L 11 KA 19/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KA 193/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 19/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.12.2002 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Honorars des Klägers für die Quartale I/1996 und II/1996.

Der zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in E niedergelassen. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 17.09.1997 die beschlossene rückwirkende Teilbudgetierung der Gebührenziffern 10, 11, 17, 18, 42, 60, 801 und 851 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) für unzulässig gehalten hatte, berechnete die Beklagte das Honorar ohne Anwendung dieser Budgetierung neu. Für das Quartal I/1996 stellte sie durch Bescheid vom 29.02.1998 einen Honoraranspruch in Höhe von 219.750,22 DM fest, für das Quartal II/1996 einen solchen in Höhe von 189.052,67 DM (Bescheid vom 25.02.1998). Mit Rundschreiben Nr. 2-1998 vom 25.03.1998 an alle Vertragsärzte informierte die Beklagte sowohl über die ursprünglichen als auch über die korrigierten Punktwerte für die beiden streitigen Quartale.

Mit Widerspruch vom 28.07.1998 beanstandete der Kläger, dass die Beklagte auf die Rückforderung von Überzahlungen an Vertragsärzte verzichtet habe. Dies habe zu einer eklatanten Ungleichbehandlung der Vertragsärzte geführt, da die im Einzelfall notwendig gewordenen Restzahlungen nur aus Rückstellungen aus Haushaltsüberschüssen erfolgen konnten bzw. durch Berechnungen niedrigerer Punktwerte für allen übrigen Ärzte. Hätte die Beklagte auf die Rückstellung der Überzahlungen nicht verzichtet, wären die Punktwerte höher ausgefallen, da die Rückstellung dann für alle Ärzte zu verwenden gewesen wäre.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In die Honorarverteilung für die Quartale I und II/1996 seien nunmehr auch die zunächst (rückwirkend) budgetierten Leistungen mit einzubeziehen. Dadurch habe wegen der höheren Leistungsanforderung bei unveränderter Gesamtvergütung zwangsläufig der Punktwert sinken müssen. Soweit sich beim einzelnen Arzt durch diese Neuberechnung und unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeitsprüfung gegenüber der bisherigen Berechnung ein positiver Saldo ergeben habe, sei Honorar nachvergütet worden. Sofern der Vergleich hingegen mit der bisherigen Berechnung einen Negativsaldo ergeben habe, sei es bei der bisherigen Honorarhöhe verblieben. Diese Entscheidung sei von der Überlegung getragen worden, dass nach der Neuberechnung des Honorars für das Quartal I/1996 mit dem neuen Punktwert fast 8.000 Ärzte verpflichtet gewesen wären, einen Teil ihres Honorars zurückzuzahlen, hingegen hätten nur 2.000 Ärzte Nachzahlungen erhalten. Eine ähnliche Situation habe sich für das Quartal II/1996 ergeben. Von denen zur Rückzahlung verpflichteten Ärztegruppen hätten die Arztgruppen den größten Teil des Rückzahlungsbetrages aufbringen müssen, die keine oder nur in geringerem Umfang Gesprächsleistungen abrechneten (insbesondere Laborärzte und Radiologen). Der niedrigere Punktwert hätte die Ärzte im Sinne der Bestimmung zu den Überbrückungsmaßnahmen notleidend gemacht, denn diese Fachgruppen hätten keine Nachzahlung wegen budgetierter Gesprächsleistungen erhalten, durch die sie den Honorarverlust infolge des abgesenkten Punktwerts hätten ausgleichen können. Überbrückungsleistungen in Höhe von ca. 10 Millionen DM für die streitigen Quartale hätten etwa 14,7 Millionen DM Rückforderung gegenübergestanden. Die Vertreterversammlung habe bei ihrer Entscheidung nicht nur den erheblichen Verwaltungsaufwand für die Rückforderung von Honorarteilen bei knapp 8.000 Ärzten berücksichtigt, sondern auch bedacht, dass bei einzelnen Ärzten der Rückzahlungsbetrag so hoch gewesen wäre (ca. 40.000,00 DM pro Quartal), dass unter Sicherstellungsgründen Handlungsbedarf für die Beklagte bestanden hätte. Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 17.09.1997 (Az.: 6 RKA 36/97) den jeweiligen KVen im Rahmen ihrer Verteilungshoheit auferlegt, vom EBM unbeabsichtigten Verwerfungen durch Maßnahmen auf der Ebene des Honorarverteilungsmaßstabes entgegenzuwirken. Die Beklagte sei nach dem BSG-Urteil verpflichtet gewesen, die Honorare aller Ärzte ohne Anwendung der rückwirkenden Teilbudgetierung neu zu berechnen. Diese Berechnung habe zwangsläufig eine deutliche Erhöhung der zu vergütenden Leistungen zur Folge gehabt, der jedoch nur geringere Punktwerte gegenübergestanden hätten. Für die endgültige Honorarabrechnung sei die Gesamtvergütung von 88 Millionen DM (Quartal I/1996) bzw. 81,2 Millionen DM (Quartal II/1996) durch alle Leistungsanforderungen ohne rückwirkende Budgetierung dividiert worden.

Hiergegen richtete sich die am 15.06.1999 beim Sozialgericht Dortmund erhobene Klage, mit der der Kläger sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren weiterverfolgte.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 25.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.1999 zu verurteilen, über seinen Widerspruch erneut zu entscheiden und das Honorar nachzuberechnen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat die Beklagte ihre im Widerspruchsbescheid dargelegte Rechtsauffassung vertreten.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 17.12.2002 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid bezogen und ergänzend darauf hingewiesen, dass die Handhabung der Beklagten zu den Honoraransprüchen für die streitigen Quartale bzw. zur Thematik der gesamten Honorarverteilung nach Wegfall der unzulässigen Teilbudgetierung mit den Regelungskompetenzen, die das BSG in der Entscheidung vom 17.09.1997 (a. a. O.) den Kassenärztlichen Vereinigungen zugewiesen habe, im Einklang stehe. Bei dieser besonderen Situation habe für die Beklagte keine Verpflichtung bestanden, die Rückforderung aus Überzahlungen zu realisieren, zumal diese mit entsprechenden Gefährdungen der betroffenen Arztpraxis verbunden gewesen wäre.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 06.06.2003. Die Beklagte sei nicht zur Verteilung von unterschiedlichen Punktwerten für gleiche Gebührenordnungspositionen unter den verschiedenen Arztgruppen wegen der erforderlich gewordenen Neuberechnung der Punktwerte berechtigt. Die Entscheidung der Vertreterversammlung, auf eine Rückvergütung von zuviel erhaltenem Honorar für Arztgruppen zu verzichten, die keine oder nur wenige Gesprächsleistungen erbracht hätten, widerspreche der Intention des EBM 1996, nach der eine Umverteilung des ärztlichen Honorars zu Gunsten der gesprächsintensiven Leistungen, die überwiegend von Hausärzten erbracht würden, erzielt werden solle. Die Annahme der Beklagten, dass die Rückforderung von zuviel erhaltenem Honorar bestimmte Arztgruppen in Schwierigkeiten gebracht hätte, sei eine nicht bewiesene Behauptung. Die Vorgehensweise der Beklagten dokumentiere eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMVÄ) bzw. § 34 Abs. 4 Satz 2 Ersatzkassenvertrag Ärzte (EKVÄ) sei die Beklagte verpflichtet, die Honorarforderungen des Vertragsarztes bei Fehlern hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit zu korrigieren. Diese Vorschriften dürften nicht unterlaufen werden. Ein genereller Verzicht auf die Erstattung unrechtmäßiger Honorarzahlungen sei nicht möglich. Härtefälle könnten durch Sonderregelungen erfasst werden. Die Beklagte sei daher zu verpflichten, die Punktwerte für die Quartale I und II/1996 für alle Vertragsärzte in Gleichbehandlung unter Anwendung der Rechtsgrundlage der vertraglichen Vereinbarungen neu zu berechnen und das rechtmäßig korrigierte Honorar für alle berechtigten Vertragsärzte auszuzahlen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.12.2002 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zu dem Berufungsantrag nicht weiter vorgetragen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, die der Senat beigezogen hat und deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte sein Honorar neu berechnet.

Rechtsgrundlage für den Erlass von Honorarberichtigungsbescheiden in Form von Änderungs- und Rückforderungsbescheiden sind § 45 Abs. 2 Satz 1 BMVÄ bzw. § 34 Abs. 4 Satz 1 EKVÄ. Nach diesen im Wesentlichen gleichlautenden Vorschriften berichtigt die Beklagte die Honorarforderung des Vertragsarztes bei sachlich-rechnerischer Unrichtigkeit. Unerheblich dabei ist, ob das Verfahren von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse durchgeführt wird (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 31.10.2001, SozR 3-2500, § 85 Nr. 42 S. 345). Diese im Bundesmantelvertrag bzw. Ersatzkassenvertrag geregelte Befugnis der Beklagten verdrängt in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Die Bestimmungen stellen von den Vorschriften des SGB X abweichende Regelungen im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I dar (BSG a. a. O.). Vorrangiges Anwendungsfeld der Berichtigungsbefugnis der Beklagten auf der Grundlage der genannten Vorschriften sind Fehler aus der Sphäre des Vertragsarztes. Die Berichtigungsbefugnis der Beklagten ist jedoch nicht auf derartige Konstellationen beschränkt. Die genannten Vorschriften berechtigen die Beklagte vielmehr generell zur Rücknahme unrichtiger rechtswidriger Honorarbescheide, denn die einzige tatbestandliche Voraussetzung ist schon nach dem Wortlaut sowohl des § 45 Abs. 2 Satz 1 BMVÄ als auch des § 34 Abs. 4 Satz 1 und 2 EKVÄ die sachlich-rechnerische Unrichtigkeit des Honorarbescheides. Die Regelungen differenzieren nicht danach, in wessen Verantwortungsbereich die sachlich-rechnerische Unrichtigkeit fällt (BSG, Urteil vom 26.06.2002, Az. B 6 KA 26/01 R).

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundlagen hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden vom 25.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.1999 das Honorar des Klägers für die streitigen Quartale I und II/1996 unter Berücksichtigung der im Urteil des BSG vom 17.09.1997 dargelegten Kriterien ohne Anwendung der Budgetierung neu berechnet. Über die in die Berechnung einfließenden Punktwerte wurde der Kläger mit Rundschreiben vom 25.03.1998 in gleicher Weise informiert, wie bereits durch die Rundschreiben vom 29.07.1996 bzw. 24.10.1996 als Anlagen zu den (teils vorläufigen) Abrechnungen für die streitigen Quartale, die sich auf die Erläuterung der im Rahmen der teilbudgetierten Honorarberechnung zu Grunde gelegten Punktwerte bezogen. Diese gehen nach den Feststellungen des Senates allen Vertragsärzten zu. Mit der Neuberechnung seines Honorars unter Berücksichtigung der vom BSG wegen echter Rückwirkung für unzulässig gehaltenen Teilbudgetierung ist der Honoraranspruch des Klägers damit erfüllt und er infolge dessen nicht mehr beschwert.

Eine solche Beschwer ergibt sich für den Kläger auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte davon abgesehen hat, trotz Vorliegens der Voraussetzungen einer sachlich-rechnerischen Unrichtigkeit im Verhältnis zu anderen Vertragsärzten, deren Honorar neu zu berechnen und gegebenenfalls Rückforderungsansprüche geltend zu machen. Der aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) abgeleitete Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit gibt dem Kläger keinen Anspruch auf Gleichstellung mit rechtswidrig begünstigten, denn eine Gleichheit im Unrecht wird nicht anerkannt und ist daher auch nicht schützenswert (vgl. hierzu BVerfG, 50, 142, 166; BSG, 15, 137, 141; Urteil des Senats vom 11.12.2002 Az.: L 11 KA 57/00). Bereits der Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 1 BMVÄ bzw. des § 34 Abs. 4 Satz 1 und 2 EKVÄ gibt ein solches Begehren nicht her. Die Vorschriften enthalten Regelungen, nach denen die Kassenärztliche Vereinigung die Honorarforderung des Vertragsarztes bei Fehlern hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit korrigiert. Bereits damit ist deutlich gemacht, dass sie sich nur auf das jeweilige Verhältnis KÄV - Arzt beziehen. Würde man diese Regelungen dahingehend interpretieren, dass die Beklagte entweder von Amts wegen oder auf Antrag eines Arztes hin die Honorare anderer Ärzte zu überprüfen hätte, gäbe man dem Kläger die Möglichkeit, in ein Rechtsverhältnis, an dem er nicht beteiligt ist, rechtsgestaltend einzuwirken. Eine solche Möglichkeit sieht das gesamte deutsche Rechtssystem nicht vor. Gegen diese Interpretation spricht auch die Tatsache, dass der Beklagten im Rahmen der Honorarverteilung auf der Grundlage des § 85 Abs. 4 SGB V ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen sie auf Grund der ihr vorliegenden Unterlagen allein beurteilen kann, ob im Rahmen von Notmaßnahmen die Punktwerte für bestimmte Arztgruppen zu Lasten der Punktwerte für andere Arztgruppen auf einem bestimmten Niveau gestützt werden müssen oder ob zeitlich befristete Ausgleichszahlungen an bestimmte Praxen oder Arztgruppen bei Tätigwerden geboten sind (BSG vom 17.09.1997, a. a. O.).

Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Klägers, es seien hier lediglich Abschlagszahlungen für das erste Quartal 1996 geleistet worden, so dass keine rechtsmittelfähigen Honorarbescheide vorgelegen hätten. Die Frage, ob der Kläger beanspruchen kann, dass zu seinen Gunsten in das Rechtsverhältnis zu einem Dritten eingegriffen wird, ist nicht davon abhängig, in welcher Form an ihn Leistungen erbracht worden sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved