Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 3 J 173/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RJ 86/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.03.1998 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1996 verurteilt, dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 01.01.1996 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zusteht.
Der am 00.00.1944 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er hat von 1959 bis 1995 als Hilfsarbeiter im Baugewerbe gearbeitet und diese Tätigkeit krankheitsbedingt aufgegeben. Am 12.12.1995 beantragte er eine Versichertenrente. Seinem Antrag fügte er Atteste der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. C vom 11.08.1995 und der Orthopädin Dr. I vom 28.09.1995 bei. Die Beklagte veranlasste ein Gutachten des Internisten Dr. G bei ihrer Begutachtungsstelle vom 18.01.1996. Wegen des Inhalts der Befundberichte und des internistischen Gutachtens wird auf das Gutachtenheft der Beklagten Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 30.01.1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil nach den ärztlichen Untersuchungsergebnissen beim Kläger weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Der Kläger legte Widerspruch ein mit der Begründung, aufgrund ausgeprägter Verschleißveränderungen an Wirbelsäule und Hüfte sei er auch nach Ansicht seiner behandelnden Orthopädin nicht in der Lage, eine Tätigkeit am Bau mit schwerem Heben und Bücken und unter Witterungseinflüssen auszuführen. Der Widerspruch enthielt einen Vermerk "gesehen" der Orthopädin Dr. I. Später erklärte der Kläger ergänzend, er sei nicht in der Lage, auch nur halbschichtig eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Die Beklagte holte eine Auskunft des letzten Arbeitgebers, der Firma G1-Bau GmbH, C1, vom 19.04.1996 ein. Danach war der Kläger dort vom 01.02.1994 bis 09.08.1995 als "Baufacharbeiter Berufsgruppe V" tätig. Die Tätigkeit setze für völlig ungelernte Kräfte eine Anlernzeit von drei Monaten bis längstens zwei Jahren voraus. Die Frage, ob trotz fehlender Ausbildung alle Arbeiten vollwertig wie mit einer normalen Ausbildung verrichtet worden seien, wurde verneint. Es habe sich um körperlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung gehandelt. Es sei der Lohn eines angelernten Arbeiters gezahlt worden, der tarifvertraglich der ausgeübten Tätigkeit entsprochen habe. Der Kläger sei an Weisungen des Poliers und des Vorarbeiters gebunden gewesen und habe selbst keine Weisungsbefugnis gehabt; die körperliche Mitarbeit habe überwogen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei als ungelernter bzw. angelernter Arbeiter einzustufen. Er sei daher nicht nur auf frühere oder diesen verwandte Tätigkeiten, sondern auch auf andere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Insofern liege Berufsunfähigkeit nicht vor; es kämen noch zahlreiche Tätigkeiten in Betracht, die der Kläger noch vollschichtig ausüben könne.
Hiergegen hat der Kläger am 26.07.1996 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben. Er hat vorgetragen, er leide an Beschwerden der Wirbelsäule und der Bewegungsorgane. Die Veränderungen der Lendenwirbelsäule führten dort zu Beschwerden, die bis in den Fuß einstrahlten und zeitweilig Taubheitsgefühle verursachten. Verstärkt werde dies durch Veränderungen der Hüftgelenke und des rechten Kniegelenks. Hinzu kämen Beschwerden im Bereich beider Fußsohlen, wodurch die Gehfähigkeit herabgesetzt werde. Behinderungen bestünden beim Bücken und Wiederaufrichten sowie beim Heben und Tragen selbst leichter Lasten. Veränderungen der Halswirbelsäule führten dort zu Beschwerden mit einstrahlenden Kopfschmerzen. Hinzu kämen Beschwerden in beiden Schulterbereichen. Seit einiger Zeit träten wiederholt teils pflaumengroße Abszesse im Bereich der Hände, der Schulter und der Leiste auf. Er leide ferner unter wiederkehrenden Zwölffingerdarmgeschwüren und an chronischer Magenschleimhautentzündung. Hinzu kämen massive depressive Verstimmungen mit Ängsten; letztere bestünden insbesondere in geschlossenen Räumen (z.B. U-Bahn); es bestehe aber auch der Verdacht der Agoraphobie und sozialer Ängste. Alpträume und Schlaflosigkeit träten auf. Die Störungen führten zeitweise zu Herzbeschwerden; mitunter träten Atemwegsbeschwerden auf. Aufgrund der vielfältigen Störungen halte er sich für erwerbsunfähig, worin er sich von den behandelnden Ärzten unterstützt sehe. Ein weiteres Hindernis für eine berufliche Tätigkeit sei sein Analphabetismus.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung ihres Bescheides vom 30.01.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass der Kläger sich wegen der erstmalig vorgetragenen depressiven Verstimmungen und Ängste nicht in fachärztliche Behandlung begeben habe, wodurch jedoch eine Besserung erreicht werden könne. Trotz des Analphabetismus könne der Kläger beispielsweise noch als Sortierer, Montierer oder Packer leichter Teile eingesetzt werden.
Das Sozialgericht hat eine Arbeitgeberauskunft der Firma G1-Bau GmbH vom 18.09.1996 eingeholt. Danach war der Kläger dort vom 01.02.1994 bis 08.08.1995 als "Maurer/Helfer" im Hochbau und bei Erdarbeiten beschäftigt. Die Arbeiten setzten keine Lehre oder Anlernzeit voraus; die Tätigkeit habe keine Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt. Die Arbeiten seien "teils" vollwertig wie bei einem normalen Ausbildungsweg verrichtet worden; der Kläger habe nicht den gleichen Lohn wie Beschäftigte mit abgeschlossener Ausbildung erhalten. Zuletzt habe er 22,10 DM pro Stunde verdient nach dem Tarifvertrag für das Baugewerbe und der Berufsgruppe V. Es habe sich um mittelschwere/schwere Arbeiten (Erdarbeiten) im Stehen und im Freien gehandelt mit häufigem Bücken.
Das Sozialgericht hat ferner Befundberichte der Orthopädin Dr. I vom 09.09.1996, des Chirurgen Dr. U vom 10.10.1996 und der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. C vom 10.11.1996 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 10, 17 und 21 der Gerichtsakte). Das Sozialgericht hat ferner ein orthopädisches Gutachten des Dr. L vom 05.05.1997 sowie ein internistisches Gutachten des Dr. C2 vom 07.10.1997 eingeholt; auf deren Inhalt wird ebenfalls Bezug genommen (Bl. 48 und 75 Gerichtsakte).
Mit Urteil vom 18.03.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht einmal berufsunfähig. Er sei dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen und könne daher auf sämtliche, nicht ganz untergeordnete Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden. Nach dem durch die Sachverständigen ermittelten Leistungsbild könne er etwa noch als Sortierer, Montierer oder Packer leichter Teile vollschichtig tätig sein. Die Ergebnisse der Sachverständigengutachten stünden nicht im Widerspruch zu den von den behandelnden Ärzten mitgeteilten Befunden. Der Kläger habe sich, wie sich aus der beigezogenen Leistungsakte des Arbeitsamtes ergebe, im Rahmen des Antrags auf Arbeitslosengeld im August 1995 für weitgehend einsatzfähig gehalten und dort erklärt, die letzte Tätigkeit sei nicht zu schwer gewesen, und er sei nicht auf Teilzeitarbeit beschränkt. Der Arbeitsamtsarzt Dr. T habe in seinem Gutachten vom 06.11.1995 zwar einen vollwertigen Einsatz als Maurerhelfer verneint, den Kläger aber weiterhin für körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Gelegenheit zu wechselnder Körperhaltung als einsatzfähig angesehen. Der Analphabetismus stehe einer Tätigkeit wie den genannten nicht entgegen. Der Kläger habe 36 Jahre lang ein Versicherungsleben erwirtschaftet, ohne dass der Analphabetismus eine wesentliche Rolle gespielt hätte. Für eine Tätigkeit als Sortierer, Montierer oder Packer leichter Teile bedürfe es keiner Schreib- und Lesekenntnisse von Belang. Das Risiko, einen freien Arbeitsplatz zu finden, falle in den Bereich der Arbeitslosenversicherung.
Gegen das am 03.04.1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.04.1998 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das Sozialgericht hätte den Sachverhalt auch neurologisch-psychiatrisch, evtl. mit eignungspsychologischer Zusatzbegutachtung, weiter aufklären müssen. Dies schon deshalb, weil er Analphabet sei und durch die zeitlebens körperlich schwere Tätigkeit im Freien geprägt sei; es hätte geklärt werden müssen, inwieweit er sich auf eine völlig neue Arbeitsumgebung überhaupt umstellen könne. Mit Ausnahme von ihm vertrauten Ortsnamen in der Stadt könne er nicht lesen. Er benutze öffentliche Verkehrsmittel; wenn er in unbekannte Gegenden fahre, müsse er Passanten fragen. Zahlen, z.B. auf seinen früheren Lohnabrechnungen, könne er lesen; sofern dort jedoch Worte oder Begriffe bezeichnet gewesen seien, habe er sich diese erklären lassen müssen. Aus seiner Sicht hinderten ihn insbesondere seine orthopädischen Leiden an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Es sei auch nicht geklärt, ob Wechselschicht, Akkord, Fließbandtätigkeit etc. möglich seien. Die vom Sozialgericht genannten Verweisungstätigkeiten würden vielfach im Akkord und darüber hinaus stehend ausgeübt, was ihm nicht möglich sei. Die orthopädischen Befunde ließen im übrigen seine Wegefähigkeit entfallen; einen Führerschein besitze er nicht. Der Kläger legte ein Attest des Orthopäden Dr. N vom 23.04.1998 vor, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 131 Gerichtsakte).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.03.1998 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1996 zu verurteilen, ihm Kläger ab 01.01.1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Befundberichte der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. C vom 29.06.1998, des Orthopäden Dr. N vom 03.08./15.09.1998 und des Neurologen und Psychiaters Dr. I1 vom 29.09.1998 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 134, 160/170 und 171 Gerichtsakte).
Der Senat hat ferner ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters I2 vom 05.02.1999 angefordert. Der Gutachter hat zur Anamnese u.a. ausgeführt, der Kläger habe die Schule nach dreimaligem Sitzenbleiben nach der 6. Klasse verlassen, da ihm das Lernen immer schon schwergefallen sei. Er sei nie verheiratet gewesen; es habe aber eine längere Partnerschaft zu einer zehn Jahre älteren Frau gegeben, die 1995 verstorben sei. Danach sei so Vieles auf ihn zugekommen, was das Gericht aber nicht wahrhaben wolle. Mit dem Tod der Partnerin sei es mit ihm bergab gegangen. Der Sohn der Partnerin habe darauf gedrungen, dass er das Haus, das ihr gehört habe, verlasse; er habe innerhalb kürzester Zeit ausziehen müssen. Er habe seit 1984 verstärkt Schmerzen vom Rücken her und dreimal vergeblich versucht, in Fabriken Arbeit zu finden. Er sei dann wieder auf den Bau gegangen. Wenn er etwas Schriftliches verstehen müsse, rufe er seine Schwester an, gebe die Buchstaben durch, und die Schwester übersetze es ihm dann so, dass er den Sinn verstehe. Der Gutachter führte u.a. weiter aus, der Kläger wirke primärpersönlich einfach strukturiert, keinesfalls debil. Er weise hinlängliche Lebenserfahrung auf und dokumentiere durch seine eigenen Angaben, dass er auch "lebensfähig" sei. Eine gewisse latente Dependenz im Hinblick auf die Sozialisation sei erkennbar; vom Affekt her wirke der Kläger chronisch bedrückt. Die Angabe, nicht lesen und schreiben zu können, sei durchaus glaubhaft. Seinen Angaben sei durchaus zu entnehmen, dass er Kontakte pflege. Er sei in der Lage, sich den Tag zu vertreiben und ihn zu strukturieren. Wegen der weiteren Ausführungen wird auf den Inhalt des Gutachtens (Bl. 187 Gerichtsakte) Bezug genommen.
Der Senat hat ferner ein Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. N1 vom 28.02.2000 eingeholt, auf dessen Inhalt (Bl. 247 Gerichtsakte) Bezug genommen wird.
Im Anschluss daran streiten die Beteiligten, ob angesichts des verbliebenen Leistungsvermögens, insbesondere unter Beachtung des Analphabetismus, wegen Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen von einer Erwerbsunfähigkeit des Klägers auszugehen ist.
Das Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen (LAA NRW) hat auf Anfrage des Senats unter dem 07.06.1999 mitgeteilt, es sei ihm nicht möglich, Vollzeittätigkeiten zu benennen, die der Kläger noch wettbewerbsfähig verrichten könne; selbst für Tätigkeiten als Montiererhelfer sowie Kunststoff-Formgeber oder andere Tätigkeiten (z.B. Kochhelfer, Bürobote, etc.) liege aus berufskundlicher Sicht keine Eignung vor. Die Beklagte trägt hierzu vor, ihr lägen keine Erkenntnisse vor, wonach Sortier-, Montier- und Packarbeiten eine Lese- und Schreibfähigkeit voraussetzten. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger überhaupt nicht lesen und schreiben könne. Er habe jedenfalls acht Jahre die Volksschule besucht und gebe selbst an, dass er seiner Schwester Schriftliches buchstabieren könne. Außer seinem Namen werde er wohl noch weiteres schreiben können; er sei bislang jedenfalls ohne Probleme durchs Leben gegangen. Konkrete Verweisungstätigkeiten seien daher nicht zu benennen. Auf Anforderung des Senats legte das LAA NRW mit Schreiben vom 24.09.1999 eine genauere Beschreibung der Anforderungen an Montiererhelfer, Kunststoff-Formgeber, Kochhelfer und Büroboten vor. Die Beklagte merkt dazu an, das LAA NRW habe lediglich für Büroboten Lese- und Schreibfähigkeit als zwingend erforderlich benannt; beim Kläger liege eine - wenn auch eingeschränkte - Lese- und Schreibfähigkeit auch vor. Jedenfalls bleibe eine Verweisung auf die Tätigkeit als Verpacker von Kleinteilen zumutbar; insofern werde auf eine Stellungnahme des Arbeitsamts (AA) Celle vom 02.11.1999 verwiesen, die für einen mit dem Kläger hinsichtlich der Einschränkungen vergleichbaren Versicherten, der auch Analphabet war, eine Einsetzbarkeit als Verpacker angenommen hatte.
Der Kläger hat daraufhin eine Stellungnahme des AA Celle vom 23.02.2000 überreicht, wonach die Auffassung des (zwischenzeitlich ausgeschiedenen) Verfassers der Stellungnahme vom 02.11.1999 über eine Einsatzmöglichkeit als Verpacker für Kleinteile nicht geteilt werde. Es werde sich vielmehr einer Stellungnahme des LAA NRW vom 10.01.2000 angeschlossen; in dieser wird ausgeführt, dass auch bei Verpackern Lese- und Schreibkenntnisse nötig seien, z.B. bei der Maschinenbedienung, bei Arbeiten nach schriftlichen Aufträgen und beim Etikettieren. Der Kläger hat ferner eine Stellungnahme des LAA NRW vom 14.12.1999 mit näheren Ausführungen u.a. zu Verpacker- und Sortierertätigkeiten vorgelegt.
Die Beklagte hält im Anschluss daran die ursprüngliche Stellungnahme des AA Celle vom 02.11.1999 weiterhin für maßgebend. Sie trägt vor, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb für Maschinenbedienung Lese- und Schreibfähigkeit zwingend erforderlich sein solle. Es sei auch davon auszugehen, dass beim Kläger ein Mindestmaß an Lesefähigkeit bestehe, welches im Rahmen einer Verpackertätigkeit ausreichend sei, selbst wenn man den Ausführungen des LAA NRW folgen sollte. Im übrigen könne der Kläger auch als Sortierer, Montierer oder Museumswärter arbeiten.
Der Kläger beruft sich daraufhin auf zwei Stellungnahmen des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz (LAA RP) vom 16.04.1999 und 23.12.1999. Darin ist ausgeführt, Verpackertätigkeiten seien meist mittelschwer bis schwer und setzten Kenntnisse im Lesen und Schreiben voraus; leichte Sortier- und Montagearbeiten ohne Akkord, Zwangshaltung, Fließbandarbeit, Wechselschicht oder besondere Verantwortung in überwiegend sitzender Haltung gebe es nicht. Die vom AA Celle in der Stellungnahme vom 02.11.1999 benannten Tätigkeiten würden, wenn überhaupt, dann in Behindertenwerkstätten verrichtet; der Verfasser der Stellungnahme sei Behindertenberater gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des LAA NRW vom 07.06.1999, 24.09.1999, 14.12.1999 und 10.01.2000 (Bl. 216, 223, 290 und 289 Gerichtsakte), des AA Celle vom 02.11.1999 und 23.02.2000 (Bl. 282 und 288 Gerichtsakte) sowie des LAA RP vom 16.04.1999 und 23.12.1999 (Bl. 298 und 296 Gerichtsakte) Bezug genommen.
Der Senat hat die Sachgebietsleiterin für Berufs- und Wirtschaftskunde beim LAA NRW C3 T1 als sachverständige Zeugin vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 20.09.2000 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten (Rentenakte der Beklagten und Leistungsakte 152350 des Arbeitsamts Brühl) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 30.01.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.1996 ist rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf die von ihm begehrte Erwerbsunfähigkeitsrente.
Dieser Anspruch erfordert - neben weiteren, im Falle des Klägers weder problematischen noch streitigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), dass der Versicherte erwerbsunfähig ist. Nach Absatz 2 Satz 1, 1. Hälfte der Vorschrift sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Dabei reicht es im Rahmen des § 44 SGB VI ohne Rücksicht auf die bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeiten aus, wenn mit dem verbliebenen Leistungsvermögen auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichtet und damit mehr als geringfügige Einkünfte erzielt werden können (vgl. Kass.Komm.-Niesel § 44 SGB VI Rz. 12 f.).
Der Beklagten ist zuzugeben, dass allein nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme eine weiterhin vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers, wenn auch mit verschiedenen Einschränkungen, vorzuliegen scheint. Die Beurteilung des Leistungsvermögens durch den von der Beklagten beauftragten Internisten Dr. G, den erstinstanzlich gehörten Orthopäden Dr. L und den Internisten Dr. C2 sowie durch den vom Senat gehörten Neurologen und Psychiater I2 und den Internisten und Sozialmediziner Dr. N1 weichen im Wesentlichen nicht voneinander ab. Der zuletzt gehörte Gutachter Dr. N1 fasst in seinem Gutachten vom 28.02.2000 insoweit sämtliche gutachterlichen Erkenntnisse zusammen. Danach ist das Leistungsvermögen des Klägers durch folgende Leiden eingeschränkt:
schweres degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit in funktioneller Hinsicht eingeschränkter Beweglichkeit der Wirbelsäule,
Cox- und Gonarthrose beidseits,
chronisch renale Insuffizienz beginnenden Charakters im Stadium der kompensierten Retention,
chronische Gastritis mit aktuell geringer Symptomatik,
mittelgradige Varicosis ohne Ödeme,
deutliches Übergewicht (Adipositas II. Grades),
Fettleber,
Hyperlipämie,
psycho-vegetatives Syndrom mit depressiver Komponente
und
Analphabetismus mit Einschränkung der psycho-sozialen Kompetenz.
Aufgrund dieser Einschränkungen kann der Kläger noch regelmäßig körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung oder überwiegend sitzend mit Gelegenheit zum Aufstehen und Umhergehen verrichten, und zwar in geschlossenen Räumen ohne Zeitdruck (Akkord, Fließband), ohne Wechselschicht und ohne Zwangshaltungen. Häufiges Bücken, Knieen, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel sind nicht möglich. Kälte- oder Hitzeeinwirkung, starke Temperaturschwankungen, Nässe-, Lärm-, Staub-, Gas-, Dampf- und Rauchexposition sollen vermieden werden. Der Kläger ist mittelgradigen Anforderungen an Reaktion, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit gewachsen; die Einschränkungen durch den Analphabetismus sind jedoch zu beachten. Die zumutbaren Arbeiten sind vollschichtig und unter betriebsüblichen Bedingungen regelmäßig möglich. Öffentliche Verkehrsmittel können benutzt werden, Wegefähigkeit besteht. Der Senat folgt mit dieser Leistungsbeurteilung allein bei Beachtung der medizinischen Befunde der Leistungsbeurteilung durch den Sachverständigen Dr. N1. Denn dessen Beurteilung ist aus den erhobenen Befunden, die auch durch die zuvor eingeholten Sachverständigengutachten und Befundberichte bestätigt werden, plausibel und widerspruchsfrei abgeleitet.
Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch bei - wie im Falle des Klägers - verbliebener Fähigkeit des Versicherten, noch vollschichtige Arbeit zu verrichten, Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit bestehen. Üblicherweise ist zwar für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten, der nicht mehr zu körperlich schweren, aber noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage ist, die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit, welche er noch ausüben kann, nicht erforderlich. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt; in diesem Zusammenhang ist auch die Möglichkeit einer praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes von Bedeutung. Die Entbehrlichkeit der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich mit anderen Worten danach, ob ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen gibt, oder ob ernste Zweifel daran aufkommen, dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG vom 23.03.2000 - B 13 RJ 65/99 R; vgl. BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).
Im Falle des Klägers ergibt sich die Notwendigkeit einer konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit wegen einer zu den medizinischen Leistungsbehinderungen hinzutretenden ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, und zwar wegen seines Analphabetismus. Der Begriff der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung umschreibt insofern grundsätzlich alle Einschränkungen, die nicht bereits aufgrund der nur noch möglichen körperlich leichten Arbeit im Sinne einer "gewöhnlichen" Leistungseinschränkung erfasst werden (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 19). Entscheidend ist, in welchem Umfang sich diejenigen qualitativen Leistungseinschränkungen, die das Feld körperlich leichter Tätigkeiten weiter einengen, zusammengenommen auf die Einsetzbarkeit des Versicherten im Arbeitsleben auswirken (vgl. BSGE 81,15 = SozR 3-2200 § 1247 Nr. 23). In der Rechtsprechung des BSG ist anerkannt, dass eine relevante Einengung des für einen Versicherten in Frage kommenden Arbeitsfeldes auch durch einen Analphabetismus bedingt sein kann (vgl. BSG vom 04.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 62). Denn die Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten des Versicherten bei einer Verweisung auf andere Tätigkeiten soll sicherstellen - insoweit besteht zwischen der Rechtslage im Rahmen des Anspruchs auf Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente kein Unterschied -, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen des Versicherten losgelöste, also fiktive Verweisung erfolgt; vielmehr sollen alle berufsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten Beachtung finden (vgl. BSG a.a.O.). Lediglich das fehlende Vermögen eines nicht deutschsprachigen Versicherten, in deutscher Sprache zu sprechen und zu schreiben, hat aus Gründen des in der Rentenversicherung versicherten Risikos (wesentlich durch Krankheit oder Behinderung verursachte Erwerbsminderung oder -unfähigkeit) sowie der Gleichbehandlung mit deutschsprachigen Versicherten unberücksichtigt zu bleiben (vgl. BSG v. 15.05.1991 - 5 RJ 92/89 = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 11 m.w.N.). In diesen Fällen handelt es sich nicht um eine Leistungseinschränkung wegen eines allgemeinen Analphabetismus, sondern allein aufgrund speziell fehlender Deutschkenntnisse. Im übrigen sind die Versicherten jedoch mit ihren tatsächlichen Kräften und Fähigkeiten versichert (BSG v. 04.11.1998 a.a.O.).
Dass beim Kläger ein Analphabetismus vorliegt, der ihm über das Lesen von Ziffern und einzelnen Buchstaben hinaus kein Lesen geschriebener Worte oder Texte ermöglicht, steht zur Überzeugung des Senats fest. Der entsprechende Vortrag des Klägers ist bei keinem der Sachverständigen auf Zweifel gestoßen; insbesondere der Neurologe und Psychiater I2 hat in seinem Gutachten vom 05.02.1999 ausdrücklich bemerkt, die Angabe, nicht lesen und schreiben zu können, sei durchaus glaubhaft. Der Senat teilt diese Überzeugung und stützt sich dabei auch auf den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck. Die Hinweise der Beklagten auf eine wenn auch eingeschränkte Lese- und Schreibfähigkeit des Klägers gehen ins Leere. Der Umstand, dass der Kläger als Kind und als Jugendlicher eine Schule besucht hat, spricht nicht gegen einen Analphabetismus; immerhin hat der Kläger etliche Schuljahre wiederholen müssen und auch seit dem Schulbesuch keine Veranlassung mehr gehabt, Schriftliches beherrschen zu müssen. Die Fähigkeit, einzelne Buchstaben zu benennen und sich den Sinn einer Buchstabenfolge von seiner Schwester am Telefon erklären zu lassen, bewirkt noch keine im Arbeitsleben verwertbare Lesefähigkeit; unter einer solchen wäre nur die Fähigkeit zu verstehen, ohne Hilfe einer anderen Person Worte oder Wortfolgen in ausreichender Geschwindigkeit ihrem Sinn nach lesend zu erfassen.
Bei einer Zusammenschau der gesundheitlichen Leistungseinschränkungen und der Unfähigkeit, zu lesen, ergibt sich, dass eine konkrete Tätigkeit oder jedenfalls ein bestimmtes Arbeitsfeld, auf dem der Kläger am allgemeinen Arbeitsmarkt noch tätig werden könnte, nicht mehr benannt werden kann. Für die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit des Museumswärters ist dies augenfällig. Nicht möglich sind dem Kläger jedoch auch die weiteren von der Beklagten benannten Tätigkeiten des Montierers, Sortierers oder Verpackers kleiner Teile. Der Senat stützt sich insoweit auf die beigezogenen Unterlagen des LAA NRW, des LAA RP und des AA Celle vom 23.02.2000 sowie auf die Ausführungen der Zeugin T1.
Die Tätigkeit als Montiererhelfer findet überwiegend an Fließbändern, Lang- oder Werktischen statt, wobei nach Zeichnungen, Montageanleitungen und Mustern gearbeitet wird; die körperlich leichte bis mittelschwere Arbeit ist überwiegend sitzend und häufig vornübergebeugt zu verrichten (vgl. Auskunft des LAA NRW vom 24.09.1999). Medizinisch ist dem Kläger jedoch zum einen nur die Verrichtung leichter Arbeiten in wechselnder Körperhaltung oder, sofern sie im Sitzen stattfindet, mit Gelegenheit zum Aufstehen und Umhergehen möglich. Auch Fließbandarbeiten sind ausgeschlossen. Zum anderen fehlt ihm die Fähigkeit, jedwede Montageanleitung zu lesen.
Entsprechendes gilt auch für eine Tätigkeit als Sortierer. Insoweit handelt es sich dabei in der Regel um leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, die überwiegend sitzend und vornübergebeugt ausgeführt werden, und zwar zum Teil am Fließband und in Wechselschicht (vgl. Auskunft des LAA NRW vom 14.12.1999). Der Kläger ist insoweit schon in Ansehung seiner medizinischen Einschränkungen an der Ausübung einer Sortierertätigkeit gehindert. Zudem setzen, wie die Zeugin T1 bekundet hat, Sortierertätigkeiten, mit Ausnahme der ganz einfachen Sortierung von Müll, Lese- und Schreibkenntnisse voraus. Bei der Müllsortierung wiederum fallen gesteigerte körperliche Anforderungen durch Fließbandarbeit und Belästigung durch Gerüche an. Diesen Anforderungen ist der Kläger nach den medizinischen Feststellungen nicht mehr gewachsen.
Schließlich kommt für den Kläger auch nicht mehr eine Tätigkeit als Verpacker kleiner Teile in Betracht. Entgegen der Ansicht der Beklagten stützt die Stellungnahme des AA Celle vom 02.11.1999 eine Verweisbarkeit des Klägers auf diese Tätigkeit nicht. Denn die Stellungnahme begegnet inhaltlichen Bedenken. Sowohl das AA Celle in seiner weiteren Stellungnahme vom 23.02.2000 als auch das LAA NRW in seiner Stellungnahme vom 10.01.2000 und das LAA RP in seiner Stellungnahme vom 23.12.1999 sind dieser ersten Stellungnahme des AA Celle nicht gefolgt. Das LAA RP hat ebenso wie die Zeugin T1 darauf hingewiesen, dass der Verfasser der ersten Stellungnahme des AA Celle als Behindertenberater tätig war; seine Angaben sind insoweit für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verwertbar. Sofern sich, was nach der Stellungnahme des LAA RP vom 16.04.1999 bereits durchaus fraglich ist, am allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt ausreichende Einsatzmöglichkeiten für Verpacker speziell leichter Gegenstände finden lassen, so ist auch hier nachvollziehbar, dass eine Lesefähigkeit zur Bedienung von Verpackungsmaschinen oder für schriftliche Verpackungsaufträge unverzichtbar ist. Hierauf hat das LAA NRW in seiner Stellungnahme vom 10.01.2000 nachvollziehbar hingewiesen. In seiner weiteren Stellungnahme vom 14.12.1999 ist im übrigen hinsichtlich der körperlichen und sonstigen Anforderungen ausgeführt, dass die Verpackertätigkeit ebenso wie die des Sortierers eine leichte bis mittelschwere, überwiegend sitzend und vornübergebeugt ausgeführte Tätigkeit ist, die zum Teil sogar im Akkord am Fließband oder in Wechselschicht ausgeführt werden muss. Auf Letzeres hat auch das LAA RP in seiner Stellungnahme vom 23.12.1999 hingewiesen. Schließlich konnte auch die Zeugin T1, die beim LAA NRW als Sachgebietsleiterin für Berufs- und Wirtschaftskunde tätig ist und infolge ihrer berufliche Stellung und Erfahrung einen umfassenden Überblick über die hier diskutierten ungelernten Tätigkeiten und deren aktuelle Anforderungsprofile besitzt, auch nach Sichtung der ihr aktuell vorliegenden Arbeitsplatzangebote eine Einsatzmöglichkeit für den Kläger nicht benennen. Auch an der Richtigkeit ihrer Ausführungen, auch für Verpackertätigkeiten seien Lesekenntnisse für schriftliche Verpackungsanweisungen, Gewichtsangaben etc. am Arbeitsplatz erforderlich, hat der Senat keine Zweifel.
Andere Tätigkeiten, die der Kläger mit seinen körperlichen Leistungseinschränkungen in Verbindung mit seinem Analphabetismus noch ausüben könnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zusteht.
Der am 00.00.1944 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er hat von 1959 bis 1995 als Hilfsarbeiter im Baugewerbe gearbeitet und diese Tätigkeit krankheitsbedingt aufgegeben. Am 12.12.1995 beantragte er eine Versichertenrente. Seinem Antrag fügte er Atteste der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. C vom 11.08.1995 und der Orthopädin Dr. I vom 28.09.1995 bei. Die Beklagte veranlasste ein Gutachten des Internisten Dr. G bei ihrer Begutachtungsstelle vom 18.01.1996. Wegen des Inhalts der Befundberichte und des internistischen Gutachtens wird auf das Gutachtenheft der Beklagten Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 30.01.1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil nach den ärztlichen Untersuchungsergebnissen beim Kläger weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Der Kläger legte Widerspruch ein mit der Begründung, aufgrund ausgeprägter Verschleißveränderungen an Wirbelsäule und Hüfte sei er auch nach Ansicht seiner behandelnden Orthopädin nicht in der Lage, eine Tätigkeit am Bau mit schwerem Heben und Bücken und unter Witterungseinflüssen auszuführen. Der Widerspruch enthielt einen Vermerk "gesehen" der Orthopädin Dr. I. Später erklärte der Kläger ergänzend, er sei nicht in der Lage, auch nur halbschichtig eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Die Beklagte holte eine Auskunft des letzten Arbeitgebers, der Firma G1-Bau GmbH, C1, vom 19.04.1996 ein. Danach war der Kläger dort vom 01.02.1994 bis 09.08.1995 als "Baufacharbeiter Berufsgruppe V" tätig. Die Tätigkeit setze für völlig ungelernte Kräfte eine Anlernzeit von drei Monaten bis längstens zwei Jahren voraus. Die Frage, ob trotz fehlender Ausbildung alle Arbeiten vollwertig wie mit einer normalen Ausbildung verrichtet worden seien, wurde verneint. Es habe sich um körperlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung gehandelt. Es sei der Lohn eines angelernten Arbeiters gezahlt worden, der tarifvertraglich der ausgeübten Tätigkeit entsprochen habe. Der Kläger sei an Weisungen des Poliers und des Vorarbeiters gebunden gewesen und habe selbst keine Weisungsbefugnis gehabt; die körperliche Mitarbeit habe überwogen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei als ungelernter bzw. angelernter Arbeiter einzustufen. Er sei daher nicht nur auf frühere oder diesen verwandte Tätigkeiten, sondern auch auf andere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Insofern liege Berufsunfähigkeit nicht vor; es kämen noch zahlreiche Tätigkeiten in Betracht, die der Kläger noch vollschichtig ausüben könne.
Hiergegen hat der Kläger am 26.07.1996 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben. Er hat vorgetragen, er leide an Beschwerden der Wirbelsäule und der Bewegungsorgane. Die Veränderungen der Lendenwirbelsäule führten dort zu Beschwerden, die bis in den Fuß einstrahlten und zeitweilig Taubheitsgefühle verursachten. Verstärkt werde dies durch Veränderungen der Hüftgelenke und des rechten Kniegelenks. Hinzu kämen Beschwerden im Bereich beider Fußsohlen, wodurch die Gehfähigkeit herabgesetzt werde. Behinderungen bestünden beim Bücken und Wiederaufrichten sowie beim Heben und Tragen selbst leichter Lasten. Veränderungen der Halswirbelsäule führten dort zu Beschwerden mit einstrahlenden Kopfschmerzen. Hinzu kämen Beschwerden in beiden Schulterbereichen. Seit einiger Zeit träten wiederholt teils pflaumengroße Abszesse im Bereich der Hände, der Schulter und der Leiste auf. Er leide ferner unter wiederkehrenden Zwölffingerdarmgeschwüren und an chronischer Magenschleimhautentzündung. Hinzu kämen massive depressive Verstimmungen mit Ängsten; letztere bestünden insbesondere in geschlossenen Räumen (z.B. U-Bahn); es bestehe aber auch der Verdacht der Agoraphobie und sozialer Ängste. Alpträume und Schlaflosigkeit träten auf. Die Störungen führten zeitweise zu Herzbeschwerden; mitunter träten Atemwegsbeschwerden auf. Aufgrund der vielfältigen Störungen halte er sich für erwerbsunfähig, worin er sich von den behandelnden Ärzten unterstützt sehe. Ein weiteres Hindernis für eine berufliche Tätigkeit sei sein Analphabetismus.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung ihres Bescheides vom 30.01.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, dass der Kläger sich wegen der erstmalig vorgetragenen depressiven Verstimmungen und Ängste nicht in fachärztliche Behandlung begeben habe, wodurch jedoch eine Besserung erreicht werden könne. Trotz des Analphabetismus könne der Kläger beispielsweise noch als Sortierer, Montierer oder Packer leichter Teile eingesetzt werden.
Das Sozialgericht hat eine Arbeitgeberauskunft der Firma G1-Bau GmbH vom 18.09.1996 eingeholt. Danach war der Kläger dort vom 01.02.1994 bis 08.08.1995 als "Maurer/Helfer" im Hochbau und bei Erdarbeiten beschäftigt. Die Arbeiten setzten keine Lehre oder Anlernzeit voraus; die Tätigkeit habe keine Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt. Die Arbeiten seien "teils" vollwertig wie bei einem normalen Ausbildungsweg verrichtet worden; der Kläger habe nicht den gleichen Lohn wie Beschäftigte mit abgeschlossener Ausbildung erhalten. Zuletzt habe er 22,10 DM pro Stunde verdient nach dem Tarifvertrag für das Baugewerbe und der Berufsgruppe V. Es habe sich um mittelschwere/schwere Arbeiten (Erdarbeiten) im Stehen und im Freien gehandelt mit häufigem Bücken.
Das Sozialgericht hat ferner Befundberichte der Orthopädin Dr. I vom 09.09.1996, des Chirurgen Dr. U vom 10.10.1996 und der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. C vom 10.11.1996 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 10, 17 und 21 der Gerichtsakte). Das Sozialgericht hat ferner ein orthopädisches Gutachten des Dr. L vom 05.05.1997 sowie ein internistisches Gutachten des Dr. C2 vom 07.10.1997 eingeholt; auf deren Inhalt wird ebenfalls Bezug genommen (Bl. 48 und 75 Gerichtsakte).
Mit Urteil vom 18.03.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht einmal berufsunfähig. Er sei dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen und könne daher auf sämtliche, nicht ganz untergeordnete Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden. Nach dem durch die Sachverständigen ermittelten Leistungsbild könne er etwa noch als Sortierer, Montierer oder Packer leichter Teile vollschichtig tätig sein. Die Ergebnisse der Sachverständigengutachten stünden nicht im Widerspruch zu den von den behandelnden Ärzten mitgeteilten Befunden. Der Kläger habe sich, wie sich aus der beigezogenen Leistungsakte des Arbeitsamtes ergebe, im Rahmen des Antrags auf Arbeitslosengeld im August 1995 für weitgehend einsatzfähig gehalten und dort erklärt, die letzte Tätigkeit sei nicht zu schwer gewesen, und er sei nicht auf Teilzeitarbeit beschränkt. Der Arbeitsamtsarzt Dr. T habe in seinem Gutachten vom 06.11.1995 zwar einen vollwertigen Einsatz als Maurerhelfer verneint, den Kläger aber weiterhin für körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Gelegenheit zu wechselnder Körperhaltung als einsatzfähig angesehen. Der Analphabetismus stehe einer Tätigkeit wie den genannten nicht entgegen. Der Kläger habe 36 Jahre lang ein Versicherungsleben erwirtschaftet, ohne dass der Analphabetismus eine wesentliche Rolle gespielt hätte. Für eine Tätigkeit als Sortierer, Montierer oder Packer leichter Teile bedürfe es keiner Schreib- und Lesekenntnisse von Belang. Das Risiko, einen freien Arbeitsplatz zu finden, falle in den Bereich der Arbeitslosenversicherung.
Gegen das am 03.04.1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.04.1998 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das Sozialgericht hätte den Sachverhalt auch neurologisch-psychiatrisch, evtl. mit eignungspsychologischer Zusatzbegutachtung, weiter aufklären müssen. Dies schon deshalb, weil er Analphabet sei und durch die zeitlebens körperlich schwere Tätigkeit im Freien geprägt sei; es hätte geklärt werden müssen, inwieweit er sich auf eine völlig neue Arbeitsumgebung überhaupt umstellen könne. Mit Ausnahme von ihm vertrauten Ortsnamen in der Stadt könne er nicht lesen. Er benutze öffentliche Verkehrsmittel; wenn er in unbekannte Gegenden fahre, müsse er Passanten fragen. Zahlen, z.B. auf seinen früheren Lohnabrechnungen, könne er lesen; sofern dort jedoch Worte oder Begriffe bezeichnet gewesen seien, habe er sich diese erklären lassen müssen. Aus seiner Sicht hinderten ihn insbesondere seine orthopädischen Leiden an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Es sei auch nicht geklärt, ob Wechselschicht, Akkord, Fließbandtätigkeit etc. möglich seien. Die vom Sozialgericht genannten Verweisungstätigkeiten würden vielfach im Akkord und darüber hinaus stehend ausgeübt, was ihm nicht möglich sei. Die orthopädischen Befunde ließen im übrigen seine Wegefähigkeit entfallen; einen Führerschein besitze er nicht. Der Kläger legte ein Attest des Orthopäden Dr. N vom 23.04.1998 vor, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 131 Gerichtsakte).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.03.1998 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.06.1996 zu verurteilen, ihm Kläger ab 01.01.1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Befundberichte der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. C vom 29.06.1998, des Orthopäden Dr. N vom 03.08./15.09.1998 und des Neurologen und Psychiaters Dr. I1 vom 29.09.1998 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 134, 160/170 und 171 Gerichtsakte).
Der Senat hat ferner ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters I2 vom 05.02.1999 angefordert. Der Gutachter hat zur Anamnese u.a. ausgeführt, der Kläger habe die Schule nach dreimaligem Sitzenbleiben nach der 6. Klasse verlassen, da ihm das Lernen immer schon schwergefallen sei. Er sei nie verheiratet gewesen; es habe aber eine längere Partnerschaft zu einer zehn Jahre älteren Frau gegeben, die 1995 verstorben sei. Danach sei so Vieles auf ihn zugekommen, was das Gericht aber nicht wahrhaben wolle. Mit dem Tod der Partnerin sei es mit ihm bergab gegangen. Der Sohn der Partnerin habe darauf gedrungen, dass er das Haus, das ihr gehört habe, verlasse; er habe innerhalb kürzester Zeit ausziehen müssen. Er habe seit 1984 verstärkt Schmerzen vom Rücken her und dreimal vergeblich versucht, in Fabriken Arbeit zu finden. Er sei dann wieder auf den Bau gegangen. Wenn er etwas Schriftliches verstehen müsse, rufe er seine Schwester an, gebe die Buchstaben durch, und die Schwester übersetze es ihm dann so, dass er den Sinn verstehe. Der Gutachter führte u.a. weiter aus, der Kläger wirke primärpersönlich einfach strukturiert, keinesfalls debil. Er weise hinlängliche Lebenserfahrung auf und dokumentiere durch seine eigenen Angaben, dass er auch "lebensfähig" sei. Eine gewisse latente Dependenz im Hinblick auf die Sozialisation sei erkennbar; vom Affekt her wirke der Kläger chronisch bedrückt. Die Angabe, nicht lesen und schreiben zu können, sei durchaus glaubhaft. Seinen Angaben sei durchaus zu entnehmen, dass er Kontakte pflege. Er sei in der Lage, sich den Tag zu vertreiben und ihn zu strukturieren. Wegen der weiteren Ausführungen wird auf den Inhalt des Gutachtens (Bl. 187 Gerichtsakte) Bezug genommen.
Der Senat hat ferner ein Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. N1 vom 28.02.2000 eingeholt, auf dessen Inhalt (Bl. 247 Gerichtsakte) Bezug genommen wird.
Im Anschluss daran streiten die Beteiligten, ob angesichts des verbliebenen Leistungsvermögens, insbesondere unter Beachtung des Analphabetismus, wegen Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen von einer Erwerbsunfähigkeit des Klägers auszugehen ist.
Das Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen (LAA NRW) hat auf Anfrage des Senats unter dem 07.06.1999 mitgeteilt, es sei ihm nicht möglich, Vollzeittätigkeiten zu benennen, die der Kläger noch wettbewerbsfähig verrichten könne; selbst für Tätigkeiten als Montiererhelfer sowie Kunststoff-Formgeber oder andere Tätigkeiten (z.B. Kochhelfer, Bürobote, etc.) liege aus berufskundlicher Sicht keine Eignung vor. Die Beklagte trägt hierzu vor, ihr lägen keine Erkenntnisse vor, wonach Sortier-, Montier- und Packarbeiten eine Lese- und Schreibfähigkeit voraussetzten. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger überhaupt nicht lesen und schreiben könne. Er habe jedenfalls acht Jahre die Volksschule besucht und gebe selbst an, dass er seiner Schwester Schriftliches buchstabieren könne. Außer seinem Namen werde er wohl noch weiteres schreiben können; er sei bislang jedenfalls ohne Probleme durchs Leben gegangen. Konkrete Verweisungstätigkeiten seien daher nicht zu benennen. Auf Anforderung des Senats legte das LAA NRW mit Schreiben vom 24.09.1999 eine genauere Beschreibung der Anforderungen an Montiererhelfer, Kunststoff-Formgeber, Kochhelfer und Büroboten vor. Die Beklagte merkt dazu an, das LAA NRW habe lediglich für Büroboten Lese- und Schreibfähigkeit als zwingend erforderlich benannt; beim Kläger liege eine - wenn auch eingeschränkte - Lese- und Schreibfähigkeit auch vor. Jedenfalls bleibe eine Verweisung auf die Tätigkeit als Verpacker von Kleinteilen zumutbar; insofern werde auf eine Stellungnahme des Arbeitsamts (AA) Celle vom 02.11.1999 verwiesen, die für einen mit dem Kläger hinsichtlich der Einschränkungen vergleichbaren Versicherten, der auch Analphabet war, eine Einsetzbarkeit als Verpacker angenommen hatte.
Der Kläger hat daraufhin eine Stellungnahme des AA Celle vom 23.02.2000 überreicht, wonach die Auffassung des (zwischenzeitlich ausgeschiedenen) Verfassers der Stellungnahme vom 02.11.1999 über eine Einsatzmöglichkeit als Verpacker für Kleinteile nicht geteilt werde. Es werde sich vielmehr einer Stellungnahme des LAA NRW vom 10.01.2000 angeschlossen; in dieser wird ausgeführt, dass auch bei Verpackern Lese- und Schreibkenntnisse nötig seien, z.B. bei der Maschinenbedienung, bei Arbeiten nach schriftlichen Aufträgen und beim Etikettieren. Der Kläger hat ferner eine Stellungnahme des LAA NRW vom 14.12.1999 mit näheren Ausführungen u.a. zu Verpacker- und Sortierertätigkeiten vorgelegt.
Die Beklagte hält im Anschluss daran die ursprüngliche Stellungnahme des AA Celle vom 02.11.1999 weiterhin für maßgebend. Sie trägt vor, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb für Maschinenbedienung Lese- und Schreibfähigkeit zwingend erforderlich sein solle. Es sei auch davon auszugehen, dass beim Kläger ein Mindestmaß an Lesefähigkeit bestehe, welches im Rahmen einer Verpackertätigkeit ausreichend sei, selbst wenn man den Ausführungen des LAA NRW folgen sollte. Im übrigen könne der Kläger auch als Sortierer, Montierer oder Museumswärter arbeiten.
Der Kläger beruft sich daraufhin auf zwei Stellungnahmen des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz (LAA RP) vom 16.04.1999 und 23.12.1999. Darin ist ausgeführt, Verpackertätigkeiten seien meist mittelschwer bis schwer und setzten Kenntnisse im Lesen und Schreiben voraus; leichte Sortier- und Montagearbeiten ohne Akkord, Zwangshaltung, Fließbandarbeit, Wechselschicht oder besondere Verantwortung in überwiegend sitzender Haltung gebe es nicht. Die vom AA Celle in der Stellungnahme vom 02.11.1999 benannten Tätigkeiten würden, wenn überhaupt, dann in Behindertenwerkstätten verrichtet; der Verfasser der Stellungnahme sei Behindertenberater gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des LAA NRW vom 07.06.1999, 24.09.1999, 14.12.1999 und 10.01.2000 (Bl. 216, 223, 290 und 289 Gerichtsakte), des AA Celle vom 02.11.1999 und 23.02.2000 (Bl. 282 und 288 Gerichtsakte) sowie des LAA RP vom 16.04.1999 und 23.12.1999 (Bl. 298 und 296 Gerichtsakte) Bezug genommen.
Der Senat hat die Sachgebietsleiterin für Berufs- und Wirtschaftskunde beim LAA NRW C3 T1 als sachverständige Zeugin vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 20.09.2000 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten (Rentenakte der Beklagten und Leistungsakte 152350 des Arbeitsamts Brühl) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 30.01.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.1996 ist rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf die von ihm begehrte Erwerbsunfähigkeitsrente.
Dieser Anspruch erfordert - neben weiteren, im Falle des Klägers weder problematischen noch streitigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), dass der Versicherte erwerbsunfähig ist. Nach Absatz 2 Satz 1, 1. Hälfte der Vorschrift sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Dabei reicht es im Rahmen des § 44 SGB VI ohne Rücksicht auf die bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeiten aus, wenn mit dem verbliebenen Leistungsvermögen auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichtet und damit mehr als geringfügige Einkünfte erzielt werden können (vgl. Kass.Komm.-Niesel § 44 SGB VI Rz. 12 f.).
Der Beklagten ist zuzugeben, dass allein nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme eine weiterhin vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers, wenn auch mit verschiedenen Einschränkungen, vorzuliegen scheint. Die Beurteilung des Leistungsvermögens durch den von der Beklagten beauftragten Internisten Dr. G, den erstinstanzlich gehörten Orthopäden Dr. L und den Internisten Dr. C2 sowie durch den vom Senat gehörten Neurologen und Psychiater I2 und den Internisten und Sozialmediziner Dr. N1 weichen im Wesentlichen nicht voneinander ab. Der zuletzt gehörte Gutachter Dr. N1 fasst in seinem Gutachten vom 28.02.2000 insoweit sämtliche gutachterlichen Erkenntnisse zusammen. Danach ist das Leistungsvermögen des Klägers durch folgende Leiden eingeschränkt:
schweres degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit in funktioneller Hinsicht eingeschränkter Beweglichkeit der Wirbelsäule,
Cox- und Gonarthrose beidseits,
chronisch renale Insuffizienz beginnenden Charakters im Stadium der kompensierten Retention,
chronische Gastritis mit aktuell geringer Symptomatik,
mittelgradige Varicosis ohne Ödeme,
deutliches Übergewicht (Adipositas II. Grades),
Fettleber,
Hyperlipämie,
psycho-vegetatives Syndrom mit depressiver Komponente
und
Analphabetismus mit Einschränkung der psycho-sozialen Kompetenz.
Aufgrund dieser Einschränkungen kann der Kläger noch regelmäßig körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung oder überwiegend sitzend mit Gelegenheit zum Aufstehen und Umhergehen verrichten, und zwar in geschlossenen Räumen ohne Zeitdruck (Akkord, Fließband), ohne Wechselschicht und ohne Zwangshaltungen. Häufiges Bücken, Knieen, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel sind nicht möglich. Kälte- oder Hitzeeinwirkung, starke Temperaturschwankungen, Nässe-, Lärm-, Staub-, Gas-, Dampf- und Rauchexposition sollen vermieden werden. Der Kläger ist mittelgradigen Anforderungen an Reaktion, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit gewachsen; die Einschränkungen durch den Analphabetismus sind jedoch zu beachten. Die zumutbaren Arbeiten sind vollschichtig und unter betriebsüblichen Bedingungen regelmäßig möglich. Öffentliche Verkehrsmittel können benutzt werden, Wegefähigkeit besteht. Der Senat folgt mit dieser Leistungsbeurteilung allein bei Beachtung der medizinischen Befunde der Leistungsbeurteilung durch den Sachverständigen Dr. N1. Denn dessen Beurteilung ist aus den erhobenen Befunden, die auch durch die zuvor eingeholten Sachverständigengutachten und Befundberichte bestätigt werden, plausibel und widerspruchsfrei abgeleitet.
Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch bei - wie im Falle des Klägers - verbliebener Fähigkeit des Versicherten, noch vollschichtige Arbeit zu verrichten, Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit bestehen. Üblicherweise ist zwar für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten, der nicht mehr zu körperlich schweren, aber noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage ist, die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit, welche er noch ausüben kann, nicht erforderlich. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt; in diesem Zusammenhang ist auch die Möglichkeit einer praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes von Bedeutung. Die Entbehrlichkeit der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich mit anderen Worten danach, ob ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen gibt, oder ob ernste Zweifel daran aufkommen, dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG vom 23.03.2000 - B 13 RJ 65/99 R; vgl. BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).
Im Falle des Klägers ergibt sich die Notwendigkeit einer konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit wegen einer zu den medizinischen Leistungsbehinderungen hinzutretenden ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, und zwar wegen seines Analphabetismus. Der Begriff der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung umschreibt insofern grundsätzlich alle Einschränkungen, die nicht bereits aufgrund der nur noch möglichen körperlich leichten Arbeit im Sinne einer "gewöhnlichen" Leistungseinschränkung erfasst werden (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 19). Entscheidend ist, in welchem Umfang sich diejenigen qualitativen Leistungseinschränkungen, die das Feld körperlich leichter Tätigkeiten weiter einengen, zusammengenommen auf die Einsetzbarkeit des Versicherten im Arbeitsleben auswirken (vgl. BSGE 81,15 = SozR 3-2200 § 1247 Nr. 23). In der Rechtsprechung des BSG ist anerkannt, dass eine relevante Einengung des für einen Versicherten in Frage kommenden Arbeitsfeldes auch durch einen Analphabetismus bedingt sein kann (vgl. BSG vom 04.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 62). Denn die Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten des Versicherten bei einer Verweisung auf andere Tätigkeiten soll sicherstellen - insoweit besteht zwischen der Rechtslage im Rahmen des Anspruchs auf Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente kein Unterschied -, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen des Versicherten losgelöste, also fiktive Verweisung erfolgt; vielmehr sollen alle berufsrelevanten Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten Beachtung finden (vgl. BSG a.a.O.). Lediglich das fehlende Vermögen eines nicht deutschsprachigen Versicherten, in deutscher Sprache zu sprechen und zu schreiben, hat aus Gründen des in der Rentenversicherung versicherten Risikos (wesentlich durch Krankheit oder Behinderung verursachte Erwerbsminderung oder -unfähigkeit) sowie der Gleichbehandlung mit deutschsprachigen Versicherten unberücksichtigt zu bleiben (vgl. BSG v. 15.05.1991 - 5 RJ 92/89 = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 11 m.w.N.). In diesen Fällen handelt es sich nicht um eine Leistungseinschränkung wegen eines allgemeinen Analphabetismus, sondern allein aufgrund speziell fehlender Deutschkenntnisse. Im übrigen sind die Versicherten jedoch mit ihren tatsächlichen Kräften und Fähigkeiten versichert (BSG v. 04.11.1998 a.a.O.).
Dass beim Kläger ein Analphabetismus vorliegt, der ihm über das Lesen von Ziffern und einzelnen Buchstaben hinaus kein Lesen geschriebener Worte oder Texte ermöglicht, steht zur Überzeugung des Senats fest. Der entsprechende Vortrag des Klägers ist bei keinem der Sachverständigen auf Zweifel gestoßen; insbesondere der Neurologe und Psychiater I2 hat in seinem Gutachten vom 05.02.1999 ausdrücklich bemerkt, die Angabe, nicht lesen und schreiben zu können, sei durchaus glaubhaft. Der Senat teilt diese Überzeugung und stützt sich dabei auch auf den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck. Die Hinweise der Beklagten auf eine wenn auch eingeschränkte Lese- und Schreibfähigkeit des Klägers gehen ins Leere. Der Umstand, dass der Kläger als Kind und als Jugendlicher eine Schule besucht hat, spricht nicht gegen einen Analphabetismus; immerhin hat der Kläger etliche Schuljahre wiederholen müssen und auch seit dem Schulbesuch keine Veranlassung mehr gehabt, Schriftliches beherrschen zu müssen. Die Fähigkeit, einzelne Buchstaben zu benennen und sich den Sinn einer Buchstabenfolge von seiner Schwester am Telefon erklären zu lassen, bewirkt noch keine im Arbeitsleben verwertbare Lesefähigkeit; unter einer solchen wäre nur die Fähigkeit zu verstehen, ohne Hilfe einer anderen Person Worte oder Wortfolgen in ausreichender Geschwindigkeit ihrem Sinn nach lesend zu erfassen.
Bei einer Zusammenschau der gesundheitlichen Leistungseinschränkungen und der Unfähigkeit, zu lesen, ergibt sich, dass eine konkrete Tätigkeit oder jedenfalls ein bestimmtes Arbeitsfeld, auf dem der Kläger am allgemeinen Arbeitsmarkt noch tätig werden könnte, nicht mehr benannt werden kann. Für die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit des Museumswärters ist dies augenfällig. Nicht möglich sind dem Kläger jedoch auch die weiteren von der Beklagten benannten Tätigkeiten des Montierers, Sortierers oder Verpackers kleiner Teile. Der Senat stützt sich insoweit auf die beigezogenen Unterlagen des LAA NRW, des LAA RP und des AA Celle vom 23.02.2000 sowie auf die Ausführungen der Zeugin T1.
Die Tätigkeit als Montiererhelfer findet überwiegend an Fließbändern, Lang- oder Werktischen statt, wobei nach Zeichnungen, Montageanleitungen und Mustern gearbeitet wird; die körperlich leichte bis mittelschwere Arbeit ist überwiegend sitzend und häufig vornübergebeugt zu verrichten (vgl. Auskunft des LAA NRW vom 24.09.1999). Medizinisch ist dem Kläger jedoch zum einen nur die Verrichtung leichter Arbeiten in wechselnder Körperhaltung oder, sofern sie im Sitzen stattfindet, mit Gelegenheit zum Aufstehen und Umhergehen möglich. Auch Fließbandarbeiten sind ausgeschlossen. Zum anderen fehlt ihm die Fähigkeit, jedwede Montageanleitung zu lesen.
Entsprechendes gilt auch für eine Tätigkeit als Sortierer. Insoweit handelt es sich dabei in der Regel um leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, die überwiegend sitzend und vornübergebeugt ausgeführt werden, und zwar zum Teil am Fließband und in Wechselschicht (vgl. Auskunft des LAA NRW vom 14.12.1999). Der Kläger ist insoweit schon in Ansehung seiner medizinischen Einschränkungen an der Ausübung einer Sortierertätigkeit gehindert. Zudem setzen, wie die Zeugin T1 bekundet hat, Sortierertätigkeiten, mit Ausnahme der ganz einfachen Sortierung von Müll, Lese- und Schreibkenntnisse voraus. Bei der Müllsortierung wiederum fallen gesteigerte körperliche Anforderungen durch Fließbandarbeit und Belästigung durch Gerüche an. Diesen Anforderungen ist der Kläger nach den medizinischen Feststellungen nicht mehr gewachsen.
Schließlich kommt für den Kläger auch nicht mehr eine Tätigkeit als Verpacker kleiner Teile in Betracht. Entgegen der Ansicht der Beklagten stützt die Stellungnahme des AA Celle vom 02.11.1999 eine Verweisbarkeit des Klägers auf diese Tätigkeit nicht. Denn die Stellungnahme begegnet inhaltlichen Bedenken. Sowohl das AA Celle in seiner weiteren Stellungnahme vom 23.02.2000 als auch das LAA NRW in seiner Stellungnahme vom 10.01.2000 und das LAA RP in seiner Stellungnahme vom 23.12.1999 sind dieser ersten Stellungnahme des AA Celle nicht gefolgt. Das LAA RP hat ebenso wie die Zeugin T1 darauf hingewiesen, dass der Verfasser der ersten Stellungnahme des AA Celle als Behindertenberater tätig war; seine Angaben sind insoweit für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verwertbar. Sofern sich, was nach der Stellungnahme des LAA RP vom 16.04.1999 bereits durchaus fraglich ist, am allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt ausreichende Einsatzmöglichkeiten für Verpacker speziell leichter Gegenstände finden lassen, so ist auch hier nachvollziehbar, dass eine Lesefähigkeit zur Bedienung von Verpackungsmaschinen oder für schriftliche Verpackungsaufträge unverzichtbar ist. Hierauf hat das LAA NRW in seiner Stellungnahme vom 10.01.2000 nachvollziehbar hingewiesen. In seiner weiteren Stellungnahme vom 14.12.1999 ist im übrigen hinsichtlich der körperlichen und sonstigen Anforderungen ausgeführt, dass die Verpackertätigkeit ebenso wie die des Sortierers eine leichte bis mittelschwere, überwiegend sitzend und vornübergebeugt ausgeführte Tätigkeit ist, die zum Teil sogar im Akkord am Fließband oder in Wechselschicht ausgeführt werden muss. Auf Letzeres hat auch das LAA RP in seiner Stellungnahme vom 23.12.1999 hingewiesen. Schließlich konnte auch die Zeugin T1, die beim LAA NRW als Sachgebietsleiterin für Berufs- und Wirtschaftskunde tätig ist und infolge ihrer berufliche Stellung und Erfahrung einen umfassenden Überblick über die hier diskutierten ungelernten Tätigkeiten und deren aktuelle Anforderungsprofile besitzt, auch nach Sichtung der ihr aktuell vorliegenden Arbeitsplatzangebote eine Einsatzmöglichkeit für den Kläger nicht benennen. Auch an der Richtigkeit ihrer Ausführungen, auch für Verpackertätigkeiten seien Lesekenntnisse für schriftliche Verpackungsanweisungen, Gewichtsangaben etc. am Arbeitsplatz erforderlich, hat der Senat keine Zweifel.
Andere Tätigkeiten, die der Kläger mit seinen körperlichen Leistungseinschränkungen in Verbindung mit seinem Analphabetismus noch ausüben könnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved