L 9 AL 59/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 13 AL 31/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 59/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.03.2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs - und Erstattungsbescheides.

Der am 00.00.1940 geborene Kläger bezog vom 16.1.2002 bis 7.4.2003 Krankengeld bzw. Übergangsgeld von der Krankenkasse. Nach Erschöpfung des Anspruchs meldete er sich am 14.3.2003 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld, das ihm diese mit Bescheid vom 11.4.2003 für die Dauer vom 8.4. bis 31.7.2003 bewilligte.

Während der Dauer der beiden vorgenannten Verwaltungsverfahren hatte die Beigeladene auf Grund eines Rehabilitationsantrages vom 25.2.2002 darüber zu entscheiden, ob und welche Rente dem Kläger zu bewilligen sei. Sie bewilligte diesem zunächst eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Bescheid vom 18.2.2003 und fragte unter anderem bei der Beklagten mit Schreiben vom 18.2.2003 an, ob sie im Hinblick auf eine vorgesehene rückwirkende Bewilligung der Leistung ab 1.1.2002 eine Erstattungsforderung geltend mache. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 27.2. 2003 mit, dass keine Leistungen ihrerseits bewilligt worden seien.

Im Rahmen der nachfolgenden Bewilligung des Arbeitslosengeldes hat die Beklagte - so ihre Behauptung - mit Schreiben vom 11.4.03 bei der Beigeladenen vorsorglich einen Erstattungsanspruch nach §§ 103 bzw. 104 SGB X im Hinblick auf das noch laufende Rentenverfahren geltend gemacht, weil sie ab 8.4.2003 Arbeitslosengeld zahle. Dieses Schreiben ist nicht bei der Beigeladenen eingegangen.

Da der Kläger gegen den Bescheid über die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente Widerspruch erhoben hatte, bewilligt ihm die Beigeladene im weiteren Verwaltungsverfahren mit Bescheid vom 2.7.2003 eine Altersrente wegen Schwerbehinderung ab 1.1.2002. Die laufende Zahlung begann am 1.8.2003. Aus dem angefallenen Nachzahlungsbetrag in Höhe von EUR 17.806,97 erfüllte sie den Erstattungsanspruch der Krankenkasse in Höhe von EUR 13.669,94, den diese als Erstattungsforderung geltend gemacht hatte. Den weitergehenden Betrag von EUR 4.137,93 zahlte sie mit Bescheid vom 25.7.2003 dem Kläger persönlich aus.

Im Hinblick auf das laufende Rentenverfahren machte die Beklagte mit Schreiben vom 13.8.2003 an die Beigeladene erneut einen Erstattungsanspruch nach §§ 103 bzw. 104 SGB X geltend, da sie Arbeitslosengeld gezahlt habe, das möglicherweise im Falle einer Leistungsbewilligung im Rentenverfahren einen Erstattungsanspruch nach den genannten Vorschriften begründe. Anlässlich dessen Bearbeitung teilte die Beigeladene am 19.8.2003 der Beklagten mit, dass ihr Erstattungsschreiben vom 11.4.2003 nicht bei ihr eingegangen sei und nicht vorliege, und dass sie den restlichen Erstattungsbetrag dem Kläger ausgezahlt habe.

Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 16.9.2003 die Bewilligung des Arbeitslosengeldes für die Dauer vom 8.4. bis 31.7.2003 auf und forderte den ausgezahlten Betrag in Höhe von EUR 3.857,18 zurück, da der Kläger nicht davon habe ausgehen können, dass er sowohl die Rente als auch das Arbeitslosengeld für denselben Zeitraum beziehen könne. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld habe wegen der nachträglichen Rentenzahlung geruht. Die Beklagte wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Bescheid vom 30.10.2003 zurück. Im anschließenden Klageverfahren (S 9 (3) AL 219/05) nahm der Kläger am 27.4.2006 die Klage zurück und beantragte gleichzeitig die Überprüfung des Bescheides vom 16.9.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2003 auf seine Rechtmäßigkeit gemäß § 44 SGB X.

Die Beklagte lehnte auch diesen Antrag mit Bescheid vom 6.7.2006 ab, da ihre ursprüngliche Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidung vom 17.9.2003 rechtmäßig gewesen sei. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid am 31.7.2006 Widerspruch und meinte, er habe erst ab 1.8.2003 Rente erhalten und müsse den geforderten Betrag deshalb auch nicht erstatten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14.8.2006 mit der bisherigen Begründung zurück.

Hiergegen richtet sich die am 11.9.2006 erhobene Klage. Der Kläger ist bei seiner Meinung verblieben, er habe den Nachzahlungsbetrag von EUR 17.806,97 nicht erhalten. Er brauche daher keine Forderung zu erstatten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6.7.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2006 zu verpflichten, den Bescheid vom 16.9.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2003 zurückzunehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtens gehalten.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.3.2007 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen das am 26.4.2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.5.2007 eingelegte Berufung des Klägers. Er verbleibt zu deren Begründung bei seiner Auffassung, dass er die monatliche Rente erst ab 1.8.2003 erhalten habe. Dies sei ihm erst mit Rentenbescheid vom 2.7.2003 mitgeteilt worden. Er habe zwar vom 8.4. bis 31.7.2003 Arbeitslosengeld bezogen. Er habe zu dieser Zeit aber noch nicht gewusst, dass er eine Rente beziehen würde. Er könne nicht erkennen, dass er die Leistungsüberzahlung grob fahrlässig verursacht habe.

Der Kläger ist mit Postzustellungsurkunde am 11.5.2009 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 4.6.2009 geladen worden. Er hat mit Schreiben vom 20.5.2009 mitgeteilt, dass er den Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen würde. Dem Schreiben ist ein Arztbrief vom 14.4.2003 der Anstalt C an den behandelnden Arzt beigefügt, der die Diagnose: Bandscheibenvorfall in Höhe LWK 4/5 ausweist. Zu der von der Anstalt angeregten Operation habe sich der Kläger damals noch nicht entscheiden können.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.3.2007 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6.7.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2006 zu verurteilen, den Bescheid vom 16.9.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2003 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze, die Akten der Beklagten, die Akte des Sozialgerichts Detmold - S 9 (3) AL 219/05 - sowie die Akte der Beigeladenen - xxx - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat trotz der Abwesenheit des Klägers vom mündlichen Verhandlungstermin eine Entscheidung treffen können, da dieser auf die Möglichkeit in der Ladung nach § 111 Absatz 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden ist, die er nach eigenen Angaben auch erhalten hat. Sein Nichterscheinen hat er zwar mit Gesundheitsstörungen entschuldigt. Abgesehen davon, dass der vorgelegte Arztbrief aber bereits aus dem Jahr 2003 stammt und damit nichts über den Umfang einer heutigen gesundheitlichen Beeinträchtigung und Bewegungseinschränkung aussagt, hat der Kläger keinen Vertagungsantrag gestellt. Es ist nach Aktenlage auch kein wichtiger Grund erkennbar, der den Senat zu einer Vertagung von Amts wegen hätte veranlassen müssen. Die Streitsache ist entscheidungsreif gewesen und der Kläger hat im Verfahren seine Möglichkeit zur Äußerung auch ausreichend wahrgenommen.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht die Rücknahme des bestandskräftigen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 16.9.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2003 abgelehnt.

Nach § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil die Beklagte die Leistungsbewilligung des Arbeitslosengeldes vom 8.4. bis 31.7.2003 mit dem ursprünglichen Verwaltungsakt vom 16.9.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2003 zu Recht aufgehoben hatte. In den tatsächlichen Verhältnissen ist im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X gegenüber dem damaligen Bewilligungszeitpunkt des Arbeitslosengeldes (Bescheid vom 14.4.2003) eine wesentliche Änderung eingetreten. Dem Kläger ist nämlich mit Bescheid vom 2.7.2003 von der Beigeladenen eine Altersrente wegen Schwerbehinderung rückwirkend ab 1.1.2002 bewilligt worden. Die laufende Rentenzahlung hat am 1.8.2003 begonnen. Damit sind ihm für die Zeit vom 8.4. bis 31.7.2003 zeitgleich zwei Sozialleistungen bewilligt worden. Die Beklagte hat bereits in ihrem Widerspruchsbescheid vom 30.10.2003 zu Recht dargelegt, dass wegen der Bewilligung auch der Altersrente nunmehr der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 142 Absatz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) während der gleichzeitigen Auszahlungszeit geruht hat. Entgegen der Auffassung des Klägers, der regelmäßig auf den Beginn der laufenden Rentenzahlung ab 1.8.2003 abgestellt hat, ist nach § 48 Absatz 3 Satz 3 SGB X als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse und damit als Beginn des Anrechnungszeitraumes der Beginn des neuen Leistungsanspruchs maßgebend - hier der 1.1.2002. Dies bedeutet für den Kläger, dass die Beklagte zu Recht die vergangene Zeit vom 8.4. bis 31.7.2003 vor der laufenden Rentenzahlung ab 1.8.2003 als Änderungszeitraum angesehen hat und sich zur Vermeidung des Bezugs einer doppelten Sozialleistung durch den Kläger wegen ihrer nachrangig gesetzlich festgelegten Leistungspflicht nach § 142 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III um die Rückabwicklung der erbrachten Arbeitslosengeldleistung in Höhe von EUR 3.857,18 bemüht hat.

Obwohl der Leistungsausgleich zwischen einem nachrangig und vorrangig verpflichteten Leistungsträger normalerweise gemäß § 103 Absatz 1 SGB X im Erstattungsweg allein zwischen diesen ohne Einschaltung des Leistungsempfängers zu erfolgen hat, hat sich die Beklagte im vorliegenden Fall zu Recht mit dem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 16.9.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2003 direkt an den Kläger gewandt. Denn der Rentenversicherungsträger - die Beigeladene - hatte im Sinn des § 103 2. Halbsatz SGB X den nachzuzahlenden Rentenbetrag bereits an den Kläger ausgezahlt, bevor er von der erbrachten Leistung des anderen Leistungsträgers - hier der Beklagten, die das Arbeitslosengeld dem Kläger für die streitige Zeit ausgezahlt hatte - Kenntnis erlangt hatte. Dem vorrangig zur Erbringung der Sozialleistung verpflichteten Rentenversicherungsträger - der Beigeladenen - hatte nämlich bis zum 13.8.2003 keine Anzeige der Beklagten über die vorsorgliche Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs wegen ihrer eigenen Leistungserbringung im Hinblick auf das laufende Rentenverfahren und eine mögliche nachträgliche Rentenbewilligung vorgelegen. Diesen Erstattungsanspruch hat die Beklagte erst mit Schreiben vom 13.8.2003 in Höhe des ausgezahlten Arbeitslosengeldes (EUR 3.857,18) angezeigt, nachdem sie von der Bewilligung der Altersrente durch Bescheid der Beigeladenen vom 2.7.2003 im Rahmen eines anderen laufenden Widerspruchsverfahrens im September 2003 und vom Verlust ihrer früheren Erstattungsanzeige vom 11.04.2003 erfahren hatte. Wegen der bis dahin bestehenden Unkenntnis hat sie somit aus dem für die Zeit vom 1.1.2002 bis 31.7.2003 angefallenen Renten - Nachzahlungsbetrag den noch auf den Kläger entfallenden Restbetrag in Höhe von EUR 4.137,03 an diesen selbst ausgezahlt - also einschließlich der an sich der Beklagten zustehenden Erstattungssumme wegen des gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 3.857,18 - und damit eine ungerechtfertigte Doppelleistung zu Gunsten des Klägers für die Zeit vom 8.4. bis 31.7.2003 bewirkt. Wegen ihrer Unkenntnis ist die Beigeladene aber nach § 103, 2. Halbsatz SGB X von einer nochmaligen Erstattungspflicht gegenüber der Beklagten befreit worden, so dass sich diese zu Recht zur Rückabwicklung der angefallenen Doppelleistung nunmehr an den Kläger direkt wenden musste und mit den angefochtenen Bescheiden gewandt hat.

Auf der Grundlage des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB X hat die Beklagte, weil ein Verschulden des Klägers an der Überzahlung nicht zu prüfen ist, somit ihre Arbeitslosengeldbewilligung für die Zeit vom 8.4. bis 31.7.2003 rechtmäßig gegenüber dem Kläger aufgehoben. Sie hat demnach auch mit den ursprünglich angefochtenen Bescheiden vom 16.9.2003 und 30.10.03 gemäß § 50 Absatz 1 SGB X den Betrag von EUR 3.857,18 rechtmäßig zurückgefordert und nunmehr die nachträgliche Aufhebung dieser Bescheide im vorliegenden Überprüfungsverfahren mit dem angefochtenen Bescheid vom 6.7.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.8.2006 zutreffend abgelehnt. Der Kläger ist zur Zahlung des geltend gemachten Erstattungsbetrags verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Absatz 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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