L 5 B 5/09 KR ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KR 76/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 B 5/09 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 11.01.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (AS) nimmt die Antragsgegnerin (AG) auf Kostenübernahme für ein Mobilitätstraining in Anspruch.

Die am 00.0.1937 geborene AS ist bei der AG gegen das Risiko Krankheit versichert. Sie ist aufgrund degenerativer Veränderungen der Makula und Glaskörperblutungen späterblindet. Die AG gewährte der AS bereits jeweils 20 Unterrichtsstunden Mobilitäts- und Orientierungstraining. Am 01.09.2008 beantragte die Rehabilitationslehrerin H. namens und im Auftrag der AS die Kostenübernahme für einen 60-stündigen Unterricht zum Erlernen lebenspraktischer Fähigkeiten (LPF-Unterricht). H. führte u.a. aus, dass die AS durch den LPF-Unterricht in die Lage versetzt werden solle, auch bei völliger Erblindung ohne dauernde fremde Hilfe in ihrer Wohnung verbleiben zu können. Als Lerninhalte sollten die Zubereitung kleiner Mahlzeiten, das Kochen auf 2 Platten, das Markieren, Sortieren und Waschen von Wäsche, das Bügeln, das Ausführen kleinerer Reparaturen sowie das Erlernen systematischer Ordnungsprinzipien vermittelt werden.

Die AG lehnte diesen Antrag ab und führte im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem geltend gemachten LPF-Unterricht um eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 des Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)) handele, für deren Gewährung jedoch eine Anspruchsgrundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht vorhanden sei. Angesichts dessen solle sich die AS mit dem zuständigen Sozialhilfeträger in Verbindung setzen (Bescheid vom 03.11.2008) Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die AG zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.02.2009). Den Leistungsantrag hatte die AG zwischenzeitlich an die Gemeinde S. weitergeleitet.

Am 04.12.2008 hat die AS bei dem Sozialgericht (SG) Duisburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und die AG auf Kostenübernahme für den begehrten LPF-Unterricht in Anspruch genommen. Das SG hat den Antrag abgelehnt (Beschluss vom 11.01.2009). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.

Hiergegen wendet sich die AS mit der Beschwerde. Sie vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass sich aus §§ 14, 26 und 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX die Verpflichtung der AG ergebe, die Kosten für den LPF-Unterricht zu übernehmen, ohne zuvor die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu überprüfen.

Auf Nachfrage des Senats hat sich die AS nicht bereit erklärt, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse gegenüber dem Senat offen zu legen.

Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der die AS betreffenden Verwaltungsakte der AG.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 142 Abs. 2 Satz 2 SGG Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses.

Ergänzend ist Folgendes zu berücksichtigen:

Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht, weil eine Anspruchsgrundlage im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), die die AG zur Gewährung des begehrten LPF-Unterrichts verpflichten könnte, nicht ersichtlich ist. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V verpflichtet die Krankenkasse zur Gewährung von Hilfsmitteln, wobei es sich um Gegenstände handeln muss, die außerdem die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen müssen. Nach dieser Vorschrift hat die AS Anspruch auf Versorgung mit Blindenlangstöcken, wobei der Anspruch auf Versorgung auch die Einweisung in den Gebrauch umfasst (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 4 SGB V). Diesen Anspruch hat die AG durch die Gewährung des Mobilitätstrainings erfüllt. Die Gewährung von darüber hinausgehenden Maßnahmen der blindentechnischen Grundausbildung - wie der Umgang mit Essbesteck, Nahrungszubereitung, Wäschewaschen - ist im Recht der GKV nicht möglich. Eine Anspruchsgrundlage findet sich entgegen der Ansicht der AS auch nicht in § 14 SGB IX. Diese Vorschrift regelt lediglich das Verfahren zur Klärung des zuständigen Rehabilitationsträgers, vermag demgegenüber jedoch eigenständige Leistungsansprüche nicht zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 19.12.2006 - L 5 B 66/06 KR ER). Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, weil § 55 SGB IX in dieser Vorschrift nicht erwähnt und ausdrücklich angeordnet wird, dass die zu erbringenden Leistungen nicht zu den Leistungen zur allgemeinen sozialen Eingliederung gehören dürfen.

Bei dem geltend gemachten LPF-Unterricht handelt es sich mithin - worauf die AS und die AG zutreffend abstellen - gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX um Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Zuständige Träger für die Gewährung dieser Leistungen sind nach §§ 5 Nr. 4, 6 Abs. 1 SGB IX u.a. die Träger der Sozialhilfe, nicht jedoch die gesetzlichen Krankenkassen (vgl. Baur in: Jahn/Jung, SGB XII, § 54, Rdn. 54). Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung bestimmen sich gemäß § 7 Satz 2 SGB IX nach den für den zuständigen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, in der hier gegebenen Konstellation also nach den §§ 53 ff. SGB XII (vgl. auch Meusinger in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zu Grundsicherung, § 54 SGB XII, Rdn 58; VG Lüneburg, Urteil vom 20.04.2004 - 4 A 314/02). Da die AS im Ergebnis Leistungen der Eingliederungshilfe i.S.d. § 16 Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglVO) begehrt, ist sie grundsätzlich verpflichtet, ihr Einkommen (§§ 85 Abs. 1, 87 SGB XII) und Vermögen (§ 90 SGB XII) einzusetzen. Die erforderliche Prüfung konnte der Senat nicht durchführen, da sich die AS auch auf Nachfrage nicht bereit erklärt hat, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen. Auch wenn die AG den Antrag nicht innerhalb der in § 14 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen 2-Wochen-Frist weitergeleitet hat, führt dies entgegen der Ansicht der AS nicht dazu, dass die AG als nunmehr zuständiger Rehabilitationsträger bzw. Träger der Eingliederungshilfe den geltend gemachten LPF-Unterricht ohne Prüfung der "Bedürftigkeit" zu bewilligen hat.

Entgegen der von der Beigeladenen vertretenen Ansicht handelt es sich nicht bereits deshalb um eine Leistung der GKV, weil die Spitzenverbände der Krankenkassen (mit Ausnahme des AOK-Bundesverbandes) in der "Empfehlung zur Kostenübernahme eines medizinischen Basistrainings für blinde und sehbehinderte Menschen vom 13.09.2006" empfohlen haben, ausschließlich medizinische Leistungen des Trainings für blinde und sehbehinderte Menschen, die mit der sensomotorisch-perzeptiven Behandlung nach den Heilmittel-Richtlinien vergleichbar sind, im Einzelfall dann zu übernehmen, wenn diese von Rehabilitationslehrern für Blinde und Sehbehinderte durchgeführt werden. Denn abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob sich ein LPF-Unterricht unter die Empfehlung der Spitzenverbände subsumieren lässt und überdies die erforderliche vertragsärztliche Verordnung (vgl. 3. der Empfehlung) nicht vorliegt, können Empfehlungen und Besprechungsergebnisse der Spitzenverbände gesetzliche Zuordnungen und Leistungsinhalte nicht übergehen. Schließlich ist fraglich, ob die AG den in der Empfehlung vom 13.09.2006 genannten Leistungsanspruch nicht bereits durch die Gewährung von jeweils 20 Stunden Mobilitäts- und Orientierungstraining erfüllt hat.

Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die AS einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Auch in diesem Zusammenhang ist zunächst auf die aus Sicht des Senates zutreffenden Erwägungen in den Gründen der sozialgerichtlichen Entscheidung zu verweisen. Darüber hinaus lässt auch das Verhalten der AS grundsätzlich den Schluss zu, dass Eilbedürftigkeit nicht anzunehmen ist: Die AG hat der AS bereits jeweils 20 Stunden Mobilitäts- und Orientierungstraining bewilligt. Dieses deckt nach Ansicht des Senats wenigstens einen Teilbereich der von der AS für notwendig erachteten Ausbildung ab. Zwar steht die Mobilität des Menschen und sein Interesse, die täglichen Verrichtungen des Lebens in der ihm vertrauten (häuslichen) Umgebung eigenständig und weitgehend ohne fremde Hilfe durchführen zu können, unter dem besonderen Schutz des Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsgebot (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09 m.w.N.). Bestünde jedoch ein derart dringender Bedarf wie von der AS geschildert, so hätte es sich aufgedrängt, die Anfrage des Senats nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu beantworten und dem Senat auf diese Weise eine abschließende Prüfung zu ermöglichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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