Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 RJ 168/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 263/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.11.2005 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2004 verurteilt, dem Kläger Regelaltersrente ab 01.07.1997 unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten von Januar bis Juni 1942 zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von sogenannten Ghetto-Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung im Ghetto Wlodawa in der Zeit von Januar bis Juni 1942.
Der am 00.00.1926 in Wlodawa/Polen geborene jüdische Kläger ist als Verfolgter des Nationalsozialismus gemäß § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt (Feststellungsbescheid C vom 13.03.1957, Vergleich vom 14.05.1974). Der Kläger war zunächst polnischer Staatsangehöriger und nahm nach Übersiedlung nach Palästina/Israel im Jahre 1947 die israelische Staatsangehörigkeit an.
Im Entschädigungsverfahren gab der Kläger in einer eidesstattlichen Versicherung vom 10.10.1955 u.a. an, dass Ende März oder Anfang April 1940 etwa 3.000 arbeitsfähige Juden zur täglichen Zwangsarbeit herangezogen worden seien, die in einer Entwässerung von Sümpfen in der Umgebung von Wlodawa bestanden habe. Es hätten auch Bäume gefällt werden müssen. Sie seien jeden Tag morgens zu der Arbeitsstelle, die etwa 8 km von der Stadt entfernt gewesen sei, unter Bewachung von polnischen Zivilpersonen hin und abends wieder zurück geführt worden. Die Arbeit sei von einer deutschen Wasserwirtschaftsfirma unter Leitung eines SS-Mannes namens G befohlen und organisiert worden. Wenn sie abends in die Stadt zurückgekehrt seien, hätten sie bis morgens um 6.00 Uhr ihre Wohnung nicht mehr verlassen dürfen. Außerdem hätten sie, wie alle anderen Juden auch, eine weiße Armbinde mit dem blauen Judenstern tragen müssen. Etwa Mitte des Jahres 1942 seien zwei Teile der Stadt abgeschlossen worden, der eine Teil als Ghetto für die nicht arbeitsfähigen Juden, der andere Teil als Lager für die Zwangsarbeiter. In diesem Teil sei auch er untergebracht worden. G sei in SS-Uniform mit umgeschnallter Pistole auf der Arbeitsstelle erschienen. Ferner habe von diesem Zeitpunkt an, die bis dahin gewährte geringfügige Bezahlung für die Arbeit aufgehört. Etwa Ende April bis Anfang Mai 1943 sei die Stadt "judenrein" gemacht worden. Bei dieser Gelegenheit sei es ihm gelungen, aus dem Lager zu entfliehen. Er habe sich dann in umliegenden Wäldern bei Bauern versteckt, dies bis zur Befreiung durch die Russen im Juni 1944. Er sei dann im Jahre 1945 über Österreich, Italien und Zypern nach Palästina ausgewandert, wo er im Jahre 1947 mit dem Schiff angekommen sei.
Die Angaben des Klägers bestätigte der Zeuge T L in seiner eidlichen Erklärung vom 10.10.1955. Nach Ausbruch des deutsch-polnischen Krieges hätten etwa von März oder April 1940 an alle Juden eine weiße Armbinde mit blauem Stern tragen müssen. Von dieser Zeit an seien ferner etwa 3000 arbeitsfähige Juden, zu denen auch der Kläger und der Zeuge gehört hätten, zur Zwangsarbeit herangezogen worden. Diese habe in Entwässerungsarbeiten bestanden, es hätten auch Bäume gefällt werden müssen. Die Arbeit sei von einer deutschen Wasserwirtschaftsfirma aus Berlin ausgeführt worden, der Leiter im Bezirk Wlodawa habe G geheißen. Sie seien jeden Morgen unter Bewachung von polnischen Zivilisten (aus dem Ghetto) heraus und abends wieder zurückgeführt worden. Dann hätten sie ihre Wohnungen bis zum nächsten Morgen nicht mehr verlassen dürfen. Die Arbeit sei nur ganz geringfügig bezahlt worden, die Bezahlung habe kaum zum Kauf von Zigaretten ausgereicht. Etwa Mitte des Jahres 1942 sei in der Stadt Wlodawa ein Ghetto für den nicht arbeitsfähigen Teil der Juden und ein Lager für die Zwangsarbeiter eingerichtet worden. Diese beiden Teile der Stadt seien nach außen hin durch Stacheldraht und Holzverschläge abgeschlossen und bewacht worden. Die Bezahlung habe (zu diesem Zeitpunkt) ganz aufgehört. Der Zeuge und der Kläger seien bis April oder Anfang Mai 1943 im Lager verblieben, dann sei ihnen die Flucht gelungen. Bis zur Befreiung durch die Russen im Juni 1944 hätten sie in der Umgebung gelebt.
Mit fast wortgleichen Formulierungen schilderte auch der Zeuge K I das Verfolgungsschicksal des Klägers in seiner eidlichen Erklärung vom 10.10.1955. Allerdings wurde in dieser Aussage eine Gegenleistung für die verrichteten Tätigkeiten unter der Leitung von "G" nicht erwähnt.
Einen Antrag auf Entschädigung des erlittenen Schadens an Gesundheit stellte der Kläger unter dem 30.11.1966. Zur Schilderung der erlittenen Verfolgungsmaßnahmen führte er hier u.a. aus: "Nach der Besetzung von Wlodawa musste ich schwere Zwangsarbeit leisten (Entwässerung v. Sümpfen, Baum fällen). Täglich war unser Anmarschweg zur Arbeit 8 km lang. Bis zur Abschiebung ins KZ, im Jahre 1943, lebte ich im Ghetto. Beim Transport ins Vernichtungslager konnte ich durch Flucht entgehen ..." Eine entsprechende Schilderung erfolgte auch mit eidesstattlicher Versicherung vom 06.11.1966.
Im Antrag auf Ersatz des erlittenen Schadens an Freiheit vom 21.10.1954 gab der Kläger einen Aufenthalt im Arbeitslager Wlodawa vom 01.04.1940 bis 02.05.1943 an.
Den Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente vom 15.10.1990 insbesondere unter Berücksichtigung der Vorschriften des Fremdrentengesetzes (FRG) lehnte die Beklagte zunächst ab (Bescheid vom 02.08.1994). Die Zeit vom 01.04.1940 bis 31.07.1942 könne nicht als Beitragszeit nach § 15 FRG anerkannt werden. In das sich anschließenden Klageverfahren führte der seinerzeitige Klägerbevollmächtigte an ihn gerichtete handschriftliche Ausführungen des Klägers vom 20.06.1996 ein. Darin hieß es: " ... Diese Arbeit bestand in der Entwässerung von Sümpfen, die in der Umgebung der Stadt lagen. Wobei auch Erdarbeiten bei groben und austrocknen die Landschaft. Jeden Donnerstag. Ich habe bekommen das Lohn in eine Kouwerte. Es wurde Gezalt in Polnische Sloti ... Ich habe gearbeitet bei Wasserwirtschaftsfirma in Wlodawa - Bezirk Lublin. Leider kann mich nicht erinnern heute wie groß war diese Lohn ...Der Leiter war Herr C G. In die Zeit von 01.04. bis 30.06.1942." Im anschließenden Berufungsverfahren wurden im Wege der Rechtshilfe die Zeugen M M1 und T L in Israel vernommen. Auf die Frage: "War er (der Kläger) während der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung erwerbstätig?" antwortet der Zeuge M M1: "Ich traf mit dem Kläger zusammen, als er an einem Bach bei Grabungsarbeiten für einen Wasserkanal beschäftigt war." Der Zeuge T L führte hierzu aus: "1940 kam eine deutsche Firma zur Trockenlegung von Sümpfen. Der Kläger hat dort gearbeitet." Auf die Frage "Wurde der Kläger zu der von ihm verrichteten Arbeit gezwungen?" antwortete M1: "Das war Zwangsarbeit", der Zeuge L antwortete "man begann schon im Jahr 40 (zur Arbeit) zu verpflichten." Auf die Frage "Erhielt er für seine Arbeit eine Vergütung? Stellte sich diese als Gegenleistung für seine Arbeit dar?" führte der Zeuge M1 aus: "Zuerst bekamen wir etwas, ich erinnere mich nicht mehr was und wieviel, erst später wurde damit aufgehört". Der Zeuge L teilte mit: "Anfangs wurde etwas Brot ausgegeben, später hörten sie damit auf. In weiteren Fragen wird differenziert nach der erhaltenen Vergütung (Regelmäßigkeit, Höhe, Art der Währung etc.) gefragt. Zu diesen Fragen gaben die Zeugen an, diese nicht beantworten bzw. sich nicht erinnern zu können. Auf gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2000 nahm der Klägerbevollmächtigte, Rechtsbeistand K1, die Berufung vor dem LSG Berlin zurück.
Am 08.07.2002 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersrente auf der Grundlage des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG), den die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.203 ablehnte. Nach den Angaben des Klägers sowie diverser Zeugen im Entschädigungsverfahren sei die tägliche Arbeit unter ständiger Bewachung verrichtet worden, daher sei von Zwangsarbeit auszugehen. Die Bezahlung sei derart geringfügig gewesen, dass sie kaum zum Kauf von Zigaretten ausgereicht habe. Auch die Zeugenbefragung aus dem Jahre 2000 hätte ergeben, dass es eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zum Austausch von Lohn nicht gegeben habe. Der Zeuge L habe zudem angegeben, dass anfangs etwas Brot ausgegeben worden sei. Von einem aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freien Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt könne daher nicht ausgegangen werden.
Hiergegen legte der Kläger am 17.04.2003 Widerspruch ein mit dem er u.a. auf den Vergleichsfall "F G1" verwies. Dieser hatte im Fragebogen der Beklagten zum ZRBG angegeben, die Arbeit sei mit Quittungen, mit welchen er Nahrungsmittel hätte einkaufen können entlohnt worden. Zudem habe er wöchentlich von der Firma einen kleinen Barlohn erhalten, an den Betrag könne er sich aber nicht erinnern. Es sei ein kleiner Zusatz zu den Coupons gewesen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2003 zurück. Sie bezog sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid. Die Darstellungen des Klägers im Widerspruchsverfahren könnten an der Einschätzung der Rechtslage nichts ändern.
Dagegen hat der Kläger am 17.11.2003 Klage erhoben. Er habe sich von April 1940 bis Juli 1942 im Ghetto Wlodawa aufgehalten und über den Judenrat eine Tätigkeit bei der Firma G gesucht. Er habe für seine Tätigkeit neben einem kleinen Lohn auch Essen und Lebensmittel erhalten. Zum Zwecke der Glaubhaftmachung hat erauf die Zeugenerklärung des F G1 verwiesen und eine eidliche Erklärung der Frau T1 P zu den Tätigkeiten des Versicherten F G1 vom 10.04.2003 vorgelegt. Frau P hat bestätigt, dass der Zeuge G1 für seine Arbeit (bei G) Quittungen erhalten habe, für die er in einem speziellen Laden Lebensmittel habe bekommen können. Auch hätten sie (die Zeugin Pund der Zeuge G1) eine kleine Summe Geld jeden Monat erhalten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2003 zu verurteilen, die Tätigkeiten von April 1940 bis Juli 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeit nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich insbesondere auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid bezogen.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 24.11.2005 abgewiesen. Unter Gesamtwürdigung der Umstände des vorliegenden Falles sei eine versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers im Ghetto Wlodawa im streitigen Zeitraum von April 1940 bis Juni 1942 nicht glaubhaft. Zwar habe der Kläger sich im streitigen Zeitraum im Ghetto Wlodawa aufgehalten. Es sei aber nicht glaubhaft, dass er in dieser Zeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gegen Entgelt nachgegangen sei. Hiergegen sprächen schon seine eigenen Angaben und die der Zeugen im Entschädigungsverfahren. Die Zeugen H und L hätten bereits im Verfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg angegeben, es habe sich bei den beschriebenen Arbeiten nicht um freiwillig gesuchte Tätigkeiten, sondern um Zwangsarbeiten gehandelt. Der Kläger sei zur Arbeit verpflichtet gewesen. Einen Arbeitsvertrag und eine freiwillige Beschäftigungsaufnahme hätten die Zeugen ausdrücklich verneint. Damit werde die Annahme des SG Berlin bestätigt, es habe sich bei dem angegebenen Beschäftigungsverhältnis nicht um ein freiwilliges Arbeitsverhältnis gehandelt. Über das Fehlen eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses hinaus sei ferner nicht glaubhaft gemacht, dass die Tätigkeit entgeltlich im Sinne des ZRBG ausgeübt worden sei. Entgeltlichkeit in diesem Sinne setze voraus, dass das Arbeitsentgelt zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit in einem angemessenen Verhältnis stehe. Bei Anlegung dieses Maßstabes habe für die vom Kläger verrichteten Arbeiten keine Beitragspflicht bestanden. Darüberhinaus sei auffällig, dass insbesondere der Vortrag, der Kläger habe jeden Donnerstag Lohn in polnischer Währung in einem Kuvert erhalten, nicht von den im Rahmen der Rechtshilfe vernommenen Zeugen habe bestätigt werden können. Die Gewährung von Essen und Lebensmitteln in geringem Umfang könne aber allenfalls als freier Unterhalt gewertet werden, welcher wegen seiner Geringfügigkeit im Falle des Klägers keine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung auslöse.
Gegen das dem Kläger am 22.12.2005 zugestellte Urteil hat dieser am 23.12.2005 Berufung eingelegt. Er hat eine handschriftliche Erklärung überreicht, in der er zur Tätigkeit unter G wie folgt ausführt: "Ich glaube das mein Alters wegen und mein Gesundheit kann ich mich nicht so genau erinnern wie es genau gewesen ist 100 %. Wie ich gearbeitet habe bei Herr C G in die Jahre 42/43. Ich glaube das Landessozialgericht soll sich bitte berechnen mit der Tatsache, dass ich bei Herrn C G gearbeitet ..."
Mit seiner Antwort auf den detaillierten Fragebogen des Senats trägt der Kläger weiter vor: Im Juni 1939 sei seine Familie ins Dorf Kolache gezogen, wo viele ihrer Verwandten gewohnt hätten. Nach der Wannsee-Konferenz seien die Juden zwangsweise in das Ghetto Wlodawa umgesiedelt worden, er habe (erst) anfangs 1942 ins Ghetto umziehen müssen und für die Wasserwirtschaft Firma von Berlin "C G" in der Trockenlegung von Sümpfen gearbeitet; der Judenrat habe sich an ihn wegen dieser Arbeit gewendet. Er habe dort arbeiten müssen, denn wenn er sich geweigert hätte, wäre er nach Sobibor transportiert worden. Auf dem Weg zur Arbeit und während der Arbeit seien sie von jüdischer Polizei und polnischen Zivilen begleitet und bewacht worden. Auf der Arbeit hätten sie etwas Brot und manchmal Suppe erhalten, Mahlzeiten habe es nicht gegeben. Er könne sich an Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitsstätten nicht erinnern. Auf der Arbeit hätten sie anfangs ein wenig Lebensmittel zum Mitnehmen erhalten, dies habe aber bald aufgehört. Außer Lebensmitteln hätten sie an der Arbeitsstelle einmal pro Woche eine kleine Bezahlung in polnischem Geld, in "Zlotys" erhalten. An Leistungen außerhalb der Arbeit könne er sich nicht erinnern.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.11.2005 und unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2003 dem Kläger Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten von Januar bis Juni 1942 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie insbesondere auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug.
Auf Anfrage des Senats hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin von Yad Vashem Frau E schriftlich mit Schreiben vom 08.03.2007 u.a. mitgeteilt, dass F G1 in seinem Bericht angebe, vor der Errichtung des geschlossenen Lagers im Jahre 1942 mit Naturalien entlohnt worden zu sein. In das Verfahren sind in der Folge auch Kopien aus dem Verfahren L 8 R 228/05 des Senats eingeführt worden, die eine entsprechende Übersetzung der erwähnten Passage der Zeugenaussage F G1 enthalten; auf den Inhalt wird Bezug genommen.
Auf weitere Anfrage des Senats hat die Jewish Claims Conference (JCC) mitgeteilt, dass der Kläger keine Rente aus dem Artikel 2 Fonds beziehe oder bezogen habe. Ein Antrag auf Leistungen aus dem Härtefonds sei nicht gestellt worden. Der Kläger habe lediglich eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals durch den Zwangsarbeiterfonds erhalten. Mit den Unterlagen hat die JCC eine eidliche Erklärung des Klägers aus dem Jahre 1965 übersandt, die dieser offensichtlich im Entschädigungsverfahren des Zeugen M M1 erstattet hat. In dieser hat der Kläger u.a. ausgeführt, dass er Anfang 1940 in die Zwangsarbeitsgruppe für Meliorations- und Wasserwirtschaft und Forstwirtschaft der Holzheimer Gesellschaft unter Leitung von C G zugewiesen worden sei. Sie seien in Gruppen unter Wache zur Arbeit "geschleppt" und abends wieder ins Ghetto eingeliefert worden. Später sei für sie ein Sonderlager (geschlossen und stark bewacht) direkt an der Grenze des Ghettos in Wlodawa errichtet worden.
Nach dem Versicherungsverlauf der israelischen Rentenversicherung hat der Kläger dort zwischen April 1954 und November 1991 insgesamt 452 Versicherungsmonate zurückgelegt.
Auf die Fragen des Gerichts hat der Zeuge T L u.a. mitgeteilt, der Kläger und seine Familie seien Anfang 1942 nach Wlodawa aus dem Dorf Kolache unweit entfernt von Wlodawa gekommen. Er (der Kläger) habe bei G in den Wäldern von Wlodawa gearbeitet. Auf die Frage "Was erhielt der Kläger für die jeweiligen Tätigkeiten? Erhielt er Geld? Wenn ja, in welcher Währung, in welcher Menge und wie häufig (täglich, wöchentlich oder monatlich)?" hat der Zeuge geantwortet: "Wöchentlich. Am Anfang der Firma G gab man donnerstags ein wenig polnisches Geld aus. Es gab keine Lebensmittelgutscheine. Auf die Unterfrage: "Erhielt er Lebensmittel? Wenn ja, welche, in welcher Menge und wie häufig?" hat der Zeuge ausgeführt: "Wöchentlich. Immer donnerstags." Auf die Frage "Wie kam der Arbeitseinsatz des Klägers jeweils zustande? a) Hat der Kläger sich aus eigenem Antrieb um die Arbeiten bemüht? b) Ist der Kläger zu den Arbeiten aufgefordert worden? c) Bestand für den Kläger eine Pflicht Arbeiten zu verrichten, d) Wurde der Kläger zur Arbeit gezwungen? e) Bestand für den Kläger die Möglichkeit sich gegen die Aufnahme der Arbeiten zu entscheiden?" hat der Zeuge geantwortet: "a) Es gab keine anderen Arbeiten, b) jeder wollte in Arbeit kommen, c) jeder wollte arbeiten. Man verschleppte auch Juden zu arbeiten in der deutschen Armee, d) ohne Angabe, e) Juden konnten diesbezüglich nicht entscheiden."
Darüberhinaus sind das historische Sachverständigengutachten des Dr. Jürgen Zarusky vom 02.06.2008 und die gutachterliche Stellungnahme des Historikers Dr. M vom 22.10.2008, jeweils erstellt für den Senat zum Az L 8 R 209/07, und der Zeitzeugenbericht von T1 P, übersetzt im Verfahren L 8 R 228/05 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Auf den jeweiligen Inhalt wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Entschädigungsakten des Klägers, der Verwaltungsakten der Beklagten betreffend F G1 sowie der Streitakte S 6 An 2233/95 SG Berlin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem Umfang begründet, in dem er sie in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat. Die Klage, die der Kläger hinsichtlich der anzuerkennenden Ghettobeitragszeiten in zulässiger Weise (vgl. § 99 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) auf die Zeit von Januar bis Juni 1942 beschränkt hat, ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und beschwert den Kläger (§ 54 Abs. 2 SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten für Januar bis Juni 1942.
Der Anspruch auf Altersrente folgt aus § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2007 maßgebenden Fassung (a.F.; vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI) auch dann, wenn er auf Ghettobeitragszeiten gestützt wird. Die Bestimmungen des ZRBG stellen demgegenüber keine eigenständige Anspruchsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente dar (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06, SozR 4-5075 § 1 Nr. 4). Die Vorschriften des SGB VI sind trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 1. Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 48 Nr. 17).
Nach § 35 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie (wie der am 10.12.1926 geborene Kläger seit dem 10.12.1991) das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Die Wartezeit von 5 Jahren kann mit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI erfüllt werden, wobei Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 SGB VI allerdings nur dann Berücksichtigung finden, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1, m.w.N.). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Der Kläger hat die Wartezeit von 60 Monaten mit 6 Monaten Ghettobeitragszeiten (dazu unter I.), 54 Monaten Beitragszeiten, die nach dem deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) anrechenbar sind (dazu unter II.), erfüllt.
I.
Auf die Wartezeit sind Ghettobeitragszeiten von Januar bis Juni 1942 nach § 2 Abs. 1 ZRBG anzurechnen. Nach dieser Vorschrift gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Gemäß § 1 ZRBG muss der Kläger sich als Verfolgter (1.) in einem Ghetto (2.), das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat (3.), zwangsweise aufgehalten (4.) haben. Zudem muss er eine Arbeit (5.) in diesem Ghetto (6.) ausgeübt haben, die eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (7.) gegen Entgelt (8.) darstellte und für die der Kläger nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhält (9.). Ferner darf die Anerkennung des Anspruchs nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen sein (10.). Beweismaßstab ist die Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale muss also nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich sein, d. h. es muss mehr für als gegen sie sprechen, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss v. 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900, § 15 Nr. 4). Die genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
1. Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG. Der Begriff des Verfolgten entspricht demjenigen des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Der Kläger ist als Verfolgter gemäß § 1 Abs. 1 BEG anerkannt (Feststellungsbescheid C des Bezirksamtes für Wiedergutmachung in Koblenz v. 13.03.1957, Vergleich v. 14.05.1974). Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieses Bescheides, sodass seine Bindungswirkung für die Beklagte dahingestellt bleiben kann.
2. In Wlodawa hat im nunmehr noch geltend gemachten Zeitraum (Januar bis Juni 1942) ein Ghetto bestanden. Als Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ist eine Stadt, ein Stadtteil oder -viertel anzusehen, wo die jüdische Bevölkerung untergebracht wurde, und zwar im Wege der Absonderung, Konzentration und Internierung (vgl. Senat, Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04 [rkr.], sozialgerichtsbarkeit.de). Die Existenz eines diesen Erfordernissen entsprechenden Ghettos im Streitzeitraum ist durch das von Dr. Zarusky im Verfahren L 8 R 209/07 erstattete Gutachten belegt, das der Senat zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat und im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 415, 416 ZPO; vgl. BSG, Urteil v. 24.06.1980, 1 RJ 84/79, Juris, mwN). Danach ist von einem "geschlossenen" Ghetto bereits ab dem 17.01.1941 (S. 7 ff. des Gutachtens) auszugehen. Die Auflösung des Ghettos ist im Oktober 1942 in Angriff genommen worden (S. 14 des Gutachtens). Die Richtigkeit dieser Feststellungen ist im Übrigen von der Beklagten auch nicht bezweifelt worden.
3. Wlodawa hat im sog. Generalgouvernement, Distrikt Lublin, und damit in einem vom Deutschen Reich im Anspruchszeitraum besetzten Gebiet gelegen (vgl. im Einzelnen BSG, Urteil v. 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17).
4. Der Kläger hat sich jedenfalls in der Zeit von Januar bis Juni 1942 zwangsweise im Ghetto Wlodawa aufgehalten. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig, aber auch durch die zahlreichen Zeugenaussagen in den verschiedenen seitens des Klägers angestrengten Verfahren zumindest glaubhaft gemacht. Insbesondere nach den Antworten des Klägers und des Zeugen L auf die Fragebögen des Senats aus Oktober und November 2008 wird der Aufenthalt des Klägers im Ghetto Wlodawa allerdings erst ab Januar 1942 wahrscheinlich. Der Kläger und der Zeuge haben jeweils angegeben, dass der Kläger sich zuvor in dem Dorf Kolache in der Nähe von Wlodawa aufgehalten habe. Erst Anfang 1942 habe er ins Ghetto umziehen müssen. Der Kläger und der Zeuge haben insofern übereinstimmend die ungenauen Beschreibungen insbesondere im Entschädigungsverfahren konkretisiert. Es bestehen keine prozessualen Bedenken, die schriftlichen Angaben insbesondere des Zeugen L als Erkenntnisquelle zu verwenden (hierzu ausführlich Senat, Urteil vom selben Tage in der Streitsache L 8 R 71/07).
5. Es ist glaubhaft, dass der Kläger während seines Aufenthalts im Ghetto Wlodawa zumindest in der Zeit von Januar bis Juni 1942 Arbeiten bei der Entwässerung von Sümpfen in der Umgebung von Wlodawa wie auch Baumfällarbeiten für eine deutsche Wasserwirtschaftsfirma unter dem dortigen Leiter G verrichtet hat.
Diese Tätigkeiten hat der Kläger durchgängig im Entschädigungsverfahren, im Rentenverfahren vor dem SG Berlin bzw. dem LSG Berlin-Brandenburg, aber auch im vorliegenden Rentenverfahren beschrieben. Seine Angaben sind glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit. Für ihre Richtigkeit spricht zunächst, dass der Kläger die wesentlichen Umstände der Arbeit - d.h. die Beschreibung der Arbeit als Entwässerung von Sümpfen und als Holzfällarbeiten - über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren konsistent beschrieben hat. Zudem wirken seine Erinnerungen in großen Teilen erlebnisfundiert. So hat er schon im Entschädigungsverfahren als konkrete Einzelheit dargestellt, dass der Leiter G zur deutschen SS gehört habe und folglich häufig in SS-Uniform mit umgeschnallter Pistole auf der Arbeitsstelle erschien.
Die Angaben des Klägers sind im Entschädigungsverfahren durch den Zeugen T L schriftlich und im Rentenverfahren 1990 durch die Vernehmungen der Zeugen L und M1 bestätigt worden. Der Zeuge L hat die Tätigkeiten des Klägers im streitigen Zeitraum auf den Fragebogen des Senats nochmals schriftlich unter dem 20.11.2008 geschildert. Für die Authentizität seiner Antworten spricht insbesondere, dass der Zeuge sie offensichtlich in eigener Handschrift gefertigt hat.
Die Berichte des Klägers und der Zeugen sind auch ohne weiteres mit den historischen Erkenntnissen zum Ghetto Wlodawa zu vereinbaren. Denn nach den Ausführungen von Dr. Zarusky in seinem Gutachten vom 02.06.2008, die sich der Senat zu eigen macht, war die deutsche Firma Rhode, die für das Wasserwirtschaftsamt Chelm Entwässerungs- und Regulierungsarbeiten unternahm, größter Arbeitgeber Wlodawas. Verantwortlich vor Ort war der Schachtmeister C G. Zur Durchführung der Flussregulierungsarbeiten an der Wlodawka, einem kleinen Fluss, der bei Wlodawa in den Bug mündet, sowie der Entwässerungsarbeiten hat sich G jüdischer Arbeitskräfte bedient, die ihm vom Arbeitsamt zur Verfügung gestellt wurden. Zunächst waren nur 180 Juden bei ihm beschäftigt; im Laufe des Jahres 1942 habe sich diese Zahl dann auf etwa 1500 Juden erhöht (vgl. S. 11 des Gutachtens).
6. Die Arbeit des Klägers hat, wie von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gefordert "in einem Ghetto" stattgefunden, obwohl sich die Arbeitsstelle außerhalb des Ghettos, einige Kilometer von diesem entfernt, in den Wäldern befunden hat.
Auch Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, werden vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren (so BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4 - 5075 § 1 Nr. 3). Die ausgeübte Arbeit muss dem Verfolgten zwar von einem Unternehmen mit Sitz im Ghetto angeboten oder von einem solchen Unternehmen bzw. der eingesetzten "Ghetto-Autorität", ggf. ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer Arbeitsvermittlung zugewiesen worden sein. Davon ist hier auszugehen.
So hat der Kläger auf die Fragen des Senats angegeben, die Tätigkeit in der Wasserwirtschaft durch Vermittlung des Judenrates erhalten zu haben. Auf die Frage "Beschreiben Sie bitte, wie genau sie an den Arbeitsplatz gekommen sind (z.B. hat man sie aufgefordert? Haben Sie sich um die Arbeit bemüht, ggf., an wen haben Sie sich gewandt?)" hat er geantwortet: "Der Judenrat hat mich an diese Arbeit gewendet". Diese Angaben korrespondieren mit den Schilderungen Dr. Zaruskys, nach denen G die jüdischen Arbeitskräfte vom Arbeitsamt (des Ghettos) zur Verfügung gestellt wurden (vgl. Bl. 11 des Gutachtens).
Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, liegt eine Beschäftigung "in einem Ghetto" bei einer Arbeitsstelle außerhalb des Ghettos jedenfalls dann vor, wenn eine tägliche Rückkehr der Arbeitskräfte nach der Verrichtung der Arbeit in das Ghetto erfolgte. Eine solche ist jedenfalls glaubhaft gemacht. So hat Dr. Zarusky (vgl. S. 11 des Gutachtens) unter Verwertung des Urteils des Landgerichts (LG) Hannover vom 29.10.1964 (2 Ks 4/63) ausgeführt, "dass die Juden zuerst in der Stadt wohnten, frühmorgens auf den im Südwesten der Stadt gelegenen Hof G kamen, einem Areal, das neben dem Wohngebäude des Schachtmeisters G gelegen war und auf dem sich Geräteschuppen befanden, die Arbeitsgeräte in Empfang nahmen und sich zu den angewiesenen Arbeitsplätzen begaben. Des Abends kehrten die Juden, die von G entlohnt und verpflegt wurden, zu ihren Familien zurück." Diese Darstellung gewinnt dadurch weitere Überzeugungskraft, dass der Kläger und K I in ihren Erklärungen im Entschädigungsverfahren des Klägers jeweils am 10.10.1955 dargelegt haben, dass sie Arbeiten bei der Entwässerung von Sümpfen einschließlich Baumfällarbeiten für eine deutsche Wasserwirtschaftsfirma unter der Leitung G ausgeübt hätten und jeden Tag morgens zu der Arbeitsstelle, die etwa 8 km von der Stadt entfernt gewesen sei, zurückgeführt worden seien. Schließlich hat der Kläger in seiner Erklärung aus 1965 im Entschädigungsverfahren des M M1 bestätigt, dass abends eine Rückkehr in das Ghetto nach Verrichtung der Entwässerungs- und Waldarbeiten erfolgte.
7. Bei der von dem Kläger unter dem Leiter G ausgeübten Arbeit hat es sich um eine Beschäftigung gehandelt, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG).
a) Mit den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG formulierten Tatbestandsmerkmalen der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt hat der Gesetzgeber an den Begriff des versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses angeknüpft, wie er für Arbeitsverhältnisse unter Ghettobedingungen in der sog. Ghettorechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1) konkretisiert worden ist (std. Rechtsprechung des Senates; vgl. nur Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04, sozialgerichtsbarkeit.de m.w.N.).
Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere (aber nicht notwendigerweise) in einem Arbeitsverhältnis. Arbeit in diesem Sinne ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete, planmäßige Arbeit eines Menschen, gleichviel ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden. Die Arbeit ist nichtselbstständig, wenn sie fremdbestimmt ist, d.h. der Arbeiter dem Weisungs- bzw. Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt und in den organisatorischen Ablauf des Betriebs eingebunden ist. Maßgeblich ist dabei jeweils das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit.
Das Merkmal der "aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung" verdeutlicht dabei, dass der Typus des von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfassten Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen ist von einer unter Zwang zustande gekommenen oder verrichteten Arbeit. Diese Abgrenzung kann ebenfalls nur im Einzelfall erfolgen. Sie orientiert sich allerdings an der grundsätzlichen Überlegung, dass eine Arbeit sich um so mehr der Zwangsarbeit annähert, als sie von hoheitlichen Eingriffen überlagert ist, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. In diesem Sinne kann für Zwangsarbeit z.B. die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an ein Unternehmen sprechen, auf die der Arbeiter keinen Einfluss hat. Je nach den Umständen des Einzelfalles gilt dasselbe für die Bewachung während der Arbeit oder die Züchtigung auf der Arbeitsstelle. Auch die Art der zu verrichtenden Arbeiten kann einen Hinweis auf Zwangsarbeit liefern, wenn sie von dem konkreten Betroffenen schlechterdings unter der Annahme eines eigenen Willensentschlusses nicht erwartet werden konnte (ausführlich Senat, Urteil v. 12.12.2007, L 8 R 187/07, sozialgerichtsbarkeit.de).
Demgegenüber ist es für den eigenen Willensentschluss des Arbeiters unerheblich, aus welchen weiteren Motiven die Arbeit aufgenommen wurde. Auch existenzielle Not (z.B. die Angst vor dem Verhungern oder der Deportation in ein Zwangsarbeits- oder Vernichtungslager) schließt das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses daher nicht aus. Dass derartige Motive außer Betracht zu bleiben haben, wird zusätzlich durch § 1 Abs. 1 ZRBG belegt, der den zwangsweisen Aufenthalt in einem Ghetto mit den damit typischerweise verbundenen Konsequenzen des Hungers und der Bedrohung mit Deportation und Vernichtung sogar als Tatbestandsmerkmal voraussetzt.
b) Vor dem geschilderten historischen Hintergrund ist die Verrichtung der Entwässerungs- und Waldarbeiten unter dem Leiter G durch den Kläger aus eigenem Willensentschluss überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft gemacht. Denn nach den Ausführungen von Dr. Zarusky in seinem Gutachten vom 02.06.2008, die für den Senat gut nachzuvollziehen sind und auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt werden, stellte sich der Besitz eines Arbeitsplatzes als notwendige Voraussetzung für das Überleben der Ghettohaft dar (S. 9 ff. des Gutachtens). Der Judenrat htte auf Anordnung der deutschen Behörde nach Bedarf Arbeitskraftkontingente bereit zu stellen, doch ist die Meldung der Ghettoinsassen zur Arbeit aus eigenen Stücken erfolgt, weil der Erwerbs zusätzlicher (Lebens-)Mittel für die Allermeisten eine Überlebensnotwendigkeit dargestellt hat. Keinesfalls ist es innerhalb des Ghettos so gewesen, dass der auf den Judenrat ausgeübte Zwang zur Bereitstellung von Arbeitskräften unmittelbar weiter gegeben worden ist. Im Gegenteil haben sich meist mehr Menschen beworben als überhaupt Stellen vorhanden waren. Nur wer Glück hatte, über gute Beziehungen oder spezielle Qualifikationen verfügte, konnte aus den zahlreichen Interessenten für eine Stelle herausstechen und einen Arbeitsplatz erhalten.
Dr. Zarusky hat in seinem Gutachten weiter nachvollziehbar heraus gearbeitet, der Grund für die hohe Zahl von Beschäftigten bei G habe darin bestanden, dass dieser alle seine Möglichkeiten ausnutzte, um die Juden vor der Verfolgung zu schützen. Er nahm wesentlich mehr Arbeitskräfte auf, als ihm zustanden, warnte sie vor den bevorstehenden "Aktionen" und bot einer größeren Zahl ein Versteck in einer rundherum durch Strohballen getarnten Scheune. Hiermit korrespondierend schildert auch die Zeugin T1 P in ihrem bei Yad Vashem abgegebenen Zeitzeugenbericht die unter G arbeitenden Juden als die Elite des Ghettos, die für ihre vermeintliche Sicherheit von den übrigen Ghettobewohnern beneidet wurden.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Antwort des Klägers auf die Senatsfrage nach den Umständen des Zustandekommens der Tätigkeit zu werten. Wenn dort der Kläger angibt, der Judenrat habe ihn an diese Arbeit "gewendet", ist in der Wortwahl nicht ein Indiz für "Zwangsarbeit" zu erkennen. Gleiches gilt für die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" im Zusammenhang mit den ausgeübten Tätigkeiten im Entschädigungsverfahren durch den Kläger, aber auch durch die Zeugen im Zusammenhang mit der Tätigkeit unter dem Leiter G. Denn wie das BSG bereits ausdrücklich entschieden hat (BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R) gibt die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" wegen seiner subjektiven Prägung keinen Aufschluss über die konkreten Arbeitsbedingungen. Im Gegenteil ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass Verfolgte alle während ihres zwangsweisen Aufenthaltes in einem Ghetto ausgeübten Beschäftigungen auch im Nachhinein als Zwangsarbeit empfunden haben. Dies gilt auch im Fall des Klägers, insbesondere mit Blick auf seine Antwort auf Frage 7 des Senatsfragebogens. Hier führt der Kläger aus, dass er "dort", d.h. unter G, habe arbeiten müssen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er nach Sobibor (in die Vernichtung) transportiert worden. Diese Schilderung zeigt eindringlich auf, wie lebensbedrohlich die Gesamtsituation der Ghettoinhaftierung war und unter welchen Ängsten und objektiven wie subjektiven Zwängen die Ghettoinhaftierten gelebt haben. Es kommt hinzu, dass die hier maßgebliche Differenzierung "freier" und "unfreier" Zwangsarbeit auf den Besonderheiten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beruht und weder im allgemeinen Sprachgebrauch noch im historischen Verständnis zwingend in gleicher Weise nachvollzogen werden muss. Dementsprechend ist in der Literatur noch im Jahr 2001 mit Blick auf das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) die - im Nachhinein bestätigte - Annahme geäußert worden, die Partnerorganisationen der Stiftung würden im Rahmen der von Ihnen festzustellenden Leistungsberechtigung den Begriff der Zwangsarbeit nicht in gleicher Weise abgrenzen wie die deutsche Rentenversicherung (vgl. Gerhard, amtliche Mitteilungen LVA Rheinprovinz 2001, 36, 38).
Dementsprechend geht der Senat davon aus, dass auch die von dem Kläger und den Zeugen beschriebene Bewachung durch jüdische Polizei und polnische Zivile im vorliegenden Fall kein Indiz für Zwangsarbeit ist. Diese Bewachung war lediglich Ausfluss der allgemeinen Lebensbedingungen im Ghetto Wlodawa und stellte sich gleichsam als Fortsetzung und Sicherstellung des zwangsweisen Aufenthaltes in einem solchen Ghetto als "verlängerter Ghettozaun" dar. Der Senat geht davon aus, dass die Bewachung vorliegend eben zur Sicherstellung der Ghettoinhaftierung, d.h. der Verhinderung einer Flucht aus dem Ghetto aber nicht der Erzwingung der Arbeitsleistung diente. So wird auch gerade im Entschädigungsverfahren weder vom Kläger noch von den Zeugen von körperlichen Übergriffen der Wachmannschaften (insbesondere zur Erzwingung der Tätigkeiten) berichtet.
8. Schließlich ist glaubhaft, dass der Kläger seine Beschäftigung unter G gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG) ausgeübt hat.
a) Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (a.F.). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 a.F. neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO a.F.; vgl. zum Folgenden außerdem BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt i.S.v. § 1227 RVO a.F. ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Das ist der Fall, wenn sie in geringem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten gewährt werden. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es z.B. bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Werden demgegenüber anstelle des freien Unterhalts auch nur auch geringe Geldbeträge zur Bestreitung des notwendigen Unterhalts gegeben, so ist dies keine freie Unterhaltsgewährung mehr. Geldleistungen stehen demnach der Gewährung des freien Unterhalts nicht gleich, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht übersteigen und nicht einmal erreichen. Allerdings geht die bisherige Rechtsprechung davon aus, dass das Entgelt eine Mindesthöhe erreichen muss, damit man von einer entgeltlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgehen kann. Bei Barzahlung neben freiem Unterhalt reicht es aus, wenn das Entgelt die Grenze von einem Sechstel bis einem Drittel Ortslohn überschritt.
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze reichen die dem Kläger als Gegenleistung für seine Arbeit gewährten Bezüge aus, um Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu begründen.
Der Senat geht vorliegend davon aus, dass der Kläger für seine Tätigkeiten unter G im noch streitigen Zeitraum zumindest auch eine Barentlohnung in polnischen Zloty erhalten hat. Entscheidende Bedeutung hat hierbei für den Senat, dass eine solche geringe Barentlohnung bereits in den zeitlich weit zurückliegenden schriftlichen Erklärungen des Klägers und des Zeugen L im Entschädigungsverfahren im Oktober 1955 und damit relativ zeitnah zu den relevanten historischen Ereignissen Erwähnung gefunden hat. So führte der Zeuge L aus: "Die Arbeit wurde nur ganz geringfügig bezahlt, die Bezahlung reichte kaum zum Kauf von Zigaretten aus." Der Kläger selbst gab an: " ... ferner hörte von diesem Zeitpunkt ab (Anmerkung des Senats: gemeint ist wohl der Zeitpunkt des Umzugs in das ZAL Mitte 1942), die bis dahin bezahlte geringe Vergütung für die Arbeit auf." Der Erwähnung einer Barentlohnung für die geleisteten Tätigkeiten bereits im Entschädigungsverfahren kommt besonders hoher Beweiswert zu. Denn schließlich handelt es sich um relativ zeitnahe Erklärungen, die für das Entschädigungsverfahren nicht nur unerheblich, sondern vom Sinn und Zweck des Verfahrens - zumindest aus Laiensicht - für die Anspruchsbegründung nicht förderlich waren. Schließlich ging es im Entschädigungsverfahren darum, gerade die Schwere des individuell erlittenen Verfolgungsschicksals darzustellen. Jedenfalls gab es keinerlei Anlass, die Entlohnung einer unter den Zwangsbedingungen der Ghettohaft ausgeübten Tätigkeiten darzustellen.
Der Kläger hat die Barvergütung sodann auch noch einmal in seinem handschriftlichen Schreiben, gerichtet an seinen damaligen Bevollmächtigten im ersten Klageverfahren vor dem SG Berlin vom 20.06.1996, erwähnt. Dort hat er - ohne erkennbare vorherige Aufforderung - darüber hinaus sogar weitere Details wie den wöchentlichen Zahltag (Donnerstag) und die gewählte Währung Zloty erwähnt. Der Lohn sei in einem Kouvert überreicht worden. Gerade den Zahltag Donnerstag hat auch der Zeuge G1 in seinem Rentenverfahren gegenüber der Beklagten genannte. Im dortigen Verfahren ist eine Barzahlung (wenn auch monatlich) von einer weiteren Zeugin bestätigt worden. Schließlich hat der Kläger auch noch einmal dementsprechend auf den Senatsfragebogen geantwortet, was wiederum der Zeuge L auf die entsprechenden Fragen des Senats schriftlich bestätigt hat. Auch diese Kontinuität der Aussagen des Klägers aber auch die Übereinstimmung in Details wie dem Umstand, dass der Lohn einmal wöchentlich donnerstags ausgezahlt wurde, lässt die Darstellung des Klägers überwiegend glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit erscheinen. Hierzu trägt überdies der Detailreichtum der Schilderungen (Zahlung an einem Donnerstag in Zloty in einem Kouvert) bei, der auf eine Erlebnisfundiertheit der Angaben schließen lässt. Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers spricht weiter, dass er Erinnerungslücken freimütig eingeräumt hat, so etwa in seinem handschriftlichen Schreiben vom 30.01.2006 gerichtet an seinen Bevollmächtigten, das dieser später in das Verfahren eingeführt hat. Hier hat der Kläger zugegeben, dass er sich nicht mehr vollständig erinnern könne, wie es bei G gewesen sei. Damit korrespondierend hat der Kläger auch auf die konkreten Fragen des Senats in dem ihm übersandten Fragebogen vom 20.10.2008 keine Angaben zum genauen Umfang der Entlohnung gemacht.
Durchgreifende Zweifel ergeben sich für den Senat auch nicht bei Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen M1 und L vor dem Amtsgericht Haifa am 02.02.2000 im Rahmen des Rechtshilfeersuchens des LSG Berlin Brandenburg. Der Senat hält es für im Bereich des Möglichen, dass insbesondere der Zeuge L den Erhalt einer Gegenleistung in einer persönlichen Anhörung vor einem israelischen Gericht aus Scham, zugeben zu müssen, von seinen Peinigern auch noch Geld als Gegenleistung angenommen zu haben, unerwähnt gelassen hat.
Schließlich erachtet der Senat den Erhalt von Barlohn auch vor dem historischen Hintergrund als wahrscheinlich im Sinne einer guten Möglichkeit. Dr. Zarusky zitiert ohne Abschwächung aus einem Urteil des LG Hannover, wonach bei den Entwässerungsarbeiten beschäftigte Juden von G entlohnt und verpflegt worden seien. Hieraus und aus den weiteren Angaben des Klägers und der Zeuge ergibt sich iSe einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ebenfalls, dass die Barentlohnung neben einer Verpflegung bzw. Lebensmittelzuteilung gewährt wurde. Dies entspricht den historischen Erkenntnissen zum Ghetto Wlodawa, die Dr. Zarusky eingehend dargestellt hat (vgl. S. 9 ff. des Gutachtens).
Darüber hinaus ist überwiegend wahrscheinlich, dass das dem Kläger am Arbeitsplatz gezahlte Entgelt der Höhe nach neben dem Bezug von Lebensmittelcoupons zumindest 1/6 des üblichen Ortslohns überschritten hat.
Insofern kann mangels einer konkreten Erinnerung nicht auf die Angaben des Klägers zurückgegriffen werden, was nach einem Zeitablauf von mehr als 60 Jahren ohne weiteres verständlich ist und im Übrigen im Umkehrschluss wiederum für die Erlebnisfundiertheit der übrigen Angaben des Klägers spricht. Ausgehend von den historischen Erkenntnissen zur Entlohnung von nichtjüdischen und jüdischen Arbeitern und Arbeiterinnen im Generalgouvernement (S. 9 des Gutachtens von Dr. Zarusky) betrug der Monatslohn für einen ungelernten jüdischen Arbeiter 130 Zloty, was einem Wochenlohn von etwa 30 Zloty entspricht, sodass 1/6 des Ortlohns wöchentlich 5 Zloty ausmacht. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Angaben des F G1 und des Klägers als zutreffend, wenn sie von einem geringen Lohn bzw. einer geringen Vergütung gesprochen haben. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der dem Kläger gezahlte Barlohn den geringen Betrag von 5 Zloty wöchentlich nicht überschritt. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass gerade der Leiter der Wasserwirtschaftsfirma, C G, sich der Verordnungslage entsprechend verhalten und die danach für jüdische Arbeitskräfte bestimmten Löhne gezahlt hat. Es ist bereits dargestellt worden, dass G große und vielfältige Anstrengungen unternahm, um das Leben vieler Juden zu schützen. Es liegt also nahe, dass er bei der Entlohnung nicht anders handelte, sondern vielmehr dafür Sorge trug, dass die Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte der Verordnungslage entsprach, um diese soweit wie unter den gegebenen Bedingungen möglich ökonomisch in die Lage zu versetzen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
9. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für seine Arbeit im Ghetto Wlodawa anderweitige Leistungen aus einem System sozialer Sicherheit erhält. Da er sich seit 1947 in Israel aufhält, kommen insoweit nur Leistungen aus einem dortigen Sicherungssystem in Betracht. Insofern ist für den Senat aus einer Vielzahl von Streitverfahren nach dem ZRBG offenkundig (§ 202 SGG i.V.m. § 291 ZPO) und im Übrigen zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass in den Leistungen der israelischen Nationalversicherung ausschließlich Zeiten ab deren Einrichtung im Jahr 1954 Berücksichtigung finden, nicht jedoch Zeiten nationalsozialistischer Verfolgung.
10. Die Anerkennung von Beitragszeiten scheitert schließlich nicht daran, dass der Kläger eine Entschädigung nach dem EVZStiftG erhalten hat. Wie der Senat bereits entschieden hat, erstrecken sich die in § 16 Abs. 1 S. 2 EVZStiftG geregelte Ausschlusswirkung und die Verzichtswirkung des § 16 Abs. 2 S. 2 EVZStiftG nicht auf den Anspruch auf Zahlung einer Rente aufgrund von Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG (Senat, Urteil vom 18.06.2008, L 8 R 298/07, sozialgerichtsbarkeit.de, mit eingehender Begründung).
II.
Auf die Wartezeit von 60 Monaten sind neben den sechs Monaten Beschäftigungszeiten 54 Beitragsmonate anrechenbar, die der Kläger in Israel zurückgelegt hat (Art 20 Abs. 1 DISVA).
III.
Da der Kläger den Rentenantrag am 08.07.2002 gestellt hat, beginnt die Rente am 01.07.1997 (§ 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat keinen Anlass gehabt, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG). Sämtliche angesprochenen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des BSG bereits hinreichend geklärt. Der vorliegende Rechtsstreit wirft ausschließlich Fragen der einzelfallbezogenen Beweiswürdigung auf.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von sogenannten Ghetto-Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung im Ghetto Wlodawa in der Zeit von Januar bis Juni 1942.
Der am 00.00.1926 in Wlodawa/Polen geborene jüdische Kläger ist als Verfolgter des Nationalsozialismus gemäß § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt (Feststellungsbescheid C vom 13.03.1957, Vergleich vom 14.05.1974). Der Kläger war zunächst polnischer Staatsangehöriger und nahm nach Übersiedlung nach Palästina/Israel im Jahre 1947 die israelische Staatsangehörigkeit an.
Im Entschädigungsverfahren gab der Kläger in einer eidesstattlichen Versicherung vom 10.10.1955 u.a. an, dass Ende März oder Anfang April 1940 etwa 3.000 arbeitsfähige Juden zur täglichen Zwangsarbeit herangezogen worden seien, die in einer Entwässerung von Sümpfen in der Umgebung von Wlodawa bestanden habe. Es hätten auch Bäume gefällt werden müssen. Sie seien jeden Tag morgens zu der Arbeitsstelle, die etwa 8 km von der Stadt entfernt gewesen sei, unter Bewachung von polnischen Zivilpersonen hin und abends wieder zurück geführt worden. Die Arbeit sei von einer deutschen Wasserwirtschaftsfirma unter Leitung eines SS-Mannes namens G befohlen und organisiert worden. Wenn sie abends in die Stadt zurückgekehrt seien, hätten sie bis morgens um 6.00 Uhr ihre Wohnung nicht mehr verlassen dürfen. Außerdem hätten sie, wie alle anderen Juden auch, eine weiße Armbinde mit dem blauen Judenstern tragen müssen. Etwa Mitte des Jahres 1942 seien zwei Teile der Stadt abgeschlossen worden, der eine Teil als Ghetto für die nicht arbeitsfähigen Juden, der andere Teil als Lager für die Zwangsarbeiter. In diesem Teil sei auch er untergebracht worden. G sei in SS-Uniform mit umgeschnallter Pistole auf der Arbeitsstelle erschienen. Ferner habe von diesem Zeitpunkt an, die bis dahin gewährte geringfügige Bezahlung für die Arbeit aufgehört. Etwa Ende April bis Anfang Mai 1943 sei die Stadt "judenrein" gemacht worden. Bei dieser Gelegenheit sei es ihm gelungen, aus dem Lager zu entfliehen. Er habe sich dann in umliegenden Wäldern bei Bauern versteckt, dies bis zur Befreiung durch die Russen im Juni 1944. Er sei dann im Jahre 1945 über Österreich, Italien und Zypern nach Palästina ausgewandert, wo er im Jahre 1947 mit dem Schiff angekommen sei.
Die Angaben des Klägers bestätigte der Zeuge T L in seiner eidlichen Erklärung vom 10.10.1955. Nach Ausbruch des deutsch-polnischen Krieges hätten etwa von März oder April 1940 an alle Juden eine weiße Armbinde mit blauem Stern tragen müssen. Von dieser Zeit an seien ferner etwa 3000 arbeitsfähige Juden, zu denen auch der Kläger und der Zeuge gehört hätten, zur Zwangsarbeit herangezogen worden. Diese habe in Entwässerungsarbeiten bestanden, es hätten auch Bäume gefällt werden müssen. Die Arbeit sei von einer deutschen Wasserwirtschaftsfirma aus Berlin ausgeführt worden, der Leiter im Bezirk Wlodawa habe G geheißen. Sie seien jeden Morgen unter Bewachung von polnischen Zivilisten (aus dem Ghetto) heraus und abends wieder zurückgeführt worden. Dann hätten sie ihre Wohnungen bis zum nächsten Morgen nicht mehr verlassen dürfen. Die Arbeit sei nur ganz geringfügig bezahlt worden, die Bezahlung habe kaum zum Kauf von Zigaretten ausgereicht. Etwa Mitte des Jahres 1942 sei in der Stadt Wlodawa ein Ghetto für den nicht arbeitsfähigen Teil der Juden und ein Lager für die Zwangsarbeiter eingerichtet worden. Diese beiden Teile der Stadt seien nach außen hin durch Stacheldraht und Holzverschläge abgeschlossen und bewacht worden. Die Bezahlung habe (zu diesem Zeitpunkt) ganz aufgehört. Der Zeuge und der Kläger seien bis April oder Anfang Mai 1943 im Lager verblieben, dann sei ihnen die Flucht gelungen. Bis zur Befreiung durch die Russen im Juni 1944 hätten sie in der Umgebung gelebt.
Mit fast wortgleichen Formulierungen schilderte auch der Zeuge K I das Verfolgungsschicksal des Klägers in seiner eidlichen Erklärung vom 10.10.1955. Allerdings wurde in dieser Aussage eine Gegenleistung für die verrichteten Tätigkeiten unter der Leitung von "G" nicht erwähnt.
Einen Antrag auf Entschädigung des erlittenen Schadens an Gesundheit stellte der Kläger unter dem 30.11.1966. Zur Schilderung der erlittenen Verfolgungsmaßnahmen führte er hier u.a. aus: "Nach der Besetzung von Wlodawa musste ich schwere Zwangsarbeit leisten (Entwässerung v. Sümpfen, Baum fällen). Täglich war unser Anmarschweg zur Arbeit 8 km lang. Bis zur Abschiebung ins KZ, im Jahre 1943, lebte ich im Ghetto. Beim Transport ins Vernichtungslager konnte ich durch Flucht entgehen ..." Eine entsprechende Schilderung erfolgte auch mit eidesstattlicher Versicherung vom 06.11.1966.
Im Antrag auf Ersatz des erlittenen Schadens an Freiheit vom 21.10.1954 gab der Kläger einen Aufenthalt im Arbeitslager Wlodawa vom 01.04.1940 bis 02.05.1943 an.
Den Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente vom 15.10.1990 insbesondere unter Berücksichtigung der Vorschriften des Fremdrentengesetzes (FRG) lehnte die Beklagte zunächst ab (Bescheid vom 02.08.1994). Die Zeit vom 01.04.1940 bis 31.07.1942 könne nicht als Beitragszeit nach § 15 FRG anerkannt werden. In das sich anschließenden Klageverfahren führte der seinerzeitige Klägerbevollmächtigte an ihn gerichtete handschriftliche Ausführungen des Klägers vom 20.06.1996 ein. Darin hieß es: " ... Diese Arbeit bestand in der Entwässerung von Sümpfen, die in der Umgebung der Stadt lagen. Wobei auch Erdarbeiten bei groben und austrocknen die Landschaft. Jeden Donnerstag. Ich habe bekommen das Lohn in eine Kouwerte. Es wurde Gezalt in Polnische Sloti ... Ich habe gearbeitet bei Wasserwirtschaftsfirma in Wlodawa - Bezirk Lublin. Leider kann mich nicht erinnern heute wie groß war diese Lohn ...Der Leiter war Herr C G. In die Zeit von 01.04. bis 30.06.1942." Im anschließenden Berufungsverfahren wurden im Wege der Rechtshilfe die Zeugen M M1 und T L in Israel vernommen. Auf die Frage: "War er (der Kläger) während der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung erwerbstätig?" antwortet der Zeuge M M1: "Ich traf mit dem Kläger zusammen, als er an einem Bach bei Grabungsarbeiten für einen Wasserkanal beschäftigt war." Der Zeuge T L führte hierzu aus: "1940 kam eine deutsche Firma zur Trockenlegung von Sümpfen. Der Kläger hat dort gearbeitet." Auf die Frage "Wurde der Kläger zu der von ihm verrichteten Arbeit gezwungen?" antwortete M1: "Das war Zwangsarbeit", der Zeuge L antwortete "man begann schon im Jahr 40 (zur Arbeit) zu verpflichten." Auf die Frage "Erhielt er für seine Arbeit eine Vergütung? Stellte sich diese als Gegenleistung für seine Arbeit dar?" führte der Zeuge M1 aus: "Zuerst bekamen wir etwas, ich erinnere mich nicht mehr was und wieviel, erst später wurde damit aufgehört". Der Zeuge L teilte mit: "Anfangs wurde etwas Brot ausgegeben, später hörten sie damit auf. In weiteren Fragen wird differenziert nach der erhaltenen Vergütung (Regelmäßigkeit, Höhe, Art der Währung etc.) gefragt. Zu diesen Fragen gaben die Zeugen an, diese nicht beantworten bzw. sich nicht erinnern zu können. Auf gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2000 nahm der Klägerbevollmächtigte, Rechtsbeistand K1, die Berufung vor dem LSG Berlin zurück.
Am 08.07.2002 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersrente auf der Grundlage des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG), den die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.203 ablehnte. Nach den Angaben des Klägers sowie diverser Zeugen im Entschädigungsverfahren sei die tägliche Arbeit unter ständiger Bewachung verrichtet worden, daher sei von Zwangsarbeit auszugehen. Die Bezahlung sei derart geringfügig gewesen, dass sie kaum zum Kauf von Zigaretten ausgereicht habe. Auch die Zeugenbefragung aus dem Jahre 2000 hätte ergeben, dass es eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zum Austausch von Lohn nicht gegeben habe. Der Zeuge L habe zudem angegeben, dass anfangs etwas Brot ausgegeben worden sei. Von einem aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freien Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt könne daher nicht ausgegangen werden.
Hiergegen legte der Kläger am 17.04.2003 Widerspruch ein mit dem er u.a. auf den Vergleichsfall "F G1" verwies. Dieser hatte im Fragebogen der Beklagten zum ZRBG angegeben, die Arbeit sei mit Quittungen, mit welchen er Nahrungsmittel hätte einkaufen können entlohnt worden. Zudem habe er wöchentlich von der Firma einen kleinen Barlohn erhalten, an den Betrag könne er sich aber nicht erinnern. Es sei ein kleiner Zusatz zu den Coupons gewesen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2003 zurück. Sie bezog sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid. Die Darstellungen des Klägers im Widerspruchsverfahren könnten an der Einschätzung der Rechtslage nichts ändern.
Dagegen hat der Kläger am 17.11.2003 Klage erhoben. Er habe sich von April 1940 bis Juli 1942 im Ghetto Wlodawa aufgehalten und über den Judenrat eine Tätigkeit bei der Firma G gesucht. Er habe für seine Tätigkeit neben einem kleinen Lohn auch Essen und Lebensmittel erhalten. Zum Zwecke der Glaubhaftmachung hat erauf die Zeugenerklärung des F G1 verwiesen und eine eidliche Erklärung der Frau T1 P zu den Tätigkeiten des Versicherten F G1 vom 10.04.2003 vorgelegt. Frau P hat bestätigt, dass der Zeuge G1 für seine Arbeit (bei G) Quittungen erhalten habe, für die er in einem speziellen Laden Lebensmittel habe bekommen können. Auch hätten sie (die Zeugin Pund der Zeuge G1) eine kleine Summe Geld jeden Monat erhalten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2003 zu verurteilen, die Tätigkeiten von April 1940 bis Juli 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeit nach dem ZRBG anzuerkennen und die Regelaltersrente zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich insbesondere auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid bezogen.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 24.11.2005 abgewiesen. Unter Gesamtwürdigung der Umstände des vorliegenden Falles sei eine versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers im Ghetto Wlodawa im streitigen Zeitraum von April 1940 bis Juni 1942 nicht glaubhaft. Zwar habe der Kläger sich im streitigen Zeitraum im Ghetto Wlodawa aufgehalten. Es sei aber nicht glaubhaft, dass er in dieser Zeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gegen Entgelt nachgegangen sei. Hiergegen sprächen schon seine eigenen Angaben und die der Zeugen im Entschädigungsverfahren. Die Zeugen H und L hätten bereits im Verfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg angegeben, es habe sich bei den beschriebenen Arbeiten nicht um freiwillig gesuchte Tätigkeiten, sondern um Zwangsarbeiten gehandelt. Der Kläger sei zur Arbeit verpflichtet gewesen. Einen Arbeitsvertrag und eine freiwillige Beschäftigungsaufnahme hätten die Zeugen ausdrücklich verneint. Damit werde die Annahme des SG Berlin bestätigt, es habe sich bei dem angegebenen Beschäftigungsverhältnis nicht um ein freiwilliges Arbeitsverhältnis gehandelt. Über das Fehlen eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses hinaus sei ferner nicht glaubhaft gemacht, dass die Tätigkeit entgeltlich im Sinne des ZRBG ausgeübt worden sei. Entgeltlichkeit in diesem Sinne setze voraus, dass das Arbeitsentgelt zum Umfang und der Art der geleisteten Arbeit in einem angemessenen Verhältnis stehe. Bei Anlegung dieses Maßstabes habe für die vom Kläger verrichteten Arbeiten keine Beitragspflicht bestanden. Darüberhinaus sei auffällig, dass insbesondere der Vortrag, der Kläger habe jeden Donnerstag Lohn in polnischer Währung in einem Kuvert erhalten, nicht von den im Rahmen der Rechtshilfe vernommenen Zeugen habe bestätigt werden können. Die Gewährung von Essen und Lebensmitteln in geringem Umfang könne aber allenfalls als freier Unterhalt gewertet werden, welcher wegen seiner Geringfügigkeit im Falle des Klägers keine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung auslöse.
Gegen das dem Kläger am 22.12.2005 zugestellte Urteil hat dieser am 23.12.2005 Berufung eingelegt. Er hat eine handschriftliche Erklärung überreicht, in der er zur Tätigkeit unter G wie folgt ausführt: "Ich glaube das mein Alters wegen und mein Gesundheit kann ich mich nicht so genau erinnern wie es genau gewesen ist 100 %. Wie ich gearbeitet habe bei Herr C G in die Jahre 42/43. Ich glaube das Landessozialgericht soll sich bitte berechnen mit der Tatsache, dass ich bei Herrn C G gearbeitet ..."
Mit seiner Antwort auf den detaillierten Fragebogen des Senats trägt der Kläger weiter vor: Im Juni 1939 sei seine Familie ins Dorf Kolache gezogen, wo viele ihrer Verwandten gewohnt hätten. Nach der Wannsee-Konferenz seien die Juden zwangsweise in das Ghetto Wlodawa umgesiedelt worden, er habe (erst) anfangs 1942 ins Ghetto umziehen müssen und für die Wasserwirtschaft Firma von Berlin "C G" in der Trockenlegung von Sümpfen gearbeitet; der Judenrat habe sich an ihn wegen dieser Arbeit gewendet. Er habe dort arbeiten müssen, denn wenn er sich geweigert hätte, wäre er nach Sobibor transportiert worden. Auf dem Weg zur Arbeit und während der Arbeit seien sie von jüdischer Polizei und polnischen Zivilen begleitet und bewacht worden. Auf der Arbeit hätten sie etwas Brot und manchmal Suppe erhalten, Mahlzeiten habe es nicht gegeben. Er könne sich an Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitsstätten nicht erinnern. Auf der Arbeit hätten sie anfangs ein wenig Lebensmittel zum Mitnehmen erhalten, dies habe aber bald aufgehört. Außer Lebensmitteln hätten sie an der Arbeitsstelle einmal pro Woche eine kleine Bezahlung in polnischem Geld, in "Zlotys" erhalten. An Leistungen außerhalb der Arbeit könne er sich nicht erinnern.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.11.2005 und unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2003 dem Kläger Regelaltersrente ab dem 01.07.1997 unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten von Januar bis Juni 1942 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie insbesondere auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug.
Auf Anfrage des Senats hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin von Yad Vashem Frau E schriftlich mit Schreiben vom 08.03.2007 u.a. mitgeteilt, dass F G1 in seinem Bericht angebe, vor der Errichtung des geschlossenen Lagers im Jahre 1942 mit Naturalien entlohnt worden zu sein. In das Verfahren sind in der Folge auch Kopien aus dem Verfahren L 8 R 228/05 des Senats eingeführt worden, die eine entsprechende Übersetzung der erwähnten Passage der Zeugenaussage F G1 enthalten; auf den Inhalt wird Bezug genommen.
Auf weitere Anfrage des Senats hat die Jewish Claims Conference (JCC) mitgeteilt, dass der Kläger keine Rente aus dem Artikel 2 Fonds beziehe oder bezogen habe. Ein Antrag auf Leistungen aus dem Härtefonds sei nicht gestellt worden. Der Kläger habe lediglich eine Entschädigung aufgrund seines Verfolgungsschicksals durch den Zwangsarbeiterfonds erhalten. Mit den Unterlagen hat die JCC eine eidliche Erklärung des Klägers aus dem Jahre 1965 übersandt, die dieser offensichtlich im Entschädigungsverfahren des Zeugen M M1 erstattet hat. In dieser hat der Kläger u.a. ausgeführt, dass er Anfang 1940 in die Zwangsarbeitsgruppe für Meliorations- und Wasserwirtschaft und Forstwirtschaft der Holzheimer Gesellschaft unter Leitung von C G zugewiesen worden sei. Sie seien in Gruppen unter Wache zur Arbeit "geschleppt" und abends wieder ins Ghetto eingeliefert worden. Später sei für sie ein Sonderlager (geschlossen und stark bewacht) direkt an der Grenze des Ghettos in Wlodawa errichtet worden.
Nach dem Versicherungsverlauf der israelischen Rentenversicherung hat der Kläger dort zwischen April 1954 und November 1991 insgesamt 452 Versicherungsmonate zurückgelegt.
Auf die Fragen des Gerichts hat der Zeuge T L u.a. mitgeteilt, der Kläger und seine Familie seien Anfang 1942 nach Wlodawa aus dem Dorf Kolache unweit entfernt von Wlodawa gekommen. Er (der Kläger) habe bei G in den Wäldern von Wlodawa gearbeitet. Auf die Frage "Was erhielt der Kläger für die jeweiligen Tätigkeiten? Erhielt er Geld? Wenn ja, in welcher Währung, in welcher Menge und wie häufig (täglich, wöchentlich oder monatlich)?" hat der Zeuge geantwortet: "Wöchentlich. Am Anfang der Firma G gab man donnerstags ein wenig polnisches Geld aus. Es gab keine Lebensmittelgutscheine. Auf die Unterfrage: "Erhielt er Lebensmittel? Wenn ja, welche, in welcher Menge und wie häufig?" hat der Zeuge ausgeführt: "Wöchentlich. Immer donnerstags." Auf die Frage "Wie kam der Arbeitseinsatz des Klägers jeweils zustande? a) Hat der Kläger sich aus eigenem Antrieb um die Arbeiten bemüht? b) Ist der Kläger zu den Arbeiten aufgefordert worden? c) Bestand für den Kläger eine Pflicht Arbeiten zu verrichten, d) Wurde der Kläger zur Arbeit gezwungen? e) Bestand für den Kläger die Möglichkeit sich gegen die Aufnahme der Arbeiten zu entscheiden?" hat der Zeuge geantwortet: "a) Es gab keine anderen Arbeiten, b) jeder wollte in Arbeit kommen, c) jeder wollte arbeiten. Man verschleppte auch Juden zu arbeiten in der deutschen Armee, d) ohne Angabe, e) Juden konnten diesbezüglich nicht entscheiden."
Darüberhinaus sind das historische Sachverständigengutachten des Dr. Jürgen Zarusky vom 02.06.2008 und die gutachterliche Stellungnahme des Historikers Dr. M vom 22.10.2008, jeweils erstellt für den Senat zum Az L 8 R 209/07, und der Zeitzeugenbericht von T1 P, übersetzt im Verfahren L 8 R 228/05 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Auf den jeweiligen Inhalt wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Entschädigungsakten des Klägers, der Verwaltungsakten der Beklagten betreffend F G1 sowie der Streitakte S 6 An 2233/95 SG Berlin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem Umfang begründet, in dem er sie in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat. Die Klage, die der Kläger hinsichtlich der anzuerkennenden Ghettobeitragszeiten in zulässiger Weise (vgl. § 99 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) auf die Zeit von Januar bis Juni 1942 beschränkt hat, ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und beschwert den Kläger (§ 54 Abs. 2 SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten für Januar bis Juni 1942.
Der Anspruch auf Altersrente folgt aus § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2007 maßgebenden Fassung (a.F.; vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI) auch dann, wenn er auf Ghettobeitragszeiten gestützt wird. Die Bestimmungen des ZRBG stellen demgegenüber keine eigenständige Anspruchsgrundlage für den Anspruch auf Altersrente dar (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 28/06, SozR 4-5075 § 1 Nr. 4). Die Vorschriften des SGB VI sind trotz des Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 1. Buch Sozialgesetzbuch) anwendbar (vgl. dazu BSG, Urteil v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; BSG, Urteil v. 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 48 Nr. 17).
Nach § 35 SGB VI a.F. haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie (wie der am 10.12.1926 geborene Kläger seit dem 10.12.1991) das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt haben. Die Wartezeit von 5 Jahren kann mit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI erfüllt werden, wobei Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 SGB VI allerdings nur dann Berücksichtigung finden, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt (BSG, Urteil v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1, m.w.N.). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Der Kläger hat die Wartezeit von 60 Monaten mit 6 Monaten Ghettobeitragszeiten (dazu unter I.), 54 Monaten Beitragszeiten, die nach dem deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) anrechenbar sind (dazu unter II.), erfüllt.
I.
Auf die Wartezeit sind Ghettobeitragszeiten von Januar bis Juni 1942 nach § 2 Abs. 1 ZRBG anzurechnen. Nach dieser Vorschrift gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Gemäß § 1 ZRBG muss der Kläger sich als Verfolgter (1.) in einem Ghetto (2.), das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat (3.), zwangsweise aufgehalten (4.) haben. Zudem muss er eine Arbeit (5.) in diesem Ghetto (6.) ausgeübt haben, die eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (7.) gegen Entgelt (8.) darstellte und für die der Kläger nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erhält (9.). Ferner darf die Anerkennung des Anspruchs nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen sein (10.). Beweismaßstab ist die Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung [WGSVG]). Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale muss also nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich sein, d. h. es muss mehr für als gegen sie sprechen, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss v. 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900, § 15 Nr. 4). Die genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
1. Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG. Der Begriff des Verfolgten entspricht demjenigen des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3). Der Kläger ist als Verfolgter gemäß § 1 Abs. 1 BEG anerkannt (Feststellungsbescheid C des Bezirksamtes für Wiedergutmachung in Koblenz v. 13.03.1957, Vergleich v. 14.05.1974). Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieses Bescheides, sodass seine Bindungswirkung für die Beklagte dahingestellt bleiben kann.
2. In Wlodawa hat im nunmehr noch geltend gemachten Zeitraum (Januar bis Juni 1942) ein Ghetto bestanden. Als Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ist eine Stadt, ein Stadtteil oder -viertel anzusehen, wo die jüdische Bevölkerung untergebracht wurde, und zwar im Wege der Absonderung, Konzentration und Internierung (vgl. Senat, Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04 [rkr.], sozialgerichtsbarkeit.de). Die Existenz eines diesen Erfordernissen entsprechenden Ghettos im Streitzeitraum ist durch das von Dr. Zarusky im Verfahren L 8 R 209/07 erstattete Gutachten belegt, das der Senat zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat und im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 415, 416 ZPO; vgl. BSG, Urteil v. 24.06.1980, 1 RJ 84/79, Juris, mwN). Danach ist von einem "geschlossenen" Ghetto bereits ab dem 17.01.1941 (S. 7 ff. des Gutachtens) auszugehen. Die Auflösung des Ghettos ist im Oktober 1942 in Angriff genommen worden (S. 14 des Gutachtens). Die Richtigkeit dieser Feststellungen ist im Übrigen von der Beklagten auch nicht bezweifelt worden.
3. Wlodawa hat im sog. Generalgouvernement, Distrikt Lublin, und damit in einem vom Deutschen Reich im Anspruchszeitraum besetzten Gebiet gelegen (vgl. im Einzelnen BSG, Urteil v. 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 17).
4. Der Kläger hat sich jedenfalls in der Zeit von Januar bis Juni 1942 zwangsweise im Ghetto Wlodawa aufgehalten. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig, aber auch durch die zahlreichen Zeugenaussagen in den verschiedenen seitens des Klägers angestrengten Verfahren zumindest glaubhaft gemacht. Insbesondere nach den Antworten des Klägers und des Zeugen L auf die Fragebögen des Senats aus Oktober und November 2008 wird der Aufenthalt des Klägers im Ghetto Wlodawa allerdings erst ab Januar 1942 wahrscheinlich. Der Kläger und der Zeuge haben jeweils angegeben, dass der Kläger sich zuvor in dem Dorf Kolache in der Nähe von Wlodawa aufgehalten habe. Erst Anfang 1942 habe er ins Ghetto umziehen müssen. Der Kläger und der Zeuge haben insofern übereinstimmend die ungenauen Beschreibungen insbesondere im Entschädigungsverfahren konkretisiert. Es bestehen keine prozessualen Bedenken, die schriftlichen Angaben insbesondere des Zeugen L als Erkenntnisquelle zu verwenden (hierzu ausführlich Senat, Urteil vom selben Tage in der Streitsache L 8 R 71/07).
5. Es ist glaubhaft, dass der Kläger während seines Aufenthalts im Ghetto Wlodawa zumindest in der Zeit von Januar bis Juni 1942 Arbeiten bei der Entwässerung von Sümpfen in der Umgebung von Wlodawa wie auch Baumfällarbeiten für eine deutsche Wasserwirtschaftsfirma unter dem dortigen Leiter G verrichtet hat.
Diese Tätigkeiten hat der Kläger durchgängig im Entschädigungsverfahren, im Rentenverfahren vor dem SG Berlin bzw. dem LSG Berlin-Brandenburg, aber auch im vorliegenden Rentenverfahren beschrieben. Seine Angaben sind glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit. Für ihre Richtigkeit spricht zunächst, dass der Kläger die wesentlichen Umstände der Arbeit - d.h. die Beschreibung der Arbeit als Entwässerung von Sümpfen und als Holzfällarbeiten - über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren konsistent beschrieben hat. Zudem wirken seine Erinnerungen in großen Teilen erlebnisfundiert. So hat er schon im Entschädigungsverfahren als konkrete Einzelheit dargestellt, dass der Leiter G zur deutschen SS gehört habe und folglich häufig in SS-Uniform mit umgeschnallter Pistole auf der Arbeitsstelle erschien.
Die Angaben des Klägers sind im Entschädigungsverfahren durch den Zeugen T L schriftlich und im Rentenverfahren 1990 durch die Vernehmungen der Zeugen L und M1 bestätigt worden. Der Zeuge L hat die Tätigkeiten des Klägers im streitigen Zeitraum auf den Fragebogen des Senats nochmals schriftlich unter dem 20.11.2008 geschildert. Für die Authentizität seiner Antworten spricht insbesondere, dass der Zeuge sie offensichtlich in eigener Handschrift gefertigt hat.
Die Berichte des Klägers und der Zeugen sind auch ohne weiteres mit den historischen Erkenntnissen zum Ghetto Wlodawa zu vereinbaren. Denn nach den Ausführungen von Dr. Zarusky in seinem Gutachten vom 02.06.2008, die sich der Senat zu eigen macht, war die deutsche Firma Rhode, die für das Wasserwirtschaftsamt Chelm Entwässerungs- und Regulierungsarbeiten unternahm, größter Arbeitgeber Wlodawas. Verantwortlich vor Ort war der Schachtmeister C G. Zur Durchführung der Flussregulierungsarbeiten an der Wlodawka, einem kleinen Fluss, der bei Wlodawa in den Bug mündet, sowie der Entwässerungsarbeiten hat sich G jüdischer Arbeitskräfte bedient, die ihm vom Arbeitsamt zur Verfügung gestellt wurden. Zunächst waren nur 180 Juden bei ihm beschäftigt; im Laufe des Jahres 1942 habe sich diese Zahl dann auf etwa 1500 Juden erhöht (vgl. S. 11 des Gutachtens).
6. Die Arbeit des Klägers hat, wie von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gefordert "in einem Ghetto" stattgefunden, obwohl sich die Arbeitsstelle außerhalb des Ghettos, einige Kilometer von diesem entfernt, in den Wäldern befunden hat.
Auch Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, werden vom ZRBG erfasst, wenn sie Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren (so BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4 - 5075 § 1 Nr. 3). Die ausgeübte Arbeit muss dem Verfolgten zwar von einem Unternehmen mit Sitz im Ghetto angeboten oder von einem solchen Unternehmen bzw. der eingesetzten "Ghetto-Autorität", ggf. ähnlich einer Arbeitnehmerüberlassung oder einer Arbeitsvermittlung zugewiesen worden sein. Davon ist hier auszugehen.
So hat der Kläger auf die Fragen des Senats angegeben, die Tätigkeit in der Wasserwirtschaft durch Vermittlung des Judenrates erhalten zu haben. Auf die Frage "Beschreiben Sie bitte, wie genau sie an den Arbeitsplatz gekommen sind (z.B. hat man sie aufgefordert? Haben Sie sich um die Arbeit bemüht, ggf., an wen haben Sie sich gewandt?)" hat er geantwortet: "Der Judenrat hat mich an diese Arbeit gewendet". Diese Angaben korrespondieren mit den Schilderungen Dr. Zaruskys, nach denen G die jüdischen Arbeitskräfte vom Arbeitsamt (des Ghettos) zur Verfügung gestellt wurden (vgl. Bl. 11 des Gutachtens).
Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, liegt eine Beschäftigung "in einem Ghetto" bei einer Arbeitsstelle außerhalb des Ghettos jedenfalls dann vor, wenn eine tägliche Rückkehr der Arbeitskräfte nach der Verrichtung der Arbeit in das Ghetto erfolgte. Eine solche ist jedenfalls glaubhaft gemacht. So hat Dr. Zarusky (vgl. S. 11 des Gutachtens) unter Verwertung des Urteils des Landgerichts (LG) Hannover vom 29.10.1964 (2 Ks 4/63) ausgeführt, "dass die Juden zuerst in der Stadt wohnten, frühmorgens auf den im Südwesten der Stadt gelegenen Hof G kamen, einem Areal, das neben dem Wohngebäude des Schachtmeisters G gelegen war und auf dem sich Geräteschuppen befanden, die Arbeitsgeräte in Empfang nahmen und sich zu den angewiesenen Arbeitsplätzen begaben. Des Abends kehrten die Juden, die von G entlohnt und verpflegt wurden, zu ihren Familien zurück." Diese Darstellung gewinnt dadurch weitere Überzeugungskraft, dass der Kläger und K I in ihren Erklärungen im Entschädigungsverfahren des Klägers jeweils am 10.10.1955 dargelegt haben, dass sie Arbeiten bei der Entwässerung von Sümpfen einschließlich Baumfällarbeiten für eine deutsche Wasserwirtschaftsfirma unter der Leitung G ausgeübt hätten und jeden Tag morgens zu der Arbeitsstelle, die etwa 8 km von der Stadt entfernt gewesen sei, zurückgeführt worden seien. Schließlich hat der Kläger in seiner Erklärung aus 1965 im Entschädigungsverfahren des M M1 bestätigt, dass abends eine Rückkehr in das Ghetto nach Verrichtung der Entwässerungs- und Waldarbeiten erfolgte.
7. Bei der von dem Kläger unter dem Leiter G ausgeübten Arbeit hat es sich um eine Beschäftigung gehandelt, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) ZRBG).
a) Mit den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG formulierten Tatbestandsmerkmalen der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung gegen Entgelt hat der Gesetzgeber an den Begriff des versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses angeknüpft, wie er für Arbeitsverhältnisse unter Ghettobedingungen in der sog. Ghettorechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15; vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 16; v. 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, Juris; v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1) konkretisiert worden ist (std. Rechtsprechung des Senates; vgl. nur Urteil v. 28.01.2008, L 8 RJ 139/04, sozialgerichtsbarkeit.de m.w.N.).
Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere (aber nicht notwendigerweise) in einem Arbeitsverhältnis. Arbeit in diesem Sinne ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete, planmäßige Arbeit eines Menschen, gleichviel ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden. Die Arbeit ist nichtselbstständig, wenn sie fremdbestimmt ist, d.h. der Arbeiter dem Weisungs- bzw. Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt und in den organisatorischen Ablauf des Betriebs eingebunden ist. Maßgeblich ist dabei jeweils das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit.
Das Merkmal der "aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung" verdeutlicht dabei, dass der Typus des von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG erfassten Beschäftigungsverhältnisses abzugrenzen ist von einer unter Zwang zustande gekommenen oder verrichteten Arbeit. Diese Abgrenzung kann ebenfalls nur im Einzelfall erfolgen. Sie orientiert sich allerdings an der grundsätzlichen Überlegung, dass eine Arbeit sich um so mehr der Zwangsarbeit annähert, als sie von hoheitlichen Eingriffen überlagert ist, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. In diesem Sinne kann für Zwangsarbeit z.B. die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an ein Unternehmen sprechen, auf die der Arbeiter keinen Einfluss hat. Je nach den Umständen des Einzelfalles gilt dasselbe für die Bewachung während der Arbeit oder die Züchtigung auf der Arbeitsstelle. Auch die Art der zu verrichtenden Arbeiten kann einen Hinweis auf Zwangsarbeit liefern, wenn sie von dem konkreten Betroffenen schlechterdings unter der Annahme eines eigenen Willensentschlusses nicht erwartet werden konnte (ausführlich Senat, Urteil v. 12.12.2007, L 8 R 187/07, sozialgerichtsbarkeit.de).
Demgegenüber ist es für den eigenen Willensentschluss des Arbeiters unerheblich, aus welchen weiteren Motiven die Arbeit aufgenommen wurde. Auch existenzielle Not (z.B. die Angst vor dem Verhungern oder der Deportation in ein Zwangsarbeits- oder Vernichtungslager) schließt das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses daher nicht aus. Dass derartige Motive außer Betracht zu bleiben haben, wird zusätzlich durch § 1 Abs. 1 ZRBG belegt, der den zwangsweisen Aufenthalt in einem Ghetto mit den damit typischerweise verbundenen Konsequenzen des Hungers und der Bedrohung mit Deportation und Vernichtung sogar als Tatbestandsmerkmal voraussetzt.
b) Vor dem geschilderten historischen Hintergrund ist die Verrichtung der Entwässerungs- und Waldarbeiten unter dem Leiter G durch den Kläger aus eigenem Willensentschluss überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft gemacht. Denn nach den Ausführungen von Dr. Zarusky in seinem Gutachten vom 02.06.2008, die für den Senat gut nachzuvollziehen sind und auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt werden, stellte sich der Besitz eines Arbeitsplatzes als notwendige Voraussetzung für das Überleben der Ghettohaft dar (S. 9 ff. des Gutachtens). Der Judenrat htte auf Anordnung der deutschen Behörde nach Bedarf Arbeitskraftkontingente bereit zu stellen, doch ist die Meldung der Ghettoinsassen zur Arbeit aus eigenen Stücken erfolgt, weil der Erwerbs zusätzlicher (Lebens-)Mittel für die Allermeisten eine Überlebensnotwendigkeit dargestellt hat. Keinesfalls ist es innerhalb des Ghettos so gewesen, dass der auf den Judenrat ausgeübte Zwang zur Bereitstellung von Arbeitskräften unmittelbar weiter gegeben worden ist. Im Gegenteil haben sich meist mehr Menschen beworben als überhaupt Stellen vorhanden waren. Nur wer Glück hatte, über gute Beziehungen oder spezielle Qualifikationen verfügte, konnte aus den zahlreichen Interessenten für eine Stelle herausstechen und einen Arbeitsplatz erhalten.
Dr. Zarusky hat in seinem Gutachten weiter nachvollziehbar heraus gearbeitet, der Grund für die hohe Zahl von Beschäftigten bei G habe darin bestanden, dass dieser alle seine Möglichkeiten ausnutzte, um die Juden vor der Verfolgung zu schützen. Er nahm wesentlich mehr Arbeitskräfte auf, als ihm zustanden, warnte sie vor den bevorstehenden "Aktionen" und bot einer größeren Zahl ein Versteck in einer rundherum durch Strohballen getarnten Scheune. Hiermit korrespondierend schildert auch die Zeugin T1 P in ihrem bei Yad Vashem abgegebenen Zeitzeugenbericht die unter G arbeitenden Juden als die Elite des Ghettos, die für ihre vermeintliche Sicherheit von den übrigen Ghettobewohnern beneidet wurden.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Antwort des Klägers auf die Senatsfrage nach den Umständen des Zustandekommens der Tätigkeit zu werten. Wenn dort der Kläger angibt, der Judenrat habe ihn an diese Arbeit "gewendet", ist in der Wortwahl nicht ein Indiz für "Zwangsarbeit" zu erkennen. Gleiches gilt für die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" im Zusammenhang mit den ausgeübten Tätigkeiten im Entschädigungsverfahren durch den Kläger, aber auch durch die Zeugen im Zusammenhang mit der Tätigkeit unter dem Leiter G. Denn wie das BSG bereits ausdrücklich entschieden hat (BSG, Urteil vom 23.08.2001, B 13 RJ 59/00 R) gibt die Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeit" wegen seiner subjektiven Prägung keinen Aufschluss über die konkreten Arbeitsbedingungen. Im Gegenteil ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass Verfolgte alle während ihres zwangsweisen Aufenthaltes in einem Ghetto ausgeübten Beschäftigungen auch im Nachhinein als Zwangsarbeit empfunden haben. Dies gilt auch im Fall des Klägers, insbesondere mit Blick auf seine Antwort auf Frage 7 des Senatsfragebogens. Hier führt der Kläger aus, dass er "dort", d.h. unter G, habe arbeiten müssen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er nach Sobibor (in die Vernichtung) transportiert worden. Diese Schilderung zeigt eindringlich auf, wie lebensbedrohlich die Gesamtsituation der Ghettoinhaftierung war und unter welchen Ängsten und objektiven wie subjektiven Zwängen die Ghettoinhaftierten gelebt haben. Es kommt hinzu, dass die hier maßgebliche Differenzierung "freier" und "unfreier" Zwangsarbeit auf den Besonderheiten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beruht und weder im allgemeinen Sprachgebrauch noch im historischen Verständnis zwingend in gleicher Weise nachvollzogen werden muss. Dementsprechend ist in der Literatur noch im Jahr 2001 mit Blick auf das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG) die - im Nachhinein bestätigte - Annahme geäußert worden, die Partnerorganisationen der Stiftung würden im Rahmen der von Ihnen festzustellenden Leistungsberechtigung den Begriff der Zwangsarbeit nicht in gleicher Weise abgrenzen wie die deutsche Rentenversicherung (vgl. Gerhard, amtliche Mitteilungen LVA Rheinprovinz 2001, 36, 38).
Dementsprechend geht der Senat davon aus, dass auch die von dem Kläger und den Zeugen beschriebene Bewachung durch jüdische Polizei und polnische Zivile im vorliegenden Fall kein Indiz für Zwangsarbeit ist. Diese Bewachung war lediglich Ausfluss der allgemeinen Lebensbedingungen im Ghetto Wlodawa und stellte sich gleichsam als Fortsetzung und Sicherstellung des zwangsweisen Aufenthaltes in einem solchen Ghetto als "verlängerter Ghettozaun" dar. Der Senat geht davon aus, dass die Bewachung vorliegend eben zur Sicherstellung der Ghettoinhaftierung, d.h. der Verhinderung einer Flucht aus dem Ghetto aber nicht der Erzwingung der Arbeitsleistung diente. So wird auch gerade im Entschädigungsverfahren weder vom Kläger noch von den Zeugen von körperlichen Übergriffen der Wachmannschaften (insbesondere zur Erzwingung der Tätigkeiten) berichtet.
8. Schließlich ist glaubhaft, dass der Kläger seine Beschäftigung unter G gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG) ausgeübt hat.
a) Entgelt in diesem Sinne ist als ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 § 15 Nr. 1). Maßgebend sind dabei die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (a.F.). Zum Entgelt gehörten dabei nach § 160 a.F. neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Jedoch war eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, versicherungsfrei (§ 1227 RVO a.F.; vgl. zum Folgenden außerdem BSG, Urteil vom 30.11.1983, 4 RJ 87/92; Mentzel/Schulz/Sitzler, Kommentar zum Versicherungsgesetz für Angestellte, 1913, § 7 Anm. 3; RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, 1930, § 1227 RVO Anm. 1 ff.). Als freier Unterhalt i.S.v. § 1227 RVO a.F. ist dabei dasjenige Maß von wirtschaftlichen Gütern anzusehen, das zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitnehmers erforderlich ist, nicht aber das, was darüber hinausgeht. Zum freien Unterhalt gehören insbesondere Unterkunft, Beköstigung und Kleidung. Die betreffenden Sachbezüge müssen nach Art und Maß zur Bestreitung des freien Unterhalts geeignet und bestimmt sein. Das ist der Fall, wenn sie in geringem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten gewährt werden. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden (dann freier Unterhalt) oder aber zur beliebigen Verfügung, wie es z.B. bei Deputaten der Fall ist. Die Grenze des freien Unterhalts ist insbesondere dann überschritten, wenn die gewährte Menge erheblich das Maß des persönlichen Bedarfs übersteigt. Das ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die gewährten Sachbezüge ausreichen, nicht nur den freien Unterhalt des Beschäftigten selbst, sondern auch eines nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigten Familienangehörigen sicherzustellen (vgl. VDR, Kommentar zur RVO, 5. Aufl., 1954, § 1228 Rdnr. 5). Werden demgegenüber anstelle des freien Unterhalts auch nur auch geringe Geldbeträge zur Bestreitung des notwendigen Unterhalts gegeben, so ist dies keine freie Unterhaltsgewährung mehr. Geldleistungen stehen demnach der Gewährung des freien Unterhalts nicht gleich, auch wenn sie den unbedingt zum Lebensunterhalt erforderlichen Betrag nicht übersteigen und nicht einmal erreichen. Allerdings geht die bisherige Rechtsprechung davon aus, dass das Entgelt eine Mindesthöhe erreichen muss, damit man von einer entgeltlichen versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgehen kann. Bei Barzahlung neben freiem Unterhalt reicht es aus, wenn das Entgelt die Grenze von einem Sechstel bis einem Drittel Ortslohn überschritt.
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze reichen die dem Kläger als Gegenleistung für seine Arbeit gewährten Bezüge aus, um Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu begründen.
Der Senat geht vorliegend davon aus, dass der Kläger für seine Tätigkeiten unter G im noch streitigen Zeitraum zumindest auch eine Barentlohnung in polnischen Zloty erhalten hat. Entscheidende Bedeutung hat hierbei für den Senat, dass eine solche geringe Barentlohnung bereits in den zeitlich weit zurückliegenden schriftlichen Erklärungen des Klägers und des Zeugen L im Entschädigungsverfahren im Oktober 1955 und damit relativ zeitnah zu den relevanten historischen Ereignissen Erwähnung gefunden hat. So führte der Zeuge L aus: "Die Arbeit wurde nur ganz geringfügig bezahlt, die Bezahlung reichte kaum zum Kauf von Zigaretten aus." Der Kläger selbst gab an: " ... ferner hörte von diesem Zeitpunkt ab (Anmerkung des Senats: gemeint ist wohl der Zeitpunkt des Umzugs in das ZAL Mitte 1942), die bis dahin bezahlte geringe Vergütung für die Arbeit auf." Der Erwähnung einer Barentlohnung für die geleisteten Tätigkeiten bereits im Entschädigungsverfahren kommt besonders hoher Beweiswert zu. Denn schließlich handelt es sich um relativ zeitnahe Erklärungen, die für das Entschädigungsverfahren nicht nur unerheblich, sondern vom Sinn und Zweck des Verfahrens - zumindest aus Laiensicht - für die Anspruchsbegründung nicht förderlich waren. Schließlich ging es im Entschädigungsverfahren darum, gerade die Schwere des individuell erlittenen Verfolgungsschicksals darzustellen. Jedenfalls gab es keinerlei Anlass, die Entlohnung einer unter den Zwangsbedingungen der Ghettohaft ausgeübten Tätigkeiten darzustellen.
Der Kläger hat die Barvergütung sodann auch noch einmal in seinem handschriftlichen Schreiben, gerichtet an seinen damaligen Bevollmächtigten im ersten Klageverfahren vor dem SG Berlin vom 20.06.1996, erwähnt. Dort hat er - ohne erkennbare vorherige Aufforderung - darüber hinaus sogar weitere Details wie den wöchentlichen Zahltag (Donnerstag) und die gewählte Währung Zloty erwähnt. Der Lohn sei in einem Kouvert überreicht worden. Gerade den Zahltag Donnerstag hat auch der Zeuge G1 in seinem Rentenverfahren gegenüber der Beklagten genannte. Im dortigen Verfahren ist eine Barzahlung (wenn auch monatlich) von einer weiteren Zeugin bestätigt worden. Schließlich hat der Kläger auch noch einmal dementsprechend auf den Senatsfragebogen geantwortet, was wiederum der Zeuge L auf die entsprechenden Fragen des Senats schriftlich bestätigt hat. Auch diese Kontinuität der Aussagen des Klägers aber auch die Übereinstimmung in Details wie dem Umstand, dass der Lohn einmal wöchentlich donnerstags ausgezahlt wurde, lässt die Darstellung des Klägers überwiegend glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit erscheinen. Hierzu trägt überdies der Detailreichtum der Schilderungen (Zahlung an einem Donnerstag in Zloty in einem Kouvert) bei, der auf eine Erlebnisfundiertheit der Angaben schließen lässt. Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers spricht weiter, dass er Erinnerungslücken freimütig eingeräumt hat, so etwa in seinem handschriftlichen Schreiben vom 30.01.2006 gerichtet an seinen Bevollmächtigten, das dieser später in das Verfahren eingeführt hat. Hier hat der Kläger zugegeben, dass er sich nicht mehr vollständig erinnern könne, wie es bei G gewesen sei. Damit korrespondierend hat der Kläger auch auf die konkreten Fragen des Senats in dem ihm übersandten Fragebogen vom 20.10.2008 keine Angaben zum genauen Umfang der Entlohnung gemacht.
Durchgreifende Zweifel ergeben sich für den Senat auch nicht bei Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen M1 und L vor dem Amtsgericht Haifa am 02.02.2000 im Rahmen des Rechtshilfeersuchens des LSG Berlin Brandenburg. Der Senat hält es für im Bereich des Möglichen, dass insbesondere der Zeuge L den Erhalt einer Gegenleistung in einer persönlichen Anhörung vor einem israelischen Gericht aus Scham, zugeben zu müssen, von seinen Peinigern auch noch Geld als Gegenleistung angenommen zu haben, unerwähnt gelassen hat.
Schließlich erachtet der Senat den Erhalt von Barlohn auch vor dem historischen Hintergrund als wahrscheinlich im Sinne einer guten Möglichkeit. Dr. Zarusky zitiert ohne Abschwächung aus einem Urteil des LG Hannover, wonach bei den Entwässerungsarbeiten beschäftigte Juden von G entlohnt und verpflegt worden seien. Hieraus und aus den weiteren Angaben des Klägers und der Zeuge ergibt sich iSe einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ebenfalls, dass die Barentlohnung neben einer Verpflegung bzw. Lebensmittelzuteilung gewährt wurde. Dies entspricht den historischen Erkenntnissen zum Ghetto Wlodawa, die Dr. Zarusky eingehend dargestellt hat (vgl. S. 9 ff. des Gutachtens).
Darüber hinaus ist überwiegend wahrscheinlich, dass das dem Kläger am Arbeitsplatz gezahlte Entgelt der Höhe nach neben dem Bezug von Lebensmittelcoupons zumindest 1/6 des üblichen Ortslohns überschritten hat.
Insofern kann mangels einer konkreten Erinnerung nicht auf die Angaben des Klägers zurückgegriffen werden, was nach einem Zeitablauf von mehr als 60 Jahren ohne weiteres verständlich ist und im Übrigen im Umkehrschluss wiederum für die Erlebnisfundiertheit der übrigen Angaben des Klägers spricht. Ausgehend von den historischen Erkenntnissen zur Entlohnung von nichtjüdischen und jüdischen Arbeitern und Arbeiterinnen im Generalgouvernement (S. 9 des Gutachtens von Dr. Zarusky) betrug der Monatslohn für einen ungelernten jüdischen Arbeiter 130 Zloty, was einem Wochenlohn von etwa 30 Zloty entspricht, sodass 1/6 des Ortlohns wöchentlich 5 Zloty ausmacht. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Angaben des F G1 und des Klägers als zutreffend, wenn sie von einem geringen Lohn bzw. einer geringen Vergütung gesprochen haben. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der dem Kläger gezahlte Barlohn den geringen Betrag von 5 Zloty wöchentlich nicht überschritt. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass gerade der Leiter der Wasserwirtschaftsfirma, C G, sich der Verordnungslage entsprechend verhalten und die danach für jüdische Arbeitskräfte bestimmten Löhne gezahlt hat. Es ist bereits dargestellt worden, dass G große und vielfältige Anstrengungen unternahm, um das Leben vieler Juden zu schützen. Es liegt also nahe, dass er bei der Entlohnung nicht anders handelte, sondern vielmehr dafür Sorge trug, dass die Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte der Verordnungslage entsprach, um diese soweit wie unter den gegebenen Bedingungen möglich ökonomisch in die Lage zu versetzen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
9. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger für seine Arbeit im Ghetto Wlodawa anderweitige Leistungen aus einem System sozialer Sicherheit erhält. Da er sich seit 1947 in Israel aufhält, kommen insoweit nur Leistungen aus einem dortigen Sicherungssystem in Betracht. Insofern ist für den Senat aus einer Vielzahl von Streitverfahren nach dem ZRBG offenkundig (§ 202 SGG i.V.m. § 291 ZPO) und im Übrigen zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass in den Leistungen der israelischen Nationalversicherung ausschließlich Zeiten ab deren Einrichtung im Jahr 1954 Berücksichtigung finden, nicht jedoch Zeiten nationalsozialistischer Verfolgung.
10. Die Anerkennung von Beitragszeiten scheitert schließlich nicht daran, dass der Kläger eine Entschädigung nach dem EVZStiftG erhalten hat. Wie der Senat bereits entschieden hat, erstrecken sich die in § 16 Abs. 1 S. 2 EVZStiftG geregelte Ausschlusswirkung und die Verzichtswirkung des § 16 Abs. 2 S. 2 EVZStiftG nicht auf den Anspruch auf Zahlung einer Rente aufgrund von Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG (Senat, Urteil vom 18.06.2008, L 8 R 298/07, sozialgerichtsbarkeit.de, mit eingehender Begründung).
II.
Auf die Wartezeit von 60 Monaten sind neben den sechs Monaten Beschäftigungszeiten 54 Beitragsmonate anrechenbar, die der Kläger in Israel zurückgelegt hat (Art 20 Abs. 1 DISVA).
III.
Da der Kläger den Rentenantrag am 08.07.2002 gestellt hat, beginnt die Rente am 01.07.1997 (§ 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat keinen Anlass gehabt, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG). Sämtliche angesprochenen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung des BSG bereits hinreichend geklärt. Der vorliegende Rechtsstreit wirft ausschließlich Fragen der einzelfallbezogenen Beweiswürdigung auf.
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