L 8 R 58/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 51 (12) RJ 200/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 58/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.11.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente. Streitig ist insbesondere, ob zugunsten des Klägers sogenannte Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) berücksichtigt werden können.

Der am 00.00.1930 in Annopol/Polen geborene Kläger ist jüdischen Glaubens und Verfolgter des Nationalsozialismus iS des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Im Jahre 1959 wanderte er nach Israel aus. Er besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.

Im seinerzeit durchgeführten Entschädigungsverfahren erklärte der Kläger: lm August 1941 sei er trotz seines jungen Alters zu Zwangsarbeiten herangezogen worden. Er sei ins ZAL Annopol eingewiesen worden und habe dort seit August 1941 bis Oktober 1942 verschiedene Zwangsarbeiten verrichtet. Im Oktober 1942 sei es ihm während der Aussiedlung gelungen, sich zu verstecken, und so habe er den Krieg in einem Bunker in Annopol überlebt. Es habe sich um ein in die Erde gegrabenes Versteck gehandelt, ohne Licht und ohne Nahrung, immer nass, und wegen der ständigen Feuchtigkeit habe er eine schwere rheumatische Krankheit mitgemacht. Unter diesen schrecklichen Bedingungen habe er seit Oktober 1942 bis zur Befreiung 1944 gelebt.

In dem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung gab der Kläger seinerzeit an, von August 1941 bis Oktober 1942 im ZAL Annopol Freiheitsentziehungen in Form von Zwangsarbeiten erlitten zu haben.

Der 1907 geborene Zeuge E G erklärte im Entschädigungsverfahren an Eides statt: Er sei im September 1941 ins ZAL Annopol gebracht worden. Hier habe er auch den Kläger getroffen. Dieser habe den Judenstern getragen und auch Zwangsarbeit verrichtet, obwohl er noch ein ganz junges Kind gewesen sei. Er - der Zeuge - sei bis Oktober 1942 in Annopol geblieben, als er in ein anderes ZAL überstellt worden sei. Bis Oktober 1942 habe er auch den Kläger im ZAL Annopol gesehen. Während der Aussiedlung habe er ihn aus den Augen verloren.

Der Kläger beantragte am 20.02.2003 bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Bezugnahme auf das ZRBG. In dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG gab er an: Er habe von August 1941 bis Oktober 1942 während seines Aufenthalts im Ghetto Annopol außerhalb des Ghettos auf dem Gut S (Phosphorgrube) für eine Firma C oder C1 gearbeitet. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei er durch ukrainische Miliz bewacht worden. Er habe 10 Stunden täglich phosphorhaltigen Sand abgetragen. Die Arbeit sei durch zusätzliche Rationen entlohnt worden. Barlohn habe er nicht erhalten. Für seine Tätigkeit habe er Sachbezüge in Form von Lebensmitteln, Brot und Suppe an der Arbeitsstelle zusätzlich zu Unterkunft und Rationen im Ghetto erhalten. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente nach Beiziehung der Entschädigungsakte mit Bescheid vom 24.02.2004 ab und führte zur Begründung aus, eine als Beitragszeit anzurechnende Beschäftigung könne nach dem ZRBG nur für Zeiten während eines zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto in Betracht kommen. Während der vom Kläger behaupteten Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 habe dieser sich seinen Angaben im Entschädigungsverfahren zufolge nicht in einem Ghetto, sondern in einem Zwangsarbeitslager aufgehalten.

Dagegen legte der Kläger am 17.05.2004 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er geltend machte, dass nach den vorliegenden Unterlagen Annopol ausschließlich als Ghetto ausgewiesen gewesen sei. Ein Auszug aus dem Buch von Schwarz "Das nationalsozialistische Lager" werde beigelegt. Nachweise über den Bestand eines Zwangsarbeitslagers lägen nicht vor. Nach Einsichtnahme in die Akte der Jewish Claims Conference (JCC) habe festgestellt werden können, dass auch dort Annopol als Ghetto ausgewiesen gewesen sei. Dem Widerspruch fügte der Kläger Ablichtungen aus dem bei der JCC – Art. 2-Fonds - geführten Verfahren bei. Dort beschrieb er sein Verfolgungsschicksal u. a. wie folgt: Im Oktober 1939 hätten die Deutschen Annopol besetzt. Vor der Stadt habe das Gut S gelegen, das einem Juden gehört habe. Dieser sei mit seiner ganzen Familie deportiert worden. Die SS habe sich ins Gutshaus einquartiert. Die Juden der Stadt Annopol seien ghettomäßig eingesperrt worden. Sie hätten die Stadt nicht verlassen und auch nicht zur Schule gehen dürfen. Nur zur Arbeit seien sie, auch die Kinder, auf das Gut S geschickt worden. Dort habe es phosphorsauren Kalk gegeben. Sie hätten ihn auf Loren geladen. Dieser sei nach Cmielow und weiter nach Deutschland zur Herstellung von Munition transportiert worden. Ab Oktober 1942 hätten die Deutschen begonnen, die Stadt "judenrein" zu machen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2004 mit folgender, den Ausgangsbescheid ergänzender Begründung zurück: Bei den Arbeitsverrichtungen des Klägers im Ghetto Annopol handele es sich um eine für die damalige Zeit nationalsozialistischer Verfolgung typische Form der Zwangsarbeit unter direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei Unterbringung im Ghetto und notdürftiger Versorgung. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger für diese Zwangsarbeiten Lohn erhalten habe. Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis im Ghetto Annopol werde nicht für überwiegend wahrscheinlich gehalten.

Daraufhin hat der Kläger am 16.11.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben, zu deren Begründung er ergänzend vorgetragen hat: Er sei in der Zeit von August 1941 bis Oktober 1942 in der Phosphorgrube auf dem Gut S für die Firma C einer entgeltlichen Tätigkeit nachgegangen. Die Entgeltlichkeit der Arbeit werde durch historische Quellen bestätigt. Aufgrund des Arbeitskräftemangels und der fortschreitenden Massenarmut der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement habe sich die Regierung ab Herbst 1939 veranlasst gesehen, ihre Politik gegenüber den jüdischen Arbeitskräften zu ändern. Seien die Juden im Generalgouvernement bis dahin vor allem zur Zwangsarbeit herangezogen worden, so hätten sie von nun an nach Möglichkeit im freien Arbeitsverhältnis beschäftigt werden sollen. Nach den seinerzeit geltenden Bestimmungen sei den ins freie Arbeitsverhältnis vermittelten Juden ein Lohn in einer festgelegten Höhe zu gewähren gewesen, der 20 % unter dem Lohn für polnische Arbeitskräfte habe liegen müssen. Falls eine Beschäftigung auf Akkordbasis nicht möglich gewesen sei, habe ein Stundenlohn nach einer Tarifordnung für polnische Arbeitskräfte - vermindert um 20 % - gewährt werden sollen. Nach der 9. Durchführungsverordnung vom 31. Oktober 1939 über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz im Generalgouvernement (Regelung von Arbeitsbedingungen der Juden im Generalgouvernement) vom 15. Dezember 1942 hätten Juden Vergütungen für tatsächlich geleistete Arbeit erhalten. Gemäß §§ 106 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) könnten Kinder vom vollendeten siebten Lebensjahres an Willenserklärungen abgeben und Rechtsgeschäfte tätigen. Unter den Voraussetzungen der §§ 112, 113 BGB könne ein Minderjähriger nach Vollendung des siebten Lebensjahr in Dienst oder Arbeit treten. Es stehe außer Zweifel, dass für seine freiwillige Suche einer Beschäftigung im Ghetto im Alter von elf Jahren eine Ermächtigung der Eltern im Sinne des § 113 BGB vorgelegen habe. Unter den bedrückenden Lebensbedingungen im Ghetto sei davon auszugehen, dass alle Eltern versucht hätten, die Kinder von der Notwendigkeit der Aufnahme einer Beschäftigung im Ghetto zu überzeugen, weil dadurch die Möglichkeit bestanden habe, der Deportation in ein Konzentrationslager oder Vernichtungslager zu entgehen und den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen. Durch seine Angaben gegenüber der JCC, den Rentenbehörden und durch die historischen Fakten sei ihm die Glaubhaftmachung einer entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto Annopol gelungen. Für seine Tätigkeit habe er ein Entgelt in Form von Lebensmitteln erhalten. Diese habe er über den sogenannten freien Unterhalt, der jedem Ghettobewohner gewährt worden sei, und über ein Mittagessen am Arbeitsplatz hinaus bekommen.

In einer eidesstattlichen Versicherung vom 19.09.2005 hat der Kläger ausgeführt: Er sei in Annopol geboren und aufgewachsen. Bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht Mitte September 1939 habe er die Schule besucht. Es seien sofort Einschränkungen für die Juden erlassen worden, so dass er die Schule nicht habe weiter besuchen können und als Jude gekennzeichnet gewesen sei. Im August 1941 sei das Ghetto Annopol offiziell erreichtet worden, sie hätten jedoch weiterhin in ihrem eigenen Haus gewohnt, da dieses im Ghettobereich gestanden habe. Wirtschaftlich sei es ihrer Familie sehr schlecht gegangen. Sein Vater sei nur bei Gelegenheitsarbeiten beschäftigt gewesen. Seine Mutter sei mit seinen jüngeren Geschwistern und seiner Großmutter zu Hause geblieben. Mit Hilfe seines Vaters habe er versucht, über den Judenrat eine Arbeit zu bekommen, um zur Ernährung der Familie beizutragen. Er sei für sein Alter ziemlich groß gewesen und schon immer für älter gehalten worden. So habe er einen Arbeitsplatz bei der Firma C erhalten, die auf dem enteigneten Gut S Phosphorabbau betrieben habe. Hier hätten fast nur junge Leute gearbeitet. Sie hätten die phosphorhaltige Erde auf Loren geschaufelt, mit denen sie zur Weiterverarbeitung abtransportiert worden sei. Als Entlohnung für die Arbeit habe er regelmäßig zusätzlich zu den Ghettorationen Lebensmittel erhalten, wie zum Beispiel ein Kilo Brot wöchentlich, Fisch und Kartoffeln. Sein Verdienst sei ein entscheidender Beitrag zum Unterhalt der ganzen Familie gewesen. Im Oktober 1942 hätten die Deutschen begonnen, Annopol "judenrein" zu machen. Damals habe man seinen Vater in das ZAL Janiszow deportiert. Seine Mutter habe auf der Liste für den nächsten Transport nach Krasnik gestanden. Im letzten Moment sei es ihr gelungen, ihn und seine Schwester zu einer christlichen Familie zu schicken, um sie vor den Deportationen zu retten. Seine Mutter sei mit seinem jüngeren Bruder deportiert worden. Er habe bis zu seiner Befreiung im Sommer 1944 in verschiedenen Verstecken gelebt.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.02.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2004 zu verurteilen, ihm nach den Vorschriften des ZRBG unter Berücksichtigung der Zeiten von August 1941 bis Oktober 1942 im Ghetto Annopol eine Altersrente zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten und ergänzend ausgeführt: Nach den Grundsätzen, die das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, aufgestellt habe, erfülle die Gewährung von guter Verpflegung auch bei Arbeitsverhältnissen im Ghetto den Entgeltbegriff selbst dann nicht, wenn diese Verpflegung eine größere Bedeutung gehabt haben könne als die Zahlung von geringem Barlohn. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe habe für die vom Kläger im Ghetto Annopol verrichtete Arbeit keine Beitragspflicht bestanden, weil die Gewährung - wenn auch zusätzlicher - Verpflegung nur als freie Unterhaltsgewährung zu werten sei. Ein Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltcharakter sei nicht glaubhaft gemacht.

Auf das Begehren des Gerichts, die Entschädigungsansprüche zu übersenden, hat die Bezirksregierung Düsseldorf mitgeteilt, dass diese nicht aufgefunden werden könne und offensichtlich auf dem Postweg von der Beklagten zu ihr verloren gegangen sei.

Das SG Düsseldorf hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage mit Urteil vom 20.11.2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Altersrentenanspruch bestehe mangels Beitragszeit in der deutschen Rentenversicherung nicht. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene entgeltliche Tätigkeit während seines zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Annopol ausgeübt habe. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit habe es sich bei den von ihm verrichteten Arbeiten um unentgeltliche Zwangsarbeit gehandelt. Maßgebend seien insoweit zunächst seine Ausführungen im seinerzeit durchgeführten Entschädigungsverfahren, denen das Gericht wegen ihrer relativen Zeitnähe zum Verfolgungsgeschehen im Rahmen der Glaubhaftmachung besonderes Gewicht beimesse. Damals habe der Kläger angegeben, ins "ZAL Annopol" eingewiesen und dort "trotz seines jungen Alters zu verschiedenen Zwangsarbeiten herangezogen" worden zu sein. Dies habe der Zeuge E G seinerzeit bestätigt. Im Übrigen bestehe auch nicht die gute Möglichkeit, dass der Kläger für seine Arbeit beim Phosphorabbau ein die Versicherungspflicht begründendes Entgelt erhalten habe. Denn er habe in dem Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG die Frage nach dem Erhalt von Barlohn verneint und die Form der Entlohnung mit zusätzlichen Rationen neben dem Erhalt von Brot und Suppe an der Arbeitsstelle beschrieben. Es sei aber nichts dafür ersichtlich, dass die zusätzlichen Rationen in einem noch angemessenen Verhältnis zu der körperlich schweren Arbeit auf dem Gut S beim Phosphorabbau gestanden hätten. Es spreche vielmehr vieles dafür, dass diese Rationen in erster Linie zur Erhaltung der Arbeitskraft des Klägers bestimmt gewesen seien.

Gegen das ihm am 12.12.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.02.2007 Berufung eingelegt. Er trägt zu Begründung vor, bei den von ihm auf dem Gut S verrichteten Arbeiten habe es sich um eine freiwillige und entgeltliche Tätigkeit gehandelt. Die für die Arbeit erhaltenen Lebensmittel seien ein entscheidender Beitrag zum Unterhalt der ganzen Familie gewesen.

Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.11.2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2004 zu verurteilen, ihm ab dem 01.07.1997 Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beschäftigungszeit im Ghetto Annopol von August 1941 bis Oktober 1942 und gegebenenfalls weiterer Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat von der JCC die Unterlagen des Art. 2-Fonds und des Zwangsarbeiterfonds beigezogen. Leistungen des Härtefonds wurden vom Kläger nicht beantragt.

Der Kläger hat in seinen Antworten zu den Fragen im Fragebogen des Senats nach der Übersetzung der Diplom-Übersetzerin Denzig (= Übersetzung I) erklärt, ab Sommer 1941 habe es ein Ghetto in Annopol gegebenen. Er sei von Sommer 1941 bis Oktober 1942 dort gewesen. Er habe außerhalb des Ghettos bei der Fa. Butler (Übersetzung des Klägerbevollmächtigten = Übersetzung II: Fa. C) gearbeitet. Er habe Erdarbeiten "(vermutlich:) im landwirtschaftlichen Betrieb von S" (Übersetzung II: auf dem Gut S) verrichtet. Er habe von Beginn des Ghettos an bis zum Ende ununterbrochen sechs Tage in der Woche und ungefähr 10 Stunden pro Tag gearbeitet. Für die Tätigkeit habe er Brotmarken bekommen, mit denen er jede Woche 1 Laib Brot genommen habe (Übersetzung II: 1 kg Brot abgeholt habe). Er habe auch anderes Essen (Übersetzung II: andere Lebensmittel) bekommen: Er erinnere sich an Kartoffeln. Die Gegenleistung für die verrichtete Arbeit habe er wöchentlich erhalten. Im Winter habe es mehr Essen (Übersetzung II: Lebensmittel) im Ghetto gegeben. Die Gegenleistung für die verrichtete Arbeit habe er teilweise bei der Arbeit, teilweise im Ghetto bekommen. Der Arbeitseinsatz sei durch den Judenrat auf seinen Wunsch (Übersetzung II: auf seine Bitte hin) zustande gekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei eine Bewachung durch Ukrainer erfolgt. Während der Arbeit sei keine Bewachung erfolgt. Er sei während der Arbeit nicht misshandelt worden. Er habe Gruben aus der Erde ausgehoben, "(vermutlich:) um Phosphor herauszuholen" (Übersetzung II: Er habe Gruben ausgehoben - in der Erde bis zum Phosphor). Mit ihm zusammen hätten sich im Ghetto aufgehalten: Sohn (?), Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Onkel, Tanten und Großmutter. Er und sein Vater hätten gearbeitet. Er erinnere sich nicht, in welchem Umfang seinen Angehörigen im Ghetto Lebensmittel zur Verfügung gestanden hätten. Zeugen könne er nicht benennen.

Der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen hat zum Kläger keine Angaben machen können.

Von Yad Vashem hat der Senat zwei Audio-Kassetten mit dem Zeitzeugenbericht (YV-Bericht) des Klägers beigezogen und diesen transkribieren und übersetzen lassen. Auf den Inhalt dieses Berichts wird Bezug genommen.

Der Senat hat dem Kläger mit seinen Prozessbevollmächtigten am 15.04.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestelltem Schreiben vom 07.04.2008, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen sich aus dem YV-Bericht des Klägers keine Anhaltspunkte für eine von ihm ausgeübte Beschäftigung ergäben, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 13.05.2008 eingeräumt, die der Kläger nicht genutzt hat.

Auf Anfrage des Senats hat die Deutsche Botschaft in Tel Aviv, Israel, mitgeteilt, dass der Zeuge A X am 04.04.1989 verstorben sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs.1, 110 Abs.1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit des Klägers und seiner Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil seine Prozessbevollmächtigten in der Terminsmitteilung, die ihnen am 27.04.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger daher nicht iS von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Altersrente.

Wie der Senat bereits mit näherer Begründung entschieden hat (zB Urteil v. 06.06.2007, L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de), folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem SGB VI, ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 4, a.A. BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall des Klägers nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes des Klägers (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, juris; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr 17).

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten i.S.d. §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr 1, m.w.N.).

Der Kläger hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat, und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Von den vorgenannten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG kann schon die Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden.

Nicht feststellbar im Sinne einer guten Möglichkeit ist, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum beim Phosphorabbau die behaupteten Tätigkeiten verrichtet hat. Einziges Mittel der Glaubhaftmachung ist der Vortrag des Klägers. Zeugen stehen nicht mehr zur Verfügung. Der Vortrag des Klägers im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Streitverfahren ist jedoch nicht geeignet, eine von ihm im streitgegenständlichen Zeitraum ausgeübte Tätigkeit im Sinne einer Glaubhaftmachung feststellen zu können. Denn dieser Vortrag stimmt nicht mit dem YV-Bericht überein, aus dem sich keine Anhaltspunkte für eine vom Kläger ausgeübte Beschäftigung ergeben. Es finden sich insbesondere keine Hinweise darauf, dass er selbst bei der Fa. C oder im Phosphorabbau gearbeitet hat. Die Fa. C findet zwar auf Seite 10 der Übersetzung im YV-Bericht Erwähnung. Der Kläger hat dort berichtet, dass diese Firma im Straßenbau tätig gewesen sei. In diesem Zusammenhang hat er auch weitere Firmen erwähnt, die mit Phosphaten zu tun gehabt hätten. Sein Vater habe dorthin gehen müssen. Anschließend ist der Kläger ausdrücklich zu seinem Leben bis 1942 befragt worden, insbesondere dazu, welche Arbeit er gehabt habe. Auch in diesem Zusammenhang hat der Kläger nicht von einer von ihm selbst verrichteten Arbeit berichtet. Er hat vielmehr geschildert, dass der Lebensunterhalt seiner Familie durch seinen Vater sichergestellt worden sei, der Fische gefangen und mit diesen gehandelt habe. Im Übrigen hätten sie noch ein bisschen Geld gehabt, wovon sie etwas zu essen gekauft hätten. Von Brotmarken bzw. Gutscheinen, die der Kläger in seinen Antworten auf die Fragen des Senats angegeben hat, hat er nichts erwähnt. Auch über einen eigenen Beitrag zum Unterhalt seiner ganzen Familie, den der Kläger in seiner Erklärung vom 18.09.2005 angegeben hat, ist dem YV-Bericht nichts zu entnehmen. Den vorgenannten Umständen kommt ein erheblicher Beweiswert zu. Denn bei dem YV-Bericht handelt es sich um die einzige den gesamten Zeitraum der Verfolgung betreffende und detaillierteste Schilderung des Klägers, insbesondere auch dazu, wie der Lebensunterhalt seiner Familie gesichert worden ist. Die übrigen Darstellungen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal sind demgegenüber weitaus weniger genau und umfassend, was ihren Beweiswert gegenüber dem des YV-Berichts zurücktreten lässt.

Auf diese Gesichtspunkte ist der Kläger vom Senat unter dem 07.04.2008 hingewiesen und es ist ihm Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden, die er nicht genutzt hat. Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen bestehen somit nicht mehr.

Da bereits die Ausübung einer Beschäftigung nicht iS einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, kann daher letztlich auch dahinstehen, ob die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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