Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 53 (39) R 322/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 305/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.11.2007 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Witwenrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten im Ghetto Wilna/Vilnius (Litauen) in der Zeit von September 1941 bis September 1943.
Die am 00.00.1929 geborene Klägerin war seit 1956 verheiratet mit dem am 00.00.1927 geborenen und am 00.08.1997 verstorbenen jüdischen E S (S). Die Klägerin hat nach dem Tode des S nicht wieder geheiratet. S besaß zuerst die polnische, dann die sowjetische und zuletzt die israelische Staatsangehörigkeit. Er gehörte nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) an. Während des zweiten Weltkrieges lebte er in Wilna und war dort der Verfolgung durch den Nationalsozialismus ausgesetzt. Nach Ende des Krieges und Eheschließung mit der Klägerin übersiedelte S im Jahre 1959 nach Israel, wo er 394 Beitragsmonate zur israelischen Nationalversicherung zurücklegte.
Ein Verfahren nach dem Bundesgesetz zur Entschädigung von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) machte S nicht anhängig. Er beantragte allerdings im Jahr 1993 bei der Jewish Claims Conference (JCC) Leistungen aus dem "Art-2-Fonds". In diesem Antrag gab er am 21.02.1993 an: "Gleich nach der Besetzung von Vilnius begannen die Judenverfolgungen. Im September 1941 wurde unsere Familie ins Ghetto eingewiesen. Meine Eltern sind im Ghetto umgebracht worden (in Ponary). Im Ghetto blieb ich bis Herbst 1943, als ich nach Estland zur Arbeit gebracht wurde. In Estland schuftete ich bis Herbst 1944, als ich nach Stutthof deportiert wurde. Befreit war ich in Stutthof durch die Russen.".
Am 14.04.2003 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des S unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). In dem daraufhin von der Beklagten übersandten Formularfragebogen gab die Klägerin an, S habe im Ghetto Wilna von September 1941 bis September 1943 in den Ghettowerkstätten - Abteilung Holzschuhe - durch Vermittlung des Judenrates gearbeitet und 10 bis 12 Stunden am Tag Holzschuhe gegen ein kleines Entgelt in Zloty hergestellt. Die genaue Höhe sei nicht erinnerlich. Sachbezüge habe er nicht erhalten, aber Rationen und Unterkunft im Ghetto.
Die von der Klägerin benannte Zeugin M T1 teilte auf Anfrage mit, sie sei von August 1941 bis Juni 1944 im Ghetto Schaulen gewesen. Sie sei weder während des Zweiten Weltkriegs mit S zusammen noch überhaupt mit ihm bekannt gewesen.
Mit Bescheid vom 10.12.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab. Gegenüber der JCC sei die jetzt behauptete Beschäftigung nicht erwähnt worden. Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruches übersandte die Klägerin einen Auszug aus der Liste der Gefangenen des Ghettos Wilna, in der S als Tischler/Schreiner aufgeführt ist. Dies bestätige die behauptete Tätigkeit in der Abteilung für Holzschuhherstellung der Ghettowerkstätten. Zugleich legte sie eine "eidesstattliche Versicherung" des K T vom 23.01.2005 vor, der erklärte: "Wie Herr S bin ich in Wilna geboren. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde ich, wie alle Juden, im August 1941 ins Ghetto eingewiesen. Herrn S kannte ich aus dem Ghetto. Wir wohnten im Ghetto nicht weit voneinander entfernt und die jungen Leute trafen sich auf der Straße. Bei diesen Treffen erzählte mir Herr S über seine Arbeit und was ihm sonst im Ghetto bisher widerfahren war. So wusste ich, dass er in den Ghettowerkstätten in der Abteilung für Holzschuhherstellung arbeitete. Ich arbeitete nicht mit Herrn S zusammen. Mir ist nicht bekannt, wie Herr S im Einzelnen entlohnt wurde. Allerdings weiß ich, dass die Arbeiter, die in der Produktion beschäftigt war, ebenso wie ich bei der Arbeit in der Werkstatt, einen kleinen Barlohn erhielten. Ich nehme an, dass Herr S, da er Holzschuhe herstellte, ebenfalls für seine Arbeit Geld erhielt, auch wenn es wohl nicht viel war. Ich weiß nicht, wo Herr S die weiteren Kriegsjahre verbrachte, denn unsere Wege trennten sich im Oktober 1943."
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Freiwilligkeit der Tätigkeitsaufnahme sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Die Vermutungen des Zeugen T reichten nicht aus, um eine entgeltliche Beschäftigung glaubhaft zu machen.
Gegen den am 25.05.2005 abgesandten und lediglich der Klägerin zugegangenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 29.08.2005, einem Montag, Klage erhoben. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen unter Bezugnahme auf die bereits überreichten Unterlagen wiederholt und ergänzend vorgetragen, der Lohnanspruch der beschäftigten Juden sei durch § 14 der Anordnung des Gebietskommissars Wilna-Land vom 10.07.1942 festgelegt, wonach an Jugendliche unter 16 Jahren RM 0,10 zu zahlen gewesen seien.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente nach S unter Berücksichtigung von Beitragszeiten im Ghetto Wilna in der Zeit von September 1941 bis September 1943 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, maßgeblich seien nicht die im Reichskommissariat Ostland (RKO) geltenden Bestimmungen, sondern die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles.
Das Sozialgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 16.11.2007 gestützt auf die Vorschrift des § 35 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) verpflichtet, der Klägerin Witwenrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 1. September 1941 bis zum 30. September 1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG ab dem 01. Juli 1997 zu gewähren. Auf der Grundlage der Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) in dem Urteil vom 14.12.2006 (Az. B 4 R 29/06 R) und verschiedener Urteile des Sozialgerichts Hamburg hat es die Voraussetzungen der behaupteten Ghettobeitragszeiten für glaubhaft gemacht gehalten. Die Klägerin habe nachvollziehbar dargelegt, dass S für seine Arbeit ein Entgelt in Zloty und zusätzliche Lebensmittel, die unter Ghettobedingungen besonders wertvoll gewesen seien, erhalten habe. Nach den geschilderten Umständen könne auch von einem eigenen Willensentschluss ausgegangen werden, der zur Aufnahme der Tätigkeit geführt hat.
Hiergegen richtet sich die am 05.12.2007 erhobene Berufung der Beklagten. Die Beklagte trägt vor, der Entscheidung des BSG vom 14.12.2006 sei nicht zu folgen. Stattdessen sei auch für die Beurteilung von Ghettobeitragszeiten die sog. "Ghettorechtsprechung" heranzuziehen, die zuletzt in der Entscheidung des BSG v. 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) niedergelegt worden sei. Die Klägerin habe zur Höhe des Entgelts keine Angaben machen können, sondern lediglich vorgetragen, S habe ein kleines Entgelt in Zloty erhalten. Das sei nicht ausreichend. Zudem sei das für die Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss erforderliche Maß an Freiwilligkeit nicht festgestellt worden. Da S am 22.08.1997 verstorben sei, habe die Rente zudem frühestens ab dem Todestag gewährt werden dürfen. Schließlich sei nach den Feststellungen des Sozialgerichts die erforderliche Wartezeit nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.11.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin, die im Termin nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig und trägt ergänzend vor, nach den "Richtlinien und Anweisungen zum Einsatz jüdischer Arbeitskräfte" vom 07.04.1942 hätten sich die Löhne der jüdischen Arbeitskräfte auf etwa ein Drittel der Löhne der nichtjüdischen Arbeiter belaufen. Zudem sei nach zutreffender Auffassung das vom BSG in anderem Zusammenhang entwickelte Kriterium, wonach der gezahlte Lohn mindestens 1/3 des Ortslohns entsprochen haben müsse, nicht anzuwenden. Ergänzend verweist sie auf historische Sachverständigengutachten des Dr. U vom 08.10.2007 bzw. 15.10.2007, die dieser in den Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit den Az. L 8 R 74/05, L 8 R 229/06, L 4 R 73/06, L 13 R 153/06, L 4 R 137/06, L 8 R 247/05, L 8 R 287/06 erstattet hat.
Der Senat hat eine Auskunft bei der JCC eingeholt, wonach S beim Härte- und beim Zwangsarbeiterfonds nicht registriert ist. Außerdem sind beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes (ITS) die dort vorliegenden Informationen über das Verfolgungsschicksal des S beigezogen worden.
Die Klägerin hat auf Anfrage des Senates mitgeteilt, dass das Verfolgungsschicksal des S nirgendwo offiziell dokumentiert worden sei. Ihr ist ferner ein Fragebogen des Senates übersandt worden. Hinsichtlich des Inhaltes der Antworten der Klägerin im Einzelnen wird auf Bl. 108 der Gerichtsakte verwiesen.
Schließlich hat der Senat Beweis erhoben durch die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bei dem Historiker Dr. U (im Folgenden: U I). Beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist außerdem das Gutachten, das der Sachverständige Dr. U in dem Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit dem Az. L 4 R 73/06 erstattet hat (im Folgenden: U II).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte nach den §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Abwesenheit der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil in der Terminsmitteilung, die ihrem Bevollmächtigten am 17.02.2009 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin ab dem 01.07.1997 eine Witwenrente aus der Versicherung des S unter Berücksichtigung einer Pflichtbeitragszeit vom 01.09.1941 bis zum 30.09.1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG zu zahlen. Denn der mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 10.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005 ist nicht rechtswidrig und die Klägerin damit nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.
Die von dem Sozialgericht herangezogene Anspruchsgrundlage ist schon vom Ansatz her nicht einschlägig, weil § 35 SGB VI lediglich den Anspruch auf Regelaltersrente und damit einen Anspruch aus eigener Versicherung regelt. Die Klägerin macht hier aber kein Recht aus ihrer Versicherung, sondern als Witwe aus der Versicherung des S geltend. Dieser Witwenrentenanspruch kann sich allein aus § 46 SGB VI ergeben. Das ZRBG stellt insoweit keine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Rentenzahlung dar (so Urteil des BSG vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R ,SozR 4-5075, § 1 Nr. 4 zum Anspruch auf Altersrente nach § 35 SGB VI, der sich der Senat anschließt; a. A. BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075, § 1 Nr. 3) Die Vorschrift des § 46 SGB VI ist trotz Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I) anwendbar (vgl. dazu BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, juris; BSG Urteil vom 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200, § 48 Nr. 17).
Nach § 46 SGB VI besteht nach dem Tod des versicherten Ehegatten (hier: S) ein Anspruch auf Witwenrente bei dem Vorliegen weiterer Voraussetzungen, wenn dieser die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (§ 46 Abs. 1 S. 1 SGB VI). Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen nur Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", d. h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 , § 15 Nr. 1 , m.w.N.).
S hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 S. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI). Solche Beitragszeiten bestehen hier weder nach § 2 Abs. 1 ZRBG (dazu unten I.) noch nach den Vorschriften des Fremdrentenrechts (dazu unten II.).
I.
Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat, und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht sein (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WGSVG -). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, d. h. mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900, § 15 Nr. 4).
Hieran gemessen hält es der Senat für glaubhaft, dass zwischen Anfang September 1941 und Ende September 1943 in Wilna ein geschlossenes Ghetto bestanden hat (vgl. hierzu bereits Senat Urteil vom 19.03.2008, Az. L 8 R 296/06 und vom 17.02.2009, Az. L 8 R 243/06). Da sich S ausweislich der Liste der Gefangenen des Ghettos Wilna und auch nach den Angaben des Zeugen K T in dem fraglichen Zeitraum in dem Ghetto befunden hat, hat er sich dort auch zwangsweise aufgehalten. Ferner gehörte Wilna zum RKO und lag damit im Anspruchszeitraum in einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet.
S ist auch als Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG anzusehen. Der Begriff des Verfolgten entspricht demjenigen des § 1 Abs. 1 BEG (BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3; BT-Drs. 14/8583 S. 6 zu § 1). Es schadet dabei nicht, dass S nicht formell als Verfolgter anerkannt ist. Denn es reicht nach der Rechtsprechung des Senates aus, wenn ein Betroffener tatsächlich die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEG erfüllt und damit "materiell" gesehen Verfolgter im Sinne des BEG ist (vgl. Senat, Urteile vom 20.08.2008, Az. L 8 R 23/07 und 04.03.2009, Az. L 8 R 305/07). Das ist bei S der Fall. Denn der zwangsweise Aufenthalt in einem Ghetto ist eine freiheitsentziehende Maßnahme (vgl. § 43 Abs. 2 BEG), die den Tatbestand der Verfolgung in dem vorgenannten Sinne erfüllt.
Ferner sieht es der Senat als glaubhaft gemacht an, dass S während seines Aufenthalts im Ghetto Wilna in der Zeit ab Januar 1942 bis September 1943 in einer Werkstatt gearbeitet hat, die Holzschuhe herstellte. Die dahingehenden Angaben der Klägerin und des Zeugen T werden gestützt durch die Bezeichnung des S als "Tischler/Schreiner" in der Liste der Ghettogefangenen. Außerdem ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. U (U I, Seite 2), dass im Ghetto Wilna eine Werkstatt zur Fertigung von Holzschuhen bestand; und zwar auch in dem hier fraglichen Zeitraum. Nicht wesentlich ist aus Sicht des Senates, dass S die Tätigkeit gegenüber dem Art-2-Fonds nicht angegeben hat. Hierzu bestand nämlich keine Veranlassung, weil Arbeitsleistung bei Ghettoinhaftierten keine Anspruchsvoraussetzung für Leistungen aus diesem Fonds war.
Die Arbeit des S fand, wie von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gefordert, auch "in einem Ghetto" statt. Denn nach den aktenkundigen Unterlagen insbesondere den Fragebögen und den Ausführungen in dem Gutachten des Dr. U (U I) ist anzunehmen, dass es sich um eine Ghettowerkstatt und damit um eine solche handelte, die innerhalb des räumlichen Gebietes des Ghettos lag.
Der Senat sieht es schließlich auch noch als glaubhaft gemacht an, dass die Beschäftigung des S in der Holzschuhwerkstatt aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist.
Zwar hat die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen, S habe sich beim Arbeitsamt des Judenrates gemeldet und dieser habe ihm den Arbeitsplatz besorgt. Da S bereits 1997 verstorben ist, konnte er selbst keine Angaben zum Zustandekommen seiner Tätigkeit mehr machen. Auch der Zeuge T, der mit S nicht zusammengearbeitet hat, ist insoweit kein geeignetes Beweismittel. Angesichts der sich hieraus für die Klägerin ergebenden Beweisnot kann ergänzend auf das Sachverständigengutachten von Dr. U zurückgegriffen werden. Dieser hat ausgeführt, dass - zumal angesichts der Tätigkeit des S in einer Ghettowerkstatt - historisch nichts gegen eine Beschäftigungsaufnahme aus eigenem Willensentschluss spreche (U I, Seite 3). Hieraus lässt sich unter Berücksichtigung der weiteren vorstehend genannten Gesichtspunkte die überwiegende Wahrscheinlichkeit der freiwilligen Aufnahme der Beschäftigung ableiten.
Der Senat hat es indessen nicht für glaubhaft gehalten, dass S seine Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG) ausgeübt hat.
Bei der Auslegung des Begriffs "Entgelt" hat der Senat sich - schon zur Wahrung der Rechtssicherheit - auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestützt, die diese bis weit ins Jahr 2007 hinein explizit auch zum Entgeltbegriff des ZRBG vertreten hat und für deren Änderung es im Zeitpunkt der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits keinerlei Anhaltspunkte gab (BSG, Urteile v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R; v. 03.05.2005, B 13 RJ 34/04 R; v. 20.07.2005, B 13 RJ 37/04 R; v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R). Danach bestand kein Zweifel daran, dass als "Entgelt" im Sinne des ZRBG nur ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen war (vgl. zum Folgenden auch Senat, Urteile vom 12.12.2007, L 8 R 187/07 und vom 28.01.2008, L 8 RJ 139/04; zuletzt Urteil vom 17.02.2009, L 8 R 243/06; jeweils sozialgerichtsbarkeit.de). In diesem Sinne ließen sich die im Zusammenhang mit Streitigkeiten nach dem ZRBG auftretenden Fallgruppen zunächst wie folgt systematisieren: Die Gewährung von Entgelt in der ortsüblichen Währung, von Ghettogeld oder zum Tausch bestimmten Bezugsscheinen ist Entgelt in Sachen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG, soweit ihr Umfang 1/6 bzw. 1/3 des ortsüblichen Arbeitsentgelts für ungelernte Arbeiter(-innen) übersteigt. Bei der Gewährung von Sachbezügen ist dagegen zu unterscheiden: Übersteigen die Sachbezüge (insbesondere Verpflegung, Unterkunft und Kleidung) nicht das Maß freien Unterhalts, d.h. derjenigen wirtschaftlichen Güter, die zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Einzelnen erforderlich sind, liegt kein Entgelt vor. Bei Lebensmitteln kommt es darauf an, ob sie nach Art und Umfang des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden. Wird das Maß des persönlichen Bedarfs hingegen überschritten und werden die Lebensmittel zur freien Verfügung gewährt, ist von Entgelt auszugehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn glaubhaft gemacht wird, dass gewährte Lebensmittel auch den Bedarf eines Angehörigen sicherstellen. Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, z.B. der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten, oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelnen als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist. Ohne Bedeutung ist es dagegen, ob die Lebensmittel unmittelbar in Naturalien gewährt worden sind, oder ob die Betroffenen Lebensmittelcoupons erhalten haben, die sie gegen Lebensmittel eintauschen konnten.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind die S ausgeübten Beschäftigungen nicht als entgeltlich anzusehen.
Der Senat hält es insoweit zunächst nicht für glaubhaft gemacht, dass S für seine Tätigkeit selbst Barlohn erhalten hat. Die Klägerin hat in dem Fragebogen des Senats hierzu angegeben, S habe "Geld" erhalten. Sie wisse nicht, wie viel. Im Verwaltungsverfahren hat sie vorgetragen, S habe "Zloty" erhalten. Die Angaben der Klägerin sind schon aus historischen Gründen nicht geeignet, die Entgeltlichkeit der Beschäftigung des S glaubhaft zu machen. Denn der Sachverständige Dr. U hat nachvollziehbar ausgeführt (U I, Seite 3-5), dass eine systematische Vergütung in Zloty im Ghetto Wilna praktisch ausgeschlossen werden kann. Da der Zeuge T nicht selbst mit S im Ghetto zusammen gearbeitet hat, konnte er zur Frage der Entlohnung aus eigener Anschauung keine Angaben machen. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat seine Erklärung, er nehme an, S habe ebenso wie die anderen Arbeiter in der Produktion einen kleinen Barlohn erhalten, auch wenn es nicht viel gewesen sei, als Mutmaßung an, die auch gemeinsam mit den Angaben der Klägerin nicht geeignet ist, eine Barvergütung für die Tätigkeit des S als überwiegend wahrscheinlich anzusehen.
Da somit verwertbare authentische Angaben zur Entlohnung der Tätigkeit des S in Geld nicht vorhanden und auch nicht mehr zu erlangen sind, könnten die Lücken im Vortrag der Klägerin nur geschlossen werden, wenn die von dem Senat durch die Sachverständigengutachten gewonnenen allgemeinen historischen Erkenntnisse zu den Verhältnissen im Ghetto Wilna eine Barlohnzahlung an S in dem streitigen Zeitraum überwiegend wahrscheinlich erscheinen ließen. Dies ist aber ebenfalls nicht der Fall.
Soweit der Sachverständige Dr. U in seinem Gutachten vom 14.04.2007 (U II, Seite 6) ausgeführt hat, es sei von einer Barentlohnung der Arbeiter im Ghetto Wilna auszugehen, hat er inzwischen insbesondere im Hinblick auf die auch hier in Rede stehende Tätigkeit in den Ghettowerkstätten differenzierte Erkenntnisse gewonnen (U I, Seite 3). Danach belegen die von ihm ausgewerteten historischen Unterlagen nunmehr, dass die Ghettolohn- und Auftragsstelle die Rechnungen kassiert und den jüdischen Anteil an die Kasse der Ghettoindustrie überwiesen hat. Die Entlohnung der Arbeiter sei dann meist über Sachmittel erfolgt. Eine darüber hinaus gehende Zahlung von Barlohn hält der Sachverständige inzwischen nur noch für möglich. Außerdem beziehen sich seine Ausführungen in dem zeitlich früheren Gutachten (U II) erkennbar in erster Linie auf "private" Arbeitgeber, die ihrerseits Zahlungen an den Gebietskommissar abzuführen hatten, nicht jedoch auf den hier zur Entscheidung stehenden Fall, dass der Judenrat selbst, wie bei den Ghettowerkstätten üblich, als Arbeitgeber in Erscheinung trat. Soweit der Sachverständige in diesem Gutachten Ausführungen zur Barentlohnung von Angestellten des Judenrates gemacht hat, handelt es sich nur um eine Mutmaßung ("soll weitergegeben haben"; vgl. U II, Seite 6). Nach alledem geht der Senat insbesondere unter Berücksichtigung der neueren historischen Hintergrundinformationen über das Ghetto Wilna davon aus, dass eine Barentlohnung des S für seine Tätigkeit in der Holzschuhwerkstatt in Rubel zwar möglich, aber nicht - wie erforderlich - überwiegend wahrscheinlich ist.
Die Klägerin kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, für das Merkmal einer Beschäftigung "gegen Entgelt" im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG reiche es aus, dass S für seine Arbeitsleistung einen Rechtsanspruch auf Entgelt gehabt habe, auch wenn dieses letztlich nicht gezahlt worden sei. Der Senat hat bereits im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen diese Rechtsauffassung auch dann unzutreffend ist, wenn örtliche Lohnordnungen eine Bezahlung der Arbeitskräfte vorgesehen haben, die indessen unterblieben ist (Urteile vom 03.09.2008, L 8 R 220/07 und L 8 R 265/07; jeweils www.sozialgerichtsbarkeit.de). Infolgedessen kann auch dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerin zur Begründung ihre Begehrens zitierten Anordnungen des Reichs- bzw. des Gebietskommissars individuelle Lohnansprüche begründen sollten.
Schließlich kann auch im Hinblick auf die nach den eingangs dargestellten Grundsätzen zu beurteilenden Sachbezüge von einer Entgeltlichkeit der Tätigkeit des S in der Holzschuhabteilung des Ghettos Wilna nicht ausgegangen werden. Lebensmittel erhielt S nach den Angaben der Klägerin zu Mittag. Es liegt daher nahe, dass es sich lediglich um eine Mahlzeit zum sofortigen Verzehr und damit um freien Unterhalt handelte. Da es keine Informationen über das gewährte Maß an Lebensmitteln gibt, bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich vom Umfang her um eine Verpflegung handelte, die über das Maß des freien Unterhaltes hinausgegangen wäre. Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass S durch die ihm für seine Tätigkeit in der Holzschuhwerkstatt zur Verfügung gestellte Verpflegung eine dritte Person, insbesondere ein Familienmitglied, über eine längere Zeit wesentlich mit versorgt hat.
II.
Weitere Beitragszeiten sind nicht erkennbar.
Die von S im Ghetto Wilna verrichtete Arbeit kann auch nicht nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. §§ 15, 16, Fremdrentengesetz (FRG) i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG oder § 12 WGSVG als Versicherungszeit angerechnet werden. Ein hieraus resultierender Anspruch scheitert nach den Angaben der Klägerin in dem Rentenantragsformular schon daran, dass S nicht dem dSK angehörte.
Die Tätigkeit des S unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen. Im RKO galten diese nicht für Personen, die wie der Kläger, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001 - B 13 RJ 59/00 R für das sogenannte Generalgouvernement). Eine Anrechnung als Versicherungszeit kann sich daher allein nach den §§ 15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG richten. Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG kommt indessen nicht in Betracht, weil eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht glaubhaft gemacht und von der Klägerin auch gar nicht behauptet worden ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 FRG sind bereits deshalb nicht erfüllt, weil - wie oben bereits ausgeführt - ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann. Auch § 16 FRG greift nicht ein, da die Tätigkeit in der Holzschuhwerkstatt nicht nach dem am 01.03.1957 geltenden Bundesrecht (§§ 1227 und 1228 RVO n.F.) Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet hätte, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wäre. Schließlich sind die Vorschriften des FRG auf S auch deshalb nicht anwendbar, weil dieser nicht dem dSK angehörte.
Da nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass S eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.
Weitere - von der Klägerin mit der vorliegenden Klage ohnehin nicht geltend gemachte - Beitragszeiten, die zum Anspruch auf Zahlung der begehrten Witwenrente führen könnten, sind nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Witwenrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten im Ghetto Wilna/Vilnius (Litauen) in der Zeit von September 1941 bis September 1943.
Die am 00.00.1929 geborene Klägerin war seit 1956 verheiratet mit dem am 00.00.1927 geborenen und am 00.08.1997 verstorbenen jüdischen E S (S). Die Klägerin hat nach dem Tode des S nicht wieder geheiratet. S besaß zuerst die polnische, dann die sowjetische und zuletzt die israelische Staatsangehörigkeit. Er gehörte nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) an. Während des zweiten Weltkrieges lebte er in Wilna und war dort der Verfolgung durch den Nationalsozialismus ausgesetzt. Nach Ende des Krieges und Eheschließung mit der Klägerin übersiedelte S im Jahre 1959 nach Israel, wo er 394 Beitragsmonate zur israelischen Nationalversicherung zurücklegte.
Ein Verfahren nach dem Bundesgesetz zur Entschädigung von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) machte S nicht anhängig. Er beantragte allerdings im Jahr 1993 bei der Jewish Claims Conference (JCC) Leistungen aus dem "Art-2-Fonds". In diesem Antrag gab er am 21.02.1993 an: "Gleich nach der Besetzung von Vilnius begannen die Judenverfolgungen. Im September 1941 wurde unsere Familie ins Ghetto eingewiesen. Meine Eltern sind im Ghetto umgebracht worden (in Ponary). Im Ghetto blieb ich bis Herbst 1943, als ich nach Estland zur Arbeit gebracht wurde. In Estland schuftete ich bis Herbst 1944, als ich nach Stutthof deportiert wurde. Befreit war ich in Stutthof durch die Russen.".
Am 14.04.2003 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des S unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). In dem daraufhin von der Beklagten übersandten Formularfragebogen gab die Klägerin an, S habe im Ghetto Wilna von September 1941 bis September 1943 in den Ghettowerkstätten - Abteilung Holzschuhe - durch Vermittlung des Judenrates gearbeitet und 10 bis 12 Stunden am Tag Holzschuhe gegen ein kleines Entgelt in Zloty hergestellt. Die genaue Höhe sei nicht erinnerlich. Sachbezüge habe er nicht erhalten, aber Rationen und Unterkunft im Ghetto.
Die von der Klägerin benannte Zeugin M T1 teilte auf Anfrage mit, sie sei von August 1941 bis Juni 1944 im Ghetto Schaulen gewesen. Sie sei weder während des Zweiten Weltkriegs mit S zusammen noch überhaupt mit ihm bekannt gewesen.
Mit Bescheid vom 10.12.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab. Gegenüber der JCC sei die jetzt behauptete Beschäftigung nicht erwähnt worden. Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruches übersandte die Klägerin einen Auszug aus der Liste der Gefangenen des Ghettos Wilna, in der S als Tischler/Schreiner aufgeführt ist. Dies bestätige die behauptete Tätigkeit in der Abteilung für Holzschuhherstellung der Ghettowerkstätten. Zugleich legte sie eine "eidesstattliche Versicherung" des K T vom 23.01.2005 vor, der erklärte: "Wie Herr S bin ich in Wilna geboren. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde ich, wie alle Juden, im August 1941 ins Ghetto eingewiesen. Herrn S kannte ich aus dem Ghetto. Wir wohnten im Ghetto nicht weit voneinander entfernt und die jungen Leute trafen sich auf der Straße. Bei diesen Treffen erzählte mir Herr S über seine Arbeit und was ihm sonst im Ghetto bisher widerfahren war. So wusste ich, dass er in den Ghettowerkstätten in der Abteilung für Holzschuhherstellung arbeitete. Ich arbeitete nicht mit Herrn S zusammen. Mir ist nicht bekannt, wie Herr S im Einzelnen entlohnt wurde. Allerdings weiß ich, dass die Arbeiter, die in der Produktion beschäftigt war, ebenso wie ich bei der Arbeit in der Werkstatt, einen kleinen Barlohn erhielten. Ich nehme an, dass Herr S, da er Holzschuhe herstellte, ebenfalls für seine Arbeit Geld erhielt, auch wenn es wohl nicht viel war. Ich weiß nicht, wo Herr S die weiteren Kriegsjahre verbrachte, denn unsere Wege trennten sich im Oktober 1943."
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Freiwilligkeit der Tätigkeitsaufnahme sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Die Vermutungen des Zeugen T reichten nicht aus, um eine entgeltliche Beschäftigung glaubhaft zu machen.
Gegen den am 25.05.2005 abgesandten und lediglich der Klägerin zugegangenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 29.08.2005, einem Montag, Klage erhoben. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen unter Bezugnahme auf die bereits überreichten Unterlagen wiederholt und ergänzend vorgetragen, der Lohnanspruch der beschäftigten Juden sei durch § 14 der Anordnung des Gebietskommissars Wilna-Land vom 10.07.1942 festgelegt, wonach an Jugendliche unter 16 Jahren RM 0,10 zu zahlen gewesen seien.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente nach S unter Berücksichtigung von Beitragszeiten im Ghetto Wilna in der Zeit von September 1941 bis September 1943 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, maßgeblich seien nicht die im Reichskommissariat Ostland (RKO) geltenden Bestimmungen, sondern die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles.
Das Sozialgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 16.11.2007 gestützt auf die Vorschrift des § 35 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) verpflichtet, der Klägerin Witwenrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 1. September 1941 bis zum 30. September 1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG ab dem 01. Juli 1997 zu gewähren. Auf der Grundlage der Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) in dem Urteil vom 14.12.2006 (Az. B 4 R 29/06 R) und verschiedener Urteile des Sozialgerichts Hamburg hat es die Voraussetzungen der behaupteten Ghettobeitragszeiten für glaubhaft gemacht gehalten. Die Klägerin habe nachvollziehbar dargelegt, dass S für seine Arbeit ein Entgelt in Zloty und zusätzliche Lebensmittel, die unter Ghettobedingungen besonders wertvoll gewesen seien, erhalten habe. Nach den geschilderten Umständen könne auch von einem eigenen Willensentschluss ausgegangen werden, der zur Aufnahme der Tätigkeit geführt hat.
Hiergegen richtet sich die am 05.12.2007 erhobene Berufung der Beklagten. Die Beklagte trägt vor, der Entscheidung des BSG vom 14.12.2006 sei nicht zu folgen. Stattdessen sei auch für die Beurteilung von Ghettobeitragszeiten die sog. "Ghettorechtsprechung" heranzuziehen, die zuletzt in der Entscheidung des BSG v. 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) niedergelegt worden sei. Die Klägerin habe zur Höhe des Entgelts keine Angaben machen können, sondern lediglich vorgetragen, S habe ein kleines Entgelt in Zloty erhalten. Das sei nicht ausreichend. Zudem sei das für die Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss erforderliche Maß an Freiwilligkeit nicht festgestellt worden. Da S am 22.08.1997 verstorben sei, habe die Rente zudem frühestens ab dem Todestag gewährt werden dürfen. Schließlich sei nach den Feststellungen des Sozialgerichts die erforderliche Wartezeit nicht erfüllt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.11.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin, die im Termin nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig und trägt ergänzend vor, nach den "Richtlinien und Anweisungen zum Einsatz jüdischer Arbeitskräfte" vom 07.04.1942 hätten sich die Löhne der jüdischen Arbeitskräfte auf etwa ein Drittel der Löhne der nichtjüdischen Arbeiter belaufen. Zudem sei nach zutreffender Auffassung das vom BSG in anderem Zusammenhang entwickelte Kriterium, wonach der gezahlte Lohn mindestens 1/3 des Ortslohns entsprochen haben müsse, nicht anzuwenden. Ergänzend verweist sie auf historische Sachverständigengutachten des Dr. U vom 08.10.2007 bzw. 15.10.2007, die dieser in den Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit den Az. L 8 R 74/05, L 8 R 229/06, L 4 R 73/06, L 13 R 153/06, L 4 R 137/06, L 8 R 247/05, L 8 R 287/06 erstattet hat.
Der Senat hat eine Auskunft bei der JCC eingeholt, wonach S beim Härte- und beim Zwangsarbeiterfonds nicht registriert ist. Außerdem sind beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes (ITS) die dort vorliegenden Informationen über das Verfolgungsschicksal des S beigezogen worden.
Die Klägerin hat auf Anfrage des Senates mitgeteilt, dass das Verfolgungsschicksal des S nirgendwo offiziell dokumentiert worden sei. Ihr ist ferner ein Fragebogen des Senates übersandt worden. Hinsichtlich des Inhaltes der Antworten der Klägerin im Einzelnen wird auf Bl. 108 der Gerichtsakte verwiesen.
Schließlich hat der Senat Beweis erhoben durch die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bei dem Historiker Dr. U (im Folgenden: U I). Beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist außerdem das Gutachten, das der Sachverständige Dr. U in dem Verfahren vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit dem Az. L 4 R 73/06 erstattet hat (im Folgenden: U II).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte nach den §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Abwesenheit der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil in der Terminsmitteilung, die ihrem Bevollmächtigten am 17.02.2009 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin ab dem 01.07.1997 eine Witwenrente aus der Versicherung des S unter Berücksichtigung einer Pflichtbeitragszeit vom 01.09.1941 bis zum 30.09.1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG zu zahlen. Denn der mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 10.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2005 ist nicht rechtswidrig und die Klägerin damit nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.
Die von dem Sozialgericht herangezogene Anspruchsgrundlage ist schon vom Ansatz her nicht einschlägig, weil § 35 SGB VI lediglich den Anspruch auf Regelaltersrente und damit einen Anspruch aus eigener Versicherung regelt. Die Klägerin macht hier aber kein Recht aus ihrer Versicherung, sondern als Witwe aus der Versicherung des S geltend. Dieser Witwenrentenanspruch kann sich allein aus § 46 SGB VI ergeben. Das ZRBG stellt insoweit keine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Rentenzahlung dar (so Urteil des BSG vom 26.07.2007, B 13 R 28/06 R ,SozR 4-5075, § 1 Nr. 4 zum Anspruch auf Altersrente nach § 35 SGB VI, der sich der Senat anschließt; a. A. BSG Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075, § 1 Nr. 3) Die Vorschrift des § 46 SGB VI ist trotz Auslandswohnsitzes der Klägerin (vgl. § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I) anwendbar (vgl. dazu BSG Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R, juris; BSG Urteil vom 13.08.2001, B 13 RJ 59/00 R, SozR 3-2200, § 48 Nr. 17).
Nach § 46 SGB VI besteht nach dem Tod des versicherten Ehegatten (hier: S) ein Anspruch auf Witwenrente bei dem Vorliegen weiterer Voraussetzungen, wenn dieser die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (§ 46 Abs. 1 S. 1 SGB VI). Als auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten kommen nur Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und 4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs. 1 SGB VI Ersatzzeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetzeswortlaut nur "Versicherten", d. h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, SozR 4-5050 , § 15 Nr. 1 , m.w.N.).
S hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§§ 55 Abs. 1 S. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI) oder als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI). Solche Beitragszeiten bestehen hier weder nach § 2 Abs. 1 ZRBG (dazu unten I.) noch nach den Vorschriften des Fremdrentenrechts (dazu unten II.).
I.
Nach § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge als gezahlt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto. Voraussetzung ist gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG, dass die Verfolgten sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem vom Deutschen Reich besetzten oder ihm eingegliederten Gebiet gelegen hat, und dort eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt haben. Ferner darf für die betreffenden Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht werden. Die Anspruchsvoraussetzungen müssen glaubhaft gemacht sein (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WGSVG -). Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche verfügbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, d. h. mehr für als gegen sie spricht, wobei gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900, § 15 Nr. 4).
Hieran gemessen hält es der Senat für glaubhaft, dass zwischen Anfang September 1941 und Ende September 1943 in Wilna ein geschlossenes Ghetto bestanden hat (vgl. hierzu bereits Senat Urteil vom 19.03.2008, Az. L 8 R 296/06 und vom 17.02.2009, Az. L 8 R 243/06). Da sich S ausweislich der Liste der Gefangenen des Ghettos Wilna und auch nach den Angaben des Zeugen K T in dem fraglichen Zeitraum in dem Ghetto befunden hat, hat er sich dort auch zwangsweise aufgehalten. Ferner gehörte Wilna zum RKO und lag damit im Anspruchszeitraum in einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet.
S ist auch als Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG anzusehen. Der Begriff des Verfolgten entspricht demjenigen des § 1 Abs. 1 BEG (BSG, Urteil v. 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, SozR 4-5075 § 1 Nr 3; BT-Drs. 14/8583 S. 6 zu § 1). Es schadet dabei nicht, dass S nicht formell als Verfolgter anerkannt ist. Denn es reicht nach der Rechtsprechung des Senates aus, wenn ein Betroffener tatsächlich die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEG erfüllt und damit "materiell" gesehen Verfolgter im Sinne des BEG ist (vgl. Senat, Urteile vom 20.08.2008, Az. L 8 R 23/07 und 04.03.2009, Az. L 8 R 305/07). Das ist bei S der Fall. Denn der zwangsweise Aufenthalt in einem Ghetto ist eine freiheitsentziehende Maßnahme (vgl. § 43 Abs. 2 BEG), die den Tatbestand der Verfolgung in dem vorgenannten Sinne erfüllt.
Ferner sieht es der Senat als glaubhaft gemacht an, dass S während seines Aufenthalts im Ghetto Wilna in der Zeit ab Januar 1942 bis September 1943 in einer Werkstatt gearbeitet hat, die Holzschuhe herstellte. Die dahingehenden Angaben der Klägerin und des Zeugen T werden gestützt durch die Bezeichnung des S als "Tischler/Schreiner" in der Liste der Ghettogefangenen. Außerdem ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. U (U I, Seite 2), dass im Ghetto Wilna eine Werkstatt zur Fertigung von Holzschuhen bestand; und zwar auch in dem hier fraglichen Zeitraum. Nicht wesentlich ist aus Sicht des Senates, dass S die Tätigkeit gegenüber dem Art-2-Fonds nicht angegeben hat. Hierzu bestand nämlich keine Veranlassung, weil Arbeitsleistung bei Ghettoinhaftierten keine Anspruchsvoraussetzung für Leistungen aus diesem Fonds war.
Die Arbeit des S fand, wie von § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gefordert, auch "in einem Ghetto" statt. Denn nach den aktenkundigen Unterlagen insbesondere den Fragebögen und den Ausführungen in dem Gutachten des Dr. U (U I) ist anzunehmen, dass es sich um eine Ghettowerkstatt und damit um eine solche handelte, die innerhalb des räumlichen Gebietes des Ghettos lag.
Der Senat sieht es schließlich auch noch als glaubhaft gemacht an, dass die Beschäftigung des S in der Holzschuhwerkstatt aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist.
Zwar hat die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen, S habe sich beim Arbeitsamt des Judenrates gemeldet und dieser habe ihm den Arbeitsplatz besorgt. Da S bereits 1997 verstorben ist, konnte er selbst keine Angaben zum Zustandekommen seiner Tätigkeit mehr machen. Auch der Zeuge T, der mit S nicht zusammengearbeitet hat, ist insoweit kein geeignetes Beweismittel. Angesichts der sich hieraus für die Klägerin ergebenden Beweisnot kann ergänzend auf das Sachverständigengutachten von Dr. U zurückgegriffen werden. Dieser hat ausgeführt, dass - zumal angesichts der Tätigkeit des S in einer Ghettowerkstatt - historisch nichts gegen eine Beschäftigungsaufnahme aus eigenem Willensentschluss spreche (U I, Seite 3). Hieraus lässt sich unter Berücksichtigung der weiteren vorstehend genannten Gesichtspunkte die überwiegende Wahrscheinlichkeit der freiwilligen Aufnahme der Beschäftigung ableiten.
Der Senat hat es indessen nicht für glaubhaft gehalten, dass S seine Beschäftigung gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) ZRBG) ausgeübt hat.
Bei der Auslegung des Begriffs "Entgelt" hat der Senat sich - schon zur Wahrung der Rechtssicherheit - auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestützt, die diese bis weit ins Jahr 2007 hinein explizit auch zum Entgeltbegriff des ZRBG vertreten hat und für deren Änderung es im Zeitpunkt der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits keinerlei Anhaltspunkte gab (BSG, Urteile v. 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R; v. 03.05.2005, B 13 RJ 34/04 R; v. 20.07.2005, B 13 RJ 37/04 R; v. 26.07.2007, B 13 R 28/06 R). Danach bestand kein Zweifel daran, dass als "Entgelt" im Sinne des ZRBG nur ein die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung begründendes Entgelt anzusehen war (vgl. zum Folgenden auch Senat, Urteile vom 12.12.2007, L 8 R 187/07 und vom 28.01.2008, L 8 RJ 139/04; zuletzt Urteil vom 17.02.2009, L 8 R 243/06; jeweils sozialgerichtsbarkeit.de). In diesem Sinne ließen sich die im Zusammenhang mit Streitigkeiten nach dem ZRBG auftretenden Fallgruppen zunächst wie folgt systematisieren: Die Gewährung von Entgelt in der ortsüblichen Währung, von Ghettogeld oder zum Tausch bestimmten Bezugsscheinen ist Entgelt in Sachen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG, soweit ihr Umfang 1/6 bzw. 1/3 des ortsüblichen Arbeitsentgelts für ungelernte Arbeiter(-innen) übersteigt. Bei der Gewährung von Sachbezügen ist dagegen zu unterscheiden: Übersteigen die Sachbezüge (insbesondere Verpflegung, Unterkunft und Kleidung) nicht das Maß freien Unterhalts, d.h. derjenigen wirtschaftlichen Güter, die zur unmittelbaren Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Einzelnen erforderlich sind, liegt kein Entgelt vor. Bei Lebensmitteln kommt es darauf an, ob sie nach Art und Umfang des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch gegeben werden. Wird das Maß des persönlichen Bedarfs hingegen überschritten und werden die Lebensmittel zur freien Verfügung gewährt, ist von Entgelt auszugehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn glaubhaft gemacht wird, dass gewährte Lebensmittel auch den Bedarf eines Angehörigen sicherstellen. Stehen Art und Umfang gewährter Lebensmittel bzw. Sachbezüge nach Ausschöpfung aller sonstigen Beweismittel, z.B. der glaubhaften Angaben der Klägerin bzw. des Klägers, vernommener Zeugen, Angaben in einem Sachverständigengutachten, oder aufgrund eindeutiger historischer Quellen nicht fest, so kann ein entsprechender Umfang im Einzelnen als glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass ein Dritter, insbesondere ein Familienangehöriger, hiervon über einen erheblichen Zeitraum zumindest entscheidend mitversorgt worden ist. Ohne Bedeutung ist es dagegen, ob die Lebensmittel unmittelbar in Naturalien gewährt worden sind, oder ob die Betroffenen Lebensmittelcoupons erhalten haben, die sie gegen Lebensmittel eintauschen konnten.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind die S ausgeübten Beschäftigungen nicht als entgeltlich anzusehen.
Der Senat hält es insoweit zunächst nicht für glaubhaft gemacht, dass S für seine Tätigkeit selbst Barlohn erhalten hat. Die Klägerin hat in dem Fragebogen des Senats hierzu angegeben, S habe "Geld" erhalten. Sie wisse nicht, wie viel. Im Verwaltungsverfahren hat sie vorgetragen, S habe "Zloty" erhalten. Die Angaben der Klägerin sind schon aus historischen Gründen nicht geeignet, die Entgeltlichkeit der Beschäftigung des S glaubhaft zu machen. Denn der Sachverständige Dr. U hat nachvollziehbar ausgeführt (U I, Seite 3-5), dass eine systematische Vergütung in Zloty im Ghetto Wilna praktisch ausgeschlossen werden kann. Da der Zeuge T nicht selbst mit S im Ghetto zusammen gearbeitet hat, konnte er zur Frage der Entlohnung aus eigener Anschauung keine Angaben machen. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat seine Erklärung, er nehme an, S habe ebenso wie die anderen Arbeiter in der Produktion einen kleinen Barlohn erhalten, auch wenn es nicht viel gewesen sei, als Mutmaßung an, die auch gemeinsam mit den Angaben der Klägerin nicht geeignet ist, eine Barvergütung für die Tätigkeit des S als überwiegend wahrscheinlich anzusehen.
Da somit verwertbare authentische Angaben zur Entlohnung der Tätigkeit des S in Geld nicht vorhanden und auch nicht mehr zu erlangen sind, könnten die Lücken im Vortrag der Klägerin nur geschlossen werden, wenn die von dem Senat durch die Sachverständigengutachten gewonnenen allgemeinen historischen Erkenntnisse zu den Verhältnissen im Ghetto Wilna eine Barlohnzahlung an S in dem streitigen Zeitraum überwiegend wahrscheinlich erscheinen ließen. Dies ist aber ebenfalls nicht der Fall.
Soweit der Sachverständige Dr. U in seinem Gutachten vom 14.04.2007 (U II, Seite 6) ausgeführt hat, es sei von einer Barentlohnung der Arbeiter im Ghetto Wilna auszugehen, hat er inzwischen insbesondere im Hinblick auf die auch hier in Rede stehende Tätigkeit in den Ghettowerkstätten differenzierte Erkenntnisse gewonnen (U I, Seite 3). Danach belegen die von ihm ausgewerteten historischen Unterlagen nunmehr, dass die Ghettolohn- und Auftragsstelle die Rechnungen kassiert und den jüdischen Anteil an die Kasse der Ghettoindustrie überwiesen hat. Die Entlohnung der Arbeiter sei dann meist über Sachmittel erfolgt. Eine darüber hinaus gehende Zahlung von Barlohn hält der Sachverständige inzwischen nur noch für möglich. Außerdem beziehen sich seine Ausführungen in dem zeitlich früheren Gutachten (U II) erkennbar in erster Linie auf "private" Arbeitgeber, die ihrerseits Zahlungen an den Gebietskommissar abzuführen hatten, nicht jedoch auf den hier zur Entscheidung stehenden Fall, dass der Judenrat selbst, wie bei den Ghettowerkstätten üblich, als Arbeitgeber in Erscheinung trat. Soweit der Sachverständige in diesem Gutachten Ausführungen zur Barentlohnung von Angestellten des Judenrates gemacht hat, handelt es sich nur um eine Mutmaßung ("soll weitergegeben haben"; vgl. U II, Seite 6). Nach alledem geht der Senat insbesondere unter Berücksichtigung der neueren historischen Hintergrundinformationen über das Ghetto Wilna davon aus, dass eine Barentlohnung des S für seine Tätigkeit in der Holzschuhwerkstatt in Rubel zwar möglich, aber nicht - wie erforderlich - überwiegend wahrscheinlich ist.
Die Klägerin kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, für das Merkmal einer Beschäftigung "gegen Entgelt" im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 b ZRBG reiche es aus, dass S für seine Arbeitsleistung einen Rechtsanspruch auf Entgelt gehabt habe, auch wenn dieses letztlich nicht gezahlt worden sei. Der Senat hat bereits im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen diese Rechtsauffassung auch dann unzutreffend ist, wenn örtliche Lohnordnungen eine Bezahlung der Arbeitskräfte vorgesehen haben, die indessen unterblieben ist (Urteile vom 03.09.2008, L 8 R 220/07 und L 8 R 265/07; jeweils www.sozialgerichtsbarkeit.de). Infolgedessen kann auch dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerin zur Begründung ihre Begehrens zitierten Anordnungen des Reichs- bzw. des Gebietskommissars individuelle Lohnansprüche begründen sollten.
Schließlich kann auch im Hinblick auf die nach den eingangs dargestellten Grundsätzen zu beurteilenden Sachbezüge von einer Entgeltlichkeit der Tätigkeit des S in der Holzschuhabteilung des Ghettos Wilna nicht ausgegangen werden. Lebensmittel erhielt S nach den Angaben der Klägerin zu Mittag. Es liegt daher nahe, dass es sich lediglich um eine Mahlzeit zum sofortigen Verzehr und damit um freien Unterhalt handelte. Da es keine Informationen über das gewährte Maß an Lebensmitteln gibt, bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich vom Umfang her um eine Verpflegung handelte, die über das Maß des freien Unterhaltes hinausgegangen wäre. Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass S durch die ihm für seine Tätigkeit in der Holzschuhwerkstatt zur Verfügung gestellte Verpflegung eine dritte Person, insbesondere ein Familienmitglied, über eine längere Zeit wesentlich mit versorgt hat.
II.
Weitere Beitragszeiten sind nicht erkennbar.
Die von S im Ghetto Wilna verrichtete Arbeit kann auch nicht nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. §§ 15, 16, Fremdrentengesetz (FRG) i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG oder § 12 WGSVG als Versicherungszeit angerechnet werden. Ein hieraus resultierender Anspruch scheitert nach den Angaben der Klägerin in dem Rentenantragsformular schon daran, dass S nicht dem dSK angehörte.
Die Tätigkeit des S unterfiel nicht den Reichsversicherungsgesetzen. Im RKO galten diese nicht für Personen, die wie der Kläger, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2001 - B 13 RJ 59/00 R für das sogenannte Generalgouvernement). Eine Anrechnung als Versicherungszeit kann sich daher allein nach den §§ 15, 16 FRG i. V. m. § 20 WGSVG bzw. § 17a FRG richten. Eine Anrechnung als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 FRG kommt indessen nicht in Betracht, weil eine Beitragsentrichtung zu einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung nicht glaubhaft gemacht und von der Klägerin auch gar nicht behauptet worden ist. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 FRG sind bereits deshalb nicht erfüllt, weil - wie oben bereits ausgeführt - ein nach deutschem Recht dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht im Sinne einer guten Möglichkeit festgestellt werden kann. Auch § 16 FRG greift nicht ein, da die Tätigkeit in der Holzschuhwerkstatt nicht nach dem am 01.03.1957 geltenden Bundesrecht (§§ 1227 und 1228 RVO n.F.) Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet hätte, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verrichtet worden wäre. Schließlich sind die Vorschriften des FRG auf S auch deshalb nicht anwendbar, weil dieser nicht dem dSK angehörte.
Da nicht im Sinne einer Glaubhaftmachung festgestellt werden kann, dass S eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, liegen die Voraussetzungen des § 12 WGSVG ebenfalls nicht vor.
Weitere - von der Klägerin mit der vorliegenden Klage ohnehin nicht geltend gemachte - Beitragszeiten, die zum Anspruch auf Zahlung der begehrten Witwenrente führen könnten, sind nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
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