L 1 B 24/09 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AS 332/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 24/09 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 31. August 2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat.

Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint, §§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung. Ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung, nämlich die Klage gegen den Bescheid vom 3.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.3.2009, mutwillig erscheint oder bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, lässt der Senat offen. Jedenfalls scheint die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich, §§ 73a Abs 1 Satz 1, 121 Abs 2 ZPO. Zielt - wie hier - der Antrag auf Prozesskostenhilfe erkennbar ausschließlich auf die Beiordnung eines Rechtsanwalts ab (das ist in Verfahren, in denen Gerichtskosten nicht erhoben werden, der Regelfall, vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a. SGG. Kommentar. 9.Aufl. 2009. § 73a Rdnr 9), ist Prozesskostenhilfe gänzlich zu versagen, wenn die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich erscheint. So liegt der Fall hier.

In dem - abgetrennten - Klageverfahren begehrt die Klägerin für sich und ihre mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft (BG) lebende minderjährige Tochter höhere Regelleistungen mit der (einzigen) Begründung, von einem Regelsatz in Höhe von EUR 211 sei die Tochter der Klägerin "nicht zu finanzieren"; dieser Regelsatz liege unterhalb des Existenzminimums. Streitig ist damit nach der Systematik des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) die Höhe der Regelleistung beider Mitglieder der BG, so dass der Senat keine Bedenken hat anzunehmen, dass die Klage für beide Mitglieder der BG erhoben wurde. Der angefochtene Bescheid regelt für Februar 2009 die Höhe der Regelleistung der Klägerin und ihrer Tochter. Nur diese - abtrennbaren -Verfügungssätze sind Gegenstand der Klage (Umkehrschluss aus BSGE 97, 217, 222=SozR 4-4200 § 22 Nr 1, Rdnr 18). Wird in einer Bedarfsgemeinschaft eine höhere Regelleistung für ein Mitglied der BG begehrt, ist - jedenfalls in Fällen der Einkommensanrechnung - die Regelleistung aller betroffen. Denn die Einkommensanrechnung erfolgt nach § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf. Das bedeutet, dass sich mit der Veränderung des eigenen Bedarfs im Verhältnis zum Bedarf anderer BG-Mltglieder automatisch das Verhältnis der anteiligen Einkommensanrechnung verändert und damit die Höhe der Regelleistung für sämtliche Mitglieder der BG betroffen ist, gleich welche der verschiedenen Berechnungsmethoden man anwendet (horizontale, vertikale, horizontal-vertikale oder sonstige, vgl dazu Brühl/Schoch in: Münder. SGB II. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Lehr- und Praxiskommentar. 3. Aufl. 2009. § 9 Rdnrn 46-55 mwN).

Um Ihr Prozessziel zu erreichen, benötigt die Klägerin allerdings keine anwaltliche Hilfe, § 121 Abs 2 ZPO. Ihr Begehren ist de lege lata aus einfachem Recht nicht herzuleiten. Insbesondere kann die Beklagte aus einfachem Recht nicht zur Gewährung einer höheren Regelleistung verurteilt werden, als das Gesetz vorsieht, weil sowohl die Beklagte als auch die Gerichte an Gesetz und (geltendes) Recht gebunden sind, Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG). In einem solchen Fall besteht nur dann Anspruch auf höhere Leistung, wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgrund eines Vorlagebeschlusses Art 100 Abs 1 GG) oder einer Verfassungsbeschwerde (Art 93 Abs 1 Nr 4a GG) die einschlägige Norm (hier: § 28 Abs 1 Satz 3 SGB II) für verfassungswidrig und von Verfassungs wegen einen höheren Anspruch für begründet hält. Zu dieser Rechtsfrage sind beim BVerfG mehrere Verfahren anhängig (seit Januar 2009: Vorlagebeschluss des LSG Darmstadt vom 28.10.2008, Az 1 BvL 1/09; seit März 2009: Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts vom 27.1.2010, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09), die am 20.10.2009 mündlich verhandelt wurden und in denen die Urteilsverkündung für den 9.2.2010 angekündigt ist. Bei einer solchen Konstellation ist bei Abwägung des Kostenrisikos ohne Verstoß gegen die Rechtsschutzgleichheit zumutbar, das eigene Verfahren zurückzustellen und die (in naher Zukunft) zu erwartende Entscheidung des BVerfG abzuwarten. Das gilt jedenfalls dann, wenn der eigene Fall - wie hier - keine Besonderheiten aufweist. Maßgeblich ist dafür die folgende Überlegung: Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselbe Rechtsfrage bereits in anderen Verfahren (sog unechtes Musterverfahren) anhängig ist. Im Fall einer für ihn positiven Entscheidung in diesem Verfahren profitiert er für das eigene Verfahren ohne Kostenrisiko; ggf ergeht eine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten (§ 193 Abs 1 Satz 3 SGG). Bei negativem Prozessausgang könnte er ggf. sogar sein eigenes Verfahren weiter verfolgen. Es genügt aber aus verfassungsrechtlicher Sicht, wenn dem Betroffenen nach Ergehen der abgewarteten Entscheidung noch alle prozessualen Möglichkeiten offen stehen, ggf. noch gewünschten umfassenden gerichtlichen Schutz zu erlangen (vgl: BVerfG, Beschluss vom 18. November 2009, Az 1 BvR 2455/08). Waren - wie hier - die unechten Musterverfahren bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung anhängig, gilt dies bereits für die Klageerhebung selbst (BVerfG. AaO). Hier liegt der Fall - weitergehend -sogar so, dass die Beklagte sich bereit erklärt hat, (jedenfalls) für den streitigen Zeitraum ab Februar 2009 einer für die Klägerinnen günstigen Entscheidung des BVerfG vorbehaltlos Rechnung zu tragen. Auf eine solche Regelung hätte der Klägerbevollmächtigte bereits im Widerspruchsverfahren, spätestens aber nach Klageerhebung hinwirken können. Sie wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor Klageerhebung zustande gekommen. Später wäre - alternativ - in Betracht gekommen, die Anordnung des Ruhens des Klageverfahrens bis zum Abschluss der unechten Musterverfahren zu beantragen (§§ 202 SGG, 251 Satz 1 ZPO). Um dies zu erreichen, bedarf es, wie auch dieses Verfahren zeigt, keiner anwaltlichen Hilfe.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a SGG, 127 Abs 4 ZPO.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved