Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 185/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 255/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.08.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seines Vaters von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob sog. Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) zu berücksichtigen sind.
Der Kläger ist der Sohn von J M und dessen Erbe. Der Vater des Klägers war am 00.00.1919 in Rowno (Polen) als polnischer Staatangehöriger geboren. Er starb am 00.07.2007. Er war jüdischen Glaubens, besaß zuletzt die israelische Staatsangehörigkeit und lebte seit Juli 1957 in Israel. Er war als Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt wegen Freiheitsentziehung (§ 43 BEG) von November 1941 bis August 1942 eine Beihilfe (Bescheid vom 26.03.1968).
Im Entschädigungsverfahren erklärte der Vater des Klägers am 04.01.1968:
"Im November 1941 wurde das Ghetto Rowno errichtet und wurde ich in diesem Ghetto eingesperrt. Wir lebten von der Umwelt abgesondert, leisteten schwere Zwangsarbeit und waren in ständigem Terror vor Aktionen. August 1942 gelang es mir zu flüchten und lebte bei Bauern versteckt ..."
Die Zeugen N P und N1 H bestätigten am 04.01.1968 die Angaben des Vaters des Klägers.
Gegenüber der Jewish Claims Conference (JCC) - Art. 2-Fonds - gab der Vater des Klägers 1993 an, er sei von November 1941 bis August 1942 im Ghetto Rowno gewesen. Er führte weiter aus:
"Ich schlief in einer Baracke auf Pritschen. Von der Umwelt war ich abgesondert. Ich leistete schwere Zwangsarbeiten, denn jeden Tag wurden solche befohlen. Das Essen war völlig ungenügend und ich litt ständig an Hunger. Sehr schwer war es, den Winter zu überstehen. Eine große Angst hatte ich vor den Aktionen, welche viele jüdische Opfer erforderten. Im August 1942 gelang es mir zu flüchten und mich bei Bauern ... zu verstecken ..." Im August 1944 habe er die Befreiung erlebt.
Er beantragte am 04.11.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Er gab dabei an, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört zu haben. Er sei verwitwet. Er erklärte am 15.10.2003 weiter, er habe von Juli 1941 bis März 1942 während seines Aufenthaltes im Ghetto von Rowno außerhalb des Ghettos in einem Pferdestall Pferde gepflegt und Reinigungsarbeiten verrichtet. Er habe acht bis zehn Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch eigene Bemühungen freiwillig zustande gekommen. Bekommen habe er dafür zusätzliche Lebensmittel, keinen Barlohn und keine Sachbezüge. Die Höhe des Entgelts sei nicht erinnerlich. Er sei auf dem Weg von und zur Arbeit von jüdischer Polizei bewacht worden.
Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge der JCC - Art. 2-Fonds - und die Entschädigungsakte der Bezirksregierung Düsseldorf - Dezernat 10 (Wiedergutmachung) - mit dem Aktenzeichen 10. Art. V 000 bei. Nach Auswertung dieser Unterlagen lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Vaters des Klägers mit Bescheid vom 12.05.2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Vater des Klägers eine aus eigenem Entschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt im Ghetto Rowno ausgeübt habe. Zwangsarbeiten würden vom ZRBG nicht erfasst.
Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 24.05.2004 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch des Vaters des Klägers. Zur Begründung legte er noch eine eigene schriftliche Erklärung vom 13.06.2004 über die Umstände seines Aufenthalts im Ghetto vor:
" Im Herbst 1941 wurde in Rowno ein Ghetto errichtet und ich wurde in dieses eingewiesen. Die Lage im Ghetto war sehr schwer, es herrschte großer Hunger. Ich suchte Arbeit, um mich ernähren zu können und nicht den antijüdischen "Aktionen" zum Opfer zu fallen. Mit Hilfe des Judenrates konnte ich eine Ghettotätigkeit anfangen. Mit Pferdewagen brachte ich aus dem Wald Holzstämme an die angegebenen Plätze, führte danach die Pferde in den Stall, gab ihnen ihr Futter und reinigte sie. Es war eine schwere Arbeit, aber im Ghetto war ich froh, diese Arbeit gefunden zu haben. Mein Aufenthalt im Ghetto war ein Zwangsaufenthalt, aber meine Tätigkeit im Ghetto Rowno habe ich aus freiem Willen ausgeübt. Mit den zusätzlichen Lebensmittelrationen, welche ich für meine Arbeit erhalten habe, konnte ich meinen Lebensunterhalt um vieles erleichtern. In den damaligen Zeiten waren Lebensmittel wichtiger als Bargeld. Meine Tätigkeit im Ghetto habe ich acht bis neun Monate verrichtet, als mir die Flucht aus dem Ghetto gelang. An ganz genaue Daten kann ich mich heute nicht mehr erinnern, da ich ein sehr kranker Mann bin ..."
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Entlohnung durch Lebensmittel erfülle nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit. Auch unter Berücksichtigung der Angaben im Verfahren bei der JCC sei ein aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenes und gegen Entgelt ausgeübtes Beschäftigungsverhältnis nicht glaubhaft.
Mit der am 04.04.2005 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat der Vater des Klägers sein Begehren weiterverfolgt. Er hat durch seinen Prozessbevollmächtigten vorgetragen, er habe sich zur Verbesserung seiner Lage über den Judenrat Tätigkeiten als Pferdewagenfahrer und Pferdepfleger freiwillig gesucht. Er habe laut eigener Erklärung vom 13.06.2004 für die Tätigkeit Sachbezüge in Form von täglichem Essen am Arbeitsplatz und wöchentlichen Lebensmitteln für zu Hause erhalten. Er erinnere sich bei den wöchentlichen Lebensmitteln an Kartoffeln, Mehl, Zucker, Öl, Brot, Rüben, Salz. Die Lebensmittel habe er zur freien Verfügung erhalten. Sie hätten die Geringfügigkeitsgrenze überschritten.
Der Vater des Klägers hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 12.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 die Tätigkeiten von Juli 1941 bis März 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, gegenüber der JCC habe der Vater des Klägers von schweren Zwangsarbeiten gesprochen, die täglich befohlen worden seien. Es fehle deshalb schon an einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigung. Im Übrigen sei weiterhin auch von einem die Versicherungspflicht auslösenden Entgelt nicht auszugehen. Nach den früheren Angaben des Vaters des Klägers im Entschädigungsverfahren der JCC habe er sogar nur völlig ungenügendes Essen bekommen und habe Hunger gelitten.
Das SG Düsseldorf hat mit Urteil vom 23.08.2006 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Vater des Klägers habe keinen Anspruch gem. § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten sei nicht erfüllt. Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung seien nicht zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 ZRBG seien nicht gegeben. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Vater des Klägers im Ghetto Rowno eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt habe. Die Klage habe auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass der Vater des Klägers möglicherweise einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG komme es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt worden sei, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Der Anwendbarkeit des ZRBG bzw. der Begründung von Beitragszeiten nach §§ 15, 16, 17 a Fremdrentengesetz (FRG) stehe auch entgegen, dass der Kläger nicht dem dSK angehört habe, wie er im Rentenantrag selbst angegeben habe.
Gegen das ihm am 13.09.2006 zugestellte Urteil hat der Vater des Klägers am 18.09.2006 Berufung eingelegt. Der Kläger macht geltend, sein Vater habe eine freiwillige Tätigkeit als Transporter von Holzstämmen mit dem Pferdewagen und die Pferdebetreuung gegen Entlohnung im Auftrag der Ghettoverwaltung eidesstattlich erklärt. Frühere Angaben zu einem Antrag auf Entschädigungsleistungen seien kaum aussagekräftig, da - wenn überhaupt - Aussagen über eine Tätigkeit unter Zwang von Bedeutung gewesen seien. Es sei daher naheliegend, dass Angaben über eine freiwillige Tätigkeit und die Entlohnung stets fehlten. Im Hinblick darauf, dass im Entschädigungsverfahren ein Ghettoaufenthalt von November 1941 bis August 1942 angegeben worden sei, werde der Antrag auf Anerkennung einer glaubhaft gemachten ZRBG-Beitragszeit auf den Zeitraum ab November 1941 statt Juli 1941 bis März 1942 geändert. Sein 88-jähriger Vater habe sich offenbar nicht mehr genau an seinen Ghettoaufenthalt erinnern können.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.08.2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 12.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von November 1941 bis März 1942 im Ghetto Rowno nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 mit der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Anfrage des Senats hat die JCC mitgeteilt, dass der Vater des Klägers beim Härtefonds keinen Antrag gestellt und vom Zwangsarbeiterfonds eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals im Ghetto Rowno in den Jahren 1941 bis 1942 erhalten habe.
Die Fragebögen des Senats zu seinem Verfolgungsschicksal hat der Vater des Klägers nicht mehr beantworten können. Der Kläger hat diese nicht beantwortet.
Zum Nachweis seiner Rechtnachfolge nach seinem Vater hat der Kläger das vom Bezirksrabbinatsgericht Tel Aviv eröffnete Testament seines Vaters beigebracht.
Das den Beteiligten bekannte Gutachten von Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ukraine und Rückwärtiges Heeresgebiet Süd vom 17.02.2007 (erstellt für das SG Hamburg in den Verfahren S 20 J 107/97 u.a.) ist zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden worden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten und der beigezogenen Entschädigungsakte der Bezirksregierung Düsseldorf - Dezernat 10 (Wiedergutmachung) - mit dem Aktenzeichen 10. Art. V 000, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit des Klägers und seines Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil sein Prozessbevollmächtigter in der Terminsmitteilung, die ihm am 31.01.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.
Nach der teilweisen Berufungsrücknahme ist nur noch streitig, ob Ghetto-Beitragszeiten für den Zeitraum von November 1941 bis März 1942 berücksichtigt werden können.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG Düsseldorf hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger daher nicht iS von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Der Kläger ist Rechtsnachfolger seines Vaters J M gem. § 58 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Nachgewiesen ist die Rechtsnachfolge durch das vom Bezirksrabbinatsgericht Tel Aviv eröffnete Testament, dessen Gültigkeit das genannte Gericht festgestellt hat. Darin hatte der Vater des Klägers seine Ehefrau als Alleinerbin und seinen Sohn, den Kläger, als Ersatzerben zum Alleinerben eingesetzt. Die als Erbin eingesetzte Ehefrau war bereits zum Zeitpunkt des Todes des Vaters des Klägers verstorben. Er hatte im Rentenantragsformular angegeben, verwitwet zu sein. Aufgrund dessen ist der zum Ersatzerben bestimmte Kläger Alleinerbe geworden.
Der Kläger als Rechtsnachfolger seines Vaters hat keinen Altersrentenanspruch gegen die Beklagte gern. § 35 SGB VI.
Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (zB Urteil v. 06.06.2007, L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, aA BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall des Klägers nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes des Klägers (vgl. § 30 Abs. 1 SGB I) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten iS der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, mwN).
Der Vater des Klägers hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist glaubhaft gemacht, dass der Vater des Klägers im (noch) streitgegenständlichen Zeitraum die von ihm angegebenen Arbeiten ausgeübt hatte. Wie in seiner Erklärung vom 13.06.2004 beschrieben hatte er mit Pferdewagen aus dem Wald Holzstämme zu den angegebenen Plätzen gebracht, danach die Pferde in den Stall geführt, sie gefüttert und gereinigt. In der vorgenannten Erklärung schilderte der Vater des Klägers die von ihm ausgeübten Arbeiten am ausführlichsten. Die vorherigen Erklärungen verhalten sich entweder überhaupt nicht zu der Art der verrichteten Arbeiten oder sind weitaus weniger detailreich. Allen Erklärungen gemein ist, dass der Vater des Klägers gearbeitet hatte. Der Senat sieht daher keinen Anlass, an der Richtigkeit der Angaben in der vorgenannten Erklärung zur Art der ausgeübten Arbeiten zu zweifeln.
Von den vorgenannten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG kann allerdings die Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. a) und b) ZRBG nach den eigenen Angaben des Vaters des Klägers, an deren Richtigkeit zu zweifeln insoweit ebenfalls kein Anlass besteht, nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden.
Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, aaO). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; vgl. zum Folgenden insbesondere BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 07.10.2004, aaO; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt iS von § 1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es zB bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, zB der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist (sog. Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil v. 06.06.2007, aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt iS des § 1227 RVO aF nur Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft, dass der Vater des Klägers für die von ihm nach seinen Angaben im Ghetto Rowno verrichteten Arbeiten mehr als Lebensmittel im Umfang lediglich freien Unterhalts erhalten hat. Er selbst gab im Verwaltungsverfahren an, zusätzliche Lebensmittel als Entlohnung für die von ihm verrichtete Arbeit bekommen zu haben. Barlohn und Sachbezüge habe er nicht erhalten. Im Widerspruchsverfahren erklärte er, zusätzliche Lebensmittelrationen erhalten zu haben, mit denen er seinen Lebensunterhalt um vieles habe erleichtern können. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten in der ersten Instanz habe er wöchentlich zusätzliche Lebensmittel erhalten: Kartoffeln, Mehl, Zucker, Öl, Brot, Rüben, Salz. Gegenüber der JCC erklärte der Kläger, ein völlig ungenügendes Essen erhalten und ständig an Hunger gelitten zu haben.
Der Vater des Klägers hat mit den zusätzlichen Lebensmitteln nicht mehr als (teilweisen) freien Unterhalt gewährt erhalten. Es kann nicht im Sinne der Glaubhaftmachung festgestellt werden, dass er Lebensmittel nach vorbestimmtem Maße zur beliebigen Verfügung erhalten hat, die über seinen Bedarf hinausgegangen wären. Die Erklärung gegenüber der JCC zu seiner Ernährungssituation ist eindeutig. Danach war das Essen völlig ungenügend gewesen und er hatte ständig unter Hunger gelitten. Eine hiervon abweichende Ernährungs- bzw. Versorgungssituation hat der Vater des Klägers weder im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren noch im Gerichtsverfahren geschildert. Die Erklärung gegenüber der JCC verdeutlicht, dass die Versorgung mit Lebensmitteln noch nicht einmal seinen eigenen Bedarf gedeckt hatte. Eine äußerst schlechte Versorgungssituation wird auch von Prof. Dr. Golczewski in seinem Gutachten vom 17.02.2007 über die Region Reichskommissariat Ukraine beschrieben (S. 19 f des Gutachtens). Danach befriedigten die offiziellen Zuteilungen (wenn sie denn überhaupt bereitgestellt wurden) im allgemeinen nicht einmal die geringsten Lebensbedürfnisse, was unter anderem damit zusammenhing, dass die Deutschen mit den landwirtschaftlichen Erträgen der Ukraine die Reichsbevölkerung versorgten, wodurch für den Konsum der einheimischen Bevölkerung kaum etwas übrig blieb. Die niedrigen Rationen für Ukrainer wurden für Juden noch einmal reduziert und wurden auch nicht immer ausgeliefert.
Das Kriterium der Mitversorgung Dritter über einen erheblichen Zeitraum im Falle der Beweisnot kommt dem Kläger nicht zugute. Denn die Lebensmittel, die sein Vater erhielt, konnten noch nicht einmal seinen eigenen Bedarf decken, wie die Erklärung gegen über der JCC verdeutlicht. Eine Mitversorgung Dritter wurde zudem schon nicht geltend gemacht. Der Vater des Klägers hat nur angegeben, dass er seinen Lebensunterhalt habe erleichtern können. Von weiteren Personen hat er nicht gesprochen.
Auch der sog. Anspruchstheorie ist nicht zu folgen (Senat, Urteil vom 04.07.2007, L 8 R 74/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die Anwendung der Anspruchstheorie setzt das Bestehen eines dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses voraus, das durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten zustande kommt (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95). Typisch ist mithin, dass auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluss geäußert werden. Nach seinem unmittelbaren Zweck und dem daran ausgerichteten Inhalt ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein Austausch wirtschaftlicher Werte iS einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Auszutauschende Werte sind die Arbeit einerseits sowie das dafür zu zahlende Arbeitsentgelt - der Lohn - andererseits (BSG aaO). Eine derartige auf den vorbeschriebenen Austausch wirtschaftlicher Werte gerichtete Vereinbarung zwischen dem Vater des Klägers und seinem Arbeitgeber ist nicht iS einer Glaubhaftmachung festzustellen. Vielmehr sprechen sämtliche Anhaltspunkte gegen eine solche Übereinkunft. Wie bereits vorstehend dargelegt wurde, spricht die Gewährung von derartig geringen Leistungen, die nicht einmal den eigenen Bedarf des Vaters des Klägers gedeckt hatten, in Verbindung mit den historischen Erkenntnissen von der Versorgungssituation in der Ukraine unter der deutschen Besatzung dafür, dass damit nicht eine Arbeitsleistung entgolten, also ein wirtschaftlicher Wert gewährt, sondern das Überleben als immaterieller Wert vorübergehend sichergestellt werden sollte.
Da bereits eine entgeltliche Beschäftigung nicht festgestellt werden kann, kann dahinstehen, ob die weiteren Voraussetzungen einer Ghetto-Beitragszeit erfüllt sind.
Die von dem Vater des Klägers im Ghetto Rowno verrichteten Arbeiten können auch nicht nach den §§ 15, 16 FRG iVm § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG oder § 12 WGSVG als Versicherungszeiten angerechnet werden.
Die Arbeit des Vaters des Klägers im Ghetto Rowno unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen, da er nicht die deutsche Staatangehörigkeit besaß. Die Stadt Rowno lag im damals sogenannten Reichskommissariat Ukraine, in dem die Reichsversicherungsgesetze für Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, nicht galten (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, zum sog. Generalgouvernement). Eine Anrechnung als Versicherungszeit richtet sich daher nach den §§ 15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen jedoch nicht vor, wobei dahinstehen kann, ob der Vater des Klägers dem dSK angehört hat, was er allerdings verneint hatte.
Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG kommt nicht in Betracht, da eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung weder glaubhaft gemacht noch erwiesen ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 FRG sind bereits deshalb nicht erfüllt, da - wie oben bereits ausgeführt worden ist - ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann. Auch § 16 FRG greift nicht zu Gunsten des Vaters des Klägers ein, da die von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht nach dem am 01.03.1957 geltenden Bundesrecht (§§ 1227, 1228 RVO nF) Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätten, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wären.
Da nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass der Vater des Klägers eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Das Gericht hat die Revision wegen seiner von dem Urteil des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 85/06 R) abweichenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals "gegen Entgelt", auf der seine Entscheidung beruht, sowie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Tatbestand:
Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seines Vaters von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob sog. Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) zu berücksichtigen sind.
Der Kläger ist der Sohn von J M und dessen Erbe. Der Vater des Klägers war am 00.00.1919 in Rowno (Polen) als polnischer Staatangehöriger geboren. Er starb am 00.07.2007. Er war jüdischen Glaubens, besaß zuletzt die israelische Staatsangehörigkeit und lebte seit Juli 1957 in Israel. Er war als Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt wegen Freiheitsentziehung (§ 43 BEG) von November 1941 bis August 1942 eine Beihilfe (Bescheid vom 26.03.1968).
Im Entschädigungsverfahren erklärte der Vater des Klägers am 04.01.1968:
"Im November 1941 wurde das Ghetto Rowno errichtet und wurde ich in diesem Ghetto eingesperrt. Wir lebten von der Umwelt abgesondert, leisteten schwere Zwangsarbeit und waren in ständigem Terror vor Aktionen. August 1942 gelang es mir zu flüchten und lebte bei Bauern versteckt ..."
Die Zeugen N P und N1 H bestätigten am 04.01.1968 die Angaben des Vaters des Klägers.
Gegenüber der Jewish Claims Conference (JCC) - Art. 2-Fonds - gab der Vater des Klägers 1993 an, er sei von November 1941 bis August 1942 im Ghetto Rowno gewesen. Er führte weiter aus:
"Ich schlief in einer Baracke auf Pritschen. Von der Umwelt war ich abgesondert. Ich leistete schwere Zwangsarbeiten, denn jeden Tag wurden solche befohlen. Das Essen war völlig ungenügend und ich litt ständig an Hunger. Sehr schwer war es, den Winter zu überstehen. Eine große Angst hatte ich vor den Aktionen, welche viele jüdische Opfer erforderten. Im August 1942 gelang es mir zu flüchten und mich bei Bauern ... zu verstecken ..." Im August 1944 habe er die Befreiung erlebt.
Er beantragte am 04.11.2002 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Er gab dabei an, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört zu haben. Er sei verwitwet. Er erklärte am 15.10.2003 weiter, er habe von Juli 1941 bis März 1942 während seines Aufenthaltes im Ghetto von Rowno außerhalb des Ghettos in einem Pferdestall Pferde gepflegt und Reinigungsarbeiten verrichtet. Er habe acht bis zehn Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch eigene Bemühungen freiwillig zustande gekommen. Bekommen habe er dafür zusätzliche Lebensmittel, keinen Barlohn und keine Sachbezüge. Die Höhe des Entgelts sei nicht erinnerlich. Er sei auf dem Weg von und zur Arbeit von jüdischer Polizei bewacht worden.
Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge der JCC - Art. 2-Fonds - und die Entschädigungsakte der Bezirksregierung Düsseldorf - Dezernat 10 (Wiedergutmachung) - mit dem Aktenzeichen 10. Art. V 000 bei. Nach Auswertung dieser Unterlagen lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Vaters des Klägers mit Bescheid vom 12.05.2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Vater des Klägers eine aus eigenem Entschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt im Ghetto Rowno ausgeübt habe. Zwangsarbeiten würden vom ZRBG nicht erfasst.
Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 24.05.2004 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch des Vaters des Klägers. Zur Begründung legte er noch eine eigene schriftliche Erklärung vom 13.06.2004 über die Umstände seines Aufenthalts im Ghetto vor:
" Im Herbst 1941 wurde in Rowno ein Ghetto errichtet und ich wurde in dieses eingewiesen. Die Lage im Ghetto war sehr schwer, es herrschte großer Hunger. Ich suchte Arbeit, um mich ernähren zu können und nicht den antijüdischen "Aktionen" zum Opfer zu fallen. Mit Hilfe des Judenrates konnte ich eine Ghettotätigkeit anfangen. Mit Pferdewagen brachte ich aus dem Wald Holzstämme an die angegebenen Plätze, führte danach die Pferde in den Stall, gab ihnen ihr Futter und reinigte sie. Es war eine schwere Arbeit, aber im Ghetto war ich froh, diese Arbeit gefunden zu haben. Mein Aufenthalt im Ghetto war ein Zwangsaufenthalt, aber meine Tätigkeit im Ghetto Rowno habe ich aus freiem Willen ausgeübt. Mit den zusätzlichen Lebensmittelrationen, welche ich für meine Arbeit erhalten habe, konnte ich meinen Lebensunterhalt um vieles erleichtern. In den damaligen Zeiten waren Lebensmittel wichtiger als Bargeld. Meine Tätigkeit im Ghetto habe ich acht bis neun Monate verrichtet, als mir die Flucht aus dem Ghetto gelang. An ganz genaue Daten kann ich mich heute nicht mehr erinnern, da ich ein sehr kranker Mann bin ..."
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Entlohnung durch Lebensmittel erfülle nicht das Merkmal der Entgeltlichkeit. Auch unter Berücksichtigung der Angaben im Verfahren bei der JCC sei ein aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenes und gegen Entgelt ausgeübtes Beschäftigungsverhältnis nicht glaubhaft.
Mit der am 04.04.2005 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat der Vater des Klägers sein Begehren weiterverfolgt. Er hat durch seinen Prozessbevollmächtigten vorgetragen, er habe sich zur Verbesserung seiner Lage über den Judenrat Tätigkeiten als Pferdewagenfahrer und Pferdepfleger freiwillig gesucht. Er habe laut eigener Erklärung vom 13.06.2004 für die Tätigkeit Sachbezüge in Form von täglichem Essen am Arbeitsplatz und wöchentlichen Lebensmitteln für zu Hause erhalten. Er erinnere sich bei den wöchentlichen Lebensmitteln an Kartoffeln, Mehl, Zucker, Öl, Brot, Rüben, Salz. Die Lebensmittel habe er zur freien Verfügung erhalten. Sie hätten die Geringfügigkeitsgrenze überschritten.
Der Vater des Klägers hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 12.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 die Tätigkeiten von Juli 1941 bis März 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, gegenüber der JCC habe der Vater des Klägers von schweren Zwangsarbeiten gesprochen, die täglich befohlen worden seien. Es fehle deshalb schon an einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen Beschäftigung. Im Übrigen sei weiterhin auch von einem die Versicherungspflicht auslösenden Entgelt nicht auszugehen. Nach den früheren Angaben des Vaters des Klägers im Entschädigungsverfahren der JCC habe er sogar nur völlig ungenügendes Essen bekommen und habe Hunger gelitten.
Das SG Düsseldorf hat mit Urteil vom 23.08.2006 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Vater des Klägers habe keinen Anspruch gem. § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten sei nicht erfüllt. Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung seien nicht zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 ZRBG seien nicht gegeben. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Vater des Klägers im Ghetto Rowno eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt habe. Die Klage habe auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass der Vater des Klägers möglicherweise einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG komme es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt worden sei, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Der Anwendbarkeit des ZRBG bzw. der Begründung von Beitragszeiten nach §§ 15, 16, 17 a Fremdrentengesetz (FRG) stehe auch entgegen, dass der Kläger nicht dem dSK angehört habe, wie er im Rentenantrag selbst angegeben habe.
Gegen das ihm am 13.09.2006 zugestellte Urteil hat der Vater des Klägers am 18.09.2006 Berufung eingelegt. Der Kläger macht geltend, sein Vater habe eine freiwillige Tätigkeit als Transporter von Holzstämmen mit dem Pferdewagen und die Pferdebetreuung gegen Entlohnung im Auftrag der Ghettoverwaltung eidesstattlich erklärt. Frühere Angaben zu einem Antrag auf Entschädigungsleistungen seien kaum aussagekräftig, da - wenn überhaupt - Aussagen über eine Tätigkeit unter Zwang von Bedeutung gewesen seien. Es sei daher naheliegend, dass Angaben über eine freiwillige Tätigkeit und die Entlohnung stets fehlten. Im Hinblick darauf, dass im Entschädigungsverfahren ein Ghettoaufenthalt von November 1941 bis August 1942 angegeben worden sei, werde der Antrag auf Anerkennung einer glaubhaft gemachten ZRBG-Beitragszeit auf den Zeitraum ab November 1941 statt Juli 1941 bis März 1942 geändert. Sein 88-jähriger Vater habe sich offenbar nicht mehr genau an seinen Ghettoaufenthalt erinnern können.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.08.2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 12.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von November 1941 bis März 1942 im Ghetto Rowno nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab 01.07.1997 mit der Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Auf Anfrage des Senats hat die JCC mitgeteilt, dass der Vater des Klägers beim Härtefonds keinen Antrag gestellt und vom Zwangsarbeiterfonds eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals im Ghetto Rowno in den Jahren 1941 bis 1942 erhalten habe.
Die Fragebögen des Senats zu seinem Verfolgungsschicksal hat der Vater des Klägers nicht mehr beantworten können. Der Kläger hat diese nicht beantwortet.
Zum Nachweis seiner Rechtnachfolge nach seinem Vater hat der Kläger das vom Bezirksrabbinatsgericht Tel Aviv eröffnete Testament seines Vaters beigebracht.
Das den Beteiligten bekannte Gutachten von Prof. Dr. Golczewski zur Region Reichskommissariat Ukraine und Rückwärtiges Heeresgebiet Süd vom 17.02.2007 (erstellt für das SG Hamburg in den Verfahren S 20 J 107/97 u.a.) ist zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden worden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten und der beigezogenen Entschädigungsakte der Bezirksregierung Düsseldorf - Dezernat 10 (Wiedergutmachung) - mit dem Aktenzeichen 10. Art. V 000, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit des Klägers und seines Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil sein Prozessbevollmächtigter in der Terminsmitteilung, die ihm am 31.01.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.
Nach der teilweisen Berufungsrücknahme ist nur noch streitig, ob Ghetto-Beitragszeiten für den Zeitraum von November 1941 bis März 1942 berücksichtigt werden können.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG Düsseldorf hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger daher nicht iS von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Der Kläger ist Rechtsnachfolger seines Vaters J M gem. § 58 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Nachgewiesen ist die Rechtsnachfolge durch das vom Bezirksrabbinatsgericht Tel Aviv eröffnete Testament, dessen Gültigkeit das genannte Gericht festgestellt hat. Darin hatte der Vater des Klägers seine Ehefrau als Alleinerbin und seinen Sohn, den Kläger, als Ersatzerben zum Alleinerben eingesetzt. Die als Erbin eingesetzte Ehefrau war bereits zum Zeitpunkt des Todes des Vaters des Klägers verstorben. Er hatte im Rentenantragsformular angegeben, verwitwet zu sein. Aufgrund dessen ist der zum Ersatzerben bestimmte Kläger Alleinerbe geworden.
Der Kläger als Rechtsnachfolger seines Vaters hat keinen Altersrentenanspruch gegen die Beklagte gern. § 35 SGB VI.
Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (zB Urteil v. 06.06.2007, L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, aA BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall des Klägers nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes des Klägers (vgl. § 30 Abs. 1 SGB I) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten iS der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, mwN).
Der Vater des Klägers hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist glaubhaft gemacht, dass der Vater des Klägers im (noch) streitgegenständlichen Zeitraum die von ihm angegebenen Arbeiten ausgeübt hatte. Wie in seiner Erklärung vom 13.06.2004 beschrieben hatte er mit Pferdewagen aus dem Wald Holzstämme zu den angegebenen Plätzen gebracht, danach die Pferde in den Stall geführt, sie gefüttert und gereinigt. In der vorgenannten Erklärung schilderte der Vater des Klägers die von ihm ausgeübten Arbeiten am ausführlichsten. Die vorherigen Erklärungen verhalten sich entweder überhaupt nicht zu der Art der verrichteten Arbeiten oder sind weitaus weniger detailreich. Allen Erklärungen gemein ist, dass der Vater des Klägers gearbeitet hatte. Der Senat sieht daher keinen Anlass, an der Richtigkeit der Angaben in der vorgenannten Erklärung zur Art der ausgeübten Arbeiten zu zweifeln.
Von den vorgenannten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG kann allerdings die Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. a) und b) ZRBG nach den eigenen Angaben des Vaters des Klägers, an deren Richtigkeit zu zweifeln insoweit ebenfalls kein Anlass besteht, nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden.
Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, aaO). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; vgl. zum Folgenden insbesondere BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 07.10.2004, aaO; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt iS von § 1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es zB bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, zB der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist (sog. Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil v. 06.06.2007, aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt iS des § 1227 RVO aF nur Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft, dass der Vater des Klägers für die von ihm nach seinen Angaben im Ghetto Rowno verrichteten Arbeiten mehr als Lebensmittel im Umfang lediglich freien Unterhalts erhalten hat. Er selbst gab im Verwaltungsverfahren an, zusätzliche Lebensmittel als Entlohnung für die von ihm verrichtete Arbeit bekommen zu haben. Barlohn und Sachbezüge habe er nicht erhalten. Im Widerspruchsverfahren erklärte er, zusätzliche Lebensmittelrationen erhalten zu haben, mit denen er seinen Lebensunterhalt um vieles habe erleichtern können. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten in der ersten Instanz habe er wöchentlich zusätzliche Lebensmittel erhalten: Kartoffeln, Mehl, Zucker, Öl, Brot, Rüben, Salz. Gegenüber der JCC erklärte der Kläger, ein völlig ungenügendes Essen erhalten und ständig an Hunger gelitten zu haben.
Der Vater des Klägers hat mit den zusätzlichen Lebensmitteln nicht mehr als (teilweisen) freien Unterhalt gewährt erhalten. Es kann nicht im Sinne der Glaubhaftmachung festgestellt werden, dass er Lebensmittel nach vorbestimmtem Maße zur beliebigen Verfügung erhalten hat, die über seinen Bedarf hinausgegangen wären. Die Erklärung gegenüber der JCC zu seiner Ernährungssituation ist eindeutig. Danach war das Essen völlig ungenügend gewesen und er hatte ständig unter Hunger gelitten. Eine hiervon abweichende Ernährungs- bzw. Versorgungssituation hat der Vater des Klägers weder im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren noch im Gerichtsverfahren geschildert. Die Erklärung gegenüber der JCC verdeutlicht, dass die Versorgung mit Lebensmitteln noch nicht einmal seinen eigenen Bedarf gedeckt hatte. Eine äußerst schlechte Versorgungssituation wird auch von Prof. Dr. Golczewski in seinem Gutachten vom 17.02.2007 über die Region Reichskommissariat Ukraine beschrieben (S. 19 f des Gutachtens). Danach befriedigten die offiziellen Zuteilungen (wenn sie denn überhaupt bereitgestellt wurden) im allgemeinen nicht einmal die geringsten Lebensbedürfnisse, was unter anderem damit zusammenhing, dass die Deutschen mit den landwirtschaftlichen Erträgen der Ukraine die Reichsbevölkerung versorgten, wodurch für den Konsum der einheimischen Bevölkerung kaum etwas übrig blieb. Die niedrigen Rationen für Ukrainer wurden für Juden noch einmal reduziert und wurden auch nicht immer ausgeliefert.
Das Kriterium der Mitversorgung Dritter über einen erheblichen Zeitraum im Falle der Beweisnot kommt dem Kläger nicht zugute. Denn die Lebensmittel, die sein Vater erhielt, konnten noch nicht einmal seinen eigenen Bedarf decken, wie die Erklärung gegen über der JCC verdeutlicht. Eine Mitversorgung Dritter wurde zudem schon nicht geltend gemacht. Der Vater des Klägers hat nur angegeben, dass er seinen Lebensunterhalt habe erleichtern können. Von weiteren Personen hat er nicht gesprochen.
Auch der sog. Anspruchstheorie ist nicht zu folgen (Senat, Urteil vom 04.07.2007, L 8 R 74/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die Anwendung der Anspruchstheorie setzt das Bestehen eines dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses voraus, das durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten zustande kommt (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95). Typisch ist mithin, dass auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluss geäußert werden. Nach seinem unmittelbaren Zweck und dem daran ausgerichteten Inhalt ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein Austausch wirtschaftlicher Werte iS einer Gegenseitigkeitsbeziehung. Auszutauschende Werte sind die Arbeit einerseits sowie das dafür zu zahlende Arbeitsentgelt - der Lohn - andererseits (BSG aaO). Eine derartige auf den vorbeschriebenen Austausch wirtschaftlicher Werte gerichtete Vereinbarung zwischen dem Vater des Klägers und seinem Arbeitgeber ist nicht iS einer Glaubhaftmachung festzustellen. Vielmehr sprechen sämtliche Anhaltspunkte gegen eine solche Übereinkunft. Wie bereits vorstehend dargelegt wurde, spricht die Gewährung von derartig geringen Leistungen, die nicht einmal den eigenen Bedarf des Vaters des Klägers gedeckt hatten, in Verbindung mit den historischen Erkenntnissen von der Versorgungssituation in der Ukraine unter der deutschen Besatzung dafür, dass damit nicht eine Arbeitsleistung entgolten, also ein wirtschaftlicher Wert gewährt, sondern das Überleben als immaterieller Wert vorübergehend sichergestellt werden sollte.
Da bereits eine entgeltliche Beschäftigung nicht festgestellt werden kann, kann dahinstehen, ob die weiteren Voraussetzungen einer Ghetto-Beitragszeit erfüllt sind.
Die von dem Vater des Klägers im Ghetto Rowno verrichteten Arbeiten können auch nicht nach den §§ 15, 16 FRG iVm § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG oder § 12 WGSVG als Versicherungszeiten angerechnet werden.
Die Arbeit des Vaters des Klägers im Ghetto Rowno unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen, da er nicht die deutsche Staatangehörigkeit besaß. Die Stadt Rowno lag im damals sogenannten Reichskommissariat Ukraine, in dem die Reichsversicherungsgesetze für Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, nicht galten (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, zum sog. Generalgouvernement). Eine Anrechnung als Versicherungszeit richtet sich daher nach den §§ 15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17 a FRG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen jedoch nicht vor, wobei dahinstehen kann, ob der Vater des Klägers dem dSK angehört hat, was er allerdings verneint hatte.
Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG kommt nicht in Betracht, da eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung weder glaubhaft gemacht noch erwiesen ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 FRG sind bereits deshalb nicht erfüllt, da - wie oben bereits ausgeführt worden ist - ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann. Auch § 16 FRG greift nicht zu Gunsten des Vaters des Klägers ein, da die von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht nach dem am 01.03.1957 geltenden Bundesrecht (§§ 1227, 1228 RVO nF) Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätten, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wären.
Da nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass der Vater des Klägers eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Das Gericht hat die Revision wegen seiner von dem Urteil des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 85/06 R) abweichenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals "gegen Entgelt", auf der seine Entscheidung beruht, sowie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
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