Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 RJ 62/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 RJ 5/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a R 14/08 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. mit Urteil als unzulässig verworfen
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.01.2004 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 09.05.2003 verurteilt, die Zeit vom 01.01.1947 bis 31.12.1949 bei der Berechnung der Altersrente des Klägers als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Ziffer 4b SGB VI zu berücksichtigen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch um die Anerkennung einer weiteren Ersatzzeit und insoweit um die Höhe der dem Kläger durch Bescheid der Beklagten vom 09.05.2003 bewilligten Regelaltersrente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - ZRBG -. Dieser Bescheid ist im laufenden Klageverfahren gegen den eine Rente ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 24.09.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.1998 ergangen.
Der am 00.00.1918 in Q, Kreis Lemberg, Polen, geborene Kläger lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Er ist als Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt und hat Entschädigungsleistungen wegen Freiheitsschadens für die Zeit vom 18.11.1939 bis 18.01.1945 erhalten.
Nach dem Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren wohnte er bei Beginn der Verfolgung in seinem Geburtsort. Er habe sich auf einer Geschäftsreise nach Krakau befunden, als der Krieg ausbrach und sei deshalb dort geblieben. Bis März 1943 sei er im dortigen Ghetto inhaftiert gewesen, dann in das Arbeitslager Plaszow und im November 1943 in das Zwangsarbeitslager Skarzysko-Kamiena gebracht worden. 1944 sei er in das Arbeitslager Sulejow überführt und dort im Januar 1945 durch die russische Armee befreit worden. In der Hoffnung noch jemanden von seiner Familie zu finden, sei er nach Krakau, Sosnowicz und seinen Geburtsort zurückgekehrt, habe aber erfahren müssen, dass Eltern, Schwester und Brüder bei Aktionen umgekommen seien. Das habe ihn in einen Zustand der Verzweiflung gebracht, er habe sich zu nichts mehr aufraffen können. Schließlich habe er mit einer Gruppe Jugendlicher Polen verlassen und sei über Prag, Wien und Italien sowie Zypern im Dezember 1946 nach Palästina gelangt. Hier habe er zunächst Gelegenheitsarbeiten verrichtet und 1947 eine Stelle in einem Elektrizitätswerk erhalten und diese Stelle nach der Militärzeit zurückbekommen.
In seinem ersten Rentenantrag vom 27.12.1989 gab er unter dem 06.06.1990 im Fragebogen der Beklagten und in einer eidesstattlichen Erklärung vom 15.07.1990 u.a. an, nach der Befreiung durch die russische Armee im Januar 1945 sei er ungefähr ein Jahr in Polen geblieben und im August 1946 erstmals nach Israel eingewandert, sie seien aber nach Cypern vertrieben worden. Von dort aus sei er im Dezember 1946 nach Israel zurückgekehrt. Die Beklagte erkannte Beschäftigungszeiten nach § 16 Fremdrentengesetz (FRG) vom 14.07.1934 bis 31.12.1935 sowie eine Ersatzzeit vom 01.10.1939 bis 31.12.1946 auf Grund politischer Verfolgung bzw. wegen Vertreibung/Flucht/Umsiedlung an. Dem Antrag auf Zahlung von Altersrente wurde nicht entsprochen, weil keine Beitragszeiten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorhanden waren (Bescheid vom 05.03.1993). Auch den Antrag auf Nachentrichtung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 13.11.1992 ab. Die Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 08.06.1993 - betreffend den Bescheid vom 13.11.1992 und vom 03.08.1995 - betreffend den Bescheid vom 05.03.1993).
Im Rahmen eines weiteren - erfolglosen - Antrages auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen und Zahlung einer Altersrente nach dem Zusatzabkommen zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (Bescheid vom 24.09.1997, Widerspruchsbescheid vom 03.02.1998) erkannte die Beklagte im Klageverfahren nach dem Ruhen des Verfahrens durch Bescheid vom 09.05.2003 einen Anspruch des Klägers auf Altersrente nach dem ZRBG ab dem 01.01.1997 an. Sie berücksichtigte dabei u.a Pflichtbeitragszeiten vom 01.03.1941 bis zum 15.03.1943 sowie eine anschließende Ersatzzeit bis zum 31.12.1946. Der Kläger hat die Klage aufrechterhalten, weil weitere Ersatzzeiten über den 31.12.1946 hinaus zu berücksichtigen seien. Die Zeit der Auswanderung sei auf Verfolgungsereignisse zurückzuführen.
Der Kläger hat seinem schriftsätzlichen Vorbringen zufolge beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 09.05.2003 zu verurteilen, eine weitere Ersatzzeit vom 01.01.1947 bis 31.12.1949 anzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Nachkriegsaufenthalt in Polen schließe die Anerkennung eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt in Israel aus.
Durch Urteil vom 21.01.2004 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Der Kläger sei Verfolgter im Sinne des § 1 BEG und habe ab Dezember 1946 seinen Wohnsitz im Ausland genommen. Die Anerkennung eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt in Israel bis zum 31.12.1949 im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 4 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB VI - komme nicht in Betracht. Die Regelung habe den Sinn, Verfolgten, die bereits vor Kriegsende ausgewandert seien, die Möglichkeit zu geben, die Frage ihrer Rückkehr innerhalb einer angemessenen Zeit zu überdenken. Der Versicherte müsse seinen Aufenthalt entweder bis zum 30.06.1945 in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach außerhalb des jetzigen Bundesgebiets genommen oder beibehalten haben. Diese Voraussetzungen seien im Fall des Klägers nicht erfüllt. Seine Auswanderung sei nach dem 30.06.1945 nicht aus dem seinerzeitigen Bundesgebiet, sondern aus Polen erfolgt. Der Kläger habe sich zu keinem Zeitpunkt im Bundesgebiet aufgehalten. Nach seiner Befreiung habe er sich ausschließlich in Polen befunden, was einen verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ab dem 01.01.1947 ausschließe.
Mit seiner Berufung bleibt der Kläger dabei, dass es sich für die Zeit von Januar 1947 bis Dezember 1949 um einen verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt im Sinne der Ersatzzeitregelung des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI handele und diese Zeit dementsprechend rentensteigernd zu berücksichtigen sei. Der Ursachenzusammenhang der Auswanderung mit der Verfolgung sei gegeben. Hierzu nimmt er Bezug auf ein Urteil des BSG vom 13.09.1978, Aktenzeichen 5 RJ 86/77.
Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, beantragt seinem schriftlichen Vorbringen zufolge,
das Urteil des SG Düsseldorf vom 21.01.2004 zu ändern und nach dem Klageantrag zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass Voraussetzung für die Anerkennung der geltend gemachten Ersatzzeit u.a. sei, dass der Verfolgte Deutschland verfolgungsbedingt verlassen habe. Wie das SG zutreffend ausgeführt habe, habe sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt in Deutschland aufgehalten, so dass die Berücksichtigung einer Ersatzzeit wegen eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthaltes nicht in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streit- und Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Entschädigungsakte des Regierungsbezirksamts L (Aktenzeichen 000) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, obwohl weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte zum Termin erschienen sind. Der Bevollmächtigte ist mit der ordnungsgemäß ergangenen Terminsbenachrichtigung auf diese Verfahrensweise (§§ 124 Abs. 1, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2003 ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Die Zeit ab 01.01.1947 bis 31.12.1949 ist als Ersatzzeit nach Maßgabe des § 250 Abs. 1 Ziffer 4b SGB VI zu berücksichtigen.
Nach § 250 Abs. 1 Ziffer 4 SGB VI, der hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte infolge Verfolgungsmaßnahmen a) ... b) bis zum 30.06.1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30.06.1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31.12.1949, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des BEG gehören.
Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 BEG. Er macht die Berücksichtigung von Ersatzzeiten geltend, die nach dem vollendeten vierzehnten Lebensjahr und vor dem 01.01.1992 liegen; während des geltend gemachten Ersatzzeiten-Zeitraums hat keine Versicherungspflicht bestanden. Er hat um die Jahreswende 1946/1947 seinen Wohnsitz in Israel und damit im Ausland begründet und diesen über den 31.12.1949 beibehalten. Die Wohnsitznahme - Auslandsaufenthalt - des Klägers in Israel ist durch Verfolgungsmaßnahmen verursacht.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kommt es für die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen Verfolgungsmaßnahme und Auslandsaufenthalt ("durch Verfolgungsmaßnahmen") auf die wesentliche Ursächlichkeit an. Wesentlich ursächlich ist jede, aber auch nur diejenige Bedingung, die nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSGE 13, 175,176). In diesem Sinne sind die - auch gegen den Kläger gerichteten - nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen, die ihn in unterschiedliche Ghettos/Lager, nämlich Krakau, Plaszow (Generalgouvernement - GG -) und Sulejow (GG- Distrikt Radom 1939-1945), wo er befreit wurde, brachten, wesentlich ursächlich für die Auswanderung bzw. den Auslandsaufenthalt gewesen. Bereits im Urteil vom 01.07.1970 (SozR Nr.46 zu § 1251 RVO) hat das BSG ausgeführt, es sei denkbar, dass über das Kriegsende hinaus fortdauernde oder später eingetretene Nachwirkungen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen im Einzelfall erst in der Nachkriegszeit Anlass zur Auswanderung gegeben hätten. Während allerdings bei einer Auswanderung zwischen 1933 und Kriegsende in der Regel ein verfolgungsbedingter Auslandsaufenthalt zu unterstellen sei, gelte diese Vermutung für die Fälle der Auswanderung nach Kriegsende nicht. Hier bedürfe es objektiver Gründe.
Nach Maßgabe der genannten Kriterien gibt es für den Senat keine begründeten Zweifel, dass der Kläger verfolgungsbedingt ausgewandert ist. Hierfür sprechen schon die objektiv zu Tage liegenden Umstände, wie sie sich aus den Entschädigungsakten ergeben und im Tatbestand näher aufgeführt wurden. Danach ist der Kläger nacheinander in unterschiedlichen Lagern und Orten von der Familie getrennt inhaftiert gewesen und schließlich in Sulejow befreit worden. Das im Distrikt Radom gelegene Sulejow ist weit vom Geburtsort bzw. der Heimatstadt Q entfernt. Ganz abgesehen von der räumlichen Entfernung erscheint nachvollziehbar, dass die Suche nach Angehörigen - im Falle des Klägers handelte es sich um drei Brüder, eine Schwester und die Eltern - nach der Odyssee, die der Kläger und möglicherweise auch die Angehörigen durchgemacht haben, eine nicht unerheblich lange Zeit in Anspruch genommen hat. Von daher ist nur zu verständlich, dass sich der Kläger erst nach der erfolglosen Suche und nach Vergewisserung über das Schicksal seiner Angehörigen zur Auswanderung entschieden hat. Vor dem geschilderten Hintergrund wird deutlich, dass nicht der Umstand der Suche nach den Angehörigen die wesentliche Ursache für den Entschluss zur Auswanderung war, sondern die Aus- und Nachwirkungen der Verfolgung.
Auch wenn sich dem Senat letztlich nicht mit Sicherheit erschließt, mit welchem Argument die Beklagte eine Anerkennung ablehnt, so scheint sie die Ablehnung damit zu begründen, dass der Kläger von einem Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Reichsversicherungsgesetzes in ein weiteres Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Reichsversicherungsgesetzes ausgewandert ist. Das ist im Hinblick auf Wortlaut und Sinn und Zweck des § 250 Abs.1 Nr. 4 SGB VI ohne Bedeutung.
Mit der Verfolgteneigenschaft und der Anerkennung von Ghettobeitragszeiten ist bereits ein Tatbestand erfüllt, der eine anschließende Anerkennung einer Ersatzzeit ermöglicht. Denn der zwangsweise Aufenthalt im Ghetto nach der Regelung des ZRBG impliziert, dass sich der Verfolgte in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war. Wie das BSG bereits in der Entscheidung vom 29.03.2006 unter Bezugnahme auf Sinn und Zweck des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ausgeführt hat, sind grundsätzlich diejenigen vom Anwendungs- und Schutzbereich der Norm erfasst, die erst durch Eingliederung ihrer Heimatgebiete in das Deutsche Reich in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelangten und nach Rückgängigmachung dieser Eingliederung wieder ausschieden (BSG vom 29.03.2006 B 13 RJ 7/05, SozR 4-2600 § 250 Nr.2). Es hinge von Zufällen ab, wollte man die Anerkennung der Ersatzzeit davon abhängig machen, an welchem Ort der Verfolgte bei Kriegsende befreit wurde, denn dieser Aufenthaltsort lag in der Hand der Verfolger - gleich, aus welchem Gebiet der Verfolgte vor der Verfolgung kam. Einmal eingegliedert in den Bereich des deutschen Rentenversicherungsrechts kann ihnen ein Schaden in der deutschen Rentenversicherung entstanden sein (BSG vom 14.08.2003 - B 13 RJ 27/02 R, SozR 4-2200 § 1251 Nr. 1). Das muss grundsätzlich und insbesondere auch im Hinblick auf die Regelungen des ZRBG gelten, deren Voraussetzungen vorliegend den Anspruch des Klägers auf Altersrente begründet haben. § 2 Abs.1 ZRBG unterstellt für Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto, die nach § 1 ZRBG zu berücksichtigen sind, eine Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Für die Berechnung der Rente gelten diese Zeiten als Reichsgebietsbeitragszeiten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden sind. Damit diese Rente ins Ausland gezahlt werden kann, wird bei der Ermittlung der "Auslandsrente" nach §§ 110 ff SGB VI unterstellt, dass die Ghetto-Beitragzeiten als Bundesgebiets-Beitragzeiten gelten. Mit Rücksicht auf diese Erwägungen und im Hinblick darauf, dass die Vorschrift des § 250 Abs.1 Nr.4 SGB VI die Anrechnung von Ersatzzeiten allein auf Grund der Tatsache vorsieht, dass der Verfolgte sich infolge von Verfolgungsmaßnahmen im Ausland aufgehalten hat, was vorliegend zu bejahen ist, kann es auf den Aufenthaltsort des Versicherten zur Erfüllung des Ersatzzeittatbestandes nicht entscheidend ankommen, zumal der "Bezug zur deutschen Rentenversicherung" durch das ZRBG hergestellt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zugelassen, § 160 Abs.2 Nr. 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch um die Anerkennung einer weiteren Ersatzzeit und insoweit um die Höhe der dem Kläger durch Bescheid der Beklagten vom 09.05.2003 bewilligten Regelaltersrente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - ZRBG -. Dieser Bescheid ist im laufenden Klageverfahren gegen den eine Rente ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 24.09.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.1998 ergangen.
Der am 00.00.1918 in Q, Kreis Lemberg, Polen, geborene Kläger lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Er ist als Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt und hat Entschädigungsleistungen wegen Freiheitsschadens für die Zeit vom 18.11.1939 bis 18.01.1945 erhalten.
Nach dem Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren wohnte er bei Beginn der Verfolgung in seinem Geburtsort. Er habe sich auf einer Geschäftsreise nach Krakau befunden, als der Krieg ausbrach und sei deshalb dort geblieben. Bis März 1943 sei er im dortigen Ghetto inhaftiert gewesen, dann in das Arbeitslager Plaszow und im November 1943 in das Zwangsarbeitslager Skarzysko-Kamiena gebracht worden. 1944 sei er in das Arbeitslager Sulejow überführt und dort im Januar 1945 durch die russische Armee befreit worden. In der Hoffnung noch jemanden von seiner Familie zu finden, sei er nach Krakau, Sosnowicz und seinen Geburtsort zurückgekehrt, habe aber erfahren müssen, dass Eltern, Schwester und Brüder bei Aktionen umgekommen seien. Das habe ihn in einen Zustand der Verzweiflung gebracht, er habe sich zu nichts mehr aufraffen können. Schließlich habe er mit einer Gruppe Jugendlicher Polen verlassen und sei über Prag, Wien und Italien sowie Zypern im Dezember 1946 nach Palästina gelangt. Hier habe er zunächst Gelegenheitsarbeiten verrichtet und 1947 eine Stelle in einem Elektrizitätswerk erhalten und diese Stelle nach der Militärzeit zurückbekommen.
In seinem ersten Rentenantrag vom 27.12.1989 gab er unter dem 06.06.1990 im Fragebogen der Beklagten und in einer eidesstattlichen Erklärung vom 15.07.1990 u.a. an, nach der Befreiung durch die russische Armee im Januar 1945 sei er ungefähr ein Jahr in Polen geblieben und im August 1946 erstmals nach Israel eingewandert, sie seien aber nach Cypern vertrieben worden. Von dort aus sei er im Dezember 1946 nach Israel zurückgekehrt. Die Beklagte erkannte Beschäftigungszeiten nach § 16 Fremdrentengesetz (FRG) vom 14.07.1934 bis 31.12.1935 sowie eine Ersatzzeit vom 01.10.1939 bis 31.12.1946 auf Grund politischer Verfolgung bzw. wegen Vertreibung/Flucht/Umsiedlung an. Dem Antrag auf Zahlung von Altersrente wurde nicht entsprochen, weil keine Beitragszeiten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorhanden waren (Bescheid vom 05.03.1993). Auch den Antrag auf Nachentrichtung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 13.11.1992 ab. Die Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 08.06.1993 - betreffend den Bescheid vom 13.11.1992 und vom 03.08.1995 - betreffend den Bescheid vom 05.03.1993).
Im Rahmen eines weiteren - erfolglosen - Antrages auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen und Zahlung einer Altersrente nach dem Zusatzabkommen zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (Bescheid vom 24.09.1997, Widerspruchsbescheid vom 03.02.1998) erkannte die Beklagte im Klageverfahren nach dem Ruhen des Verfahrens durch Bescheid vom 09.05.2003 einen Anspruch des Klägers auf Altersrente nach dem ZRBG ab dem 01.01.1997 an. Sie berücksichtigte dabei u.a Pflichtbeitragszeiten vom 01.03.1941 bis zum 15.03.1943 sowie eine anschließende Ersatzzeit bis zum 31.12.1946. Der Kläger hat die Klage aufrechterhalten, weil weitere Ersatzzeiten über den 31.12.1946 hinaus zu berücksichtigen seien. Die Zeit der Auswanderung sei auf Verfolgungsereignisse zurückzuführen.
Der Kläger hat seinem schriftsätzlichen Vorbringen zufolge beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 09.05.2003 zu verurteilen, eine weitere Ersatzzeit vom 01.01.1947 bis 31.12.1949 anzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Nachkriegsaufenthalt in Polen schließe die Anerkennung eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt in Israel aus.
Durch Urteil vom 21.01.2004 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Der Kläger sei Verfolgter im Sinne des § 1 BEG und habe ab Dezember 1946 seinen Wohnsitz im Ausland genommen. Die Anerkennung eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt in Israel bis zum 31.12.1949 im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 4 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB VI - komme nicht in Betracht. Die Regelung habe den Sinn, Verfolgten, die bereits vor Kriegsende ausgewandert seien, die Möglichkeit zu geben, die Frage ihrer Rückkehr innerhalb einer angemessenen Zeit zu überdenken. Der Versicherte müsse seinen Aufenthalt entweder bis zum 30.06.1945 in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach außerhalb des jetzigen Bundesgebiets genommen oder beibehalten haben. Diese Voraussetzungen seien im Fall des Klägers nicht erfüllt. Seine Auswanderung sei nach dem 30.06.1945 nicht aus dem seinerzeitigen Bundesgebiet, sondern aus Polen erfolgt. Der Kläger habe sich zu keinem Zeitpunkt im Bundesgebiet aufgehalten. Nach seiner Befreiung habe er sich ausschließlich in Polen befunden, was einen verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ab dem 01.01.1947 ausschließe.
Mit seiner Berufung bleibt der Kläger dabei, dass es sich für die Zeit von Januar 1947 bis Dezember 1949 um einen verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt im Sinne der Ersatzzeitregelung des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI handele und diese Zeit dementsprechend rentensteigernd zu berücksichtigen sei. Der Ursachenzusammenhang der Auswanderung mit der Verfolgung sei gegeben. Hierzu nimmt er Bezug auf ein Urteil des BSG vom 13.09.1978, Aktenzeichen 5 RJ 86/77.
Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, beantragt seinem schriftlichen Vorbringen zufolge,
das Urteil des SG Düsseldorf vom 21.01.2004 zu ändern und nach dem Klageantrag zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass Voraussetzung für die Anerkennung der geltend gemachten Ersatzzeit u.a. sei, dass der Verfolgte Deutschland verfolgungsbedingt verlassen habe. Wie das SG zutreffend ausgeführt habe, habe sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt in Deutschland aufgehalten, so dass die Berücksichtigung einer Ersatzzeit wegen eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthaltes nicht in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streit- und Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Entschädigungsakte des Regierungsbezirksamts L (Aktenzeichen 000) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, obwohl weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte zum Termin erschienen sind. Der Bevollmächtigte ist mit der ordnungsgemäß ergangenen Terminsbenachrichtigung auf diese Verfahrensweise (§§ 124 Abs. 1, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 09.05.2003 ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Die Zeit ab 01.01.1947 bis 31.12.1949 ist als Ersatzzeit nach Maßgabe des § 250 Abs. 1 Ziffer 4b SGB VI zu berücksichtigen.
Nach § 250 Abs. 1 Ziffer 4 SGB VI, der hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte infolge Verfolgungsmaßnahmen a) ... b) bis zum 30.06.1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30.06.1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31.12.1949, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des BEG gehören.
Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 BEG. Er macht die Berücksichtigung von Ersatzzeiten geltend, die nach dem vollendeten vierzehnten Lebensjahr und vor dem 01.01.1992 liegen; während des geltend gemachten Ersatzzeiten-Zeitraums hat keine Versicherungspflicht bestanden. Er hat um die Jahreswende 1946/1947 seinen Wohnsitz in Israel und damit im Ausland begründet und diesen über den 31.12.1949 beibehalten. Die Wohnsitznahme - Auslandsaufenthalt - des Klägers in Israel ist durch Verfolgungsmaßnahmen verursacht.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kommt es für die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen Verfolgungsmaßnahme und Auslandsaufenthalt ("durch Verfolgungsmaßnahmen") auf die wesentliche Ursächlichkeit an. Wesentlich ursächlich ist jede, aber auch nur diejenige Bedingung, die nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSGE 13, 175,176). In diesem Sinne sind die - auch gegen den Kläger gerichteten - nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen, die ihn in unterschiedliche Ghettos/Lager, nämlich Krakau, Plaszow (Generalgouvernement - GG -) und Sulejow (GG- Distrikt Radom 1939-1945), wo er befreit wurde, brachten, wesentlich ursächlich für die Auswanderung bzw. den Auslandsaufenthalt gewesen. Bereits im Urteil vom 01.07.1970 (SozR Nr.46 zu § 1251 RVO) hat das BSG ausgeführt, es sei denkbar, dass über das Kriegsende hinaus fortdauernde oder später eingetretene Nachwirkungen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen im Einzelfall erst in der Nachkriegszeit Anlass zur Auswanderung gegeben hätten. Während allerdings bei einer Auswanderung zwischen 1933 und Kriegsende in der Regel ein verfolgungsbedingter Auslandsaufenthalt zu unterstellen sei, gelte diese Vermutung für die Fälle der Auswanderung nach Kriegsende nicht. Hier bedürfe es objektiver Gründe.
Nach Maßgabe der genannten Kriterien gibt es für den Senat keine begründeten Zweifel, dass der Kläger verfolgungsbedingt ausgewandert ist. Hierfür sprechen schon die objektiv zu Tage liegenden Umstände, wie sie sich aus den Entschädigungsakten ergeben und im Tatbestand näher aufgeführt wurden. Danach ist der Kläger nacheinander in unterschiedlichen Lagern und Orten von der Familie getrennt inhaftiert gewesen und schließlich in Sulejow befreit worden. Das im Distrikt Radom gelegene Sulejow ist weit vom Geburtsort bzw. der Heimatstadt Q entfernt. Ganz abgesehen von der räumlichen Entfernung erscheint nachvollziehbar, dass die Suche nach Angehörigen - im Falle des Klägers handelte es sich um drei Brüder, eine Schwester und die Eltern - nach der Odyssee, die der Kläger und möglicherweise auch die Angehörigen durchgemacht haben, eine nicht unerheblich lange Zeit in Anspruch genommen hat. Von daher ist nur zu verständlich, dass sich der Kläger erst nach der erfolglosen Suche und nach Vergewisserung über das Schicksal seiner Angehörigen zur Auswanderung entschieden hat. Vor dem geschilderten Hintergrund wird deutlich, dass nicht der Umstand der Suche nach den Angehörigen die wesentliche Ursache für den Entschluss zur Auswanderung war, sondern die Aus- und Nachwirkungen der Verfolgung.
Auch wenn sich dem Senat letztlich nicht mit Sicherheit erschließt, mit welchem Argument die Beklagte eine Anerkennung ablehnt, so scheint sie die Ablehnung damit zu begründen, dass der Kläger von einem Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Reichsversicherungsgesetzes in ein weiteres Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Reichsversicherungsgesetzes ausgewandert ist. Das ist im Hinblick auf Wortlaut und Sinn und Zweck des § 250 Abs.1 Nr. 4 SGB VI ohne Bedeutung.
Mit der Verfolgteneigenschaft und der Anerkennung von Ghettobeitragszeiten ist bereits ein Tatbestand erfüllt, der eine anschließende Anerkennung einer Ersatzzeit ermöglicht. Denn der zwangsweise Aufenthalt im Ghetto nach der Regelung des ZRBG impliziert, dass sich der Verfolgte in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war. Wie das BSG bereits in der Entscheidung vom 29.03.2006 unter Bezugnahme auf Sinn und Zweck des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ausgeführt hat, sind grundsätzlich diejenigen vom Anwendungs- und Schutzbereich der Norm erfasst, die erst durch Eingliederung ihrer Heimatgebiete in das Deutsche Reich in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelangten und nach Rückgängigmachung dieser Eingliederung wieder ausschieden (BSG vom 29.03.2006 B 13 RJ 7/05, SozR 4-2600 § 250 Nr.2). Es hinge von Zufällen ab, wollte man die Anerkennung der Ersatzzeit davon abhängig machen, an welchem Ort der Verfolgte bei Kriegsende befreit wurde, denn dieser Aufenthaltsort lag in der Hand der Verfolger - gleich, aus welchem Gebiet der Verfolgte vor der Verfolgung kam. Einmal eingegliedert in den Bereich des deutschen Rentenversicherungsrechts kann ihnen ein Schaden in der deutschen Rentenversicherung entstanden sein (BSG vom 14.08.2003 - B 13 RJ 27/02 R, SozR 4-2200 § 1251 Nr. 1). Das muss grundsätzlich und insbesondere auch im Hinblick auf die Regelungen des ZRBG gelten, deren Voraussetzungen vorliegend den Anspruch des Klägers auf Altersrente begründet haben. § 2 Abs.1 ZRBG unterstellt für Zeiten einer Beschäftigung in einem Ghetto, die nach § 1 ZRBG zu berücksichtigen sind, eine Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Für die Berechnung der Rente gelten diese Zeiten als Reichsgebietsbeitragszeiten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden sind. Damit diese Rente ins Ausland gezahlt werden kann, wird bei der Ermittlung der "Auslandsrente" nach §§ 110 ff SGB VI unterstellt, dass die Ghetto-Beitragzeiten als Bundesgebiets-Beitragzeiten gelten. Mit Rücksicht auf diese Erwägungen und im Hinblick darauf, dass die Vorschrift des § 250 Abs.1 Nr.4 SGB VI die Anrechnung von Ersatzzeiten allein auf Grund der Tatsache vorsieht, dass der Verfolgte sich infolge von Verfolgungsmaßnahmen im Ausland aufgehalten hat, was vorliegend zu bejahen ist, kann es auf den Aufenthaltsort des Versicherten zur Erfüllung des Ersatzzeittatbestandes nicht entscheidend ankommen, zumal der "Bezug zur deutschen Rentenversicherung" durch das ZRBG hergestellt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zugelassen, § 160 Abs.2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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