L 19 B 114/07 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AS 125/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 114/07 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 24.07.2007 geändert.

Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Beklagte trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.

Der Kläger bezog von der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Am 16.01.2006 wurde der Kläger inhaftiert. Durch Bescheid vom 20.02.2006 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit Wirkung ab dem 01.04.2006 unter Berufung auf § 48 Abs. Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf, da der Anspruch wegen Inhaftierung entfallen sei. Mietkosten könnten auf Antrag nach §§ 34, 67 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) übernommen werden.

Mit Schreiben vom 20.02.2006 hörte die Beklagte den Kläger hinsichtlich der Überzahlung von Arbeitslosengeld II in Höhe von 406,00 EUR in der Zeit vom 20.01. bis zum 28.02.2006 an. Unter dem 09.03.2006 nahm der Klägerbevollmächtigte Stellung zur beabsichtigten Rückforderung und beantragte die Gewährung von Akteneinsicht in seinen Kanzleiräumen. Die Beklagte lehnte die Übersendung der Leistungsakte an den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 15.03.2006 ab und verwies auf die Möglichkeit der Akteneinsichtnahme bei der Behörde. Durch Bescheid vom 30.03.2006 hob die Beklagte die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 20.01.2006 in Höhe von 471,50 EUR auf. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, wonach gegen den Bescheid Widerspruch eingelegt werden kann.

Gegen den Bescheid vom 20.02.2006 legte der Klägerbevollmächtigte am 22.03.2006 Widerspruch ein und beantragte die Gewährung von Akteneinsicht in seinen Kanzleiräumen. Eine Widerspruchsbegründung bleibe der beantragten Akteneinsicht vorbehalten. Mit Schreiben vom 11.04.2006 wies die Beklagte den Klägerbevollmächtigten hinsichtlich der beantragten Akteneinsicht auf ihr Schreiben vom 15.03.2006 hin und führte aus, dass eine Akteneinsicht nach § 25 Abs. 4 SGB X bei der zuständigen Behörde erfolge. Mit Schreiben vom 05.05.2006 setzte die Beklagte dem Klägerbevollmächtigten eine Frist zur Übersendung der Widerspruchsbegründung bis zum 24.05.2006 und teilte mit, dass sie nach Ablauf der Frist über den Widerspruch nach Lage der Akten entscheiden werde. Der Bescheid vom 30.03.2006 sei nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

Am 05.05.2006 erhob der Klägerbevollmächtigte beim Sozialgericht (SG) Dortmund Klage auf Gewährung von Akteneinsicht in seinen Kanzleiräumen, S 22 AS 93/06. Am 26.05.2006 übersandte die Beklagte dem Klägerbevollmächtigten die Leistungsakte zur Einsichtnahme. Die Akte ist am 01.06.2006 in den Kanzleiräumen des Klägerbevollmächtigten eingegangen. Mit Schreiben vom 01.06.2006, eingegangen bei der Beklagten am 01.06.2006, führte der Klägerbevollmächtigte aus, dass sich der Kläger seit weniger als sechs Monaten in Untersuchungshaft befinde und deshalb nach § 7 Abs. 4 SGB II seine Unterbringung in eine stationäre Maßnahme unschädlich sei. Er bat um die unverzügliche Bescheidung des Widerspruches. Mit Bescheid vom 04.07.2006 änderte die Beklagte den Bescheid vom 20.02.2006 dahingehend ab, dass sie dem Kläger die Kosten der Unterkunft in Höhe von 275,10 EUR monatlich für die Zeit vom 01.04. bis zum 31.05.2006 bewilligte. Laut Vermerk in der Akten wurde der Bescheid am 04.07.2006 an den Klägerbevollmächtigten zur Kenntnisnahme übersandt. Die Beklagte fragte mit Schreiben vom 13.07.2006 beim Klägerbevollmächtigten an, ob das Widerspruchsverfahren mit dem Bescheid vom 04.07.2006 seine Erledigung gefunden habe. Am 18.08.2006 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.02.2006 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 04.07.206 zurück.

Am 10.07.2006 hat der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, beim SG Untätigkeitsklage mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zu verurteilen, seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.02.2006 zu bescheiden. Durch Beschluss vom 02.01.2007 hat das SG die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Im Erörterungstermin vom 25.06.2007 hat der Klägerbevollmächtigte das Verfahren für erledigt erklärt und mit Schreiben vom 20.07.2007 beantragt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Durch Beschluss vom 24.07.2007 stellte das SG Dortmund fest, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben. Die Beklagte habe dem Kläger keine Kosten zu erstatten, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe.

Hiergegen hat der Kläger am 01.08.2007 Beschwerde beim SG eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 02.08.2007).

II.

Die zulässige Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist teilweise begründet.

Nach § 193 Abs. 1 S. 1 2. Halbs. Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht, wenn der Rechtstreit anders als durch Urteil beendet wird, durch Beschluss über die Kostenerstattung, wenn die Beteiligten dies beantragen. Vorliegend wurde das Verfahren durch die Erklärung des Klägerbevollmächtigten in dem Erörterungstermin am 25.06.2007 erledigt.

Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht hat der Senat unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen. Für die Kostenentscheidung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage entscheidend, weiterhin sind die Gründe für die Einleitung des Klageverfahrens und die Erledigung zu prüfen (vgl. BSG, Beschluss vom 7 RAr 2/91, SozR 3-1550 § 193 Nr. 2; Beschluss vom 09.10.1997, 4 RA 116/95 SozR 3-1500 § 193 Nr. 9).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sieht es der Senat als sachgerecht an, dass die Beklagte die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt. Nach summarischer Prüfung ist die Untätigkeitsklage zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 10.07.2006 begründet gewesen. Nach § 88 Abs. 2 SGG ist über einen Widerspruch innerhalb von drei Monaten seit Erhebung des Widerspruchs zu entscheiden. Der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, hat am 22.03.2006 gegen den Bescheid vom 20.02.2006 Widerspruch eingelegt, so dass die Dreimonatsfrist am 21.06.2006 abgelaufen gewesen ist.

Die dreimonatige Frist für die Bearbeitung des Widerspruchs hat die Beklagte ohne zureichenden Grund versäumt. Nach Eingang der Widerspruchsbegründung am 01.06.2006 hat der Beklagten noch genügend Zeit vor Ablauf der Dreimonatsfrist, ca. drei Wochen, zur Verfügung gestanden, um über den Widerspruch des Klägers zu entscheiden. Hinderungsgründe, die einer Entscheidung nach dem Eingang der Widerspruchsbegründung entgegengestanden haben, sind nicht erkennbar. Es hat sich um einen überschaubaren Sachverhalt gehandelt hat; laut internem Vermerk vom 21.06.2006 existierten zur Rechtsfrage Dienstanweisungen. Die Beklagte hat auch nicht zur Vorbeugung einer Untätigkeitsklage von der naheliegenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, dem Klägerbevollmächtigten in einer Zwischenmitteilung mitzuteilen, dass sie beabsichtigt, dem Widerspruch teilweise abzuhelfen, und die Verwaltungsakte zwecks Erteilung eines Änderungsbescheides an die Ausgangsstelle weitergeleitet hat. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte laut Postabsendevermerk vor der Klageerhebung den Änderungsbescheid vom 04.07.2006, der eine Teilabhilfeentscheidung enthält, an den Klägerbevollmächtigten abgesandt hat. Dieser Bescheid gilt nach § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag nach Absendung als bekanntgegeben, so dass der Klägerbevollmächtigte am 07.07.2206, also drei Tage vor Klageerhebung Kenntnis von der Teilabhilfeentscheidung erlangt hat. Bei dieser Sachlage - Erhalt eines Teilabhilfebescheides - ist es - auch nach dem sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebenden Gebot der gegenseitigen Rücksichtsnahme ( siehe hierzu LSG NRW, Beschluss vom 05.03.2007, L 17 B 26/06 U) - für den Klägerbevollmächtigten geboten gewesen, der Beklagten anzuzeigen, dass sich der Widerspruch durch die Teilabhilfe nicht erledigt hat, sondern der Widerspruch beschieden werden soll, bevor er Klage erhebt. Deshalb sieht es der Senat als unbillig an, der Beklagten die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (zur Erforderlichkeit einer Kostengrundentscheidung LSG NRW Beschlüsse vom 14.11.2007, L 19 B 28/07 AL und L 19 B 33/07 AL).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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