Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 278/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 6/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 39/08 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorfs vom 08.11.2006 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, wie der Ausgleich einer Doppelbelastung durch Honorarabzüge wegen degressionsbedingter Punktwertabsenkungen einerseits und wegen Überschreitens individueller Bemessungsgrenzen andererseits zu erfolgen hat.
Der Kläger ist als Kieferorthopäde in C niedergelassen.
Ab dem 2. Quartal 2003 wurden in den jeweiligen Quartalsbescheiden wegen Überschreitung der dem Kläger auf der Grundlage des § 85 Abs. 4b ff Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zustehenden degressionsfreien Punktmenge in Höhe von (i.H.v.) 437.500 Punkten Honorarabzüge vorgenommen. Mit Abrechnung des Quartals IV/2003 (Belastungsanzeige vom 05.04.2004) stellte die Beklagte für das Jahr 2003 bei insgesamt 989.832 abgerechneten Punkten eine Überschreitung von 552.332 Punkten und darauf beruhend einen Honorarabzug i.H.v. 60.630,97 Euro fest, der den beteiligten Krankenkassen gutgeschrieben wurde.
Gleichzeitig erteilte sie unter dem 13.04.2004 eine Schlussabrechnung für das Jahr 2003, mit der sie endgültige Honorareinbehalte gemäß § 4 Abs. 1 a ihres Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) i.H.v. von insgesamt 26.520,26 Euro (14.279,24 Euro/Primärkassen und 12.241,02 Euro/Ersatzkassen) festsetzte, die sich aus der Überschreitung der Abrechnungswerte für KFO und alle übrigen Leistungsarten gegenüber den individuellen Honorargrenzen ergaben.
Dagegen legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Degressionsreglung verfassungswidrig sei.
Unter dem 17.05.2004 erteilte die Beklagte dem Kläger vor dem Hintergrund, dass nach mehreren Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21.05.2003 bei der Ermittlung der Vergütungsminderungen gemäß § 85 Abs. 4b SGB V nicht vergütete Punkte aus der Honorarverteilung nicht zu berücksichtigen seien, eine "Gutschriftsanzeige" über 10.458,79 Euro. Zur Berechnung der Gutschrift zog sie die in 43.100 Punkte umgerechneten HVM-Einbehalte i.H.v. 26.520,26 Euro von der degressionswirksamen Punktmengenüberschreitung ab. Auf der Grundlage der damit auf 509.232 Punkte reduzierten Punktmengenüberschreitung verringerte sich der Honorarbzug von 60.630,97 Euro auf 50.172,18 Euro.
Den weitergehenden Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2004 zurück: Mit Gutschriftsanzeige vom 17.05.2004 habe der Kläger für das Jahr 2003 eine Erstattung aufgrund Doppelbelastung (HVM/Degression) in Höhe von 10.458,79 EUR erhalten. Nach sachlich/rechnerischer Überprüfung ergäben sich keine abweichenden endgültigen Honorareinbehalte.
Mit Klage vom 03.12.2004 hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte habe nur die Degressionskürzungen unter Anrechnung der HVM-Kürzungen neu berechnet und habe damit die Berechnungen des BSG in seinem Urteil vom 21.05.2003 - B 6 KA 25/02 R - nicht umgesetzt. Die Degressionsabzüge seien an die Krankenkassen zurückgeflossen und somit nicht an ihn ausgezahlt worden. Gleichwohl würden die nicht ausgezahlten Honoraranteile rechtswidrig bei der Honorarverteilung berücksichtigt, so dass es zu einer doppelten Kürzung käme.
Der Kläger hat beantragt,
den Honorarbescheid IV/2003 vom 13.04.2004 in der Gestalt des Bescheides vom 17.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2004 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine neue Honorarabrechnung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen,
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, mit ihrer Berechnung habe sie den Vorgaben des BSG entsprochen und eine Doppelbelastung vermieden. Sie habe den von dem Kläger begehrten "Auszahlungspunktwert" in Form eines individuellen "Zahnarzt-Punktwertes" ermittelt, indem sie das von dem Kläger angemeldete Honorar in Euro durch die insgesamt abgerechneten Punkte nach Maßgabe des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes dividiert habe. Aus diesem individuellen Punktwert sei der auf dem HVM beruhende Honorareinbehalt unter Berücksichtigung der bei retrospektiver Betrachtung anzuwendenden Honorargrenzen des betroffenen Jahres in Punkte umgerechnet worden. Die so ermittelten "Kürzungspunkte nach Maßgabe des HVM" seien von der der Vergütungsminderung wegen Punktmengendegression nach § 85 Abs. 4b SGB V zugrundeliegenden Grenze abgezogen worden. Dadurch habe sich eine geringere - fiktive - Punktmengenüberschreitung nach Maßgabe des § 85 Abs. 4b SGB V ergeben. Dies habe das Honorarvolumen, das der Ermittlung des Degressionsabzugsbetrages zugrunde gelegen habe, reduziert und schließlich den "neuen Degressionsabzug" ergeben.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 08.11.2006 stattgegeben: Die Entscheidung der Beklagten sei zwar im Ansatz zutreffend; eine Berücksichtigung des Degressionsabzugs im Rahmen der Honorarverteilung sei mit der Neuberechnung aber nicht erfolgt. Da dem Kläger durch die Degressionseinbehalte immer noch ein Betrag von 50.172,18 Euro entzogen werde, sei insoweit die honorarmäßige Grundlage beseitigt worden. Dies sei bei der erforderlichen Neuberechnung der endgültigen Honorareinbehalte nach § 4 Abs. 1a HVM zu berücksichtigen.
Gegen das am 02.01.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 02.02.2007 Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft: Sie habe zunächst die Punktwertminderung im Rahmen der Degression nach Maßgabe der Vereinbarung gemäß § 85 Absatz 4 e Satz 5 SGB V ermittelt und die sich daraus ergebenden Beträge an die Krankenkassen ausgezahlt. Der sich danach ergebende Degressionsabzug stehe nicht zu ihrer Disposition und sei nach ihrem Verständnis der Rechtsprechung des BSG auch nicht bei der Ermittlung von HVM-Einbehalten vollständig in Abzug zu bringen. Dies würde ansonsten letztlich zu einer "Solidarisierung der Degressionsregelung" führen. Sie sei vielmehr gehalten, die Wechselwirkung der gesetzlichen Abschöpfung von Kosteneinsparungen im Rahmen der Punktwertdegression einerseits und die auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Mengenbegrenzungsregelungen in ihrem HVM anderseits zu berücksichtigen. Mit ihrer Berechnung werde der Kläger hinsichtlich der Degression so gestellt, wie sich sein Honorar nach Realisierung der HVM-Einbehalte bemesse. Gleichzeitig werde vermieden, dass der Vertragszahnarzt, der in beiden Bereichen die zulässigen Grenzen überschreite, besser gestellt werde, als der Vertragszahnarzt, der die die Mengenbegrenzungsregelungen des HM beachte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.11.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die vorrangigen Degressionskürzungen, die letztlich zu einem verringerten Punktwert führten, seien bei der bei der Honorarverteilung zu berücksichtigen. Es sei nämlich unzulässig, Honorarabzüge auch von Honoraranteilen vorzunehmen, die ein Vertragsarzt in Folge der vorrangigen Punktwertdegression überhaupt nicht ausgezahlt erhalten habe. Vielmehr sei bei der Honorarverteilung nach dem HVM nur das Honorar zu berücksichtigen, das er nach Abzug der Degressionskürzungen auch tatsächlich erhalten habe.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Neuentscheidung verurteilt; denn die angegriffene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Streitgegenstand ist allein die Frage, ob die Beklagte feststehende Kürzungen aufgrund der Degressionsregelungen des § 85 Abs. 4b SGB V einerseits und HVM-bedingte Kürzungen anderseits in einer Form verrechnet hat, dass eine so genannte Doppelbelastung des Klägers ausgeschlossen ist. Nicht in Frage steht dabei die Richtigkeit des von der Beklagten in der Belastungsanzeige vom 05.04.2004 errechneten Degressionsabzugs i.H.v. 60.630,97 Euro bzw. der Honorarkürzungen aufgrund ihres HVM i.H.v. 26.520,26 Euro. Entgegen dem Vorbringen des Klägers in seinem Widerspruch sind die Degressionsvorschriften des § 85 Abs. 4 b bis 4 f SGB V, die u.a. eine Verringerung des vertragszahnärztlichen Vergütungsanspruchs bei Überschreiten bestimmter Punktmengen vorsehen, mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar (z.B. BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 22; SozR 3-2500 § 85 Nr. 46; SozR 4-2500 § 85 Nr. 2; BVerfG NJW 2000, 3413; NVwZ-RR 2002, 802). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Punktwertminderung im Rahmen der Degression nach Maßgabe der - für sie nicht disponiblen - Vereinbarung gemäß § 85 Absatz 4 e Satz 5 SGB V unzutreffend umgesetzt haben könnte.
Die Frage, ob und wie die Beklagte mögliche Doppelbelastungen aufgrund Degressions- und HVM-Kürzungen zu vermeiden hat, war bereits Gegenstand des vom BSG entschiedenen Rechtsstreit B 6 KA 35/02 R. In dem dort ergangenen Urteil vom 21.05.2003 wurde zunächst klargestellt, dass Honorarbegrenzungen durch die Regelungen über die Punktwertdegression nicht ausgeschlossen sind. Allerdings fordere die für die Honorarverteilung maßgebende Bestimmung des § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem aus Art. 12 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, dass bei HVM-Begrenzungsmaßnahmen die Verringerung des Honoraranspruchs auf Grund der Punktwertdegression berücksichtigt wird. Es sei sachwidrig, von einem Honoraranspruch, der bereits durch die Degression vermindert ist, ohne Rücksicht hierauf zusätzlich einen Honorarabzug durch eine HVM-Begrenzung vorzunehmen.
Weiter heißt es dann: "Die KZÄV muss bei der Anwendung von HVM-Honorarbegrenzungen beachten, ob bzw inwieweit sie hierdurch die honorarmäßige Grundlage für einen Degressionsabzug beseitigt, und ggf den Degressionsabzug mit dem HVM-Honorarabzug verrechnen, dh diesen vermindern."
Die Beklagte ist diesen Vorgaben entsprechend verfahren: Sie hat in ihrer Berechnung berücksichtigt, dass sie bei der Anwendung von HVM-Honorarbegrenzungen ohne die von ihr vorgenommene Verrechnung die honorarmäßige Grundlage für den Degressionsabzug zumindest zum Teil beseitigen würde und insoweit eine Verrechnung von Degressions- und HVM-Abzug vorgenommen.
Sie hat dabei - auch wenn es ggf. den Anschein erwecken könnte - nicht den Degressionseinbehalt neu festgesetzt, sondern wie sich aus der Überschrift ihres Bescheides vom 17.05.2004 (Gutschriftsanzeige) ergibt, die "Erstattung von Honorareinbehalten wegen der Doppelbelastung durch Vergütungsminderung aufgrund Punktenmengenüberschreitungen (§ 85 Abs. 4b SGB V) und durch Honorareinbehalte gemäß § 4 Abs. 1a HVM" berechnet.
Die Berechnung der Beklagten ist nach der o.a. Maßgabe nicht zu beanstanden: Der Kläger hat im Jahr 2003 für ca. 969.000 Punkte ein Honorar von insgesamt 581.385,26 Euro angefordert. Da seine Honorargrenze 554.865,00 Euro betrug, sind 26.520,26 Euro einbehalten worden, das heißt, dass ihm statt der angeforderten ca. 969.000 Punkte nur ca. 925.000 Punkte vergütet wurden. Diese aufgrund der "auf der Anwendung von HVM-Honorarbegrenzungen" (s.o.) beruhende Kürzung hat die "honorarmäßige Grundlage für einen Degressionsabzug beseitigt", und zwar insoweit, als bei der Berechnung der Degressionsüberschreitung auch die über ca. 925.000 Punkten liegenden Punkte eingeflossen sind, für die der Kläger infolge der HVM-bedingten Kürzung letztlich keine Vergütung erhält. Folgerichtig hat die Beklagte die HVM-Kürzung in Punkte umgerechnet und die sich so ergebenden 43.100 Punkte von der ursprünglichen Punktmengenüberschreitung i.S.d. § § 85 Abs. 4b SGB V i.H.v. 552.332 Punkten in Abzug gebracht. Dadurch reduzierte sich die Punktmengenüberschreitung auf 509.000 Punkte und ergab sich - bei nahezu gleichem Abzugsprozentsatz (40,08 statt 40,06%) - ein Honorarabzug von 50.172,18 Euro (statt 60.630,97 Euro) und mithin eine Gutschrift von 10.458,79 Euro.
Der Kläger wurde faktisch damit so gestellt, als wenn sein Gesamthonoraranspruch insoweit nicht der Degression unterliegt, wie er aufgrund der Mengenbegrenzungsregelungen des HVM zu mindern ist. Für eine andere Berechnungsweise ergibt sich kein Anhaltspunkt; insbesondere sieht der Senat keinen Ansatzpunkt für die Forderung des Klägers, im Ergebnis die HVM-Kürzung i.H.v. 26.520,26 Euro durch Verrechnung des Degressionseinbehalts von 60.630,97 Euro faktisch aufzuheben. Berechnungsgrundlage des Degressionseinbehalts sind nach § 85 Abs. 4 b SGB V die vor Eingreifen des HVM abgerechneten Punkte. Nur insoweit, wie diese Punktmenge bei HVM-bedingten Kürzungen (in Punkten) verringert wird, ist dies zu berücksichtigen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 21.05.2003 in dem Rechtsstreit B 6 KA 25/06 R. In dem dort entschiedenen Fall entfiel zwar die Degressionskürzung wegen Doppelbelastung durch HVM-Kürzungen vollständig. Es lagen aber andere Kürzungsvolumina zugrunde. HVM-Kürzungen i.H.v. ca. 110.00 Punkten standen deutlich geringere Degressionskürzungen (ca. 40.000 Punkte) gegenüber. Die Anrechnung der 110.000 Punkte aus der HVM-Kürzung im Rahmen der - fiktiven - Neuberechnung der Degression führte schlicht dazu, dass für eine Degressionskürzung keine Grundlage mehr bestand und dass deshalb zur Vermeidung einer Doppelbelastung der sich zunächst errechnete Kürzungsbetrag aufgrund der Degressionsregelungen auf die HVM-bedingte Honorarkürzung in vollem Umfang anzurechnen war.
Im Übrigen würde die Auffassung des Klägers dazu führen, dass Vertragszahnärzte, die neben einer Degressionskürzung auch einer HVM-Kürzung unterliegen, besser gestellt würden, als die Vertragszahnärzte, die nur der Degressionskürzung unterliegen. Denn dann könnten nur die Vertragszahnärzte, die neben der - gesetzlich vorgegebenen - Degressionskürzung darüber hinaus auch ihr Budget / Kontingent überschreiten, den Degressionsabzug verrechnen, während es bei den Vertragszahnärzten, die nur der Degressionskürzung unterliegen und ansonsten die Mengenbegrenzungsregelungen des HVM beachten, bei dieser Kürzung verbleibt. Die von dem Kläger zu seinen Gunsten geforderte Verrechnung hätte letztlich zur Folge, dass die sich aus den Degressionsregelungen ergebenden Kürzungsbeträge, die bereits vorab durch ihre an die Krankenkassen zwingend zu erfolgende Abführung die Gesamtvergütung gemindert haben, sich ein weiteres Mal zu Lasten des HVM-Topfes und damit zu Lasten aller übrigen Vertragszahnärzte auswirkten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision ist zuzulassen, da der Senat der Frage, wie der Ausgleich einer Doppelbelastung durch Honorarabzüge wegen degressionsbedingter Punktwertabsenkungen einerseits und wegen Überschreitens individueller Bemessungsgrenzen andererseits zu erfolgen hat, trotz der Entscheidungen des BSG vom 21.05.2003 weiterhin grundsätzliche Bedeutung zumisst (§ 160 Abs. Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, wie der Ausgleich einer Doppelbelastung durch Honorarabzüge wegen degressionsbedingter Punktwertabsenkungen einerseits und wegen Überschreitens individueller Bemessungsgrenzen andererseits zu erfolgen hat.
Der Kläger ist als Kieferorthopäde in C niedergelassen.
Ab dem 2. Quartal 2003 wurden in den jeweiligen Quartalsbescheiden wegen Überschreitung der dem Kläger auf der Grundlage des § 85 Abs. 4b ff Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zustehenden degressionsfreien Punktmenge in Höhe von (i.H.v.) 437.500 Punkten Honorarabzüge vorgenommen. Mit Abrechnung des Quartals IV/2003 (Belastungsanzeige vom 05.04.2004) stellte die Beklagte für das Jahr 2003 bei insgesamt 989.832 abgerechneten Punkten eine Überschreitung von 552.332 Punkten und darauf beruhend einen Honorarabzug i.H.v. 60.630,97 Euro fest, der den beteiligten Krankenkassen gutgeschrieben wurde.
Gleichzeitig erteilte sie unter dem 13.04.2004 eine Schlussabrechnung für das Jahr 2003, mit der sie endgültige Honorareinbehalte gemäß § 4 Abs. 1 a ihres Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) i.H.v. von insgesamt 26.520,26 Euro (14.279,24 Euro/Primärkassen und 12.241,02 Euro/Ersatzkassen) festsetzte, die sich aus der Überschreitung der Abrechnungswerte für KFO und alle übrigen Leistungsarten gegenüber den individuellen Honorargrenzen ergaben.
Dagegen legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Degressionsreglung verfassungswidrig sei.
Unter dem 17.05.2004 erteilte die Beklagte dem Kläger vor dem Hintergrund, dass nach mehreren Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21.05.2003 bei der Ermittlung der Vergütungsminderungen gemäß § 85 Abs. 4b SGB V nicht vergütete Punkte aus der Honorarverteilung nicht zu berücksichtigen seien, eine "Gutschriftsanzeige" über 10.458,79 Euro. Zur Berechnung der Gutschrift zog sie die in 43.100 Punkte umgerechneten HVM-Einbehalte i.H.v. 26.520,26 Euro von der degressionswirksamen Punktmengenüberschreitung ab. Auf der Grundlage der damit auf 509.232 Punkte reduzierten Punktmengenüberschreitung verringerte sich der Honorarbzug von 60.630,97 Euro auf 50.172,18 Euro.
Den weitergehenden Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2004 zurück: Mit Gutschriftsanzeige vom 17.05.2004 habe der Kläger für das Jahr 2003 eine Erstattung aufgrund Doppelbelastung (HVM/Degression) in Höhe von 10.458,79 EUR erhalten. Nach sachlich/rechnerischer Überprüfung ergäben sich keine abweichenden endgültigen Honorareinbehalte.
Mit Klage vom 03.12.2004 hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte habe nur die Degressionskürzungen unter Anrechnung der HVM-Kürzungen neu berechnet und habe damit die Berechnungen des BSG in seinem Urteil vom 21.05.2003 - B 6 KA 25/02 R - nicht umgesetzt. Die Degressionsabzüge seien an die Krankenkassen zurückgeflossen und somit nicht an ihn ausgezahlt worden. Gleichwohl würden die nicht ausgezahlten Honoraranteile rechtswidrig bei der Honorarverteilung berücksichtigt, so dass es zu einer doppelten Kürzung käme.
Der Kläger hat beantragt,
den Honorarbescheid IV/2003 vom 13.04.2004 in der Gestalt des Bescheides vom 17.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2004 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine neue Honorarabrechnung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen,
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, mit ihrer Berechnung habe sie den Vorgaben des BSG entsprochen und eine Doppelbelastung vermieden. Sie habe den von dem Kläger begehrten "Auszahlungspunktwert" in Form eines individuellen "Zahnarzt-Punktwertes" ermittelt, indem sie das von dem Kläger angemeldete Honorar in Euro durch die insgesamt abgerechneten Punkte nach Maßgabe des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes dividiert habe. Aus diesem individuellen Punktwert sei der auf dem HVM beruhende Honorareinbehalt unter Berücksichtigung der bei retrospektiver Betrachtung anzuwendenden Honorargrenzen des betroffenen Jahres in Punkte umgerechnet worden. Die so ermittelten "Kürzungspunkte nach Maßgabe des HVM" seien von der der Vergütungsminderung wegen Punktmengendegression nach § 85 Abs. 4b SGB V zugrundeliegenden Grenze abgezogen worden. Dadurch habe sich eine geringere - fiktive - Punktmengenüberschreitung nach Maßgabe des § 85 Abs. 4b SGB V ergeben. Dies habe das Honorarvolumen, das der Ermittlung des Degressionsabzugsbetrages zugrunde gelegen habe, reduziert und schließlich den "neuen Degressionsabzug" ergeben.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 08.11.2006 stattgegeben: Die Entscheidung der Beklagten sei zwar im Ansatz zutreffend; eine Berücksichtigung des Degressionsabzugs im Rahmen der Honorarverteilung sei mit der Neuberechnung aber nicht erfolgt. Da dem Kläger durch die Degressionseinbehalte immer noch ein Betrag von 50.172,18 Euro entzogen werde, sei insoweit die honorarmäßige Grundlage beseitigt worden. Dies sei bei der erforderlichen Neuberechnung der endgültigen Honorareinbehalte nach § 4 Abs. 1a HVM zu berücksichtigen.
Gegen das am 02.01.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 02.02.2007 Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft: Sie habe zunächst die Punktwertminderung im Rahmen der Degression nach Maßgabe der Vereinbarung gemäß § 85 Absatz 4 e Satz 5 SGB V ermittelt und die sich daraus ergebenden Beträge an die Krankenkassen ausgezahlt. Der sich danach ergebende Degressionsabzug stehe nicht zu ihrer Disposition und sei nach ihrem Verständnis der Rechtsprechung des BSG auch nicht bei der Ermittlung von HVM-Einbehalten vollständig in Abzug zu bringen. Dies würde ansonsten letztlich zu einer "Solidarisierung der Degressionsregelung" führen. Sie sei vielmehr gehalten, die Wechselwirkung der gesetzlichen Abschöpfung von Kosteneinsparungen im Rahmen der Punktwertdegression einerseits und die auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Mengenbegrenzungsregelungen in ihrem HVM anderseits zu berücksichtigen. Mit ihrer Berechnung werde der Kläger hinsichtlich der Degression so gestellt, wie sich sein Honorar nach Realisierung der HVM-Einbehalte bemesse. Gleichzeitig werde vermieden, dass der Vertragszahnarzt, der in beiden Bereichen die zulässigen Grenzen überschreite, besser gestellt werde, als der Vertragszahnarzt, der die die Mengenbegrenzungsregelungen des HM beachte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.11.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die vorrangigen Degressionskürzungen, die letztlich zu einem verringerten Punktwert führten, seien bei der bei der Honorarverteilung zu berücksichtigen. Es sei nämlich unzulässig, Honorarabzüge auch von Honoraranteilen vorzunehmen, die ein Vertragsarzt in Folge der vorrangigen Punktwertdegression überhaupt nicht ausgezahlt erhalten habe. Vielmehr sei bei der Honorarverteilung nach dem HVM nur das Honorar zu berücksichtigen, das er nach Abzug der Degressionskürzungen auch tatsächlich erhalten habe.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Neuentscheidung verurteilt; denn die angegriffene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Streitgegenstand ist allein die Frage, ob die Beklagte feststehende Kürzungen aufgrund der Degressionsregelungen des § 85 Abs. 4b SGB V einerseits und HVM-bedingte Kürzungen anderseits in einer Form verrechnet hat, dass eine so genannte Doppelbelastung des Klägers ausgeschlossen ist. Nicht in Frage steht dabei die Richtigkeit des von der Beklagten in der Belastungsanzeige vom 05.04.2004 errechneten Degressionsabzugs i.H.v. 60.630,97 Euro bzw. der Honorarkürzungen aufgrund ihres HVM i.H.v. 26.520,26 Euro. Entgegen dem Vorbringen des Klägers in seinem Widerspruch sind die Degressionsvorschriften des § 85 Abs. 4 b bis 4 f SGB V, die u.a. eine Verringerung des vertragszahnärztlichen Vergütungsanspruchs bei Überschreiten bestimmter Punktmengen vorsehen, mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar (z.B. BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 22; SozR 3-2500 § 85 Nr. 46; SozR 4-2500 § 85 Nr. 2; BVerfG NJW 2000, 3413; NVwZ-RR 2002, 802). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Punktwertminderung im Rahmen der Degression nach Maßgabe der - für sie nicht disponiblen - Vereinbarung gemäß § 85 Absatz 4 e Satz 5 SGB V unzutreffend umgesetzt haben könnte.
Die Frage, ob und wie die Beklagte mögliche Doppelbelastungen aufgrund Degressions- und HVM-Kürzungen zu vermeiden hat, war bereits Gegenstand des vom BSG entschiedenen Rechtsstreit B 6 KA 35/02 R. In dem dort ergangenen Urteil vom 21.05.2003 wurde zunächst klargestellt, dass Honorarbegrenzungen durch die Regelungen über die Punktwertdegression nicht ausgeschlossen sind. Allerdings fordere die für die Honorarverteilung maßgebende Bestimmung des § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem aus Art. 12 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, dass bei HVM-Begrenzungsmaßnahmen die Verringerung des Honoraranspruchs auf Grund der Punktwertdegression berücksichtigt wird. Es sei sachwidrig, von einem Honoraranspruch, der bereits durch die Degression vermindert ist, ohne Rücksicht hierauf zusätzlich einen Honorarabzug durch eine HVM-Begrenzung vorzunehmen.
Weiter heißt es dann: "Die KZÄV muss bei der Anwendung von HVM-Honorarbegrenzungen beachten, ob bzw inwieweit sie hierdurch die honorarmäßige Grundlage für einen Degressionsabzug beseitigt, und ggf den Degressionsabzug mit dem HVM-Honorarabzug verrechnen, dh diesen vermindern."
Die Beklagte ist diesen Vorgaben entsprechend verfahren: Sie hat in ihrer Berechnung berücksichtigt, dass sie bei der Anwendung von HVM-Honorarbegrenzungen ohne die von ihr vorgenommene Verrechnung die honorarmäßige Grundlage für den Degressionsabzug zumindest zum Teil beseitigen würde und insoweit eine Verrechnung von Degressions- und HVM-Abzug vorgenommen.
Sie hat dabei - auch wenn es ggf. den Anschein erwecken könnte - nicht den Degressionseinbehalt neu festgesetzt, sondern wie sich aus der Überschrift ihres Bescheides vom 17.05.2004 (Gutschriftsanzeige) ergibt, die "Erstattung von Honorareinbehalten wegen der Doppelbelastung durch Vergütungsminderung aufgrund Punktenmengenüberschreitungen (§ 85 Abs. 4b SGB V) und durch Honorareinbehalte gemäß § 4 Abs. 1a HVM" berechnet.
Die Berechnung der Beklagten ist nach der o.a. Maßgabe nicht zu beanstanden: Der Kläger hat im Jahr 2003 für ca. 969.000 Punkte ein Honorar von insgesamt 581.385,26 Euro angefordert. Da seine Honorargrenze 554.865,00 Euro betrug, sind 26.520,26 Euro einbehalten worden, das heißt, dass ihm statt der angeforderten ca. 969.000 Punkte nur ca. 925.000 Punkte vergütet wurden. Diese aufgrund der "auf der Anwendung von HVM-Honorarbegrenzungen" (s.o.) beruhende Kürzung hat die "honorarmäßige Grundlage für einen Degressionsabzug beseitigt", und zwar insoweit, als bei der Berechnung der Degressionsüberschreitung auch die über ca. 925.000 Punkten liegenden Punkte eingeflossen sind, für die der Kläger infolge der HVM-bedingten Kürzung letztlich keine Vergütung erhält. Folgerichtig hat die Beklagte die HVM-Kürzung in Punkte umgerechnet und die sich so ergebenden 43.100 Punkte von der ursprünglichen Punktmengenüberschreitung i.S.d. § § 85 Abs. 4b SGB V i.H.v. 552.332 Punkten in Abzug gebracht. Dadurch reduzierte sich die Punktmengenüberschreitung auf 509.000 Punkte und ergab sich - bei nahezu gleichem Abzugsprozentsatz (40,08 statt 40,06%) - ein Honorarabzug von 50.172,18 Euro (statt 60.630,97 Euro) und mithin eine Gutschrift von 10.458,79 Euro.
Der Kläger wurde faktisch damit so gestellt, als wenn sein Gesamthonoraranspruch insoweit nicht der Degression unterliegt, wie er aufgrund der Mengenbegrenzungsregelungen des HVM zu mindern ist. Für eine andere Berechnungsweise ergibt sich kein Anhaltspunkt; insbesondere sieht der Senat keinen Ansatzpunkt für die Forderung des Klägers, im Ergebnis die HVM-Kürzung i.H.v. 26.520,26 Euro durch Verrechnung des Degressionseinbehalts von 60.630,97 Euro faktisch aufzuheben. Berechnungsgrundlage des Degressionseinbehalts sind nach § 85 Abs. 4 b SGB V die vor Eingreifen des HVM abgerechneten Punkte. Nur insoweit, wie diese Punktmenge bei HVM-bedingten Kürzungen (in Punkten) verringert wird, ist dies zu berücksichtigen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 21.05.2003 in dem Rechtsstreit B 6 KA 25/06 R. In dem dort entschiedenen Fall entfiel zwar die Degressionskürzung wegen Doppelbelastung durch HVM-Kürzungen vollständig. Es lagen aber andere Kürzungsvolumina zugrunde. HVM-Kürzungen i.H.v. ca. 110.00 Punkten standen deutlich geringere Degressionskürzungen (ca. 40.000 Punkte) gegenüber. Die Anrechnung der 110.000 Punkte aus der HVM-Kürzung im Rahmen der - fiktiven - Neuberechnung der Degression führte schlicht dazu, dass für eine Degressionskürzung keine Grundlage mehr bestand und dass deshalb zur Vermeidung einer Doppelbelastung der sich zunächst errechnete Kürzungsbetrag aufgrund der Degressionsregelungen auf die HVM-bedingte Honorarkürzung in vollem Umfang anzurechnen war.
Im Übrigen würde die Auffassung des Klägers dazu führen, dass Vertragszahnärzte, die neben einer Degressionskürzung auch einer HVM-Kürzung unterliegen, besser gestellt würden, als die Vertragszahnärzte, die nur der Degressionskürzung unterliegen. Denn dann könnten nur die Vertragszahnärzte, die neben der - gesetzlich vorgegebenen - Degressionskürzung darüber hinaus auch ihr Budget / Kontingent überschreiten, den Degressionsabzug verrechnen, während es bei den Vertragszahnärzten, die nur der Degressionskürzung unterliegen und ansonsten die Mengenbegrenzungsregelungen des HVM beachten, bei dieser Kürzung verbleibt. Die von dem Kläger zu seinen Gunsten geforderte Verrechnung hätte letztlich zur Folge, dass die sich aus den Degressionsregelungen ergebenden Kürzungsbeträge, die bereits vorab durch ihre an die Krankenkassen zwingend zu erfolgende Abführung die Gesamtvergütung gemindert haben, sich ein weiteres Mal zu Lasten des HVM-Topfes und damit zu Lasten aller übrigen Vertragszahnärzte auswirkten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision ist zuzulassen, da der Senat der Frage, wie der Ausgleich einer Doppelbelastung durch Honorarabzüge wegen degressionsbedingter Punktwertabsenkungen einerseits und wegen Überschreitens individueller Bemessungsgrenzen andererseits zu erfolgen hat, trotz der Entscheidungen des BSG vom 21.05.2003 weiterhin grundsätzliche Bedeutung zumisst (§ 160 Abs. Nr. 1 SGG).
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