L 16 KR 227/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 317/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 227/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 5. Oktober 2006 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im zweiten Rechtszug. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es ist streitig, ob der Kläger im Alter von über 55 Jahren noch versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten hat werden können (§ 6 Abs 3 a des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V)).

Der Kläger ist am 00.00.1947 geboren. Mit Datum des 6.4.2005 unterzeichnete er nach Vordruck der Kasse in einer "Mitgliedschaftserklärung" , ja, er wolle zur AOK Rheinland; er werde ab dem 1.5.2005 Mitglied der AOK Rheinland und bitte, seinen Arbeitgeber zu informieren; der Kläger gab dabei an, er sei am 00.00.1947 geboren, italienischer Staatsangehöriger, nicht verheiratet und seit dem 1.5.2005 als Arbeitnehmer beschäftigt; von Februar 1991 bis zum 30.4.2005 sei er unter der Versicherungsnummer 4131681 bei der "B" privat versichert gewesen. Unterhalb der Angaben des Klägers unterzeichnete "der/die AOK- Berater(in)" auf dem Vordruck: "Herzlich willkommen in der AOK Rheinland. Wir sind immer für Sie da." Als Arbeitgeber war auf dem Vordruck die Pizzeria des Beigeladenen zu 2) angegeben.

Ohne Eingangsstempel befinden sich bei den Akten der Beklagten im Doppel:

Ein Schreiben der beigeladenen B Krankenversicherung AG "im November 2004" an den Kläger, des Inhalts, daß sein Beitrag ab dem 1.1.2006 439,51 EUR betrage; ein Schreiben des Kl an die B Krankenversicherung AG vom 6.4.2005 mit der Mitteilung, er habe ab dem 1.5.2005 ein Arbeitsverhältnis und sei bei der AOK versichert, weshalb ab dem 1.5.2005 von ihm keine Beiträge mehr an die B zu entrichten seien. Mit Datum des 6.4.2005 schickte eine Kundenberaterin der Beklagten dem Kläger Unterlagen zurück und nahm Bezug auf ein Telefongespräch vom selben Tage mit der Lebensgefährtin des Klägers, der jetzigen Ehefrau.

Ohne Eingangsstempel befindet sich ferner bei den Akten der Beklagten im Doppel:

ein Schreiben des Klägers mit dem Briefkopf " Kiosk/Trinkhalle D., L Str. 00, M" an die B Krankenversicherung AG vom 12.4.2005, in dem es heißt, er habe seinen Gewerbetrieb zum 30.4.2005 abgemeldet, beginne ab dem 1.5. 2005 ein Arbeitsverhältnis und sei ab diesem Zeitpunkt bei der AOK versichert.

Mit einem vorgedruckten Schreiben vom 22.4.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit:

"Sehr geehrter Herr D., wir bedanken uns für Ihr Vertrauen in die AOK. Vom 1.5.05 an genießen Sie den umfangreichen Versicherungsschutz des größten und mitgliederstärksten Krankenversicherungsunternehmens in unserer Region. Sollten Sie noch nicht im Besitz einer gültigen KV-Card sein, so werden wir Ihnen diese, ggf. auch für Ihre Angehörigen, in den nächsten Tagen zusenden. Für weitere Informationen und Fragen stehen Ihnen die Kundenberater in unseren Geschäftsstellen zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Ihre AOK Rheinland Die Gesundheitskasse" Der Kopf des nicht unterzeichneten Schreibens enthält den Hinweis auf Frau G. als "Gesprächspartner".

Mit einem im wesentlichen textidentischen weiteren Schreiben vom 22.4.2005 (Gesprächspartner Frau P.) übersandte die Beklagte dem Kläger einen Fragebogen zur Einbeziehung von Familienangehörigen, auf dem das Geburtsdatum des Klägers maschinenschriftlich eingetragen ist, und den der Kläger mit Datum des 4.5.2005 ausfüllte.

Ohne Eingangsstempel befinden sich bei den Akten:

eine Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft bei dem Kind A., auf der das Geburtsdatum des Klägers ebenso vermerkt ist wie auf einer entsprechenden Abstammungsurkunde; Gehaltsbescheinigungen vom 1. und 21.6.2005, auf denen das Geburtsdatum des Klägers aufgeführt ist, und mit denen bescheinigt wird, daß der Kläger für Mai und Juni 2005 jeweils 800 EUR Festlohn gewerblich bekommen habe, von dem 168,40 EUR Beiträge zu allen Zweigen der Sozialen Sicherheit abgezogen seien.

Mit Schreiben vom 13.7. 2005 teilte die Beklagte dem zu 2) beigeladenen Arbeitgeber mit: sie bitte zu prüfen, ob der Kläger nach § 6 Abs 3 a SGB V versicherungsfrei sei, weil er nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig geworden und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert gewesen sei und mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder hauptberuflich selbständig gewesen sei. Mit Schreiben vom 29.7.2005 bat derselbe Sachbearbeiter eine andere Mitarbeiterin , die " Interimsanmeldung" des Klägers zu stornieren.

Mit Schreiben vom 2.8.2005 meldete sich der Bevollmächtigte des Klägers bei der beklagten Kasse und trug vor, der Arbeitgeber habe den Kläger von der Anfrage der AOK informiert; sein Mandant sei deswegen schon mit seiner Ehefrau bei der AOK vorstellig geworden; die Kasse sei an ihre Aufnahmeerklärung vom 22.4.2005 gebunden; die "B" habe dem Kläger schon eröffnet, daß er bei einer Wiederaufnahme in die private Versicherung mit einer um 100 EUR höheren Prämie rechnen müsse.

Mit formlosem Bescheid vom 23.9.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seine Erklärung vom 6.4.2005 habe ein maschinelles Begrüßungsschreiben und den Versand einer Krankenversicherungskarte ausgelöst; die Versicherung und die damit verbundene Mitgliedschaft komme jedoch erst zu Stande, wenn die gesetzlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen durch die Kasse geprüft worden seien; Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig würden, seien versicherungsfrei, wenn ... ; nach den Informationen der Kasse sei der Kläger seit Februar 1991 privat krankenversichert; mithin sei er vom 1.5.2005 an, dem Beginn seiner Beschäftigung, nicht kranken- und pflegeversicherungspflichtig; man möge bitte beachten, daß ein privates Krankenversicherungsunternehmen nach § 5 Abs 10 SGB V unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sei, den Versicherungsschutz zu den vorherigen Konditionen fortzuführen.

Der Bevollmächtigte des Klägers erhob am 19.10.2005 Widerspruch und machte geltend, die Versendung der Krankenkassenkarte iS von § 291 SGB V setze eine Mitgliedschaft voraus; i.ü. sei die Dreimonatsfrist zur Wiederaufnahme des Klägers durch die "B" aus § 5 Abs 10 SGB V aufgrund der zögerlichen Bearbeitung durch die Kasse abgelaufen; erschwerend komme hinzu, daß die AOK auch der "B" die Mitgliedschaft des Klägers zum 1.5.2005 mit einer Mitgliedsbescheinigung vom 10.6.2005 bestätigt habe. Der Bevollmächtigte des Klägers hat dazu später mit der Klageschrift das Doppel eines Schreibens vorgelegt, das den Eingangsstempel des zu 1) beigeladenen Versicherungsunternehmens vom 13.6.2005 trägt, vom 10.6.2005 datiert und unter dem Stempel der Beklagten und einem Namenszeichen den Aufdruck enthält: "vom 1.5.05 bis noch KV-pflichtig".

Mit formellem Bescheid vom 3.11.2005 entschied die Beklagte, der Kläger sei nach § 6 Abs 3a SGB V vom Beginn seiner Beschäftigung ab dem 1.5.2005 versicherungsfrei. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den vom Kläger aufrechterhaltenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2005 zurück und ergänzte: der Kläger habe erklärt, aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit (Kiosk/Trinkhalle) sei er seit Februar 1991 privat versichert; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) handle es sich bei dem Begrüßungsschreiben nicht um einen Verwaltungsakt iS von § 31 SGB X; das Schreiben begründe die Mitgliedschaft nicht (Hinweis auf das Urteil des BSG vom 21.5.1996, (Az.: 12 RK 67/94); die Verfahrensweise der AOK sei auch nicht zu beanstanden, weil die zum ablehnenden Verwaltungsakt führende Überprüfung durch das Anschreiben an den Arbeitgeber am 13.7.2005 eingeleitet worden sei.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat am 15.12.2005 Klage erhoben und in erster Instanz vorgetragen: mehrfach habe die Beklagte den ihr zurechenbaren Rechtsschein gesetzt, daß der Kläger Mitglied geworden sei; der Arbeitgeber habe dem Kläger die einbehaltenen Beiträge ausweislich der beigefügten Lohnabrechnung für Dezember 2005 rückerstattet; der Kläger habe den Betrag unter Protest entgegengenommen; mittlerweile habe der Beigeladene zu 2) dem Kläger gekündigt; ausweislich des beigefügten Bescheides der Agentur für Arbeit E vom 3.5.2006 beziehe er seit dem 1.5.2006 Arbeitslosengeld; das Arbeitsamt gehe davon aus, daß er bei der Beklagten versichert sei; der Kläger habe auch geheiratet; seine Ehefrau sei auch bei der Beklagten versichert.

Der Kläger hat vor dem SG erklärt, während der streitigen Zeit, die sich praktisch nur bis zum Ende des laufenden Monats erstrecken werde, habe er keinerlei ärztliche oder medizinische Leistungen in Anspruch genommen ; seine Arbeitslosenunterstützung laufe Ende des Monats aus; danach werde er nach seinen Erkundigungen wieder AOK- versichert sein - entweder als Arbeitslosengeld-II-Bezieher oder als Familienversicherter.

Die Beklagte hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten und erklärt, § 6 Abs 3a SGB V gelte auch für die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V.

Das SG Düsseldorf hat mit Urteil vom 5. Oktober 2006 nach dem Antrag des Klägers entschieden, unter Aufhebung des Bescheides vom 3.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2005 werde festgestellt, daß der Kläger seit dem 1.5.2005 krankenversichertes Mitglied der Beklagten sei, denn die Kammer habe sich der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des BSG und der abschlägigen Rechtsprechung der Landessozialgerichte hinsichtlich der Beurteilung der Rechtsqualität von Begrüßungsschreiben im Allgemeinen nicht anschließen können.

Die Beklagte hat gegen das Urteil - ihr zugestellt am 26.10.2006 - am 20.11.2006 Berufung eingelegt. Ihr Terminsvertreter hat vor dem Senat erklärt: zur Erläuterung dürfe er sagen, daß die sogenannte Mitgliedschaftserklärung dem Betroffenen, der den Zugang suche, ausgehändigt werde; er unterschreibe sie dann; wann die Unterschrift der AOK-Beraterin oder des AOK-Beraters - hier Frau G. - darunter gesetzt werde, könne er im einzelnen Fall nicht sagen, ob erst später nach Rückgabe des Vordrucks oder sofort bei Aushändigung; dieses Schreiben, also die Mitgliedschaftserklärung, löse dann aus, daß die Sachbearbeiter den Betroffenen maschinell als Mitglied erfaßten; dies maschinelle Erfassung bewirke dann wiederum, daß die genannten Begrüßungsschreiben, hier vom 22.4.2005, mit den Namen des jeweiligen Sachbearbeiters nach außen verschickt würden; diese maschinell versandten Schreiben seien aber nicht von den einzelnen Sachbearbeitern nochmals überprüft und von ihnen nochmals unterschrieben worden.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5.10.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hat vor dem Senat erklärt, am 3.3.2006 habe er seine langjährige Lebensgefährtin geheiratet; er sei jetzt wieder in Arbeit und zwar seit dem 1.11.2006 für einen Gesamtverdienst von 800 EUR im Monat; er arbeite 6 Tage pro Woche als Aushilfe bei der Gaststätte F in M1; sein neuer Arbeitgeber habe ihn bei der Beklagten angemeldet und behalte ausweislich der vorgelegten Lohnbescheinigungen für November und Dezember 2006 auch Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung ein. Nach Hinweis auf die mögliche Notwendigkeit einer Vertagung und Beiladung auch des neuen Arbeitgebers hat der Bevollmächtigte des Klägers erklärt, mit Rücksicht auf die zum 1.11.2006 begonnene Neubeschäftigung schränke er seinen Antrag ein: er begehre nur noch die Feststellung, daß die Mitgliedschaft des Klägers zum 1.5.2005 wirksam zustande gekommen sei.

Das mit Beschluss vom 30.11./12.12.2006 zu 1) zum Verfahren beigeladene private Krankenversicherungsunternehmen hat keinen Antrag gestellt, auf den Ablauf der Frist aus § 5 Abs 10 SGB V mit Ablauf Juli 2005 hingewiesen und vor dem Senat die Bedingungen der Versicherung und einer Wiederaufnahme des Klägers mit jedenfalls der Pflicht zur Prämiennachzahlung für die Zeit ab dem 1.5.2005 erläutert. Insoweit wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Für den Beigeladenen zu 2) ist zur mündlichen Verhandlung am 18.1.2007 niemand erschienen. Die Benachrichtigung vom Termin ist ihm ausweislich der vorliegenden Zustellungsurkunde am 2.1.2007 zugestellt worden. Mit der Nachricht ist darauf hingewiesen worden, daß auch in Abwesenheit des Beigeladenen und eines Bevollmächtigten des Beigeladenen verhandelt und entschieden werden könne.

Für die in der mündlichen Verhandlung zu 3) beigeladene und durch den Terminsvertreter der Beklagten vertretene Pflegekasse ist ein Antrag nicht gestellt worden.

Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer den Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Obgleich für den Beigeladenen zu 2) zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, hat der Senat verhandeln und entscheiden können, denn der Beigeladene ist - mit Hinweis auf diese Möglichkeit - ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 18.1.2007 geladen worden (§ 153 Abs 1 iVm § 110 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 126 SGG; BSG in SozR Nr 5 zu § 110 SGG). Es hat kein Anlaß bestanden, die mündliche Verhandlung zu vertagen. Der Beigeladene hat um Terminsverlegung nicht ersucht und er hatte hinreichend Gelegenheit, sich schriftsätzlich rechtliches Gehör zu verschaffen.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 5.10.2006 ist unbegründet. Entsprechend seinem in zweiter Instanz eingeschränkten Klageantrag war festzustellen, daß der Kläger mit Aufnahme der Beschäftigung bei dem zu 2) beigeladenen Arbeitgeber am 1. Mai 2005 versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten AOK geworden war.

I. Der Kläger hatte das 55. Lebensjahr im Jahre 2002 vollendet. Er konnte danach aufgrund der durch Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl 2626) eingefügten Regelung des § 6 Abs 3 a SGB V nicht mehr und nach Einfügung des Satzes 4 durch Gesetz vom 24.12.2003 (BGBl 2954) nur noch als Bezieher von Arbeitslosengeld II versicherungspflichtig werden, denn er war in den letzten 5 Jahren vor dem ansonsten möglichen Eintritt der Versicherungspflicht am 1.5.2005 (§ 5 Abs 1 Nr 1 iVm § 186 Abs 1 SGB V) nicht gesetzlich versichert (2. Bedingung des Satzes 1 der o.a. Regelung), und er erfüllte zudem die weitere Voraussetzung des Satzes 2 der nämlichen Regelung, weil er mindestens die Hälfte dieser Zeit nach § 5 Abs 5 SGB V als hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger versicherungsfrei war, was die Beklagte nach Lage der Akten freilich nur aus seiner Mitteilung hat schließen können, er sei von Februar 1991 bis zum 30.4.2005 bei der Beigeladenen zu 1) privat versichert gewesen, und was erst feststeht, nachdem der Kläger vor dem Senat glaubhaft bekundet hat, den in seinem Schreiben an die Beigeladene zu 1) vom 12.4.2005 erstmals aktenkundig gewordenen selbständigen Betrieb eines Kioskes/einer Trinkhalle habe er schon im Jahre 1982 aufgenommen und bis März 2005 fortgesetzt.

II. Konnte der Kläger nach den Vorschriften des SGB V am 1.5.2005 mithin nicht mehr versicherungspflichtige Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden, so ist die Beklagte dennoch an ihre gegenteilige, rechtswidrige Feststellung gebunden, die sie mit einem oder mehreren, die Beteiligten in der Sache bindenden Verwaltungsakten (§§ 31 S. 1 SGB X, § 77 SGG) getroffen hat. Da die Beklagte nicht einmal anheischig gemacht hat, den oder die von ihr erlassenen rechtswidrigen Verwaltungsakte zu beseitigen, bedurfte es keiner Erörterungen, inwieweit dies mit oder ohne Verstoß gegen den Grundsatz des "venire contra factum proprium" möglich gewesen wäre (vgl. insoweit die Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 10.2.2004 L 1 ER 4/04 KR = Neue Zeitrschrift für Sozialrecht (NZS) 2005,167 = Breithaupt 2005,173).

1. Die Beklagte hat dem Kläger zunächst auf der von ihm nach dem Vordruck der Kasse mit Datum des 6.4.2005 unterzeichneten "Mitgliedschaftserklärung" unterhalb seiner Erklärungen und versehen mit der Unterschrift eines "AOK- Kundenberaters" mitgeteilt: "Herzlich willkommen in der AOK Rheinland. Wir sind immer für Sie da". Als weitere, die Mitgliedschaft des Klägers feststellende Verwaltungsakte kamen die beiden o.a. Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 22.4.2005 in Betracht, die keine Unterschrift und keine Namenswiedergabe enthalten, und in denen (einmal mit und einmal ohne Beifügung eines Vordrucks für die Berücksichtigung von Familienangehörigen) u.a. mitgeteilt wird: "Vom 1.5.2005 an genießen Sie den umfangreichen Versicherungsschutz des größten und mitgliederstärksten Krankenversicherungsunternehmens in unserer Region".

In Anbetracht der Erklärung des Kundenberaters auf der Mitgliedschaftserklärung vom 6.4.2005 handelt es sich durchaus auch nicht um einen bloß internen Vorgang, wie dies der Terminsvertreter der Beklagten zunächst hat glauben machen wollen. Der Kläger hat zu jenem Vordruck ein textidentisches Doppel vorlegen können und dazu glaubhaft und unwiderlegt vorgetragen, als seine langjährige Lebensgefährtin und spätere Ehefrau den von ihm unterzeichneten Vordruck für ihn bei der Kasse abgegeben habe, sei ihr das vorgelegte Doppel für ihn mitgegeben worden. Es hat also durchaus die zur Wirksamkeit des Verwaltungsaktes nach § 37 SGB X erforderliche Bekanntgabe stattgefunden. Es bestehen auch kaum Zweifel, daß der objektive Erklärungsinhalt der Äußerung "Herzlich willkommen in der AOK Rheinland. Wir sind immer für Sie da" bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten dahin zu verstehen ist, daß damit die Bestätigung ausgedrückt ist, der um Aufnahme Bemühte sei nun Mitglied oder zumindest Versicherter der Kasse. Wäre nämlich nur gemeint gewesen, daß man den Bewerber allein deshalb schon herzlich willkommen heißt, weil er sich an die AOK gewandt hat, so hätte es statt "Herzlich willkommen in der AOK Rheinland" korrekterweise heißen müssen ""Herzlich willkommen bei der AOK Rheinland". Mögen solche subtilen Betrachtungen bei dem gemeinen Versicherten im Umgang mit einer Krankenkasse auch ebenso wenig aufkommen wie bei den Verfassern solcher Formschreiben, so führt doch nichts an der Tatsache vorbei, daß derjenige, der an die Kasse wegen seiner Aufnahme als Mitglied herantritt und erfährt, daß er "drin" ist, und daß die Kasse immer für ihn da ist, regelmäßig davon ausgehen wird, daß er die Bestätigung hat, nun als Mitglied oder Versicherter Rechte in Anspruch nehmen zu können. An dieser Sicht des Erklärungsempfängers kann auch nicht deshalb gezweifelt werden, weil sich heutzutage auch öffentlich-rechtliche Einrichtungen immer mehr dazu verstehen, sich einer euphemistischen ("Die Gesundheitskasse"), anbiedernden, marktwirtschaftlichen Sprache im Umgang mit Dritten zu bedienen. Man mag dies belächeln, geht aber sicherlich davon aus, daß der Kern solcher Aussagen durchaus ernst gemeint ist. Niemand wird ernsthaft annehmen, solche Floskeln in Beitragsbescheiden befreiten ihn von der Zahlungspflicht. Am objektiven Erklärungsinhalt der "Begrüßung" auf der Mitgliedschaftserklärung würde sich schließlich auch dann nichts ändern, wenn man den durch nichts begründeten Spekulationen des Terminsvertreters der Beklagten folgend davon ausginge, daß sich die unterschriftliche "Begrüßung" schon vor der Aushändigung auf dem Formular befunden habe, denn auch dann hätte der solchermaßen im Vorhinein "begrüßte" Erklärungsempfänger in der Rückgabe des vom Sachbearbeiter unterzeichneten Vordrucks nur die Bestätigung sehen können, daß der Unterzeichner nach Wertung der aus dem Mitgliedschaftsersuchen und sonst bekannten Tatsachen an der "Begrüßung" festhält.

2. Letztlich kam es aber nicht entscheidend darauf an, ob insoweit bereits um den 06.04.205 herum ein die Beklagte bindender Verwaltungsakt gesetzt war, denn jedenfalls mit den nachfolgenden beiden "Begrüßungsschreiben" und dem ausdrücklichen Hinweis "Vom 1.5. 2005 an genießen Sie den umfangreichen Versicherungsschutz des größten und mitgliederstärksten Krankenversicherungsunternehmens in unserer Region" hat die Beklagte aus der Sicht des Erklärungsempfängers und derjenigen eines unbeteiligten Dritten einen Verwaltungsakt erlassen, mit dem sie ausdrücklich festgestellt hat, der Kläger sei aufgrund der Aufnahme der von ihm mitgeteilten Beschäftigung Mitglied der Kasse geworden. Ohne Erfolg weist der Terminsvertreter der Beklagten demgegenüber darauf hin, daß diese Schreiben nicht unterzeichnet sind. Hier waren Unterschrift und Namenswiedergabe nach § 33 Abs 5 SGB X entbehrlich, weil es sich bei den Begrüßungsschreiben wie etwa regelmäßig auch bei Beitragsbescheiden um mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassene Verwaltungsakte handelt. Dabei kann der Beklagten freilich in ihrem Vortrag nicht gefolgt werden, es sei (nur) die Erklärung des Klägers vom 6.4.2005, die ein maschinelles Begrüßungsschreiben und den Versand einer Krankenversicherungskarte ausgelöst habe. Der "Auslösung" der Begrüßungsschreiben ist in jedem Fall ein menschlicher Eingriff vorangegangen, sei es, daß ein Mensch vorprogrammiert hat, daß jede Abgabe eines solchen Aufnahmeersuchens die Versendung eines solchen Begrüßungsschreibens zur Folge hat, sei es, daß ein Mensch nach Einsicht in das Aufnahmeersuchen die Versendung veranlaßt - hier etwa der Sachbearbeiter, der die Begrüßung auf dem Ersuchen unterzeichnet hat. Dementsprechend betrachtet der Empfänger ein solches Schreibens dies auch keineswegs lediglich als Folge seines eigenen Tuns, sondern - nachvollziehbar - als Reaktion einer Kasse, die sein bisheriges Vorbringen und ihr anderweit bekannte Tatsachen bewertet und es als Ergebnis dieser Wertung für richtig befunden hat, ihm eben diese Mitteilungen zukommen zu lassen.

Soweit die Beklagte wie auch andere Kassen gleichwohl mit mehr oder minder pauschalem Bezug auf die allseits bekannte Rechtsprechung des BSG zu "Begrüßungsschreiben" von einem anderen Verständnis ihrer Erklärungen ausgehen, ist es platterdings unverständlich, warum nicht solchen seit Jahrzehnten bekannten Rechtsstreitigkeiten der Boden entzogen wird durch den schlichten, aber klaren Hinweis bei der Begrüßung, daß damit noch keine bindende Feststellung der Mitgliedschaft verbunden sei und daß deren Entstehen vielmehr im Einzelfall von Sachverhalten abhängig sein könne, die ggf. noch zu prüfen seien.

3. Der Kläger konnte seine dreifache "Begrüßung" - darauf kam es freilich nicht mehr entscheidend an - um so mehr als bindende Bestätigung des Beginns seiner Mitgliedschaft zum 1.5.2005 auffassen, als seine spätere Ehefrau von Anfang und eben in Fragen der Mitgliedschaft mehrfach Kontakt zu Mitarbeitern der Kasse hatte, ohne vor seiner Information durch seinen Arbeitgeber irgendeinen Hinweis von Seiten der Beklagten darauf zu bekommen, daß sein Lebensalter für seine Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erheblich sein und deren Zustandekommen in Frage stellen könne. Der Kläger hat schon zuvor auf diese Kontakte seiner Frau zur Kasse hingewiesen und vor dem Senat glaubhaft ergänzt: es sei nicht so, daß die Anmeldung einfach so bei der AOK-Geschäftsstelle abgegeben worden wäre; es hätten zwischen seiner Frau und den Mitarbeitern der AOK im Umfeld der Anmeldung vielmehr wiederholt Gespräche stattgefunden; sein Rechtsanwalt habe dazu auch vorgetragen, daß seine Frau bei den Mitarbeitern der AOK auch wegen der Tochter vorgesprochen habe; dazu fänden sich auch Unterlagen in den Akten; auch da sei von den Mitarbeitern der AOK zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, daß er überhaupt nicht versichert sei; deshalb habe er die Schreiben der AOK so verstanden, daß er dort mit Sicherheit versichert sei.

4. Der Bindung der Beklagten an ihre rechtswidrige Feststellung stand es zunächst nicht entgegen, daß die Versicherungspflicht aus einer Beschäftigung unabhängig von einer Feststellung durch die Kassen kraft Gesetzes bei Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften eintritt (§ 5 Abs 1 Nr 1 iVm § 186 Abs 1 SGB V). Anders als etwa im Bereich der freiwilligen Unternehmerunfallversicherung ( vgl. dazu BSG Urt.v. 25.8.65 2 RU 167/62 = BSGE 23,248 ) war hier nämlich aufgrund der Wahlrechte des Versicherten nach den §§ 173 ff SGB V gleichwohl ein feststellender Bescheid der gewählten Krankenkasse zu erwarten. Der Annahme der Bindung der Kasse an ihre rechtswidrige Feststellung stand auch nicht jene Rechtsprechung entgegen, die einst bei Verstößen gegen die Regelungen über den Beitritt zu Ersatzkassen sogar die Nichtigkeit entgegenstehender Feststellungen annahm (vgl. BSG Urt.v. 28.2.61 3 RK 63/56 = SozR Nr. 1 zu § 213 RVO; v. 25.2.66 3 RK 72/61 = BSGE 24,258 = SozR Nr. 2 zu § 518 RVO; v. 25.2.66 3 RK 38/65 = BSGE 24,266 = SozR Nr. 1 zu § 324 RVO = Nr. 6 zu § 4 12. AufbauVO) oder jeglichem Festhalten an einer rechtswidrigen Feststellung grundsätzlich die Berechtigung absprach. Diese Rechtsprechung ist durch die Vorschriften und Möglichkeiten des SGB X weitgehend obsolet geworden.

5. An diese, weitgehend obsolet gewordene Rechtsprechung knüpft auch das Urteil des BSG vom 21.5.96 (12 RK 67/94 = 3-2200 § 306 Nr 2 = USK 96 18) in gewisser Weise an, auf dessen Inhalt sich die Beklagte im Wesentlichen beruft. Dieses Urteil und gleichermaßen das vorangegangene Urteil des BSG vom 16.10.68 (3 RK 8/65 = SozR Nr 61 zu § 165 RVO = USK 68 107) wie auch das ihm nachfolgende Urteil vom 19.6.01 (B 12 KR 37/00 R = SozR 3-2500 § 9 Nr 3) sind hier indes nicht einschlägig. Die wesentliche Aussage dieser Urteile liegt darin, daß eine Bindung an einen Verwaltungsakt dann nicht angenommen werden kann, wenn seine Aussage getroffen wird, bevor die zu seiner Begründung erforderlichen Tatsachen geklärt sind (im Fall des Urteils vom 16.10.68 aus Anlaß des damaligen Instituts des "mißglückten Arbeitsversuchs" und im Falle des Urteils vom 21.5.1996 aus Anlaß der Bestätigung der Ersatzkassenmitgliedschaft ohne den Zeitpunkt des Eintritts in die Beschäftigung abzuwarten oder gar zu überprüfen, ob diese Voraussetzung der Versicherungspflicht tatsächlich erfüllt war. Mit dem Urteil vom 19.6.2001 ist die frühere Rechtsprechung lediglich bestätigt worden, nachdem diese mit der Revision nicht angegriffen war).

Hier aber liegen die Dinge gänzlich anders. Der Sachverhalt verhält sich eher umgekehrt, insoweit als der Beklagten von Anfang an und bei allen drei Begrüßungen alle Tatsachen bekannt waren, die sie bei ihren späteren gegenteilige Entscheidungen für rechtserheblich gehalten hat und auch für rechtserheblich halten durfte. Zudem hat es die Beklagte, nachdem sie ihren Fehler zuvor - jedenfalls im Juli 2005 - erkannt hatte, versäumt, den Kläger rechtzeitig darauf hinzuweisen, daß gemäß § 5 Abs 10 SGB V bis zum 31. Juli 2005 und nur bis dahin die Möglichkeit bestand, vom privaten Versicherungsunternehmen den erneuten Abschluß eines Versicherungsvertrages ohne Risikoprüfung zu gleichen Tarifbedingungen wie zuvor zu verlangen, um dem Kläger dann mit Bescheid vom 23.9.2005 vorzuspiegeln, daß diese Möglichkeit unter Umständen noch bestehe. Daß die Beklagte, wie dies erstmals ihr Terminsbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 28.12.2006 behauptet hat, sich bereits im Juli 2005 sowohl an den Arbeitgeber als auch an den Kläger mit Hinweis auf das streitige Problem gewandt hätte, hält der Senat für widerlegt: dies hat keinerlei Niederschlag in den Akten gefunden, der Bevollmächtigte des Klägers hat dies schon mit Schriftsatz vom 2.8.2005 durch den Hinweis in Abrede gestellt, daß der Kläger (erst) durch seinen Arbeitgeber über die Zweifel an seiner Mitgliedschaft informiert worden sei, und der Kläger hat dies vor dem Senat noch einmal glaubhaft bestätigt und ergänzt, kurz nach der Benachrichtigung durch seinen Arbeitgeber habe er sich sofort an seinen Rechtsanwalt und habe dort (wie von diesem bestätigt) am 2.8.2005 vorgesprochen. Zudem hat auch der Terminsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, auch wenn es üblich sei, daß die Kasse sowohl den Arbeitgeber anschreibe als auch dem Versicherten eine Kopie sende, lasse sich dies hier nicht beweisen; die Akten gäben dafür nichts her; ihm sei auch kein anderer Zeitpunkt bekannt, zu dem die Kasse den beigeladenen Arbeitgeber angeschrieben habe als das Datum des 13.7.2005.

Zur Überzeugung des Senats steht es fest, daß die Wertung eines solchen "Begrüßungsschreibens" als Verwaltungsakt auch keineswegs auf den hier nicht vorliegenden Fall beschränkt ist, daß der "Begrüßung" ein Streit über die Möglichkeit des Entstehens der Mitgliedschaft vorangegangen ist, der vom potentiellen Versicherten als mit der "Begrüßung" als beendet betrachtet werden kann. Eine solche Beschränkung ist, soweit ersichtlich, auch der Rechtsprechung des BSG nicht zu entnehmen; es spricht im Gegenteil das von der Beklagten angeführte o.a. Urteil vom 21.5.1996 eher dafür, daß nur die Unkenntnis der rechtserheblichen Tatsachen bei der Begrüßung den ansonsten eindeutig den Beginn der Versicherung bestätigenden Inhalt des Begrüßungsschreibens der Verbindlichkeit berauben kann.

Nicht zu entscheiden hatte der Senat darüber, ob und inwieweit die Beklagte, würde man ihrer Rechtsauffassung folgen, dem Kläger nach Amtshaftungsgrundsätzen den Schaden zu ersetzen hätte, der ihm dadurch entstanden ist, daß er die private Versicherung im Vertrauen auf die fehlerhaften Mitteilungen der Kasse gekündigt und im Hinblick auf die verspätete Korrektur nicht rechtzeitig zu den alten Konditionen hat fortsetzen können.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

Es bestand Anlaß, die Revision zuzulassen, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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