Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 53 R 10/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 36/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.01.2008 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an dieses Sozialgericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob zugunsten der Klägerin sogenannte Ghetto-Beitragszeiten für den Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 im Ghetto Ostrowiecz nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) zu berücksichtigen sind.
Die am 00.00.1922 in Ostrowiecz/Polen als polnische Staatsangehörige geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens und besitzt heute die israelische Staatsangehörigkeit. Sie lebt seit dem 16.03.1947 in Israel. Sie ist als Verfolgte gem. § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt (Feststellungsbescheid C vom 23.11.1959 für Schaden an Freiheit für den Zeitraum vom 01.12.1939 bis 15.01.1945; Vergleich zur Abgeltung aller Ansprüche auf Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit vom 24.09.1973).
Im Entschädigungsverfahren erklärte die Klägerin am 19.06.1957:
" ... Ich war während der ganzen Verfolgungszeit mit meinem Ehemann D zusammen. Ich habe ebenso wie er seit Ende des Jahres 1939 auf weißer Armbinde den blauen Judenstern getragen, war mit ihm im Ghetto Ostrowiec und später auch im Zwangsarbeitslager I H-werke bei Ostrowiec zusammen, war auch mit ihm im Wald Ilzecki versteckt, so wie es mein Mann in seiner eidesstattlichen Versicherung geschildert hat, bis zu Befreiung durch die Russen im Jahre 1945, im Monat Januar ..."
Durch ihren damaligen Bevollmächtigten schilderte die Klägerin ihr Verfolgungsschicksal am 06.08.1959 wie folgt:
"Dez. 1939 bis Juli 1944 Sterntragen Ghetto Ostrowiec April 1943 bis Juli 1944 ZAL I-H-werke b. Ostrowiec Juli 1944 bis Jan. 1945 Illegalität"
Am 31.05.1966 erklärte die Klägerin:
" ... Nach Beginn der Verfolgungen musste ich schwerste, meine Kräfte weit übersteigende Zwangsarbeit, bei Hunger, Kälte, Nässe, Misshandlungen und in ständiger Angst, vernichtet zu werden, leisten. Ich habe u.a. in der Waggonfabrik I H-werke bei Ostrowice schwere Arbeit ausführen müssen. Durch das Lastentragen habe ich einen Leistenbruch bekommen, ..."
Die Zeugin G L gab am 00.00.1966 Folgendes an:
" ... Nach Beginn der Verfolgungen mussten wir den antijüdischen Maßnahmen zufolge schwerste Zwangsarbeit leisten. Wir arbeiteten bei der Firma I H-werke, Waggonfabrik und habe ich miterlebt wie die Obige (Anm. des Senats: die Klägerin) immer mehr herunterkam. Sie war dieser schweren Arbeit in keiner Weise gewachsen, war oft krank und fing sehr zu leiden an, sie hatte oft Fieber und andere Krankheiten arbeitete aber immer weiter aus Angst vor Vernichtung. Dann verloren wir uns aus den Augen ..."
Unter dem 06.07.1966 erklärte die Klägerin:
"Ich war jahrelang der Verfolgung ausgesetzt, musste schwere, über meine Kräfte hinausgehende Arbeiten ausführen, war Hunger, Kälte , Nässe, Elend, Misshandlungen und dauernder Todesangst ausgesetzt, lebte in unhygienischen Bedingungen, erkrankte an Dysentherie, Anginen, Typhus, Lungenentzündung und anderen Infektionskrankheiten ..."
In der Durchschrift eines Gutachtens vom 20.06./02.07.1972 findet sich in der Anamnese folgende Schilderung:
" ... Sie hatte sich im geschlossenen Ghetto aufzuhalten und sie wurde bei Zwangsarbeit, beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt. Nachher kam sie in die I H Werke, wo sie im Werk einquartiert wurde. Die Lager erschien ihr aussichtslos und Sommer 1944 gelang es ihr zu entkommen und in den umgebenden Wäldern Zuflucht zu finden ..."
Am 04.11.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf das ZRBG die Gewährung einer Regelaltersrente ab dem 01.07.1997. In dem Antragsformular gab sie unter dem 29.06.2003 an, sie habe nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört. In dem Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 habe sie im Ghetto Ostrowiec - Kielce Arbeit bei der Instandhaltung von Gebäuden für die deutschen Behörden innerhalb und außerhalb des Ghettos und Reinigungsarbeiten verrichtet. Als Arbeitsverdienst habe sie "Lebensmittel für zu Hause. Zusätzliches Essen." erhalten. Zeugen könnten nicht benannt werden. Beiträge zur israelischen Nationalversicherung habe sie nicht entrichtet.
In dem Fragebogen für Ersatzzeiten machte die Klägerin Ersatzzeiten für die Verfolgung durch den Nationalsozialismus in dem Zeitraum von 1939 bis 1947 geltend. Zur Art der Verfolgung gab sie an: "Judensterntragung, Ghetto, Versteckung, Auslandsaufenthalt (Rumänien, Österreich)".
In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG machte die Klägerin folgende Angaben:
Sie habe die Arbeitsleistung im Ghetto "Ostrowiec Kielce" von März 1941 bis Januar 1943 zurückgelegt. Die Instandhaltung von alten Gebäuden als Arbeitsleistung sei innerhalb und außerhalb des Ghettos erfolgt. Während der Arbeit außerhalb des Ghettos sei sie durch Polizisten bewacht worden. Der Arbeitseinsatz sei durch eigene Bemühungen und durch den Judenrat zustande gekommen. Sie habe Hilfsarbeiten beim Umbau von alten Gebäuden für deutsche Behörden verrichtet. Sie habe 9-10 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei mit Lebensmitteln für zu Hause und zusätzlichem Essen entlohnt worden. Barlohn habe sie nicht erhalten. Zeugen für die Arbeitszeiten im Ghetto könnten nicht mehr benannt werden.
Die Beklagte zog die Entschädigungsakte betreffend die Klägerin bei und wertete diese aus. Mit Bescheid vom 20.07.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen für eine Anwendung des ZRBG lägen nicht vor, weil nicht glaubhaft sei, dass eine freiwillige, entgeltliche Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt worden sei.
Hiergegen richtete sich der am 09.08.2005 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Klägerin. Zur Begründung des Widerspruchs reichte die Klägerin eine Erklärung vom 05.09.2005 ein, in der sie Folgendes erklärte:
" ... Im großen Ghetto Ostrowiec befand ich mich vom März 1941 bis Januar 1943. Schon von den ersten Tagen meines Aufenthalts im Ghetto bat ich beim Judenrat um Arbeit. Ich erfüllte Hilfsarbeiten beim Umbau der alten Gebäude. Die Arbeit war innerhalb und außerhalb des Ghettos. Natürlich während der Arbeit außerhalb des Ghettos wurden wir von den Polizisten bewacht, sie hatten doch Angst, dass wir weglaufen werden. Für meine Arbeit bekam ich von der Ghettoverwaltung Mittagessen jeden Tag, zusätzliche Lebensmittel für zu Hause wöchentlich: Brot, Kartoffeln, Gemüse, Graupen, Kohl, Erbsen, Marmelade, Margarine usw. Es war mehr als ich für den täglichen Bedarf brauchte und ich konnte noch meiner Familie helfen."
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mangels Entgeltlichkeit seien die Voraussetzungen des § 1 ZRBG nicht erfüllt.
Die Klägerin hat mit ihrer zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie in einer Erklärung vom 13.12.2007 Folgendes angegeben:
" ... Ich befand mich im großen Ghetto Ostrowiec vom März 1941 bis Januar 1943. Um existieren zu können, suchte ich beim Judenrat Arbeit und fand Hilfsarbeiten beim Umbau der alten Gebäude. Ich war sehr froh auf diese Arbeiten, das bedeutete für mich und meine Familie die Existenzmöglichkeit. Solche Arbeiten waren immer nur freiwillige Arbeiten. Für meine Arbeit bekam ich Mittagessen täglich und zusätzliche Lebensmittel für zu Hause wöchentlich. Auf diese Lebensmittel konnten ich und meine Familie eine ganze Woche leben. Und die Lebensmittel hatten doch ihr Äquivalent in Geld ..."
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt. Ihrem Vortrag ist sinngemäß das Begehren zu entnehmen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2007 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten für den Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Unter dem 13.12.2007 hat das SG die Beklagte um Klarstellung gebeten,
a)welche Ersatzzeiten anerkannt werden könnten bei (fiktiver) Annahme einer Ghetto-Beitragszeit von März 1941 bis Januar 1943 und ob b) c)mit diesen Ersatzzeiten (oder israelischen oder anderen Versicherungszeiten) die Wartezeit erfüllt wäre;
falls nicht, ob die Wartezeit noch erfüllbar sei durch Nachzahlung freiwilliger Beiträge.
Hierzu hat die Beklagte unter dem 19.12.2007 mitgeteilt, dass es zumindest zweifelhaft sei, ob der Klägerin in der deutschen Rentenversicherung ein Schaden entstanden sei, der durch die Anerkennung von Ersatzzeiten auszugleichen wäre. Sie gehöre nach eigenen Angaben im Rentenantrag nicht dem dSK an und habe sich bei Beginn der Verfolgung im nicht eingegliederten Gebiet aufgehalten. Der israelische Versicherungsträger sei um Übersendung eines Versicherungsverlaufes gebeten worden. Die Beklagte werde sich nach Erhalt unaufgefordert zum Verfahren melden.
Das SG hat die Entschädigungsakte Nr. 000 betreffend die Klägerin beigezogen.
Mit Urteil vom 18.01.2008 hat das SG Düsseldorf die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2007 verurteilt, der Klägerin eine Altersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.03.1941 bis zum 31.01.1943 und von Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG ab dem 01.07.1997 zu gewähren. Im Tatbestand des Urteils hat das SG ausgeführt, im Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 habe die Klägerin sich im Ghetto Ostrowiecz/Polen aufgehalten. Im Entschädigungsverfahren der Klägerin hätten diese mit Erklärung vom 31.05.1966, Frau T mit Erklärung vom 29.06.1966 und Frau L mit Erklärung vom gleichen Tage angegeben, dass die Klägerin in den H-Werken gearbeitet habe. In zwei Fragebögen habe sie angegeben, dass sie für ihre Arbeit Lebensmittel für zu Hause und zusätzliches Essen erhalten habe. Zur Begründung der am 06.05.2007 erhobenen Klage mache die Klägerin weiterhin geltend, dass sie für ihre freiwillige Arbeit im Ghetto zusätzliche Lebensmittel erhalten habe. In den Entscheidungsgründen des Urteils hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Regelaltersrente gem. § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien erfüllt. Die Klägerin verfüge über auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren anrechenbare Pflichtbeitragszeiten unter Berücksichtigung der §§ 1, 2 ZRBG. Die Klägerin habe sich im Ghetto Ostrowiecz aufgehalten, das sich in einem Gebiet befunden habe, das vom Deutschen Reich besetzt gewesen sei. Es sei auch glaubhaft, dass die Klägerin eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt habe (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) ZRBG). Über dieses Tatbestandsmerkmal seien Ghetto-Arbeitszeiten nach dem Typus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einerseits von der nichtversicherten Zwangsarbeit andererseits abzugrenzen. Dabei liege Entgeltlichkeit der Tätigkeit vor, wenn der Betroffene für seine Arbeit eine Gegenleistung in nennenswertem Umfang erhalten habe. Für die Qualifizierung als "Entgelt" komme es nicht auf die Art und Höhe, auch nicht auf die Angemessenheit oder gar auf die Gerechtigkeit der Vergütung an. Unerheblich sei auch, in welcher Form die Einnahmen bezogen worden seien, es könnten Geld- oder Sachbezüge sein. Entscheidend sei nur, ob die Zuwendung tatsächlich wegen der geleisteten Arbeit und nicht aus anderen Gründen erfolgt sei (Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R; Urteile des SG Hamburg vom 09.02.2006, S 9 RJ 896/03, vom 03.05.2006, S 19 RJ 1061/03, und vom 02.05.2006, S 20 RJ 611/04). Dies berücksichtigend sei es glaubhaft, dass die Klägerin entgeltlich gearbeitet habe. Sie habe in den Fragebögen glaubhaft dargelegt, dass sie für ihre Tätigkeit im Ghetto Lebensmittel für zu Hause und besseres Essen erhalten habe. Weiter habe die von der Klägerin im Ghetto Ostrowiecz ausgeübte Arbeit eine freiwillige Arbeitsleistung und nicht Zwangsarbeit dargestellt. Es sei glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung im Ghetto Ostrowiecz aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Der Annahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass im Entschädigungsverfahren die Beschäftigung im Ghetto zum Teil als "Zwangsarbeit" benannt worden sei. Auch eine Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit sei nicht Folge eines Arbeitszwangs aufgrund obrigkeitlicher Anordnung gewesen, sondern habe der Durchsetzung des Zwangsaufenthalts im Ghetto gedient.
Gegen das ihr am 12.02.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.02.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, mit der tenorierten Beitragszeit vom 01.03.1941 bis 31.01.1943 (23 Monate) sei die Wartezeit nicht erfüllt. Welche Ersatzzeiten anzuerkennen seien und ob unter Berücksichtigung dieser Ersatzzeiten die Wartezeit erfüllt sei, habe das Gericht weder dargelegt noch festgestellt. Das Urteil sei - so wie gefällt - somit nicht ausführbar. Zudem verstoße es gegen § 136 Abs. 1 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Obwohl sie - die Berufungsklägerin - im Klageverfahren darauf hingewiesen habe, dass
- die Klägerin nach ihren eigenen Angaben nicht dem dSK angehöre, sich nicht im eingegliederten Gebiet aufgehalten habe und somit die Anerkennung von Ersatzzeiten zumindest fraglich sei,
- den vorgetragenen Lebensmitteln für zu Hause bzw. dem zusätzlichen Essen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Entgeltcharakter zukomme und
- die Bewachung während der Arbeit ein typisches Merkmal von Zwangsarbeit sei,
enthalte das Urteil keine Darlegungen, aus welchen Gründen es die Tatbestandsvoraussetzungen nach dem ZRBG als erfüllt angesehen habe. Zudem stelle sich die Frage, von welcher Beschäftigung und von welchen Beschäftigungsbedingungen das Vordergericht bei Anerkennung der Beitragszeiten ausgegangen sei. Gleichzeitig verletze das Urteil damit das rechtliche Gehör der Berufungsklägerin, da ihr Vortrag offenkundig in entscheidenden Punkten ignoriert worden sei. Es werde darauf hingewiesen, dass die Beklagte dem in der angefochtenen Entscheidung zitierten Urteil des BSG vom 14.12.2006 nicht folge.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.01.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Streitsache zur erneuten Amtsermittlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Als Ersatzzeit sei mindestens die Verfolgungszeit von Oktober 1939 bis Kriegsende anzuerkennen, so dass die Wartezeit erfüllt sein dürfte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten und der Entschädigungsakte Nr. 000 des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gem. §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 SGG verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen oder vertreten war, weil sie mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Düsseldorf begründet.
Die Zurückverweisung kann gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG erfolgen, da das Verfahren an wesentlichen Verfahrensmängeln leidet, die Zurückverweisung zweckmäßig ist und das LSG nicht abschließend in der Sache entscheiden kann.
Ein Verfahrensmangel i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (vgl. LSG NRW, Urt. v. 20.02.02, L 10 SB 141/01, m.w.N.). Auszugehen ist von der Rechtsansicht des SG. Ein Verfahrensfehler liegt dann nicht vor, wenn das SG Ermittlungen unterlassen hat, auf die es nach seiner Rechtsauffassung nicht ankam.
Die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG sind erfüllt. Es liegen Verstöße gegen die §§ 103, 128 und 136 SGG vor, die auch wesentlich sind.
Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils genügen nicht den Mindestanforderungen der §§ 136 Abs. 1 Nr. 6, 128, 202 SGG iVm § 313 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO).
§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG bestimmt, dass das Urteil u.a. die Entscheidungsgründe enthält. Diese Vorschrift nennt zwar nicht die Anforderungen, die an die Entscheidungsgründe eines Urteils zu stellen sind. Diese ergeben sich jedoch aus den §§ 128, 202 SGG iVm § 313 Abs. 3 ZPO. Nach § 202 SGG iVm § 313 Abs. 3 ZPO enthalten die Entscheidungsgründe eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Nach § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Beteiligten sollen Kenntnis erhalten, von welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Gericht ausgegangen ist (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 136, Rn. 7c). Die Begründung soll zwar bündig kurz, muss aber derart ausführlich sein, dass die höhere Instanz das angefochtene Urteil zuverlässig nachprüfen und der unterlegene Beteiligte aus ihm ersehen kann, worauf das Gericht seine Entscheidung stützt. Eine den Anforderungen des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG nicht genügende Begründung liegt nicht erst dann vor, wenn überhaupt keine Gründe vorhanden sind, sondern fehlt schon dann, wenn zu einem entscheidungserheblichem Streitpunkt die Erwägungen, die das Gericht zum Urteilsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind. Zum Mindestinhalt gehört die Angabe der angewandten Norm und der für erfüllt bzw. nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der dafür ausschlaggebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Gründe (BSG SozR 1500 § 136 Nr. 10; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 136, Rn.7a). Ein wesentlicher Teil der Entscheidungsgründe ist ferner die Beweiswürdigung (vgl. LSG NRW, Urteil vom 20.02.2002, L 10 SB 141/01, mwN, www.sozialgerichtsbarkeit.de; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 136, Rn. 7b). Das Gericht hat den Streitstoff in tatsächlicher Hinsicht erschöpfend zu prüfen und zu würdigen (LSG NRW aaO). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
Weder dem Tatbestand noch den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, welche Tätigkeit das SG der Annahme einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommen Beschäftigung iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG zugrunde gelegt hat. Es fehlen Angaben zur Art, Ort, Dauer, Beginn und Ende der entsprechenden Beschäftigung. Im Tatbestand wird zwar erwähnt, dass die Klägerin und zwei Zeuginnen im Entschädigungsverfahren angegeben hätten, dass die Klägerin in den H-Werken gearbeitet habe. Die Wiedergabe des Klägervorbringens und der Erklärungen von Zeuginnen im Entschädigungsverfahren im Tatbestand genügt jedoch nicht, da das SG an keiner Stelle im angefochtenen Urteil zu erkennen gegeben hat, dass und welche Tatsachen es schon aufgrund des klägerischen Vorbringens als glaubhaft gemacht ansieht. Die Entscheidungsgründe enthalten mithin nicht die Tatsachen, die unter das Tatbestandsmerkmal der Beschäftigung zu subsumieren sind, so dass letztlich nur behauptet wird, dass dieses erfüllt sei.
Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Beschäftigung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG) hat das SG seine Pflicht, den Streitstoff in tatsächlicher Hinsicht erschöpfend zu prüfen und zu würdigen, verletzt. Die Klägerin hat während des gesamten Verwaltungs-, Widerspruchs- und Streitverfahrens in allen Erklärungen (29.06.2003, 05.09.2005, 13.12.2007) durchgehend geltend gemacht, Instandhaltungs- bzw. Hilfsarbeiten beim Umbau von alten Gebäuden innerhalb und außerhalb des Ghettos verrichtet zu haben. Diesen Vortrag der Klägerin zur Begründung ihres Rentenbegehrens hat das SG völlig unbeachtet gelassen. Im Tatbestand wird nur die Arbeit in den H-Werken erwähnt, wobei aber aus den vorgenannten Gründen nicht erkennbar ist, ob das SG diese als Beschäftigung in einem Ghetto angesehen hat. Jedenfalls hat die Klägerin selbst ihr Begehren auf eine Tätigkeit in den I H-Werken nicht gestützt.
Außerdem enthalten die Entscheidungsgründe keine Feststellungen zu der Frage, ob die Klägerin Verfolgte iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ist. Die Verfolgteneigenschaft richtet sich nach § 1 Abs. 1 BEG (vgl. Senat, Urteil vom 28.01.2008, L 8 R 280/07, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Danach ist Verfolgter, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat. Die Verfolgteneigenschaft ist zwar vom Rentenversicherungsträger bzw. dem SG in eigener Verantwortung festzustellen. Sie kann aber angenommen werden, wenn an die Verfolgteneigenschaft nach dem BEG anknüpfende Leistungen gewährt worden sind, wie dies vorliegend der Fall ist.
Das SG hat des Weiteren nicht festgestellt, ob der Ausschlussgrund der anderweitigen Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit (§ 1 Abs. 1 Satz 1 aE iVm § 1 Abs. 1 Satz 2 ZRBG) vorliegt.
Schließlich fehlen Feststellungen dazu, welche weiteren Zeiten zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI führen, die das SG - im Übrigen zutreffend (vgl. BSG, Urteil v. 26.7.2007, B 13 R 28/06 R; Senat, Urteil v. 6.6.2007, L 8 R 54/05) - als Voraussetzung eines Regelaltersrentenanspruchs erachtet. Mit den zuerkannten 23 Monaten an Ghettobeitragszeiten wird die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten ersichtlich nicht erfüllt. Welche weiteren Beitrags- und/oder Ersatzzeiten auf die fehlenden 37 Monate gem. § 51 Abs. 1 und 4 SGB VI angerechnet werden können, wird im angefochtenen Urteil weder in den Entscheidungsgründen noch im Tatbestand dargelegt.
Das SG hat seine Pflicht zur Begründung seiner Entscheidung auch verletzt, soweit es ohne Beweiswürdigung die Angabe der Klägerin zugrunde gelegt hat, dass sie freiwillig gearbeitet habe. Es fehlt im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des eigenen Willensentschlusses (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) ZRBG) die kritische Würdigung und Auseinandersetzung mit den Angaben im Entschädigungsverfahren, da die Angaben der Klägerin und der Zeugin L sowie in einem ärztlichen Gutachten im Entschädigungsverfahren einen eigenen Willensentschluss der Klägerin zumindest zweifelhaft erscheinen lassen. Denn die Klägerin und die Zeugin G L haben im Entschädigungsverfahren der Klägerin angegeben, dass die Klägerin nach Beginn der Verfolgungen schwerste, ihre Kräfte weit übersteigende Zwangsarbeit, bei Hunger, Kälte, Nässe und Misshandlungen leisten musste. In dem nur in einer Durchschrift vorliegenden Gutachten vom 20.06./02.07.1972 ist in der Anamnese ausgeführt worden, dass sie sich im geschlossenen Ghetto aufzuhalten gehabt habe und bei Zwangsarbeit beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt worden sei.
Das SG hat zudem gegen seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts aus § 103 SGG verstoßen. Die Amtsermittlungspflicht aus § 103 SGG ist verletzt, wenn der dem SG bekannte Sachverhalt von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus nicht für das Urteil ausreichte, sondern das Gericht sich zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2004, B 4 RA 44/03 R).
Im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale des Aufenthalts in einem Ghetto (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG), der Beschäftigung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG), des eigenen Willensentschlusses (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) ZRBG), der Ausübung der Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) ZRBG) sowie des Ausschlussgrundes einer anderweitigen Leistung der sozialen Sicherheit hätte sich das SG zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen, die es jedoch unterlassen hat.
Aufzuklären war im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG) zunächst, in welchem Zeitraum ein Ghetto in Ostrowiecz existierte. Hierzu sind zeitgeschichtliche Ermittlungen durchzuführen, die in der Einholung eines zeitgeschichtlichen Gutachtens oder aber der Beiziehung etwaiger in anderen Streitverfahren erstellter historischer Gutachten bestehen können. Vorliegend können von dem Historiker Prof. Dr. Golczewski erstellte Sachverständigengutachten beigezogen werden, die dieser in den beim Senat anhängigen Verfahren L 8 R 240/06, dem Streitverfahren des Ehemannes der Klägerin, am 13.02.2007 und L 8 R 202/06 am 30.03.2008 erstellt hat.
An die Ermittlungen zum Zeitraum der Ghettoexistenz anknüpfend war sodann aufzuklären, ob und ggf. welche Beschäftigung die Klägerin in welchem konkreten Zeitraum während eines zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Ostrowiec verrichtete (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG). Hierzu hat das SG zunächst von dem Vorbringen der Klägerin im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren auszugehen. Diese Angaben sind vor dem Hintergrund ihrer Erklärungen und der der Zeuginnen im Entschädigungsverfahren einer kritischen Prüfung und Würdigung zu unterziehen. Weitere Ermittlungen drängen sich danach deshalb auf, weil die Klägerin nach den Angaben im Entschädigungsverfahren auch andere Arbeiten als die zur Begründung ihres Rentenbegehrens vorgebrachten verrichtet haben könnte. In den Erklärungen der Klägerin und der Zeugin L wurden Arbeiten u.a. in der Waggonfabrik der I H-Werke erwähnt, ohne dass deutlich wird, ob diese Tätigkeit bereits während eines Ghettoaufenthalts ausgeübt wurde. Darüber bleibt unklar, welche konkreten Arbeiten die Klägerin mit den angegebenen Zwangsarbeiten gemeint hat. Möglicherweise handelte es sich um die von ihr nunmehr als Beschäftigung im Ghetto geltend gemachte Tätigkeit bei Instandhaltungs- bzw. Hilfsarbeiten bei dem Umbau von alten Gebäuden, was deshalb sein könnte, weil in dem Gutachten vom 20.06./02.07.1972 ausgeführt wird, dass sie - die Klägerin - bei Zwangsarbeit, beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt worden sei. Bei der Aufklärung des Sachverhalts kann es sich anbieten, die Klägerin zu befragen, ob und ggf. gegenüber welcher Institution (z.B. Yad Vashem, Shoah Foundation etc., wobei bzgl. der Shoah Foundation im Internet eine frei zugängliche Recherchemöglichkeit besteht) sie ihr Verfolgungsschicksal geschildert hat und sie sich mit einer Beiziehung etwaiger Schilderungen einverstanden erklärt. Darüber hinaus kommen Anfragen z.B. auch an die Jewish Claims Conference in Frankfurt am Main und den Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen in Betracht. Zudem kann das SG die Möglichkeit nutzen, die Klägerin selbst (vgl. § 103 Satz 1 aE SGG) zu befragen. Weiter wird das SG einem evtl. noch möglichen Zeugenbeweis nachgehen müssen, wobei neben einer Vernehmung von ggf. noch zu ermittelnden Zeugen im Wege der Rechtshilfe durch ein israelisches Gericht auch die schriftliche Befragung (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO) in Betracht kommt. Insoweit drängt es sich auf, über eine Anfrage bei der Deutschen Botschaft in Tel Aviv/Israel zu ermitteln, ob die Zeugin G L noch lebt und unter welcher Anschrift sie ggf. wohnhaft ist. Schließlich können noch die RA-HV-Akte Nr. 001 betreffend die der Klägerin gewährten Entschädigung wegen des Gesundheitsschadens sowie die Entschädigungsakten, die Verwaltungsakten der Deutschen Rentenversicherung und Gerichtsakten L 8 R 240/06 des Senats jeweils den Ehemann der Klägerin betreffend mit dessen einzuholendem Einverständnis beigezogen und verwertet werden, da die Klägerin im Entschädigungsverfahren am 19.06.1957 angab, mit ihrem Ehemann D während der ganzen Verfolgungszeit zusammen gewesen zu sein. Aufgrund dessen kommt ebenfalls die Befragung des Ehemannes der Klägerin als Zeuge in Betracht.
Unzureichend aufgeklärt ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt weiter, soweit die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss der Klägerin (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) ZRBG) stattgefunden haben muss. Das SG hat hierzu ohne nähere Begründung festgestellt, es sei glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung (welche?) aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Der Annahme eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass "im Entschädigungsverfahren die Beschäftigung im Ghetto zum Teil als ‚Zwangsarbeit’ bezeichnet worden sei". Hierbei handelt es sich indessen nicht um eine auf den konkreten Fall bezogene Beweiswürdigung. Es ist nicht ersichtlich, von welchen Angaben der Klägerin im Rahmen ihres Entschädigungsverfahrens das SG ausgeht. Damit ist nicht zu ersehen, dass das SG die Angaben im Entschädigungsverfahren überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Die Klägerin selbst erklärte am 31.05.1966 im Entschädigungsverfahren, nach Beginn der Verfolgungen habe sie schwerste, ihre Kräfte weit übersteigende Zwangsarbeit bei Hunger, Nässe, Misshandlungen und in ständiger Angst, vernichtet zu werden, leisten müssen. Sie habe u.a. in der Waggonfabrik I H-Werke bei Ostrowice schwere Arbeit ausführen müssen. Durch das Lastentragen habe sie einen Leistenbruch bekommen. In dem Gutachten vom 20.06./02.07.1972 ist in der Anamnese ausgeführt worden, dass sie bei Zwangsarbeit, beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt worden sei. Die in diesen Erklärungen beschriebenen konkreten Umstände der Arbeitsverrichtung und die Art der Tätigkeiten - nicht hingegen die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" - lassen das Zustandekommen von Tätigkeiten wie den Instandhaltungs- und Hilfsarbeiten bei dem Umbau von alten Gebäuden aus eigenem Willensentschluss im Ghetto als fraglich erscheinen, auch wenn die Klägerin im Verwaltungsverfahren angab, diese Tätigkeit durch eigene Bemühungen und Vermittlung des Judenrates erhalten zu haben. Zu den konkreten Umständen der Aufnahme der Instandhaltungs- bzw. Hilfsarbeiten bei dem Umbau von alten Gebäuden bedurfte es danach entsprechender Ermittlungen, wie sie schon vorstehend dargelegt worden sind.
Weiter hätte sich das SG im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) ZRBG) zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Die Klägerin hat angegeben, keinen Barlohn, sondern ein tägliches Mittagessen und zusätzliche Lebensmittel für zu Hause für die von ihr verrichteten Arbeiten erhalten zu haben. Sie hat zwar behauptet, dass es mehr gewesen sei, als sie für den täglichen Bedarf gebraucht habe und sie noch ihrer Familie habe helfen können. Sie hat aber keine Angabe dazu gemacht, wie häufig und in welcher konkreten Menge sie Lebensmittel für die von ihr geleistete Arbeit erhalten hat. Es ist daher nicht nachprüfbar, ob die Klägerin tatsächlich mehr erhielt, als zur Sicherung der eigenen Existenz erforderlich gewesen wäre. Lediglich existenzsichernde Leistungen sind kein Entgelt iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) ZRBG (vgl. BSG, Vorlagebeschluss vom 20.12.2007, B 4 R 85/06 R; Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Zu dem konkreten Umfang der erhaltenen Leistungen bedurfte es daher weiterer Ermittlungen. Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Mitversorgung von Angehörigen bedurfte es ebenfalls eingehender Ermittlungen. Aufzuklären war in diesem Zusammenhang, welche Personen dies waren sowie wie diese und die Klägerin selbst ihren Lebensunterhalt insgesamt bestritten. Zur Sachverhaltsaufklärung bieten sich auch insoweit die vorgenannten Ermittlungsmöglichkeiten an.
Auch im Hinblick darauf, dass das SG die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 60 Kalendermonaten als Anspruchsvoraussetzung ansieht, hätte es sich gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt insoweit von Amts wegen weiter aufzuklären. Wie bereits ausgeführt, fehlen hierzu selbst dann, wenn man zugunsten der Klägerin von 23 Beitragsmonaten aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten ausgeht, noch 37 Monate. Das SG hätte daher Ermittlungen zu dem Vorliegen zumindest von Ersatzzeiten durchführen müssen. Hinsichtlich etwaiger Abkommenszeiten ergeben sich keine Anhaltspunkte, denn die Klägerin hat im Antragsvordruck verneint, Beiträge zur israelischen Nationalversicherung (Bituach Leumi) entrichtet zu haben. Im Hinblick auf etwaige Ersatzzeiten gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ergeben sich aus den Angaben der Klägerin Ansatzpunkte für Ermittlungen. Sie macht für den Zeitraum von 1939 bis 1947 eine Verfolgung durch den Nationalsozialismus und einen anschließenden Auslandsaufenthalt geltend. Da die Klägerin seit März 1947 in Israel lebt, kann auch ab diesem Zeitpunkt eine Ersatzzeit gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 b) SGB VI bis zum 31.12.1949 gegeben sein.
Seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts hat das SG schließlich dadurch verletzt, dass es nicht aufgeklärt hat, ob die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 aE ZRBG erfüllt sind. Zu der Frage, ob die Klägerin für Zeiten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz ZRBG bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhält, bietet sich zunächst eine direkte Befragung der Beteiligten an. Das SG wird dabei als gerichtsbekannt unterstellen dürfen, dass entsprechende Leistungen nach israelischem Recht nicht gewährt werden, da die israelische Nationalversicherung nur Leistungen für Zeiträume ab 1954 gewährt. Bedeutung kann allerdings die von der Klägerin angegebene Beschäftigung von Ende 1945 bis Januar 1947 im Hospital Rothschild im DP-Lager in Wien/Österreich gewinnen, falls sie für diesen Zeitraum und für Zeiten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz ZRBG Leistungen aus einem System sozialer Sicherheit der Republik Österreich erhält.
Die gem. § 159 Abs. 1 SGG im Ermessen des Senats stehende Zurückverweisung ist gerechtfertigt. Eine Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt bisher nicht ausreichend aufgeklärt worden ist. Angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens und der Vielzahl der Verfahrensfehler des SG sieht es der Senat als geboten an, diesem nochmals die Gelegenheit zur ordnungsgemäßen Bearbeitung der Streitsache zu geben, zumal so den Beteiligten zwei Tatsacheninstanzen erhalten bleiben. Den Schutzinteressen der Beteiligten an einem ordnungsgemäßen Verfahren gebührt daher vorliegend der Vorrang vor den Interessen der Beteiligten an einer baldigen Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie. Dies gilt auch deshalb, da sich der Senat aufgrund seiner augenblicklichen Belastungssituation - die zum erheblichen Teil auf vielfach unzureichenden erstinstanzlichen Ermittlungen in ZRBG-Streitverfahren beruht - außerstande sieht, die erforderlichen Ermittlungen schneller durchzuführen als das SG. Zudem wird das SG aufgrund der von ihm zu vertretenen Verzögerungen eine beschleunigte Förderung des Verfahrens zu gewährleisten haben.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten - auch des Berufungsverfahrens - bleibt dem SG vorbehalten.
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob zugunsten der Klägerin sogenannte Ghetto-Beitragszeiten für den Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 im Ghetto Ostrowiecz nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) zu berücksichtigen sind.
Die am 00.00.1922 in Ostrowiecz/Polen als polnische Staatsangehörige geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens und besitzt heute die israelische Staatsangehörigkeit. Sie lebt seit dem 16.03.1947 in Israel. Sie ist als Verfolgte gem. § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt (Feststellungsbescheid C vom 23.11.1959 für Schaden an Freiheit für den Zeitraum vom 01.12.1939 bis 15.01.1945; Vergleich zur Abgeltung aller Ansprüche auf Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit vom 24.09.1973).
Im Entschädigungsverfahren erklärte die Klägerin am 19.06.1957:
" ... Ich war während der ganzen Verfolgungszeit mit meinem Ehemann D zusammen. Ich habe ebenso wie er seit Ende des Jahres 1939 auf weißer Armbinde den blauen Judenstern getragen, war mit ihm im Ghetto Ostrowiec und später auch im Zwangsarbeitslager I H-werke bei Ostrowiec zusammen, war auch mit ihm im Wald Ilzecki versteckt, so wie es mein Mann in seiner eidesstattlichen Versicherung geschildert hat, bis zu Befreiung durch die Russen im Jahre 1945, im Monat Januar ..."
Durch ihren damaligen Bevollmächtigten schilderte die Klägerin ihr Verfolgungsschicksal am 06.08.1959 wie folgt:
"Dez. 1939 bis Juli 1944 Sterntragen Ghetto Ostrowiec April 1943 bis Juli 1944 ZAL I-H-werke b. Ostrowiec Juli 1944 bis Jan. 1945 Illegalität"
Am 31.05.1966 erklärte die Klägerin:
" ... Nach Beginn der Verfolgungen musste ich schwerste, meine Kräfte weit übersteigende Zwangsarbeit, bei Hunger, Kälte, Nässe, Misshandlungen und in ständiger Angst, vernichtet zu werden, leisten. Ich habe u.a. in der Waggonfabrik I H-werke bei Ostrowice schwere Arbeit ausführen müssen. Durch das Lastentragen habe ich einen Leistenbruch bekommen, ..."
Die Zeugin G L gab am 00.00.1966 Folgendes an:
" ... Nach Beginn der Verfolgungen mussten wir den antijüdischen Maßnahmen zufolge schwerste Zwangsarbeit leisten. Wir arbeiteten bei der Firma I H-werke, Waggonfabrik und habe ich miterlebt wie die Obige (Anm. des Senats: die Klägerin) immer mehr herunterkam. Sie war dieser schweren Arbeit in keiner Weise gewachsen, war oft krank und fing sehr zu leiden an, sie hatte oft Fieber und andere Krankheiten arbeitete aber immer weiter aus Angst vor Vernichtung. Dann verloren wir uns aus den Augen ..."
Unter dem 06.07.1966 erklärte die Klägerin:
"Ich war jahrelang der Verfolgung ausgesetzt, musste schwere, über meine Kräfte hinausgehende Arbeiten ausführen, war Hunger, Kälte , Nässe, Elend, Misshandlungen und dauernder Todesangst ausgesetzt, lebte in unhygienischen Bedingungen, erkrankte an Dysentherie, Anginen, Typhus, Lungenentzündung und anderen Infektionskrankheiten ..."
In der Durchschrift eines Gutachtens vom 20.06./02.07.1972 findet sich in der Anamnese folgende Schilderung:
" ... Sie hatte sich im geschlossenen Ghetto aufzuhalten und sie wurde bei Zwangsarbeit, beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt. Nachher kam sie in die I H Werke, wo sie im Werk einquartiert wurde. Die Lager erschien ihr aussichtslos und Sommer 1944 gelang es ihr zu entkommen und in den umgebenden Wäldern Zuflucht zu finden ..."
Am 04.11.2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf das ZRBG die Gewährung einer Regelaltersrente ab dem 01.07.1997. In dem Antragsformular gab sie unter dem 29.06.2003 an, sie habe nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört. In dem Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 habe sie im Ghetto Ostrowiec - Kielce Arbeit bei der Instandhaltung von Gebäuden für die deutschen Behörden innerhalb und außerhalb des Ghettos und Reinigungsarbeiten verrichtet. Als Arbeitsverdienst habe sie "Lebensmittel für zu Hause. Zusätzliches Essen." erhalten. Zeugen könnten nicht benannt werden. Beiträge zur israelischen Nationalversicherung habe sie nicht entrichtet.
In dem Fragebogen für Ersatzzeiten machte die Klägerin Ersatzzeiten für die Verfolgung durch den Nationalsozialismus in dem Zeitraum von 1939 bis 1947 geltend. Zur Art der Verfolgung gab sie an: "Judensterntragung, Ghetto, Versteckung, Auslandsaufenthalt (Rumänien, Österreich)".
In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG machte die Klägerin folgende Angaben:
Sie habe die Arbeitsleistung im Ghetto "Ostrowiec Kielce" von März 1941 bis Januar 1943 zurückgelegt. Die Instandhaltung von alten Gebäuden als Arbeitsleistung sei innerhalb und außerhalb des Ghettos erfolgt. Während der Arbeit außerhalb des Ghettos sei sie durch Polizisten bewacht worden. Der Arbeitseinsatz sei durch eigene Bemühungen und durch den Judenrat zustande gekommen. Sie habe Hilfsarbeiten beim Umbau von alten Gebäuden für deutsche Behörden verrichtet. Sie habe 9-10 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei mit Lebensmitteln für zu Hause und zusätzlichem Essen entlohnt worden. Barlohn habe sie nicht erhalten. Zeugen für die Arbeitszeiten im Ghetto könnten nicht mehr benannt werden.
Die Beklagte zog die Entschädigungsakte betreffend die Klägerin bei und wertete diese aus. Mit Bescheid vom 20.07.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen für eine Anwendung des ZRBG lägen nicht vor, weil nicht glaubhaft sei, dass eine freiwillige, entgeltliche Beschäftigung in einem Ghetto ausgeübt worden sei.
Hiergegen richtete sich der am 09.08.2005 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Klägerin. Zur Begründung des Widerspruchs reichte die Klägerin eine Erklärung vom 05.09.2005 ein, in der sie Folgendes erklärte:
" ... Im großen Ghetto Ostrowiec befand ich mich vom März 1941 bis Januar 1943. Schon von den ersten Tagen meines Aufenthalts im Ghetto bat ich beim Judenrat um Arbeit. Ich erfüllte Hilfsarbeiten beim Umbau der alten Gebäude. Die Arbeit war innerhalb und außerhalb des Ghettos. Natürlich während der Arbeit außerhalb des Ghettos wurden wir von den Polizisten bewacht, sie hatten doch Angst, dass wir weglaufen werden. Für meine Arbeit bekam ich von der Ghettoverwaltung Mittagessen jeden Tag, zusätzliche Lebensmittel für zu Hause wöchentlich: Brot, Kartoffeln, Gemüse, Graupen, Kohl, Erbsen, Marmelade, Margarine usw. Es war mehr als ich für den täglichen Bedarf brauchte und ich konnte noch meiner Familie helfen."
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mangels Entgeltlichkeit seien die Voraussetzungen des § 1 ZRBG nicht erfüllt.
Die Klägerin hat mit ihrer zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie in einer Erklärung vom 13.12.2007 Folgendes angegeben:
" ... Ich befand mich im großen Ghetto Ostrowiec vom März 1941 bis Januar 1943. Um existieren zu können, suchte ich beim Judenrat Arbeit und fand Hilfsarbeiten beim Umbau der alten Gebäude. Ich war sehr froh auf diese Arbeiten, das bedeutete für mich und meine Familie die Existenzmöglichkeit. Solche Arbeiten waren immer nur freiwillige Arbeiten. Für meine Arbeit bekam ich Mittagessen täglich und zusätzliche Lebensmittel für zu Hause wöchentlich. Auf diese Lebensmittel konnten ich und meine Familie eine ganze Woche leben. Und die Lebensmittel hatten doch ihr Äquivalent in Geld ..."
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt. Ihrem Vortrag ist sinngemäß das Begehren zu entnehmen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2007 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten für den Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Unter dem 13.12.2007 hat das SG die Beklagte um Klarstellung gebeten,
a)welche Ersatzzeiten anerkannt werden könnten bei (fiktiver) Annahme einer Ghetto-Beitragszeit von März 1941 bis Januar 1943 und ob b) c)mit diesen Ersatzzeiten (oder israelischen oder anderen Versicherungszeiten) die Wartezeit erfüllt wäre;
falls nicht, ob die Wartezeit noch erfüllbar sei durch Nachzahlung freiwilliger Beiträge.
Hierzu hat die Beklagte unter dem 19.12.2007 mitgeteilt, dass es zumindest zweifelhaft sei, ob der Klägerin in der deutschen Rentenversicherung ein Schaden entstanden sei, der durch die Anerkennung von Ersatzzeiten auszugleichen wäre. Sie gehöre nach eigenen Angaben im Rentenantrag nicht dem dSK an und habe sich bei Beginn der Verfolgung im nicht eingegliederten Gebiet aufgehalten. Der israelische Versicherungsträger sei um Übersendung eines Versicherungsverlaufes gebeten worden. Die Beklagte werde sich nach Erhalt unaufgefordert zum Verfahren melden.
Das SG hat die Entschädigungsakte Nr. 000 betreffend die Klägerin beigezogen.
Mit Urteil vom 18.01.2008 hat das SG Düsseldorf die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2007 verurteilt, der Klägerin eine Altersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.03.1941 bis zum 31.01.1943 und von Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG ab dem 01.07.1997 zu gewähren. Im Tatbestand des Urteils hat das SG ausgeführt, im Zeitraum von März 1941 bis Januar 1943 habe die Klägerin sich im Ghetto Ostrowiecz/Polen aufgehalten. Im Entschädigungsverfahren der Klägerin hätten diese mit Erklärung vom 31.05.1966, Frau T mit Erklärung vom 29.06.1966 und Frau L mit Erklärung vom gleichen Tage angegeben, dass die Klägerin in den H-Werken gearbeitet habe. In zwei Fragebögen habe sie angegeben, dass sie für ihre Arbeit Lebensmittel für zu Hause und zusätzliches Essen erhalten habe. Zur Begründung der am 06.05.2007 erhobenen Klage mache die Klägerin weiterhin geltend, dass sie für ihre freiwillige Arbeit im Ghetto zusätzliche Lebensmittel erhalten habe. In den Entscheidungsgründen des Urteils hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Regelaltersrente gem. § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien erfüllt. Die Klägerin verfüge über auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren anrechenbare Pflichtbeitragszeiten unter Berücksichtigung der §§ 1, 2 ZRBG. Die Klägerin habe sich im Ghetto Ostrowiecz aufgehalten, das sich in einem Gebiet befunden habe, das vom Deutschen Reich besetzt gewesen sei. Es sei auch glaubhaft, dass die Klägerin eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt habe (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) ZRBG). Über dieses Tatbestandsmerkmal seien Ghetto-Arbeitszeiten nach dem Typus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einerseits von der nichtversicherten Zwangsarbeit andererseits abzugrenzen. Dabei liege Entgeltlichkeit der Tätigkeit vor, wenn der Betroffene für seine Arbeit eine Gegenleistung in nennenswertem Umfang erhalten habe. Für die Qualifizierung als "Entgelt" komme es nicht auf die Art und Höhe, auch nicht auf die Angemessenheit oder gar auf die Gerechtigkeit der Vergütung an. Unerheblich sei auch, in welcher Form die Einnahmen bezogen worden seien, es könnten Geld- oder Sachbezüge sein. Entscheidend sei nur, ob die Zuwendung tatsächlich wegen der geleisteten Arbeit und nicht aus anderen Gründen erfolgt sei (Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R; Urteile des SG Hamburg vom 09.02.2006, S 9 RJ 896/03, vom 03.05.2006, S 19 RJ 1061/03, und vom 02.05.2006, S 20 RJ 611/04). Dies berücksichtigend sei es glaubhaft, dass die Klägerin entgeltlich gearbeitet habe. Sie habe in den Fragebögen glaubhaft dargelegt, dass sie für ihre Tätigkeit im Ghetto Lebensmittel für zu Hause und besseres Essen erhalten habe. Weiter habe die von der Klägerin im Ghetto Ostrowiecz ausgeübte Arbeit eine freiwillige Arbeitsleistung und nicht Zwangsarbeit dargestellt. Es sei glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung im Ghetto Ostrowiecz aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Der Annahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass im Entschädigungsverfahren die Beschäftigung im Ghetto zum Teil als "Zwangsarbeit" benannt worden sei. Auch eine Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit sei nicht Folge eines Arbeitszwangs aufgrund obrigkeitlicher Anordnung gewesen, sondern habe der Durchsetzung des Zwangsaufenthalts im Ghetto gedient.
Gegen das ihr am 12.02.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.02.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, mit der tenorierten Beitragszeit vom 01.03.1941 bis 31.01.1943 (23 Monate) sei die Wartezeit nicht erfüllt. Welche Ersatzzeiten anzuerkennen seien und ob unter Berücksichtigung dieser Ersatzzeiten die Wartezeit erfüllt sei, habe das Gericht weder dargelegt noch festgestellt. Das Urteil sei - so wie gefällt - somit nicht ausführbar. Zudem verstoße es gegen § 136 Abs. 1 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Obwohl sie - die Berufungsklägerin - im Klageverfahren darauf hingewiesen habe, dass
- die Klägerin nach ihren eigenen Angaben nicht dem dSK angehöre, sich nicht im eingegliederten Gebiet aufgehalten habe und somit die Anerkennung von Ersatzzeiten zumindest fraglich sei,
- den vorgetragenen Lebensmitteln für zu Hause bzw. dem zusätzlichen Essen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Entgeltcharakter zukomme und
- die Bewachung während der Arbeit ein typisches Merkmal von Zwangsarbeit sei,
enthalte das Urteil keine Darlegungen, aus welchen Gründen es die Tatbestandsvoraussetzungen nach dem ZRBG als erfüllt angesehen habe. Zudem stelle sich die Frage, von welcher Beschäftigung und von welchen Beschäftigungsbedingungen das Vordergericht bei Anerkennung der Beitragszeiten ausgegangen sei. Gleichzeitig verletze das Urteil damit das rechtliche Gehör der Berufungsklägerin, da ihr Vortrag offenkundig in entscheidenden Punkten ignoriert worden sei. Es werde darauf hingewiesen, dass die Beklagte dem in der angefochtenen Entscheidung zitierten Urteil des BSG vom 14.12.2006 nicht folge.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.01.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Streitsache zur erneuten Amtsermittlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Als Ersatzzeit sei mindestens die Verfolgungszeit von Oktober 1939 bis Kriegsende anzuerkennen, so dass die Wartezeit erfüllt sein dürfte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten und der Entschädigungsakte Nr. 000 des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gem. §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 SGG verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen oder vertreten war, weil sie mit der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Düsseldorf begründet.
Die Zurückverweisung kann gem. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG erfolgen, da das Verfahren an wesentlichen Verfahrensmängeln leidet, die Zurückverweisung zweckmäßig ist und das LSG nicht abschließend in der Sache entscheiden kann.
Ein Verfahrensmangel i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (vgl. LSG NRW, Urt. v. 20.02.02, L 10 SB 141/01, m.w.N.). Auszugehen ist von der Rechtsansicht des SG. Ein Verfahrensfehler liegt dann nicht vor, wenn das SG Ermittlungen unterlassen hat, auf die es nach seiner Rechtsauffassung nicht ankam.
Die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG sind erfüllt. Es liegen Verstöße gegen die §§ 103, 128 und 136 SGG vor, die auch wesentlich sind.
Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils genügen nicht den Mindestanforderungen der §§ 136 Abs. 1 Nr. 6, 128, 202 SGG iVm § 313 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO).
§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG bestimmt, dass das Urteil u.a. die Entscheidungsgründe enthält. Diese Vorschrift nennt zwar nicht die Anforderungen, die an die Entscheidungsgründe eines Urteils zu stellen sind. Diese ergeben sich jedoch aus den §§ 128, 202 SGG iVm § 313 Abs. 3 ZPO. Nach § 202 SGG iVm § 313 Abs. 3 ZPO enthalten die Entscheidungsgründe eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Nach § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Beteiligten sollen Kenntnis erhalten, von welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Gericht ausgegangen ist (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 136, Rn. 7c). Die Begründung soll zwar bündig kurz, muss aber derart ausführlich sein, dass die höhere Instanz das angefochtene Urteil zuverlässig nachprüfen und der unterlegene Beteiligte aus ihm ersehen kann, worauf das Gericht seine Entscheidung stützt. Eine den Anforderungen des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG nicht genügende Begründung liegt nicht erst dann vor, wenn überhaupt keine Gründe vorhanden sind, sondern fehlt schon dann, wenn zu einem entscheidungserheblichem Streitpunkt die Erwägungen, die das Gericht zum Urteilsausspruch geführt haben, dem Urteil selbst nicht zu entnehmen sind. Zum Mindestinhalt gehört die Angabe der angewandten Norm und der für erfüllt bzw. nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der dafür ausschlaggebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Gründe (BSG SozR 1500 § 136 Nr. 10; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 136, Rn.7a). Ein wesentlicher Teil der Entscheidungsgründe ist ferner die Beweiswürdigung (vgl. LSG NRW, Urteil vom 20.02.2002, L 10 SB 141/01, mwN, www.sozialgerichtsbarkeit.de; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 136, Rn. 7b). Das Gericht hat den Streitstoff in tatsächlicher Hinsicht erschöpfend zu prüfen und zu würdigen (LSG NRW aaO). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
Weder dem Tatbestand noch den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, welche Tätigkeit das SG der Annahme einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommen Beschäftigung iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG zugrunde gelegt hat. Es fehlen Angaben zur Art, Ort, Dauer, Beginn und Ende der entsprechenden Beschäftigung. Im Tatbestand wird zwar erwähnt, dass die Klägerin und zwei Zeuginnen im Entschädigungsverfahren angegeben hätten, dass die Klägerin in den H-Werken gearbeitet habe. Die Wiedergabe des Klägervorbringens und der Erklärungen von Zeuginnen im Entschädigungsverfahren im Tatbestand genügt jedoch nicht, da das SG an keiner Stelle im angefochtenen Urteil zu erkennen gegeben hat, dass und welche Tatsachen es schon aufgrund des klägerischen Vorbringens als glaubhaft gemacht ansieht. Die Entscheidungsgründe enthalten mithin nicht die Tatsachen, die unter das Tatbestandsmerkmal der Beschäftigung zu subsumieren sind, so dass letztlich nur behauptet wird, dass dieses erfüllt sei.
Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Beschäftigung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG) hat das SG seine Pflicht, den Streitstoff in tatsächlicher Hinsicht erschöpfend zu prüfen und zu würdigen, verletzt. Die Klägerin hat während des gesamten Verwaltungs-, Widerspruchs- und Streitverfahrens in allen Erklärungen (29.06.2003, 05.09.2005, 13.12.2007) durchgehend geltend gemacht, Instandhaltungs- bzw. Hilfsarbeiten beim Umbau von alten Gebäuden innerhalb und außerhalb des Ghettos verrichtet zu haben. Diesen Vortrag der Klägerin zur Begründung ihres Rentenbegehrens hat das SG völlig unbeachtet gelassen. Im Tatbestand wird nur die Arbeit in den H-Werken erwähnt, wobei aber aus den vorgenannten Gründen nicht erkennbar ist, ob das SG diese als Beschäftigung in einem Ghetto angesehen hat. Jedenfalls hat die Klägerin selbst ihr Begehren auf eine Tätigkeit in den I H-Werken nicht gestützt.
Außerdem enthalten die Entscheidungsgründe keine Feststellungen zu der Frage, ob die Klägerin Verfolgte iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ist. Die Verfolgteneigenschaft richtet sich nach § 1 Abs. 1 BEG (vgl. Senat, Urteil vom 28.01.2008, L 8 R 280/07, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Danach ist Verfolgter, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat. Die Verfolgteneigenschaft ist zwar vom Rentenversicherungsträger bzw. dem SG in eigener Verantwortung festzustellen. Sie kann aber angenommen werden, wenn an die Verfolgteneigenschaft nach dem BEG anknüpfende Leistungen gewährt worden sind, wie dies vorliegend der Fall ist.
Das SG hat des Weiteren nicht festgestellt, ob der Ausschlussgrund der anderweitigen Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit (§ 1 Abs. 1 Satz 1 aE iVm § 1 Abs. 1 Satz 2 ZRBG) vorliegt.
Schließlich fehlen Feststellungen dazu, welche weiteren Zeiten zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI führen, die das SG - im Übrigen zutreffend (vgl. BSG, Urteil v. 26.7.2007, B 13 R 28/06 R; Senat, Urteil v. 6.6.2007, L 8 R 54/05) - als Voraussetzung eines Regelaltersrentenanspruchs erachtet. Mit den zuerkannten 23 Monaten an Ghettobeitragszeiten wird die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten ersichtlich nicht erfüllt. Welche weiteren Beitrags- und/oder Ersatzzeiten auf die fehlenden 37 Monate gem. § 51 Abs. 1 und 4 SGB VI angerechnet werden können, wird im angefochtenen Urteil weder in den Entscheidungsgründen noch im Tatbestand dargelegt.
Das SG hat seine Pflicht zur Begründung seiner Entscheidung auch verletzt, soweit es ohne Beweiswürdigung die Angabe der Klägerin zugrunde gelegt hat, dass sie freiwillig gearbeitet habe. Es fehlt im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des eigenen Willensentschlusses (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) ZRBG) die kritische Würdigung und Auseinandersetzung mit den Angaben im Entschädigungsverfahren, da die Angaben der Klägerin und der Zeugin L sowie in einem ärztlichen Gutachten im Entschädigungsverfahren einen eigenen Willensentschluss der Klägerin zumindest zweifelhaft erscheinen lassen. Denn die Klägerin und die Zeugin G L haben im Entschädigungsverfahren der Klägerin angegeben, dass die Klägerin nach Beginn der Verfolgungen schwerste, ihre Kräfte weit übersteigende Zwangsarbeit, bei Hunger, Kälte, Nässe und Misshandlungen leisten musste. In dem nur in einer Durchschrift vorliegenden Gutachten vom 20.06./02.07.1972 ist in der Anamnese ausgeführt worden, dass sie sich im geschlossenen Ghetto aufzuhalten gehabt habe und bei Zwangsarbeit beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt worden sei.
Das SG hat zudem gegen seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts aus § 103 SGG verstoßen. Die Amtsermittlungspflicht aus § 103 SGG ist verletzt, wenn der dem SG bekannte Sachverhalt von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus nicht für das Urteil ausreichte, sondern das Gericht sich zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2004, B 4 RA 44/03 R).
Im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale des Aufenthalts in einem Ghetto (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG), der Beschäftigung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG), des eigenen Willensentschlusses (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) ZRBG), der Ausübung der Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) ZRBG) sowie des Ausschlussgrundes einer anderweitigen Leistung der sozialen Sicherheit hätte sich das SG zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen, die es jedoch unterlassen hat.
Aufzuklären war im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG) zunächst, in welchem Zeitraum ein Ghetto in Ostrowiecz existierte. Hierzu sind zeitgeschichtliche Ermittlungen durchzuführen, die in der Einholung eines zeitgeschichtlichen Gutachtens oder aber der Beiziehung etwaiger in anderen Streitverfahren erstellter historischer Gutachten bestehen können. Vorliegend können von dem Historiker Prof. Dr. Golczewski erstellte Sachverständigengutachten beigezogen werden, die dieser in den beim Senat anhängigen Verfahren L 8 R 240/06, dem Streitverfahren des Ehemannes der Klägerin, am 13.02.2007 und L 8 R 202/06 am 30.03.2008 erstellt hat.
An die Ermittlungen zum Zeitraum der Ghettoexistenz anknüpfend war sodann aufzuklären, ob und ggf. welche Beschäftigung die Klägerin in welchem konkreten Zeitraum während eines zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Ostrowiec verrichtete (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG). Hierzu hat das SG zunächst von dem Vorbringen der Klägerin im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren auszugehen. Diese Angaben sind vor dem Hintergrund ihrer Erklärungen und der der Zeuginnen im Entschädigungsverfahren einer kritischen Prüfung und Würdigung zu unterziehen. Weitere Ermittlungen drängen sich danach deshalb auf, weil die Klägerin nach den Angaben im Entschädigungsverfahren auch andere Arbeiten als die zur Begründung ihres Rentenbegehrens vorgebrachten verrichtet haben könnte. In den Erklärungen der Klägerin und der Zeugin L wurden Arbeiten u.a. in der Waggonfabrik der I H-Werke erwähnt, ohne dass deutlich wird, ob diese Tätigkeit bereits während eines Ghettoaufenthalts ausgeübt wurde. Darüber bleibt unklar, welche konkreten Arbeiten die Klägerin mit den angegebenen Zwangsarbeiten gemeint hat. Möglicherweise handelte es sich um die von ihr nunmehr als Beschäftigung im Ghetto geltend gemachte Tätigkeit bei Instandhaltungs- bzw. Hilfsarbeiten bei dem Umbau von alten Gebäuden, was deshalb sein könnte, weil in dem Gutachten vom 20.06./02.07.1972 ausgeführt wird, dass sie - die Klägerin - bei Zwangsarbeit, beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt worden sei. Bei der Aufklärung des Sachverhalts kann es sich anbieten, die Klägerin zu befragen, ob und ggf. gegenüber welcher Institution (z.B. Yad Vashem, Shoah Foundation etc., wobei bzgl. der Shoah Foundation im Internet eine frei zugängliche Recherchemöglichkeit besteht) sie ihr Verfolgungsschicksal geschildert hat und sie sich mit einer Beiziehung etwaiger Schilderungen einverstanden erklärt. Darüber hinaus kommen Anfragen z.B. auch an die Jewish Claims Conference in Frankfurt am Main und den Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen in Betracht. Zudem kann das SG die Möglichkeit nutzen, die Klägerin selbst (vgl. § 103 Satz 1 aE SGG) zu befragen. Weiter wird das SG einem evtl. noch möglichen Zeugenbeweis nachgehen müssen, wobei neben einer Vernehmung von ggf. noch zu ermittelnden Zeugen im Wege der Rechtshilfe durch ein israelisches Gericht auch die schriftliche Befragung (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO) in Betracht kommt. Insoweit drängt es sich auf, über eine Anfrage bei der Deutschen Botschaft in Tel Aviv/Israel zu ermitteln, ob die Zeugin G L noch lebt und unter welcher Anschrift sie ggf. wohnhaft ist. Schließlich können noch die RA-HV-Akte Nr. 001 betreffend die der Klägerin gewährten Entschädigung wegen des Gesundheitsschadens sowie die Entschädigungsakten, die Verwaltungsakten der Deutschen Rentenversicherung und Gerichtsakten L 8 R 240/06 des Senats jeweils den Ehemann der Klägerin betreffend mit dessen einzuholendem Einverständnis beigezogen und verwertet werden, da die Klägerin im Entschädigungsverfahren am 19.06.1957 angab, mit ihrem Ehemann D während der ganzen Verfolgungszeit zusammen gewesen zu sein. Aufgrund dessen kommt ebenfalls die Befragung des Ehemannes der Klägerin als Zeuge in Betracht.
Unzureichend aufgeklärt ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt weiter, soweit die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss der Klägerin (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) ZRBG) stattgefunden haben muss. Das SG hat hierzu ohne nähere Begründung festgestellt, es sei glaubhaft, dass die Klägerin die Beschäftigung (welche?) aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Der Annahme eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass "im Entschädigungsverfahren die Beschäftigung im Ghetto zum Teil als ‚Zwangsarbeit’ bezeichnet worden sei". Hierbei handelt es sich indessen nicht um eine auf den konkreten Fall bezogene Beweiswürdigung. Es ist nicht ersichtlich, von welchen Angaben der Klägerin im Rahmen ihres Entschädigungsverfahrens das SG ausgeht. Damit ist nicht zu ersehen, dass das SG die Angaben im Entschädigungsverfahren überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Die Klägerin selbst erklärte am 31.05.1966 im Entschädigungsverfahren, nach Beginn der Verfolgungen habe sie schwerste, ihre Kräfte weit übersteigende Zwangsarbeit bei Hunger, Nässe, Misshandlungen und in ständiger Angst, vernichtet zu werden, leisten müssen. Sie habe u.a. in der Waggonfabrik I H-Werke bei Ostrowice schwere Arbeit ausführen müssen. Durch das Lastentragen habe sie einen Leistenbruch bekommen. In dem Gutachten vom 20.06./02.07.1972 ist in der Anamnese ausgeführt worden, dass sie bei Zwangsarbeit, beim Bau, mit Lastentragen mit einem Schubkarren eingesetzt worden sei. Die in diesen Erklärungen beschriebenen konkreten Umstände der Arbeitsverrichtung und die Art der Tätigkeiten - nicht hingegen die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" - lassen das Zustandekommen von Tätigkeiten wie den Instandhaltungs- und Hilfsarbeiten bei dem Umbau von alten Gebäuden aus eigenem Willensentschluss im Ghetto als fraglich erscheinen, auch wenn die Klägerin im Verwaltungsverfahren angab, diese Tätigkeit durch eigene Bemühungen und Vermittlung des Judenrates erhalten zu haben. Zu den konkreten Umständen der Aufnahme der Instandhaltungs- bzw. Hilfsarbeiten bei dem Umbau von alten Gebäuden bedurfte es danach entsprechender Ermittlungen, wie sie schon vorstehend dargelegt worden sind.
Weiter hätte sich das SG im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) ZRBG) zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Die Klägerin hat angegeben, keinen Barlohn, sondern ein tägliches Mittagessen und zusätzliche Lebensmittel für zu Hause für die von ihr verrichteten Arbeiten erhalten zu haben. Sie hat zwar behauptet, dass es mehr gewesen sei, als sie für den täglichen Bedarf gebraucht habe und sie noch ihrer Familie habe helfen können. Sie hat aber keine Angabe dazu gemacht, wie häufig und in welcher konkreten Menge sie Lebensmittel für die von ihr geleistete Arbeit erhalten hat. Es ist daher nicht nachprüfbar, ob die Klägerin tatsächlich mehr erhielt, als zur Sicherung der eigenen Existenz erforderlich gewesen wäre. Lediglich existenzsichernde Leistungen sind kein Entgelt iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) ZRBG (vgl. BSG, Vorlagebeschluss vom 20.12.2007, B 4 R 85/06 R; Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Zu dem konkreten Umfang der erhaltenen Leistungen bedurfte es daher weiterer Ermittlungen. Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Mitversorgung von Angehörigen bedurfte es ebenfalls eingehender Ermittlungen. Aufzuklären war in diesem Zusammenhang, welche Personen dies waren sowie wie diese und die Klägerin selbst ihren Lebensunterhalt insgesamt bestritten. Zur Sachverhaltsaufklärung bieten sich auch insoweit die vorgenannten Ermittlungsmöglichkeiten an.
Auch im Hinblick darauf, dass das SG die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von 60 Kalendermonaten als Anspruchsvoraussetzung ansieht, hätte es sich gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt insoweit von Amts wegen weiter aufzuklären. Wie bereits ausgeführt, fehlen hierzu selbst dann, wenn man zugunsten der Klägerin von 23 Beitragsmonaten aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten ausgeht, noch 37 Monate. Das SG hätte daher Ermittlungen zu dem Vorliegen zumindest von Ersatzzeiten durchführen müssen. Hinsichtlich etwaiger Abkommenszeiten ergeben sich keine Anhaltspunkte, denn die Klägerin hat im Antragsvordruck verneint, Beiträge zur israelischen Nationalversicherung (Bituach Leumi) entrichtet zu haben. Im Hinblick auf etwaige Ersatzzeiten gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI ergeben sich aus den Angaben der Klägerin Ansatzpunkte für Ermittlungen. Sie macht für den Zeitraum von 1939 bis 1947 eine Verfolgung durch den Nationalsozialismus und einen anschließenden Auslandsaufenthalt geltend. Da die Klägerin seit März 1947 in Israel lebt, kann auch ab diesem Zeitpunkt eine Ersatzzeit gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 b) SGB VI bis zum 31.12.1949 gegeben sein.
Seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts hat das SG schließlich dadurch verletzt, dass es nicht aufgeklärt hat, ob die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 aE ZRBG erfüllt sind. Zu der Frage, ob die Klägerin für Zeiten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz ZRBG bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhält, bietet sich zunächst eine direkte Befragung der Beteiligten an. Das SG wird dabei als gerichtsbekannt unterstellen dürfen, dass entsprechende Leistungen nach israelischem Recht nicht gewährt werden, da die israelische Nationalversicherung nur Leistungen für Zeiträume ab 1954 gewährt. Bedeutung kann allerdings die von der Klägerin angegebene Beschäftigung von Ende 1945 bis Januar 1947 im Hospital Rothschild im DP-Lager in Wien/Österreich gewinnen, falls sie für diesen Zeitraum und für Zeiten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz ZRBG Leistungen aus einem System sozialer Sicherheit der Republik Österreich erhält.
Die gem. § 159 Abs. 1 SGG im Ermessen des Senats stehende Zurückverweisung ist gerechtfertigt. Eine Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt bisher nicht ausreichend aufgeklärt worden ist. Angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens und der Vielzahl der Verfahrensfehler des SG sieht es der Senat als geboten an, diesem nochmals die Gelegenheit zur ordnungsgemäßen Bearbeitung der Streitsache zu geben, zumal so den Beteiligten zwei Tatsacheninstanzen erhalten bleiben. Den Schutzinteressen der Beteiligten an einem ordnungsgemäßen Verfahren gebührt daher vorliegend der Vorrang vor den Interessen der Beteiligten an einer baldigen Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie. Dies gilt auch deshalb, da sich der Senat aufgrund seiner augenblicklichen Belastungssituation - die zum erheblichen Teil auf vielfach unzureichenden erstinstanzlichen Ermittlungen in ZRBG-Streitverfahren beruht - außerstande sieht, die erforderlichen Ermittlungen schneller durchzuführen als das SG. Zudem wird das SG aufgrund der von ihm zu vertretenen Verzögerungen eine beschleunigte Förderung des Verfahrens zu gewährleisten haben.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten - auch des Berufungsverfahrens - bleibt dem SG vorbehalten.
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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