L 8 R 25/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 41 (15) R 270/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 25/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.12.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente. Dabei ist insbesondere umstritten, ob Arbeitszeiten des Klägers im Ghetto Marcinkance als Ghetto-Beitragszeiten auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen sind.

Der am 00.00.1925 in Grodno/Polen als polnischer Staatsangehöriger geborene Kläger ist jüdischen Glaubens, lebt heute in Israel und ist seit 1968 im Besitz der israelischen Staatsangehörigkeit. Entschädigungsleistungen nach dem BEG hat der Kläger nicht beantragt. Es ist nicht als Verfolgter des Nationalsozialismus gem. § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt.

Anlässlich seines im Jahre 2001 bei der Jewish Claims Conference (JCC) - Art. 2-Fonds - eingeleiteten Verfahrens auf Entschädigungsleistungen machte der Kläger geltend, er habe sich von Januar bis November 1942 im Ghetto Marcinkance aufgehalten. Er sei im Januar 1942 mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern in das Ghetto Marcinkance eingewiesen worden. Er sei vom Ghetto jeden Tag aus zu verschiedenen Arbeiten geführt worden. Außerdem hätten seine Eltern und er, sooft sich die Gelegenheit geboten und ihre Zeit es erlaubt habe, der ansässigen Bevölkerung bei landwirtschaftlichen Arbeiten geholfen und dafür etwas Lebensmittel bekommen, so dass sie den Hunger etwas hätten stillen können. Als das Ghetto im November 1942 liquidiert worden sei, seien alle Ghettohäftlinge getötet worden, darunter auch seine Eltern und seine drei Geschwister (geboren 1927, 1931 und 1933). Ihm und noch einigen Häftlingen sei die Flucht gelungen. Er habe sich in den Wäldern der Umgebung versteckt, habe in den in der Nähe gelegenen Dörfern um etwas Essbares gebettelt und auf den Feldern in der Nacht Kartoffeln und Rüben gestohlen. Im Juli 1944 sei er von den Russen befreit worden. Er sei als einziger von seiner Familie am Leben geblieben.

Am 04.11.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Hinweis auf die Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Er gab unter dem 06.01.2003 an, von Januar 1942 bis November 1942 innerhalb und außerhalb des Ghettos Marcinkance bei der Eisenbahn, beim Holzhauen und in der Sägemühle täglich acht bis zwölf Stunden gearbeitet zu haben. Manchmal sei er von polnischen Polizisten während der Arbeit bewacht worden. Meistens hätten sie unbewacht gearbeitet. Er habe die Gleise in Ordnung halten sollen. Im Sägewerk habe er Holz gehackt und gesägt. Der Arbeitseinsatz sei durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Die Arbeit sei durch Geld und Essen entlohnt worden. Für die Arbeit an der Eisenbahn hätten sie von Deutschen Geld (in Rubel) erhalten. Sachbezüge habe er für seine Tätigkeit nicht erhalten. Als Zeugen benannte der Kläger Herrn N X, I/lsrael, N-Str. 00.

In dem von der Beklagten übersandten Fragebogen für die Anerkennung von Zeiten unter Berücksichtigung des ZRBG gab er an, von November 1941 bis November 1942 im Ghetto Marcinkance gewesen zu sein. Er habe außerhalb des Ghettos bei der Eisenbahn gearbeitet und die Gleise der Eisenbahn verstärkt. Täglich habe er zehn bis zwölf Stunden gearbeitet. Auf den Wegen von und zur Arbeit bzw. während der Arbeit sei er nicht bewacht worden. Die Arbeit sei durch "einige Mark" entlohnt worden. Auf die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe täglich/wöchentlich und von wem er Barlohn erhalten habe, antwortete der Kläger, er habe "einige Marken monatlich" erhalten. Sachbezüge habe er nicht erhalten. Der Arbeitseinsatz sei durch den Judenrat zustande gekommen.

In dem Antragsformular gab der Kläger an, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört zu haben. Er habe von 11/1941 bis 11/1942 im Ghetto Marcinkance, Polen (Litauen), gearbeitet. Die Höhe des Entgelts sei nicht erinnerlich. Seit dem 20.06.1968 halte er sich in Israel auf. Beiträge zur israelischen Nationalversicherung (Bituach Leumi) habe er für den Zeitraum von 1968 bis 1995 entrichtet.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.12.2004 die Bewilligung der Regelaltersrente ab. Zur Begründung führte sie aus, die geltend gemachten Arbeitszeiten bei der Eisenbahn, beim Holzhauen und in der Sägemühle des Ghettos Marcinkance von Januar bis November 1942 könnten nicht anerkannt werden, weil sie wegen der in seinen verschiedenen Erklärungen voneinander abweichenden Angaben nicht glaubhaft seien.

Den hiergegen am 19.01.2005 erhobenen Widerspruch, den der Kläger nicht begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2005 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27.06.2005 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Er sei von Januar 1942 bis November 1942 im Ghetto Marcinkance gewesen und habe sich freiwillig über die Arbeitsverwaltung des Judenrates Tätigkeiten als Arbeiter gesucht. Für seine Arbeit habe er laut eigener Erklärung Sachbezüge (täglich Essen und wöchentlich zusätzliche Lebensmittel für zu Hause) sowie Bargeld erhalten. Es werde die Einholung eines historischen Gutachtens über die Verhältnisse im Ghetto Marcinkance angeregt.

Zur Stützung seines Begehrens hat der Kläger eine schriftliche Erklärung des Zeugen Michael X vom 02.02.2006 vorgelegt, der darin erklärt hat:

"Mit Herrn N C waren wir seit unserer Kindheit befreundet und benachbart. Von November 1941 bis November 1942 waren wir zusammen im Ghetto Marcinkance und haben zusammen auf der Eisenbahn freiwillig gearbeitet. Auf der Eisenbahn haben wir einige Monate gearbeitet, dann haben wir eine Sägemühle gebaut. Dafür bekamen wir von der Eisenbahn- und Ghettoverwaltungen einen Lohn in Mark monatlich, an die Höhe erinnere ich mich nicht mehr, und konnten damit unseren Familien helfen."

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2005 zu verurteilen, seine Tätigkeiten von Januar 1942 bis November 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen und ihm Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 unter Berücksichtigung der weiteren Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide weiterhin für zutreffend gehalten.

Das SG hat den Zeugen N X schriftlich befragt. Dieser hat unter dem 17.09.2006 erklärt:

"Von November 1941 bis November 1942 hat N C auf der Eisenbahn gearbeitet. Der Arbeitgeber war Judenrat. Der unmittelbare Leiter war ein Pole namens L. Dort hat er Bau- und Reinigungsarbeiten erfüllt. Dann hat er bei der Wiederherstellung der Sägemühle gearbeitet, diese Arbeit hat er auch durch Judenrat bekommen. Der Leiter war ein Volksdeutscher aus Poznan. Täglich hat er 8-10 Stunden gearbeitet. Auf dem Weg von und zur Arbeit und während der Arbeit wurde er nicht bewacht. Er wurde nicht misshandelt. Er erhielt einen Lohn in den Okkupationsmarken von der Eisenbahnverwaltung monatlich. Ich habe mit Herrn N die ganze Zeit zusammen gearbeitet."

Mit Einverständnis der Beteiligten hat das SG ohne mündliche Verhandlung entschieden und durch Urteil vom 20.12.2006 die Klage abgewiesen. Eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Nach der erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände sei es bereits zweifelhaft, ob der Kläger tatsächlich während des gesamten geltend gemachten Zeitraumes bei der Eisenbahn gearbeitet habe, wie er und der Zeuge N X im Klageverfahren behauptet hätten. Denn im Rahmen seiner Erklärung vom 06.01.2003 habe der Kläger angegeben, dass er auch beim Holzhacken und in der Sägemühle gearbeitet habe. Darüber hinaus sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss aufgenommen und gegen Entgelt ausgeübt habe. Das Vorliegen eines versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses lasse sich auch nicht auf ein historisches Gutachten stützen, sondern nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilen.

Gegen das ihm am 02.01.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.01.2007 Berufung eingelegt. Er habe eidesstattlich erklärt, im Ghetto freiwillig und gegen Lohn beschäftigt gewesen zu sein.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.12.2006 und unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2005 zu verurteilen, ihm eine Versicherungsunterlage über die Tätigkeit von Januar 1942 bis November 1942 im Ghetto Marcinkance nach dem ZRBG herzustellen und die Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 unter Berücksichtigung der weiteren Verfolgungszeit als Ersatzzeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Zur Existenz eines Ghettos hat der Senat Auskünfte des Centers for Advanced Holocaust Studies (CAHS) in Washington/USA und von Yad Vashem (YV) in Jerusalem/Israel eingeholt. Nach der Auskunft des CAHS ist ein Ghetto in Marcinkance in den ersten Apriltagen 1942 eingerichtet worden. Das Ghetto habe aus wenigen Häusern bestanden und sei von einem Holzzaun umgeben gewesen (ein geschlossenes Ghetto). Dennoch sei es nicht hermetisch abgeschlossen gewesen, da es einige Löcher im Zaun gegeben habe und die Juden in der Lage gewesen seien, relativ frei aus- und einzugehen und illegalen Handel mit örtlichen Kleinbauern zu betreiben. Es habe drei Hauptarbeitsorte für die Bewohner des Ghettos gegeben: an der Bahnstation, beim Straßenbau und in der Pilzfabrik. Das Ghetto sei am Montag, dem 02.11.1942, liquidiert worden. Nach der Auskunft von YV ist nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Juni 1941 im Herbst in Marcinkance ein umzäuntes Ghetto außerhalb des Ortes an der Bahnlinie errichtet worden. Ein Judenrat sei einberufen worden. Durch Bestechung der deutschen und litauischen Wachposten seien das Verlassen des Ghettos und der Tauschhandel mit der Landbevölkerung möglich gewesen. Ein Teil der Bewohner des Ghettos sei bei Deutschen beschäftigt gewesen. Man sei aber auch zu Arbeitseinsätzen aus dem Ghetto geholt worden. Am 02.11.1942 sei das Ghetto liquidiert worden. Auf den weiteren Inhalt dieser Auskünfte nebst beigefügten Unterlagen wird verwiesen.

Nach Auskunft der JCC - Zwangsarbeiterfonds - hat der Kläger eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals im Ghetto "Marcinkowice" in den Jahren 1941-1942 erhalten. Leistungen vom Härtefonds seien nicht beantragt worden.

Zu seinem Verfolgungsschicksal ist der Kläger vom Senat mittels eines Fragebogens befragt worden. Auf seine Antworten hierzu wird Bezug genommen.

Schließlich ist von YV das dort vorliegende Zeitzeugeninterview des Klägers beigezogen, transkribiert und übersetzt worden. Zu Arbeiten in Marcinkance und Umgebung und seinem Ghettoaufenthalt hat der Kläger darin Folgendes angegeben:

Zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Krieges habe sein Vater in Marcinkance gearbeitet. Er habe dort eine leitende Stellung erhalten. Auf einem riesigen Platz von mehreren Kilometern seien Stämme auf Züge geladen worden. Sein Vater habe den gesamten Platz geleitet. Er - der Kläger - sei mit der gesamten Familie am 01./02.06 1941 nach Marcinkance gezogen. Er habe Geld verdienen wollen, obwohl er damals erst siebzehn Jahre alt gewesen sei. Da seien er und zwei seiner Freunde zu seinem Vater gegangen und hätten ihn um Arbeit gebeten. Sein Vater habe ihnen mehrere Eisenbahnwaggons mit Stämmen zugeteilt. Für die Arbeit hätten sie Geld bekommen. Das sei genau am 22.06.1941 gewesen. Am Tag darauf seien die Deutschen bereits bei ihnen gewesen. Nach dem Einmarsch der Deutschen hätten sie ihren Alltag nicht weiter gelebt. Sie seien sofort zu allen möglichen Arbeiten herangezogen worden. In den ersten Tagen möge es ein wenig durcheinander zugegangen sein, aber danach hätten sie sich organisiert.

Zu der Frage "Wie griff man Sie auf?" hat der Kläger geantwortet, in der Kleinstadt sei sofort ein Judenrat gegründet worden. Sie seien zum Rat gekommen und hätten so und so viele Arbeiter für den einen oder anderen Ort verlangt.

Zu der Frage "Was geschah mit Ihnen?" hat der Kläger angegeben, er sei zur Arbeit gegangen. Meist habe er bei den Schienen gearbeitet. Man habe sie, eine Gruppe von fünf, sechs Mann fünf, sechs Kilometer weit weg geschickt. Sie hätten irgendwohin gehen und Sand unter die Balken schaufeln müssen, weil die vorbeifahrende Bahn immer etwas gewackelt habe. Und noch alle möglichen anderen Arbeiten.

Zu der Frage "Wo hat man sich versammelt?" hat der Kläger erklärt, sie hätten noch in ihren eigenen Häusern gewohnt.

Zu den Fragen "Wenn Sie zur Arbeit gingen, wie bekamen Sie zunächst einmal die Anordnung, zur Arbeit zu gehen? Woher wussten Sie, wo Sie sich zu versammeln hatten? Wie sind Sie von dort zur Arbeit gekommen?" hat der Kläger ausgeführt, das Versammeln sei schwierig gewesen, aber sie hätten es gewusst, weil sie im Wald gearbeitet hätten. So sei es zu Anfang, im ersten Monat gewesen.

Er sei mit weiteren Familienangehörigen nach einer Entscheidung seines Vaters, zweier Onkel und eines Cousins seins Vaters nach Nowy-Dwor geschickt worden. Er sei der einzige gewesen, der etwas verdient habe. Er sei arbeiten gegangen. In der Nähe von Nowy-Dwor habe es viele Landbesitzer gegeben. Die hätten ihn zur Arbeit geschickt. Die Landbesitzer habe es nicht mehr gegeben, weil sie zum Teil nach England, zum Teil nach Sibirien geflohen seien. Von dort habe er etwas Obst und Gemüse geholt, so gut es gegangen sei. So habe er ungefähr einen Monat lang gelebt, vielleicht sei es auch weniger als ein Monat gewesen.

Eine goldene Uhr und einen Ring, den er vor den Deutschen habe verstecken können, hätten sie später in Marcinkance verkauft, um Essen zu bekommen.

In Marcinkance habe es einen Judenrat gegeben. Der Vorsitzende des Judenrats sei ein Verwandter von ihm gewesen, Aharon Kobrowski. Von ihm habe man Arbeiter für verschiedene Arbeitsplätze verlangt, und er habe die Arbeiter geschickt. Er sei manchmal im Wald arbeiten gegangen, an verschiedenen Orten. In einer Pilzfabrik. In Marcinkance hätten alle mit Holz zu tun gehabt, mit Waldfrüchten, mit Pilzen und was sonst im Wald noch wachse. Bei seinem Onkel sei eine Fabrik gebaut worden. Dort seien die Pilze gekocht und in Fässern nach Deutschland, nach Frankreich und auch nach Polen geschickt worden. Dort hätten viele Juden, aber auch Nichtjuden gearbeitet. Manchmal sei er dorthin geschickt worden. Sie hätten angefangen, alles für ihren Lebensunterhalt zu verkaufen. Sie hätten veräußert, was von ihren Wertgegenständen geblieben sei, das was im Haus gewesen sei. Die Juden seien irgendwie noch zurecht gekommen. Sie seien nicht reich gewesen, denn sein Vater sei Angestellter gewesen. Sie hätten immer das billigste Fleisch (z.B. den Kopf, die Zunge) gekauft. Sie seien irgendwie zurecht gekommen. Außerdem seien sie in die Wälder gegangen, hätten Pilze und Waldbeeren gesucht. Im Herbst, als es Kartoffeln gegeben habe, seien sie zu den Nichtjuden gegangen und hätten beim Einsammeln der Kartoffeln geholfen. Für einen Tag Arbeit erhielten sie einen Sack Kartoffeln.

Bis Anfang 1942 sei das Leben irgendwie weiter gegangen. Dann habe man angefangen, sie ins Ghetto zu schicken. Damals sei in der Kleinstadt ein Ghetto errichtet worden. Bis Februar/März 1942 habe jeder in seinem Haus gewohnt. Im März sei ein Teil der Kleinstadt abgegliedert worden, vom Städtchen getrennt.

Auf die Frage "Wie wurdet ihr ins Ghetto umgesiedelt?" hat der Kläger angegeben, jeder sei eigenständig umgezogen. Auf die Fragen "Wo stand das? Wer sagte Ihnen das?" hat der Kläger erklärt, man habe ihnen gesagt, dass hier und da das Ghetto sein werde. Man habe die Nichtjuden aus einem Viertel heraus geholt. Dort seien die Nichtjuden recht arm gewesen, die Häuser armselig. Ihnen habe man gesagt, dass sie dort heraus müssten. Dann hätten die Juden Weisung bekommen. Der Rat habe nach eigenem Ermessen verteilt, beschlossen, wer in dies und jenes Haus ziehe. Sie seien beispielsweise zusammen mit den Familien U, F und N in einem kleinen Haus untergebracht worden. Er sei jeden Tag zur Arbeit gegangen. Nach der Arbeit habe er es noch geschafft, mit seiner Mutter zum Pilzesuchen zu eilen, damit sie wenigstens etwas zu essen gehabt hätten. Vom Ghetto aus seien sie im Herbst gegangen, um Nichtjuden bei der Kartoffelernte zu helfen. Dafür hätten sie Kartoffeln bekommen. Sein Vater habe nicht gehen können. Vor Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und Polen habe es einen deutschen Händler gegeben, der dort eine große Holzfabrik gehabt habe. Es habe einen Ort gegeben, an dem Strom erzeugt worden sei. Dort habe sich auch eine Mühle befunden, wo er gearbeitet habe. Einen Monat vor dem Krieg ... in Polen hätten sich damals viele Dinge ereignet. Er habe alles in Brand gesteckt. Die Deutschen hätten es wieder aufbauen wollen. Da sein Vater Holzfachmann gewesen sei, sei er von den Deutschen zusammen mit dem deutschen Gouverneur zum Arbeitsleiter ernannt worden. Das Gebiet habe planiert werden müssen. Ein Gehalt habe er jedoch nicht bekommen. Vater sei dort hin gegangen. Er und Mutter hätten für den Unterhalt der Familie gesorgt, denn er sei der Älteste gewesen. Sie seien Pilze suchen gegangen. Sie hätten Pilze gesammelt und sie an die Deutschen verkauft. Für jeweils zwanzig Kilo Pilze hätten sie ein Kilo Zucker erhalten. Sie hätten viel Zucker gehabt, den sie getauscht hätten. So eine Art von Geschäft.

Zu Hause hätten sie Jiddisch oder Hebräisch gesprochen. Draußen hätten sie Jiddisch und Polnisch gesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs.1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit des Klägers und seines Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil sein Prozessbevollmächtigter in der Terminsmitteilung, die ihm am 14.05.2008 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Eine Beiladung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Knappschaft-Bahn-See (KBS) gem. § 75 Abs. 2 SGG musste nicht erfolgen. Denn gem. § 273 Abs. 3 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bleibt die Zuständigkeit eines Rentenversicherungsträgers, wenn am 31.12.2004 bei einem bisher zuständigen Träger der Rentenversicherung ein laufender Geschäftsvorfall bestand, bis zu dessen Abschluss erhalten. Danach verbleibt es bei der Zuständigkeit der Beklagten trotz der vom Kläger behaupteten Tätigkeiten an den Eisenbahnschienen unabhängig davon, ob diese ihrer Art nach überhaupt zur Zuständigkeit der DRV KBS führen könnten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Denn am 31.12.2004 bestand bei der Beklagten als zuständigem Träger ein laufender Geschäftsvorfall. Zum genannten Zeitpunkt bestand nämlich die Zuständigkeit der Beklagten gem. §§ 126 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 128, 130 SGB VI (in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung -aF-) iVm Art. 29 des Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommens vom 17.12.1973 in der Fassung des Änderungsabkommens vom 07.01.1986 (DISVA). Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren angegeben, bei der Eisenbahn Gleise in Ordnung gehalten und sodann im Sägewerk Holz gehackt und gesägt zu haben. Eine etwaige Zuständigkeit der (damaligen) Bahnversicherungsanstalt aufgrund der vom Kläger behaupteten Beschäftigung bei der Eisenbahn wäre gem. § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB VI aF durch die Aufnahme der letztgenannten Beschäftigung beendet gewesen, denn die Beschäftigung als Arbeiter im Sägewerk hätte die Zuständigkeit der Beklagten als Träger der allgemeinen Arbeiterrentenversicherung gem. §§ 126 Abs. 1 Satz 1, 128 Satz 1 Nr. 1, 130 SGB VI aF iVm Art. 29 DISVA begründet. Es handelte sich insoweit ersichtlich nicht um eine Beschäftigung gem. § 128 Satz 1 Nr. 2 SGB VI aF. Im Übrigen hat sich auch eine versicherungspflichtige Beschäftigung, die eine Zuständigkeit der (damaligen) Bahnversicherungsanstalt bzw. der DRV KBS als ihrer Rechtsnachfolgerin ab dem 01.10.2005 (vgl. Art 82 Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung) hätte begründen können, nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung feststellen lassen.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger daher nicht iS von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Altersrente.

Nach der Rechtsprechung des Senats (zB Urteil vom 06.06.2007, L 8 R 54/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de) folgt der Anspruch auf Altersrente allein aus dem SGB VI, ohne dass das ZRBG eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellen würde (ebenso BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R, aA BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R). Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente kann daher im Fall des Klägers nur § 35 SGB VI sein. Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes des Klägers (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R).

Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen hier nur Beitrags- und Ersatzzeiten iS der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", dh Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, mwN).

Der Kläger hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Da die Reichsversicherungsgesetze im damaligen Bezirk Bialystok, in dem Marcinkance lag, nicht galten (vgl. BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R), könnte eine Berücksichtigung von Beitragszeiten nur nach den Bestimmungen des ZRBG erfolgen.

Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden (§ 1 Abs. 2 ZRBG iVm § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, dh mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Von den vorgenannten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG kann schon die Aufnahme und Ausübung einer Beschäftigung während eines zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden.

Unabhängig von der historischen Frage, in welchem Zeitraum ein Ghetto in Marcinkance tatsächlich existierte, kann ein Aufenthalt des Klägers im Ghetto in Marcinkance in den Monaten Januar und Februar 1942 nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden. Nach seinen Angaben im YV-Bericht habe jeder bis Februar/März 1942 in seinem Haus gewohnt. Im März sei ein Teil der Kleinstadt abgegliedert worden, vom Städtchen getrennt, in den sie hätten umsiedeln müssen. Danach hat der Kläger mit seinen Eltern und Geschwistern frühestens ab März 1942 im Ghetto Marcinkance gelebt. Der YV-Bericht ist der im Hinblick auf die Umsiedlung des Klägers und seiner Eltern und Geschwister in das Ghetto Marcinkance ausführlichste und detailreichste, so dass diesem ein gegenüber den anderen abweichenden Angaben des Klägers deutlich höherer Beweiswert zukommt, zumal die eigenen Angaben des Klägers zum Beginn seines Aufenthalts im Ghetto Marcinkance im Übrigen auch uneinheitlich sind. Im Verwaltungsverfahren hat der Kläger den Beginn seines Ghettoaufenthalts einerseits auf Januar 1942, andererseits auf November 1941 datiert. Gegenüber der JCC hat der Kläger einen Aufenthalt im Ghetto ab Januar 1942 angegeben. Im Streitverfahren hat er wiederum erklärt, sich seit November 1941 im Ghetto Marcinkance aufgehalten zu haben. Aufgrund seiner Angaben im YV-Bericht kann aus den dargelegten Gründen daher im Sinne einer Glaubhaftmachung ein Aufenthalt im Ghetto Marcinkance erst ab März 1942 angenommen werden. Im Hinblick auf das Ende seines Ghettoaufenthalts im November 1942 sind die Angaben des Klägers übereinstimmend. Der Senat hat daher keine Zweifel, dass der Kläger sich bis zu diesem Zeitpunkt im Ghetto Marcinkance aufgehalten hat.

Für den Zeitraum ab März 1942 bis November 1942 kann der Senat nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung feststellen, dass der Kläger im Ghetto Marcinkance eine Beschäftigung ausgeübt hat, ggf. welche. Dies gilt sowohl für die vom Kläger geltend gemachten Tätigkeiten an oder bei den Eisenbahnschienen, als auch für sonstige Tätigkeiten. Es ist nicht glaubhaft, dass nur ein und dieselbe Tätigkeit durchgehend in dem gesamten vorgenannten Zeitraum vom Kläger verrichtet wurde. Gegenüber der JCC hat er angegeben, dass er vom Ghetto jeden Tag aus zu verschiedenen Arbeiten geführt worden sei. In seinem YV-Bericht finden sich, obwohl der Kläger sehr ausführlich schildert, wo und unter welchen Bedingungen er gearbeitet hat, für den vorgenannten Zeitraum keine Anhaltspunkte für eine durchgehend an den Eisenbahnschienen ausgeübte Tätigkeit, noch nicht einmal dafür, dass er während seines Ghettoaufenthalts diese Arbeiten überhaupt verrichtet hat. Für den Zeitraum der deutschen Besatzung ist von dem Kläger angegeben worden, dass sie "zu allen möglichen Arbeiten herangezogen" worden seien und "er meist bei den Schienen" gearbeitet habe. Vom Judenrat seien die Arbeiter für verschiedene Arbeitsplätze verlangt worden, und er habe die Arbeiter geschickt. Er sei manchmal im Wald arbeiten gegangen, an verschiedenen Orten, u.a. in einer Pilzfabrik. Vom Ghetto seien sie im Herbst gegangen, um Nichtjuden bei der Kartoffelernte zu helfen. Im Ghetto sei er jeden Tag zur Arbeit gegangen. Arbeiten an oder bei den Eisenbahnschienen hat der Kläger für den Zeitraum des Ghettoaufenthalts nicht mehr ausdrücklich angegeben, auch nicht, welche sonstigen Arbeiten er während seines Ghettoaufenthalts ausgeübt hat. Bei der Gesamtwürdigung seiner sämtlichen Aussagen lässt sich nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung feststellen, ob und in welchem Zeitraum er während seines Ghettoaufenthalts welche Arbeiten verrichtet hat. Auch die Bekundungen des Zeugen X lassen aufgrund ihrer Widersprüche keine andere Bewertung zu. Zu der Arbeit bei den Eisenbahnschienen hat der Zeuge X in zwei Erklärungen vom 02.02.2006 und 17.09.2006 angegeben, dass sie - der Kläger und er - zusammen von November 1941 bis November 1942 im Ghetto Marcinkance gewesen seien. Am 02.02.2006 hat der Zeuge erklärt, dass sie zusammen einige Monate auf der Eisenbahn gearbeitet, dann eine Sägemühle gebaut hätten. In der Erklärung vom 17.09.2006 hat der Zeuge den Ablauf so dargestellt, dass der Kläger von November 1941 bis November 1942 auf der Eisenbahn und später bei der Wiederherstellung der Sägemühle gearbeitet hätte. Diese zweite Variante kann nicht zutreffen. Denn der Kläger hat sich nur bis zum 02.11.1942 im Ghetto Marcinkance aufgehalten. Wenn er, wie der Zeuge X am 17.09.2006 bekundet hat, bis November 1942 "auf der Eisenbahn" gearbeitet hat, kann er danach die ebenfalls vom Zeugen X für den Zeitraum danach angegebene Tätigkeit bei der Wiederherstellung der Sägemühle nicht verrichtet haben. Legt man die erste Variante des Zeugen X zugrunde, kann dies bedeuten, dass der Kläger an den Eisenbahnschienen nur vor seinem Ghettoaufenthalt gearbeitet hat. Aus den oben genannten Gründen ist die Darstellung des Zeugen X, der Kläger habe durchgehend über mehrere Monate die Arbeiten "auf der Eisenbahn" verrichtet, nicht glaubhaft. Aufgrund der Widersprüche zwischen beiden Erklärungen und auch zu den Angaben des Klägers kann der Senat auf der Grundlage der Zeugenaussagen eine konkrete Beschäftigung des Klägers nicht iS einer Glaubhaftmachung feststellen.

Unabhängig davon, ob und ggf. welche Beschäftigung der Kläger im Ghetto Marcinkance in welchen Zeiträumen verrichtet hat, kann auch nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden, dass diese Arbeiten gegen Entgelt ausgeübt wurden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b) ZRBG).

Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (aF). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 aF neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO aF; vgl. zum Folgenden insbesondere BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; vom 7.10.2004, aaO; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt iS von § 1227 RVO aF ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es zB bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, zB der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelfall als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist (sog. Hilfskriterium bei Beweisnot; vgl. Senat, Urteil v. 6.6.2007, aaO). Da andererseits unter den freien Unterhalt iS des § 1227 RVO aF nur Sachleistungen fallen, erfüllen Geldleistungen seine Voraussetzungen nicht, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht erreichen. Die Ausgabe von Lebensmittelkarten oder -coupons unter Ghettobedingungen ist dabei als Gewährung von Sachbezügen, nicht als Geldleistung anzusehen (vgl. Urteil des Senats vom 28.01.2008, L 8 RJ 139/04, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist nicht glaubhaft, dass der Kläger im Ghetto Marcinkance eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat. Denn im YV-Bericht finden sich keine Anhaltspunkte für eine gegen Barlohn ausgeübte Tätigkeit. Das einzige Mal, als der Kläger Geld für von ihm ausgeübte Arbeit erhalten hat, wird von ihm genau geschildert: Dies war im Juni 1941 noch vor der Besetzung durch die Deutschen. Zu den während seines Ghettoaufenthalts ausgeübten Tätigkeiten - mit Ausnahme der Tätigkeiten bei der Kartoffelernte und dem Handel mit Pilzen und anderen Waren - hat der Kläger hinsichtlich einer dafür gewährten Gegenleistung unmittelbar keine Angaben gemacht. Er hat jedoch erklärt, nach der Arbeit habe er es noch geschafft, mit seiner Mutter zum Pilze suchen zu eilen, damit sie wenigstens etwas zu essen gehabt hätten. Vom Ghetto seien sie im Herbst gegangen, um Nichtjuden bei der Kartoffelernte zu helfen. Dafür hätten sie Kartoffeln bekommen. Sein Vater habe nicht gehen können. Der Kläger und seine Mutter hätten für den Unterhalt der Familie gesorgt, denn er sei der Älteste gewesen. Sie seien Pilze suchen gegangen. Sie hätten Pilze gesammelt und sie an die Deutschen verkauft. Für jeweils zwanzig Kilo Pilze hätten sie ein Kilo Zucker erhalten. Sie hätten viel Zucker gehabt, den sie getauscht hätten. Diese Schilderungen machen deutlich, dass der Kläger für die von ihm verrichteten Arbeiten Sachbezüge nur in einem das Maß freien Unterhalts nicht übersteigenden Umfang erhalten hat. Denn einen Beitrag zum Familienunterhalt konnte er nach seinen eigenen Angaben damit nicht leisten. Als entscheidend für die Sicherstellung des Familienunterhalts wird vielmehr der Handel mit Pilzen und mit den dafür eingetauschten Waren angegeben. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Die Schilderung des Klägers stellt umfassend und eingehend die Versorgungssituation seiner Familie und die Beiträge der einzelnen Familienmitglieder zum Lebensunterhalt der Familie dar. Sie hat damit gegenüber den früheren und späteren Erklärungen des Klägers, die nicht annähernd so präzise und umfassend sind und in wesentlichen Punkten von seinem YV-Bericht abweichen, den ungleich höheren Beweiswert.

Es kann auch nicht iS einer Glaubhaftmachung festgestellt werden, dass der Kläger eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) ZRBG im Ghetto Marcinkance aufgenommen hat. Für die Tätigkeiten im Wald beim Fällen von Bäumen und bei der Errichtung des Sägewerks hat der Kläger dies zuletzt in seinen Antworten zum Fragebogen des Senats auch eingeräumt. Dies entspricht letztlich auch seinen Angaben gegenüber der JCC und YV, wo davon die Rede ist, dass er zur Arbeit geführt bzw. vom Judenrat geschickt worden sei. Dafür, dass dies bezüglich der Arbeit an den Eisenbahnschienen anders gewesen sein könnte, ergeben sich aus den Schilderungen des Klägers gegenüber der JCC und YV keine Anhaltspunkte. Vor diesem Hintergrund und auch im Hinblick auf die in einigen Punkten nicht glaubhaften Angaben des Klägers und des Zeugen X zur Art der Beschäftigung und der Entlohnung sind auch ihre Erklärungen im Hinblick auf einen eigenen Willensentschluss nicht glaubhaft.

Die Tätigkeit als Erntehelfer im Herbst 1941 und 1942 stellt keine Beschäftigung in einem Ghetto gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG dar. Für Herbst 1941 ergibt sich dies daraus, dass zu diesem Zeitpunkt nach den eigenen Angaben des Klägers gegenüber Yad Vashem noch kein Ghetto in Marcinkance existierte bzw. er in einem solchen noch nicht lebte. Die im Herbst 1942 ausgeübte Erntehilfe wurde außerhalb eines Ghettos verrichtet. Auch Arbeiten außerhalb des räumlichen Bereichs des Ghettos werden von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss einer im Ghetto aufgenommenen Beschäftigung sind. Hierfür reicht es, dass die Arbeit dem Verfolgten von einem Unternehmer oder einer Ghettoautorität, zB dem Judenrat oder dem jüdischen Arbeitsamt, im Ghetto angeboten worden ist (Urteil des Senats vom 28.01.2008, L 8 RJ 139/04, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Hierfür liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor. Daraus, dass die Tätigkeit vor der Ghettoerrichtung im Herbst 1941 ebenfalls schon verrichtet worden war, ergibt sich vielmehr, dass sie mit dem zwangsweisen Aufenthalt im Ghetto in keinem Zusammenhang stand. Eine Beteiligung des Judenrates oder einer sonstigen "Ghetto-Autorität" ist daher nicht ersichtlich und ist vom Kläger nicht vorgetragen worden.

Der vom Kläger mit seiner Familie betriebene Tauschhandel mit Pilzen, Zucker und sonstigen Waren stellt eine selbständige Tätigkeit und damit keine Beschäftigung dar, so dass dieser nicht zu einer Beitragszeit führen kann.

Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) und dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) liegen schon deshalb nicht vor, weil der Kläger nach seinen Angaben gegenüber YV zu den im persönlichen Bereich verwendeten Sprachen (Jiddisch, Hebräisch, Polnisch) nicht dem dSK angehörte (vgl. §§ 17 a FRG, 20 WGSVG).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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