den Verpflichteten einen Anspruch auf Unterhalt hat oder nur des halb nicht hat, weil der Verpflichtete zur Unterhaltsleistung wegen der auf dem Versorgungsausgleich beruhenden Kürzung sei ner Versorgung außerstande ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die geschiedene Ehefrau "aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht" ab dem 01. November 1998 Rente erhält.

Da der Rentenbescheid, den die Beklagte der zweiten Ehefrau er teilt hat, zu Lasten des Klägers Tatbestandswirkung hat, und er diesen Bescheid mangels Klagebefugnis nicht mit Rechtsmitteln angreifen kann (BSGE 61, 27, 28; BVerfG, NJW 1991, 1878 f.; Niesel in: Kassler Kommentar, Stand: Mai 2002, § 101 Rn. 15), trägt er letztlich das Risiko, dass seine geschiedene Ehefrau Rente erhält (und seine eigene deshalb gekürzt wird), ohne dass eventuell - was der Senat weder geprüft hat noch unter Berücksichtigung obiger Darlegungen prüfen konnte - die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzli chen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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