L 1 B 16/08 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 506/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 16/08 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 20.03.2008 abgeändert. Dem Kläger zu 1) wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers zu 1) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 20.03.2008 ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes abgelehnt.

Prozesskostenhilfe ist gemäß §§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Satz 1 ZPO zu bewilligen, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Beurteilung, ob hinreichende Erfolgsaussicht besteht, muss der verfassungsrechtliche Rahmen berücksichtigt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten (vgl. u. a. BVerfG, Beschluss vom 26.06.2003 - 1 BvR 1152/02, SozR 4-1500 § 73 a Nr. 1 = NJW 2003, 3190). Die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst darf nicht in das PKH-Verfahren verlagert werden, die Anforderungen an Erfolgsaussichten dürfen deswegen nicht überzogen werden (ausführlich m.w.N. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 73a Rdnr. 7 ff.).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung der Beklagten sind weitere Feststellungen erforderlich, weshalb eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen ist.

Der Senat verkennt hierbei nicht, dass in Verfahren mit medizinischem Streitgegenstand zur summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage im PKH-Verfahren auch die Einholung von Befundberichten zulässig ist (LSG NRW, Beschluss vom 17.09.1998 - L 3 B 10/98 RJ; Beschluss vom 19.04.2006 - L 14 B 4/06 R; Beschluss vom 23.11.2004 - L 10 B 17/04 SB; alle Entscheidungen veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de), worauf das Sozialgericht den Kläger zutreffend hingewiesen hat. Dies beruht darauf, dass in Verfahren mit medizinischem Streitgegenstand im sozialgerichtlichen Verfahren die Beiziehung von Befundberichten regelmäßig geboten ist, wenn im Verwaltungsverfahren Sachverständigengutachten eingeholt und Grundlage für die Ablehnung der begehrten Leistungen geworden sind. Diese Gutachten sprechen zunächst gegen eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage. Vor diesem Hintergrund kann die Erfolgsaussicht einer Klage im Zeitpunkt der Klagebegründung bei medizinischen Sachverhalten nur dann bejaht werden, wenn Mängel der Sachverständigengutachten oder eine mangelhafte Sachverhaltsaufklärung erkennbar sind. Zu einer diesbezüglichen Prüfung ist die Einholung von Befundberichten im PKH-Verfahren zulässig (LSG NRW, Beschluss vom 17.09.1998 - L 3 B 10/98 RJ).

Im vorliegenden Fall sind indes Feststellungen erforderlich, die über die beschriebenen ersten Ermittlungen zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage hinausgehen:

Der Kläger zu 1) erstrebt im Rahmen des § 44 SGB X höhere Unterkunftskosten gem. § 22 SGB II. Er bewohnt mit drei weiteren Personen eine 118 m² große Mietwohnung, für die eine Grundmiete in Höhe von 485.- Euro sowie eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 110.- Euro und sonstige Nebenkosten in Höhe von 175.- Euro, insgesamt 770 Euro zu zahlen sind. Die Beklagte erstattet die Heiz- und Nebenkosten in voller Höhe, die Grundmiete jedoch nur in Höhe von 437,40 Euro. Hierbei geht sie davon aus, dass eine Wohnung mit einer Größe von 90 m² für vier Personen angemessen groß ist. Sie legt einen Quadratmeterpreis in Höhe von 4,86 Euro zu Grunde. Diese Werte hat der kommunale Träger in "Angemessenheitskriterien" festgelegt.

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist in mehreren Schritten zu prüfen (vgl. auch BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R; Piepenstock, in jurisPK - SGB II § 22 Rdnr. 50 ff.). Zunächst ist festzustellen, welche Wohnungsgröße angemessen ist. Hierbei hat das Sozialgericht zutreffend dargelegt, dass für einen Haushalt mit vier Haushaltsangehörigen 90 m² Wohnfläche als angemessen anzusehen sind. Ebenfalls zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass das zur Klagebegründung zitierte Urteil des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - nichts anderes besagt. Denn diese Entscheidung beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Frage, wann eine Eigentumswohnung eine angemessene Größe im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II überschreitet und deshalb als Vermögen zu berücksichtigen ist.

Indes ist die Feststellung, dass die vom Kläger zu 1) und den weiteren Haushaltsangehörigen bewohnte Wohnung die angemessene Größe übersteigt, für die abschließende Prüfung der - ggf. teilweisen - Begründetheit des Klageanspruchs nicht ausreichend.

Nach der "Produkttheorie" (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 -), die auch vom BSG angewendet wird (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7 AS 18/06 R; ausführlich Piepenstock, in jurisPK SGB II, § 22 Rdnr. 53) ist die angemessene Höhe der Unterkunftskosten als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt bemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro m² zu ermitteln. Angemessen sind die Aufwendungen für eine Unterkunft nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Die Unterkunft muss hinsichtlich der aufgeführten Kriterien, die als mietpreisbildende Faktoren regelmäßig in m²-Preis ihren Niederschlag finden, im unteren Segment der nach Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet.

Feststellungen hinsichtlich des angemessenen m²-Preises wurden bislang nicht getroffen. Das Sozialgericht hat sich lediglich mit der maßgeblichen Wohnungsgröße beschäftigt. Die Frage, weshalb die Beklagte von einem angemessenen m²-Preis in Höhe von 4,86 Euro ausgeht, ist ungeklärt und im Verfahren klärungsbedürftig. Nur wenn festgestellt wird, dass die Beklagte mit diesem Wert einen den Angemessenheitskriterien zutreffenden Wert ermittelt hat, ist die Gesamterstattungssumme als Produkt aus Quadratmeterzahl und Quadratmeterpreis angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Zur Ermittlung des angemessenen Mietpreises kann der Mietspiegel des Wohnortes herangezogen werden (LSG NRW, Beschluss vom 14.02.2008 - L 7 B 114/07 AS ER, veröffentlicht bei juris).

Schließlich ist in einem dritten Schritt zu überprüfen, ob nach der Struktur des Wohnungsmarkts am Wohnort des Hilfebedürftigen tatsächlich auch die Möglichkeit besteht, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret auf dem Wohnungsmarkt zu erhalten. Besteht eine solche konkrete Unterkunftsalternative nicht, sind die Aufwendungen für die tatsächlich angemietete Unterkunft als angemessen anzusehen (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R; Piepenstock in: jurisPK SGB II § 22 Rdnr. 55). Entsprechende Feststellungen fehlen vorliegend ebenfalls. Die Beklagte wird darzulegen und ggf. nachzuweisen haben, ob und in welcher Anzahl angemessene Alternativwohnungen zur Verfügung stehen. Hierbei ist zu beachten, dass der Leistungsempfänger nicht verpflichtet ist, sein soziales Umfeld zu verlassen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R; hierzu auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2008 - L 7 AS 1797/08).

Der Kläger zu 1) ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht, auch nicht zum Teil oder in Raten, in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Er bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Diese Leistungen stehen zur Prozessführung nicht zur Verfügung (§§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 115 Abs. 1 Nr. 2 a und 3 ZPO ).

Der Senat hatte lediglich über die Beschwerde des Klägers zu 1) gegen die Ablehnung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu entscheiden, denn das Sozialgericht hat lediglich den Kläger zu 1) im Rubrum des angefochtenen Beschlusses aufgeführt und lediglich dieser hat Beschwerde erhoben. Bei der weiteren Durchführung des Verfahrens ist zu beachten, dass neben dem Kläger zu 1) auch die Klägerin zu 2) J Q und der Kläger zu 3) N Q am Verfahren beteiligt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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