Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 43/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AS 48/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.03.2006 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der den Klägern für die erste Jahrehälfte 2005 zustehenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1961 bzw. 1967 geborenen Kläger sind Eheleute. Sie waren im streitigen Zeitraum erwerbsfähig und ohne eigenes Einkommen oder anrechnungsfähiges Vermögen. Sie bewohnten gemeinsam eine Wohnung.
Am 29.12.2004 beantragten sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Ausweislich ihrer Angaben im Feststellungsblatt betreffend die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung betrugen ihre Mietkosten monatlich 154,60 EUR zzgl. Heizkosten von 30,68 EUR und Nebenkosten von 7,67 EUR (Summe: 192,95 EUR).
Mit Bescheid vom 06.01.2005 (Exemplar in der Verwaltungsakte der Beklagten falsch datiert auf den 04.01.2005) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 bewilligte die ARGE i.G. der Agentur für Arbeit und der Stadt C den Klägern für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 814,95 EUR. Darin enthalten waren für jeden der Kläger eine Regelleistung von 311,00 EUR, ferner 96,47 EUR bzw. 96,48 EUR (zusammen 192,95 EUR) Kosten für Unterkunft und Heizung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheide Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger zu 1 am 02.05.2005 Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 11.02.2006 hat er erklärt, die Klage auch für die Klägerin zu 2 erhoben zu haben. Die Kläger haben vorgetragen, der Kläger zu 1 habe bis zum 31.12.2004 Unterhaltsgeld sowie Arbeitslosenhilfe nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.H.v. zuletzt 859,50 EUR bezogen. Die Klägerin zu 2 habe parallel dazu 298,00 EUR Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erhalten. Mit der Klage wendeten sie sich gegen eine Bedarfsunterdeckung bei der Regelleistung, ausgelöst durch einen manipulativen Umgang des Gesetzgebers mit der Statistik i.S. einer freihändigen Bemessung der Regelleistungen nach dem SGB II. Ab dem 01.01.2005 sei mit dem Arbeitslosengeld II nur eine pauschale Regelleistung auf Sozialhilfeniveau ohne Anknüpfung an den früheren Verdienst und ohne Übergangsregelungen zur Abfederung sozialer Härten gewährt worden. Nach den Berechnungen von Sozialverbänden wie dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband seien die Regelleistungen deutlich zu niedrig bemessen und führten zu einer verfassungswidrigen Unterdeckung um etwa 19 %. Frommann (Warum nicht 627 Euro? Zur Bemessung des Regelsatzes der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für das Jahr 2005, NDV 2004, 246 - 254) habe eine notwendige Regelleistung gar i.H.v. monatlich 627,00 EUR ermittelt; der Gesetzgeber habe sich demgegenüber am Einkommen nicht adäquater Haushalte orientiert. Zudem gebe es keine Öffnungsklausel für individuell abweichende Bedarfe, was unzumutbare soziale Härten zur Folge habe; die Möglichkeit eines anschließend mit 10 % der Regelleistung zu tilgenden Darlehens nach § 23 Abs. 1 SGB II führe nur zu weiterer, zeitlich gestreckter Unterdeckung. Als Sanktion könne die unzureichende Regelleistung dann auch noch gekürzt werden. Schließlich werde die Regelleistung für Eheleute auch noch auf 90 % gesenkt. Diese fatale Unterdeckung des täglichen Bedarfs ohne Öffnungsklausel oder ergänzende andere Sozialleistungen verstoße gegen die Menschenwürde, das Gebot körperlicher Unversehrtheit und das Verbot der gleichheitswidrigen Schlechterstellung des Leistungsbeziehers sowie gegen das Sozialstaatsprinzip. Wegen der stark reduzierten Leistungsstrukturen seien die Leistungen nach dem SGB II nicht armutsfest; sie gewährten nicht das Existenzminimum. Die Kläger haben zur Stützung ihres Vorbringens zahlreiche Unterlagen vorgelegt, auf die Bezug genommen wird (u.a. Aufsatz von Frommann, a.a.O.; Stellungnahme des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom 30.01.2004 an das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung zum Entwurf der Regelsatz-VO zum SGB XII sowie eine Broschüre des Verbandes mit dem Titel "Zum Leben zu wenig ...", Für eine offene Diskussion über das Existenzminimum beim Arbeitslosengeld II und in der Sozialhilfe; ebensolche Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen e.V. - BAG-SHI - vom 03.02.2004; ebensolche Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, undatiert; ebensolche Stellungnahme des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 23.01.2004).
Die Kläger haben schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.01.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 zu verurteilen, ihnen höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen. Sie sei an Gesetz und Recht gebunden. Die von den Klägern gerügte Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen werde von ihr nicht gesehen, sei allerdings von ihr auch nicht zu bewerten.
Mit Gerichtsbescheid vom 15.03.2006 hat das Sozialgericht nach entsprechender Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen. Es hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen und ergänzend ausgeführt, das Gericht sei nicht von der Verfassungswidrigkeit der streitentscheidenden Normen überzeugt. Diesbezüglich werde auf die (zuvor vom Gericht nicht in das Verfahren eingeführte) Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 02.08.2005 - S 63 AS 1311/05 Bezug genommen, der sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließe.
Gegen den am 22.03.2006 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 19.04.2006 Berufung eingelegt. Sie verweisen auf ihren bisherigen Vortrag. Der Gesetzgeber habe dadurch, dass er einerseits den Individualisierungsgrundsatz im SGB II - im Gegensatz zum SGB XII - ausgeschlossen und andererseits die Regelleistung nicht ausreichend bemessen habe, die Leistungshöhe nach dem SGB II verfassungswidrig bemessen. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung werde verschiedentlich durchaus gesehen, dass der Bedarf durch die Regelleistungen des SGB II nicht gedeckt werde. Wenn insoweit ein Ausweg über eine gesonderte Leistungsbewilligung gesucht werde, sei dies systemwidrig; vielmehr sei die Regelleistung selbst unzureichend, und die entsprechenden Entscheidungen seien der Versuch, die Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen zu umgehen. Das Bundessozialgericht habe zwischenzeitlich auch zur Frage der Warmwasserkosten Stellung genommen (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R); die Beklagte möge insoweit ein Teilanerkenntnis abgeben.
Die Höhe der von ihnen begehrten Leistungen haben die Kläger zunächst mit (pro Kläger) "zwischen 482,20 EUR und 564,30 EUR" (zzgl. Wohnungs- und Heizungskosten) beziffert, wobei jeweils 90 % hiervon gerechtfertigt erschienen. In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger erklärt, ihre bisherigen Berechnungen hätten allerdings außer Acht gelassen, dass die Regelleistungen auch einen Anteil von 16 Prozent für einmalige Bedarfe enthalten müssten; diese müssten zusätzlich berücksichtigt werden. Energiekosten im Zusammenhang mit der Warmwasserbereitung stünden nicht mehr im Streit.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.03.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 06.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 zu verurteilen, ihnen höhere Regelleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 564,30 EUR pro Kläger (90 Prozent von 627,00 EUR pro Kläger) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht keine Möglichkeit zur Änderung ihrer Entscheidung. Soweit das Bundessozialgericht am 27.02.2008 entschieden habe, bei einem Ehepaar seien 11,20 EUR für die Warmwasserbereitung in den monatlichen Regelleistungen enthalten und ein höherer Betrag dürfe aus den gezahlten Energiekosten für die Warmwasserbereitung nicht in Abzug gebracht werden, so sei darauf zu verweisen, dass den Klägern Kosten für die Warmwasserbereitung gar nicht in Abzug gebracht worden seien. Vielmehr seien die vollen Heizkosten der Kläger ohne Abzug übernommen worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (nebst Anlagen) und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat, wenn auch in einer verfahrensmäßig im Hinblick auf das den Klägern zu gewährende rechtliche Gehör bedenklichen Weise durch Bezugnahme auf ein zuvor nicht in das Verfahren eingeführtes Urteil, die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 06.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 verletzt die Kläger nicht i.S.v. § 54 Abs. Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten.
Die Beklagte hat, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, mit je 311,00 EUR monatlich den Klägern im streitigen Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2005 genau die Regelleistungen gewährt, die für erwerbsfähige Eheleute nach § 20 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB II einfach-gesetzlich vorgesehen sind.
Die Kläger sehen allerdings die Regelleistungen nach § 20 SGB II als in verfassungswidriger Weise zu gering bemessen an. Dem folgt der Senat, der sich insoweit angesichts des familiären Status der Kläger allein mit der Regelleistung für kinderlose Eheleute zu befassen hat, nicht (vgl. zum Folgenden bereits das Urteil des Senats vom 23.04.2007 - L 20 AS 76/06):
Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R entsprechende Bedenken ebenfalls nicht gesehen. Der Senat schließt sich dieser Entscheidung des BSG an. Der Gesetzgeber hat das von ihm sicherzustellende sog. soziokulturelle Existenzminimum (vgl. hierzu Martinez Soria, Das Recht auf Sicherung des Existenzminimums, JZ 2005, 644, 647 ff.; Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 20 Rn. 8, 9, 21 und insbes. 47 - 51; Münder, in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 1 Rn. 5), insbesondere einen Schutz der Leistungsempfänger vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung, hinreichend berücksichtigt, indem er Erwägungen aus der Sozialhilfe aufgegriffen und präzisiert hat. Dabei hat er eine geeignete Art der Bedarfsermittlung gewählt und deren Ergebnis in nicht zu beanstandender und in einer für Massenverfahren zulässigerweise typisierenden Form in die Bemessung der Regelleistungen einfließen lassen; mit dem Rückgriff auf eine statistisch valide Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und unter Anwendung des sog. Statistikmodells beruht die Regelleistung auf ausreichenden Erfahrungswerten unter Zugrundelegung vertretbarer Wertungen (siehe insoweit zur - bislang nur zum Steuer- bzw. Kindergeldrecht vorliegenden - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der bedarfsgerechten Bestimmung des Existenzminimums Wallerath, Zur Dogmatik eines Rechts auf Sicherung des Existenzminimums, JZ 2008, 157, 165 f.). Hat der Gesetzgeber damit die Grenzen der ihm insoweit zukommenden Einschätzungsprärogative beachtet, so steht den Klägern für den streitigen Zeitraum nach § 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB II jeweils ein Betrag i.H.v. monatlich 311,00 EUR (aufgerundete 90 % von 345,00 EUR), nicht jedoch in Höhe der von ihnen für notwendig gehaltenen jeweils 564,30 EUR, zusammen also eine Regelleistung von monatlich 622,00 EUR zu, die ihnen auch gewährt wurde.
Dass die Beklagte bei der den Klägern gewährten monatlichen Gesamtleistung von 814,95 EUR die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II missachtet hat, ist für das vorliegende Verfahren ohne Belang. Denn die Kläger wenden sich allein gegen die Höhe der ihnen gewährten Regelleistungen; diese sind - unabhängig davon, ob dies nach § 41 Abs. 2 SGB II überhaupt erforderlich gewesen wäre, da es nicht um die Gesamtleistung an die Bedarfsgemeinschaft geht - jedenfalls in nach oben gerundeten Beträgen berechnet worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht. Insbesondere wirft der Fall der Kläger keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG auf. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG geht vielmehr im Anschluss an das Urteil des Gerichts vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R in ständiger Rechtsprechung von der Verfassungmäßigkeit der gesetzlichen Vorschriften über die Regelleistung aus (siehe etwa Beschluss vom 27.02.2008 - B 4 AS 160/07 B; Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 27/06 R).
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der den Klägern für die erste Jahrehälfte 2005 zustehenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1961 bzw. 1967 geborenen Kläger sind Eheleute. Sie waren im streitigen Zeitraum erwerbsfähig und ohne eigenes Einkommen oder anrechnungsfähiges Vermögen. Sie bewohnten gemeinsam eine Wohnung.
Am 29.12.2004 beantragten sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Ausweislich ihrer Angaben im Feststellungsblatt betreffend die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung betrugen ihre Mietkosten monatlich 154,60 EUR zzgl. Heizkosten von 30,68 EUR und Nebenkosten von 7,67 EUR (Summe: 192,95 EUR).
Mit Bescheid vom 06.01.2005 (Exemplar in der Verwaltungsakte der Beklagten falsch datiert auf den 04.01.2005) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 bewilligte die ARGE i.G. der Agentur für Arbeit und der Stadt C den Klägern für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2005 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 814,95 EUR. Darin enthalten waren für jeden der Kläger eine Regelleistung von 311,00 EUR, ferner 96,47 EUR bzw. 96,48 EUR (zusammen 192,95 EUR) Kosten für Unterkunft und Heizung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheide Bezug genommen.
Hiergegen hat der Kläger zu 1 am 02.05.2005 Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 11.02.2006 hat er erklärt, die Klage auch für die Klägerin zu 2 erhoben zu haben. Die Kläger haben vorgetragen, der Kläger zu 1 habe bis zum 31.12.2004 Unterhaltsgeld sowie Arbeitslosenhilfe nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.H.v. zuletzt 859,50 EUR bezogen. Die Klägerin zu 2 habe parallel dazu 298,00 EUR Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erhalten. Mit der Klage wendeten sie sich gegen eine Bedarfsunterdeckung bei der Regelleistung, ausgelöst durch einen manipulativen Umgang des Gesetzgebers mit der Statistik i.S. einer freihändigen Bemessung der Regelleistungen nach dem SGB II. Ab dem 01.01.2005 sei mit dem Arbeitslosengeld II nur eine pauschale Regelleistung auf Sozialhilfeniveau ohne Anknüpfung an den früheren Verdienst und ohne Übergangsregelungen zur Abfederung sozialer Härten gewährt worden. Nach den Berechnungen von Sozialverbänden wie dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband seien die Regelleistungen deutlich zu niedrig bemessen und führten zu einer verfassungswidrigen Unterdeckung um etwa 19 %. Frommann (Warum nicht 627 Euro? Zur Bemessung des Regelsatzes der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für das Jahr 2005, NDV 2004, 246 - 254) habe eine notwendige Regelleistung gar i.H.v. monatlich 627,00 EUR ermittelt; der Gesetzgeber habe sich demgegenüber am Einkommen nicht adäquater Haushalte orientiert. Zudem gebe es keine Öffnungsklausel für individuell abweichende Bedarfe, was unzumutbare soziale Härten zur Folge habe; die Möglichkeit eines anschließend mit 10 % der Regelleistung zu tilgenden Darlehens nach § 23 Abs. 1 SGB II führe nur zu weiterer, zeitlich gestreckter Unterdeckung. Als Sanktion könne die unzureichende Regelleistung dann auch noch gekürzt werden. Schließlich werde die Regelleistung für Eheleute auch noch auf 90 % gesenkt. Diese fatale Unterdeckung des täglichen Bedarfs ohne Öffnungsklausel oder ergänzende andere Sozialleistungen verstoße gegen die Menschenwürde, das Gebot körperlicher Unversehrtheit und das Verbot der gleichheitswidrigen Schlechterstellung des Leistungsbeziehers sowie gegen das Sozialstaatsprinzip. Wegen der stark reduzierten Leistungsstrukturen seien die Leistungen nach dem SGB II nicht armutsfest; sie gewährten nicht das Existenzminimum. Die Kläger haben zur Stützung ihres Vorbringens zahlreiche Unterlagen vorgelegt, auf die Bezug genommen wird (u.a. Aufsatz von Frommann, a.a.O.; Stellungnahme des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom 30.01.2004 an das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung zum Entwurf der Regelsatz-VO zum SGB XII sowie eine Broschüre des Verbandes mit dem Titel "Zum Leben zu wenig ...", Für eine offene Diskussion über das Existenzminimum beim Arbeitslosengeld II und in der Sozialhilfe; ebensolche Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen e.V. - BAG-SHI - vom 03.02.2004; ebensolche Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, undatiert; ebensolche Stellungnahme des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 23.01.2004).
Die Kläger haben schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.01.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 zu verurteilen, ihnen höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen. Sie sei an Gesetz und Recht gebunden. Die von den Klägern gerügte Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen werde von ihr nicht gesehen, sei allerdings von ihr auch nicht zu bewerten.
Mit Gerichtsbescheid vom 15.03.2006 hat das Sozialgericht nach entsprechender Anhörung der Beteiligten die Klage abgewiesen. Es hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen und ergänzend ausgeführt, das Gericht sei nicht von der Verfassungswidrigkeit der streitentscheidenden Normen überzeugt. Diesbezüglich werde auf die (zuvor vom Gericht nicht in das Verfahren eingeführte) Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 02.08.2005 - S 63 AS 1311/05 Bezug genommen, der sich das Gericht nach eigener Prüfung anschließe.
Gegen den am 22.03.2006 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 19.04.2006 Berufung eingelegt. Sie verweisen auf ihren bisherigen Vortrag. Der Gesetzgeber habe dadurch, dass er einerseits den Individualisierungsgrundsatz im SGB II - im Gegensatz zum SGB XII - ausgeschlossen und andererseits die Regelleistung nicht ausreichend bemessen habe, die Leistungshöhe nach dem SGB II verfassungswidrig bemessen. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung werde verschiedentlich durchaus gesehen, dass der Bedarf durch die Regelleistungen des SGB II nicht gedeckt werde. Wenn insoweit ein Ausweg über eine gesonderte Leistungsbewilligung gesucht werde, sei dies systemwidrig; vielmehr sei die Regelleistung selbst unzureichend, und die entsprechenden Entscheidungen seien der Versuch, die Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen zu umgehen. Das Bundessozialgericht habe zwischenzeitlich auch zur Frage der Warmwasserkosten Stellung genommen (Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R); die Beklagte möge insoweit ein Teilanerkenntnis abgeben.
Die Höhe der von ihnen begehrten Leistungen haben die Kläger zunächst mit (pro Kläger) "zwischen 482,20 EUR und 564,30 EUR" (zzgl. Wohnungs- und Heizungskosten) beziffert, wobei jeweils 90 % hiervon gerechtfertigt erschienen. In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger erklärt, ihre bisherigen Berechnungen hätten allerdings außer Acht gelassen, dass die Regelleistungen auch einen Anteil von 16 Prozent für einmalige Bedarfe enthalten müssten; diese müssten zusätzlich berücksichtigt werden. Energiekosten im Zusammenhang mit der Warmwasserbereitung stünden nicht mehr im Streit.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.03.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 06.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 zu verurteilen, ihnen höhere Regelleistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 564,30 EUR pro Kläger (90 Prozent von 627,00 EUR pro Kläger) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht keine Möglichkeit zur Änderung ihrer Entscheidung. Soweit das Bundessozialgericht am 27.02.2008 entschieden habe, bei einem Ehepaar seien 11,20 EUR für die Warmwasserbereitung in den monatlichen Regelleistungen enthalten und ein höherer Betrag dürfe aus den gezahlten Energiekosten für die Warmwasserbereitung nicht in Abzug gebracht werden, so sei darauf zu verweisen, dass den Klägern Kosten für die Warmwasserbereitung gar nicht in Abzug gebracht worden seien. Vielmehr seien die vollen Heizkosten der Kläger ohne Abzug übernommen worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (nebst Anlagen) und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat, wenn auch in einer verfahrensmäßig im Hinblick auf das den Klägern zu gewährende rechtliche Gehör bedenklichen Weise durch Bezugnahme auf ein zuvor nicht in das Verfahren eingeführtes Urteil, die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 06.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2005 verletzt die Kläger nicht i.S.v. § 54 Abs. Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten.
Die Beklagte hat, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, mit je 311,00 EUR monatlich den Klägern im streitigen Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2005 genau die Regelleistungen gewährt, die für erwerbsfähige Eheleute nach § 20 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB II einfach-gesetzlich vorgesehen sind.
Die Kläger sehen allerdings die Regelleistungen nach § 20 SGB II als in verfassungswidriger Weise zu gering bemessen an. Dem folgt der Senat, der sich insoweit angesichts des familiären Status der Kläger allein mit der Regelleistung für kinderlose Eheleute zu befassen hat, nicht (vgl. zum Folgenden bereits das Urteil des Senats vom 23.04.2007 - L 20 AS 76/06):
Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R entsprechende Bedenken ebenfalls nicht gesehen. Der Senat schließt sich dieser Entscheidung des BSG an. Der Gesetzgeber hat das von ihm sicherzustellende sog. soziokulturelle Existenzminimum (vgl. hierzu Martinez Soria, Das Recht auf Sicherung des Existenzminimums, JZ 2005, 644, 647 ff.; Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 20 Rn. 8, 9, 21 und insbes. 47 - 51; Münder, in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 1 Rn. 5), insbesondere einen Schutz der Leistungsempfänger vor Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung, hinreichend berücksichtigt, indem er Erwägungen aus der Sozialhilfe aufgegriffen und präzisiert hat. Dabei hat er eine geeignete Art der Bedarfsermittlung gewählt und deren Ergebnis in nicht zu beanstandender und in einer für Massenverfahren zulässigerweise typisierenden Form in die Bemessung der Regelleistungen einfließen lassen; mit dem Rückgriff auf eine statistisch valide Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und unter Anwendung des sog. Statistikmodells beruht die Regelleistung auf ausreichenden Erfahrungswerten unter Zugrundelegung vertretbarer Wertungen (siehe insoweit zur - bislang nur zum Steuer- bzw. Kindergeldrecht vorliegenden - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der bedarfsgerechten Bestimmung des Existenzminimums Wallerath, Zur Dogmatik eines Rechts auf Sicherung des Existenzminimums, JZ 2008, 157, 165 f.). Hat der Gesetzgeber damit die Grenzen der ihm insoweit zukommenden Einschätzungsprärogative beachtet, so steht den Klägern für den streitigen Zeitraum nach § 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB II jeweils ein Betrag i.H.v. monatlich 311,00 EUR (aufgerundete 90 % von 345,00 EUR), nicht jedoch in Höhe der von ihnen für notwendig gehaltenen jeweils 564,30 EUR, zusammen also eine Regelleistung von monatlich 622,00 EUR zu, die ihnen auch gewährt wurde.
Dass die Beklagte bei der den Klägern gewährten monatlichen Gesamtleistung von 814,95 EUR die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II missachtet hat, ist für das vorliegende Verfahren ohne Belang. Denn die Kläger wenden sich allein gegen die Höhe der ihnen gewährten Regelleistungen; diese sind - unabhängig davon, ob dies nach § 41 Abs. 2 SGB II überhaupt erforderlich gewesen wäre, da es nicht um die Gesamtleistung an die Bedarfsgemeinschaft geht - jedenfalls in nach oben gerundeten Beträgen berechnet worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht. Insbesondere wirft der Fall der Kläger keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG auf. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG geht vielmehr im Anschluss an das Urteil des Gerichts vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R in ständiger Rechtsprechung von der Verfassungmäßigkeit der gesetzlichen Vorschriften über die Regelleistung aus (siehe etwa Beschluss vom 27.02.2008 - B 4 AS 160/07 B; Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 27/06 R).
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