L 10 B 9/09 VG

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 2 VG 142/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 B 9/09 VG
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.08.2009 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger beansprucht Versorgungsleistungen wegen eines Impfschadens in einem Verfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X.)

Der am 00.00.1971 geborene Kläger wurde am 06.04.1972 mit dem Impfstoff "Quatro-Virelon" (Behring) gegen Tetanus, Diphterie, Polio und Pertussis geimpft. Der Vierfachtotimpfstoff wurde durch eine intramuskuläre Injektion verabreicht. In den ersten Tagen nach der Impfung war der Kläger zunächst unauffällig. Nach Angaben der Eltern traten am 12.04.1972 verstärkte Unruhe und schrilles Schreien auf. Demgegenüber wurden diese Auffälligkeiten in einem an den Kinderarzt Dr. C gerichteten Bericht der Universitätsklinik C erstmals unter dem 16.04.1972 beschrieben. Am 17.04.1972 verschlechterte sich der Allgemeinzustand des Klägers stark, er bekam Durchfall. Am 18.04.1972 wurde er, nachdem die Eltern ihn morgens bewusstlos aufgefunden hatten, wegen perakuter Encephalotoxikose stationär ins Krankenhaus aufgenommen. Am 19.04.1972 setzte eine Krampfneigung ein, die sich im weiteren Verlauf verstärkte. Am 21.04.1972 wurde der Kläger von Dr. C wegen einer Enteritis und nicht auszugleichender Elektrolytbilanz in die Universitätsklinik verlegt, wo er bis zum 11.08.1972 blieb. Im Entlassungsbericht lauten die Diagnosen: Dyspepsie, Exsikkose mit Verdacht auf Hirnödem und Schockniere, Ostitis li. Femur mit Spontanfraktur, Cerebralparese.

Nach Einholung eines Gutachtens des Neurologen Dr. O lehnte das damals beklagte Land mit Bescheid vom 05.05.1997, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 16.09.1997 den Antrag auf Versorgung ab. In der Begründung heißt es ua, ein Impfschaden lasse sich dann vermuten, soweit sich innerhalb von 72 Stunden nach der Impfung zusätzliche Nebenwirkungen entwickelten. Selten träten Komplikationen in der Zeit vom dritten bis siebten Tag nach der Impfung auf. Nach dem siebten Tag seien noch keine Komplikationen beobachtet worden. Die beigezogenen Unterlagen hätten ergeben, dass erst zehn bis elf Tage nach der Impfung die Auffälligkeiten aufgetreten seien.

Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Dortmund (S 19 (32, 41) VJ 421/97). Dieses holte ein Sachverständigengutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. F, Arzt für Neurologie, Direktor der Klinik für Epileptologie der Universität L vom 01.07.1999 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 29.11.2000 und 20.02.2001 ein. Prof. Dr. F hielt im Ergebnis einen Zusammenhang mit der Impfung für sehr unwahrscheinlich. Die Hirnerkrankung sei höchstwahrscheinlich auf dem Boden einer impfunabhängigen Durchfallerkrankung mit Kreislauf- und Elektrolytstörung entstanden. Unabhängig von der Impfung sei wohl eine viral durch Rotaviren verursachte Enteritis aufgetreten, die zu der hypertonen Dehydratation mit der Folge der Cerebralparese geführt habe.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG Prof. Dr. L, ehemaliger Direktor der Landeskinderklinik O mit der Erstellung eines Gutachtens. Mit Gutachten vom 23.02.2000 und ergänzenden Stellungnahmen vom 02.05.2003 und 19.08.2003 verneinte dieser Sachverständige das Vorliegen eines Impfschadens. Eine Enzephalopathie sei ausgeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass sich der Kläger mit Rota-Viren infiziert habe, die die Enteritis und nachfolgend die damals noch nicht adäquat behandelbare hypertone Dehydratation ausgelöst hätten, als deren Folge die Cerebralparese eingetreten sei. Eine Abwehrschwäche infolge von Impfungen werde in der Wissenschaft nicht mehr ernsthaft diskutiert. Eine Kannversorgung sei abzulehnen, weil über die Ursache des hier mit Sicherheit festgestellten Leidens keine Ungewissheit bestehe.

Auf weiteren Antrag des Klägers gem. § 109 SGG erstellte sodann Prof. Dr. F ein Gutachten vom 08.02.2002 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 04.05.2002 und 24.03.2003. Dieser Sachverständige bejahte einen indirekten Impfschaden. Entscheidend seien nicht die Inkubationszeiten, sondern die Resistenzminderung wegen der Keuchhustenkomponente des Impfstoffes. Diesem Gutachten ist das damals beklagte Land mit Stellungnahme von Prof. Dr. T vom 14.03.2002 entgegen getreten. Die Literatur trete einer Resistenzminderung des Impflings kritisch gegenüber. Prof. Dr. F vernachlässige den abwehrfördernden Effekt einer Impfung.

Mit Urteil vom 28.01.2004, S 19 (32, 41) VJ 421/97) wies das Sozialgericht Dortmund die Klage ab und schloss sich in der Begründung im Wesentlichen dem Gutachten von Prof. Dr. L an. Die dagegen eingelegte Berufung (LSG NRW, Urteil vom 10.11.2005, L 7 VJ 10/04), die anschließend erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (Beschluss vom 13.09.2006, B 9a VJ 1/06 B), die weitere Anhörungsrüge (Beschluss vom 27.07.2007, B 9a VJ1/06) sowie schließlich die Verfassungsbeschwerde (BVerfG, Beschluss vom 27.07.2007, 1 BVR 1538/07) hatten keinen Erfolg. Hinsichtlich des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen sowie auf den angefochtenen Beschluss verwiesen.

Am 20.09.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des bestandskräftigen Bescheids vom 05.05.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.1997. Zur Begründung trug er vor, es sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Bereits ab 12.04.1972 und damit am 6. Tag nach der Impfung sei schrilles Schreien aufgefallen, was in den Folgetagen zugenommen hätte. Ausweislich einer am 20.04.1972 durchgeführten Lumbalpunktion habe eine Pleozytose vorgelegen und der Liquorwert - nach mehr als 50stündiger antibiotischer, antikonvulsiver und antipyretischer Behandlung - 54/3 Zellen betragen. Eine Pleozytose sei nur innerhalb von 6 Tagen nach cerebralem Krankheitsbeginn nachweisbar. Somit müsse der cerebrale Krankheitsbeginn eindeutig vor Beginn des Durchfalls gelegen haben. Für den Durchfall seien keine Erreger gefunden worden. Eine Infektion durch Rotaviren sei daher reine Spekulation. Ziffer 57 der Anhaltspunkte bezüglich der Bewertung von Impfschäden im Einzelnen sei nicht mehr existent.

Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. L, Direktor des Instituts für medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der Uniklinik L vom 02.07.2008 ein. Die Frage, inwieweit eine neue juristische Bewertung "zum Zeitpunkt des Auftretens von Auffälligkeiten" möglich sei, könne nicht Aufgabe einer fachärztlichen Stellungnahme sein. Es bleibe festzustellen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung eher unwahrscheinlich sei. Die von dem Kläger vorgelegte Stellungnahme der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, wonach ein plausibler Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der neurologischen Symptomatik dann anzunehmen sei, wenn sich neurologische Symptome in einem Zeitraum von einer Stunde bis zu einem Monat manifestierten, ergebe nichts anderes. Denn diese Stellungnahme beziehe sich auf Lebendimpfstoffe, nicht auf den beim Kläger verwandten Totimpfstoff. Es handele sich überdies lediglich um die Plausibiltät eines zeitlichen, nicht kausalen Zusammenhangs. Das angegebene Zeitfenster beziehe sich allgemein auf Impfungen und enthalte keine spezifischen Angaben zur Pertussis-Impfung. Eine Neubewertung der Kausalkette in dem abgeschlossenen Verfahren setze entsprechende Ergebnisse neuer klinischer Studien zu dem eingesetzten Impfstoff und den beobachteten Nebenwirkungen voraus. Eine derartige, groß angelegte Studie aus dem Jahr 2006 belege aber gerade die Sicherheit des Impfstoffes.

Mit Bescheid vom 21.09.2007 lehnte der Beklagte den Antrag auf Rücknahme des Bescheids vom 05.05.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16.09.1997 ab. Die im Antrag vorgetragenen Gründe führten nicht zu einer Neubewertung der Situation.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der damals verwendete Impfstoff sei 1974 wegen der verhältnismäßig hohen Zahl von Impfkomplikationen vom Markt genommen worden. Das in der versorgungsärztlichen Stellungnahme in Bezug genommene Gutachten von Prof. Dr. L sei fehlerhaft. Er gehe von falschen Tatsachen aus. Die von Prof. Dr. L als Auslöser angenommene Virusinfektion sei nicht erwiesen; es seien keine Erreger für die Durchfallerkrankung gefunden worden. Auch sei nicht belegt, wie eine Durchfallerkrankung von einem Tag auf den anderen eine schwere Hirnerkrankung hervorrufen könne. Prof. Dr. L verneine zu Unrecht eine Resistenzminderung durch die Impfung. Bei ihm sei eine Infektion mit dem Keim Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen worden, der sich nur bei abwehrgeschwächten Patienten entwickele. Dies werde durch den sehr niedrigen IgA-Wert von 20mg/100ml aus dem Arztbericht der Kinderklinkik C vom 17.08.1972 belegt, da der normale Wert bei 250mg/100ml liege. Zu folgen sei daher insbesondere den Ausführungen von Prof. Dr. F in dessen Gutachten vom 08.02.2002, der die Resistenzminderung infolge der Impfung überzeugend auf das im Pertussis-Ganzkeim-Impfstoff befindliche Enzym Adenylate-Zyclase zurückführe. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seine Mutter und Betreuerin H B, am 15.09.2008 Klage erhoben. Er stützt sich im Wesentlichen auf das Vorbringen im Verwaltungs- und Vorverfahren und betont, dass nach Außerkrafttreten der AHP 1996 die Inkubationszeit von 3 Tagen nicht mehr gelte. Die Veröffentlichungen der Ständigen Impfkommisson (STIKO) enthielten zu den vor Jahrzehnten verwendeten Impfstoffen, die inzwischen seit langem nicht mehr zugelassen seien, keine Einschätzungen mehr. Insbesondere sei die Möglichkeit einer durch die Impfung hervorgerufenen Abwehrschwäche anzuerkennen. Durch den Verweis in den AHP 2008 auf die Ziffern 35 bis 52 erhalte die in Ziffer 37 Nummer 3 aufgeführte Resistenzminderung nach Belastung besondere Bedeutung als Maßstab für die Begutachtung. Erst recht gelte dies seit Inkrafttreten der VersMedG, die in Teil C 2.c. ebenfalls Resistenzminderungen durch Belastung als primäre Beeinträchtigungen der Gesundheit aufführten.

Am 15.06.2009 hat der Kläger Prozesskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwalt I, V, beantragt.

Mit Beschluss vom 10.08.2009 hat das Sozialgericht Dormund den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage habe keine ausreichende Erfolgsaussicht. Denn die AHP und insbesondere die Nrn 53-143 hätten auch nach ihrem Außerkrafttreten zum 31.12.2008 Gültigkeit als antizipierte Sachverständigengutachten behalten sollen. Die AHP 2008 hätten zwar in Nr 57 keine Ausführungen zu möglichen Impfkomplikationen und -schäden mehr enthalten. Vielmehr hätten sie auf die Arbeitsergebnisse der STIKO, wie sie im Epidemiologischen Bulletin enthalten seien, verwiesen. Da das einschlägige Bulletin Nr. 25 vom 22.06.2007 jedoch keine Angaben zu dem beim Kläger noch verwendeten Vollbakterienganzkeimimpfstoff enthalte, sei nach wie vor auf die Vorgaben der AHP 2004/2005 abzustellen.

Gegen den Beschluss hat der Kläger am 11.09.2009 Beschwerde eingelegt. Ein Rückgriff auf die AHP 2004/2005 gehe fehl, weil die dortigen Vorgaben seit etlichen Jahren nicht mehr fortgeschrieben worden seien. Zugrunde zu legen sei nunmehr mit zwei aktuellen Entscheidungen des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.01.2009, L 11 VJ 36/08, und vom 29.08.2006, L 13 VJ 46/03 eine Inkubationszeit von sieben Tagen. Auffälligkeiten habe der Kläger am 12.04.1972 und damit bereits am sechsten Tag nach der Impfung gezeigt. Auch seien Resistenzminderungen als Folge einer Impfung durchaus zu berücksichtigen. Dies ergebe sich aus Veröffentlichungen von Dr. S, der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin eV, und Prof. Dr. F. Hierfür sei insbesondere der Zusatzstoff in der Impfdosis, Adenylat-Zyclase-Toxin, verantwortlich. Hinsichtlich der Beweislast sei zu berücksichtigen, dass hier eine bestärkte Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsschaden vorliege. Diese sei entsprechend der BSG-Rechtsprechung zu seelischen Störungen im OEG nur durch eine sichere andere Kausalität zu widerlegen. Dies sei hier nicht geschehen, da trotz erfolgter Untersuchungen ein alternativ in Betracht kommender Erreger nicht gefunden worden sei. Hinzu komme, dass hier mindestens ein Fall der Kann-Versorgung vorläge. Diese sei nicht nur dann in Betracht zu ziehen, wenn über die Ursache einer Erkrankung Unsicherheit herrsche, sondern auch dann, wenn wie vorliegend verschiedene Ursachen einer Krankheit zwar bekannt seien, aber nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit gesagt werden könne, ob und mit welchem Gewicht diese Ursachen im einzelnen gewirkt hätten. Dies habe der ehemalige Vorsitzende des 10. Senats des BSG, Dr. T1, bei einem Vortrag vertreten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Prozesskostenhilfe ist nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu bewilligen, wenn die Beteiligten nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn der Rechtsstandpunkt des Beteiligten mindestens vertretbar bzw. ein günstiges Beweisergebnis nicht unwahrscheinlich ist (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 73a Rn 7a). Diese Voraussetzungen sind, wie das SG zu Recht ausgeführt hat, nicht erfüllt.

Die Voraussetzungen für die Rücknahme eines bindenden Bescheides nach § 44 Abs 1 SGB X liegen nicht vor. Nach dieser Norm ist - soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind - der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gliedert sich das Überprüfungsverfahren des § 44 SGB X - ähnlich wie das Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG iVm §§ 578 ff Zivilprozessordnung (ZPO) - in drei Abschnitte (BSG, Urteil vom 03.02.1998, 9/9a RV 18/86, BSGE 63, 33 f = SozR 1300 § 44 Nr 33, Juris Rn 17). Ergibt sich im Rahmen eines Antrages auf Erlass eines Zugunstenbescheides nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides berufen. Denn sie soll nicht durch aussichtslose Anträge, die beliebig oft wiederholt werden können, wieder zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 1). Werden zwar neue Tatsachen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Verwaltung ebenfalls auf die Bindungswirkung berufen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu bescheiden. Maßgebend für die Beurteilung der Rechtslage ist der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Überprüfung durch die Verwaltungsbehörde (vgl. uA Hauck, SGB X, l, 2 - Kommentar - K § 44 Rdnr 18). Vorliegend konnte sich der Beklagte zu Recht auf die Bindungswirkung des Ursprungsbescheides berufen und dessen Rücknahme ablehnen. Denn im Ergebnis hat der Kläger keine neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen oder neue Beweismittel benannt. Dadurch ist jedoch eine erneute Sachprüfung nicht möglich. Lediglich eine andere Beweiswürdigung ist für die Erteilung eines neuen Bescheides nach § 44 SGB X nicht ausreichend (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 12.07.2007, L 2 VS 55/06, Juris Rn 37):

Der Verweis auf die Urteile des LSG Berlin-Brandenburg (vom 29.08.2006, L 13 VJ 46/03, und vom 29.01.2009, L 11 VJ 36/08) beinhaltet keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im konkreten Fall zu einer anderen Beurteilung der Inkubationszeit abweichend von den Vorgaben der AHP 2004/2005 führen. Im Urteil vom 29.08.2006 hat das LSG ausdrücklich an der in den AHP genannten Inkubationszeit von drei Tagen festgehalten (Juris Rn 34f), innerhalb der in dem zu entscheidenden Fall auch ein Krampfanfall aufgetreten war. Im Urteil vom 29.01.2009 stützt es sich zur Begründung einer Inkubationszeit von sieben Tagen auf Stellungnahmen und Gutachten von Prof. Dr. D, stellv Vorsitzendem der STIKO und von Prof. Dr. K, ehemaligem Direktor der Landeskinderklinik N. Prof. Dr. D führte nach dem Tatbestand des Urteils aus, ein kausaler Zusammenhang zwischen DPT-Impfung (Diphterie, Pertussis, Tetanus) und äußerst seltener bleibender zentralnervöser Funktionsstörung sei nur dann anzunehmen, wenn es nach der DPT-Impfung innerhalb von sieben Tagen zu einer Enzephalopathie gekommen sei. Prof. Dr. K. verwies, wie in der Beschwerdebegründung zitiert, auf die aufgrund der toxischen Auslösung der Enzephalopathie eher kurze Reaktionszeit. Die meisten Fälle reagierten innerhalb der ersten drei Tage, aber es gäbe zweifelsfrei auch Fälle mit einer post-vakzinalen Inkubationszeit von bis zu sieben Tagen. Hierauf lässt sich aber im vorliegenden Fall keine gegenüber den bisherigen Annahmen verlängerte Inkubationszeit ableiten. Denn der Kläger verkennt, dass es sich bei dem im LSG-Urteil zitierten Prof. Dr. K., als "ehemaliger Direktor der Landesklinik N" bezeichneten Gutachter offenkundig um Prof. Dr. L handelt, der in seinem Fall bereits im Ausgangsverfahren als Gutachter nach § 109 SGG tätig war und einen Impfschaden verneint hat. Er hat dabei zum einen beim Kläger das Vorliegen einer Enzephalopathie im Gutachten und in seinen ergänzenden Stellungnahmen gerade verneint und aufgrund der Symptome und der vorliegenden Befunde vielmehr eine hypertone Dehydratation angenommen. Zum anderen hat er umfangreich zur Frage der Dauer der Inkubationszeit Stellung genommen und insoweit ausgeführt, dass die postvakzinale Inkubationszeit ein bis drei Tage, in besonders begründeten Ausnahmefällen bis zu sieben Tagen betrage. Das schrille Schreien und andere enzephalotoxische Zeichen müssten aber innerhalb von drei Tagen nach der Impfung auftreten. Die Verlängerung der Inkubationszeit auf sieben Tage unter Ausdehnung der AHP beziehe sich auf die Erstmanifestation anderer zentralnervöser Symptome, insbesondere Krampfanfälle, innerhalb dieser Zeit, wie sich aus den entsprechenden zugrundeliegenden Studien von Miller et al. ergebe (S. 35 des Gutachtens vom 23.02.2000). Deswegen ändere sich am Ergebnis auch dann nichts, wenn man abweichend von den impfnahen Angaben der Eltern, das schrille Schreien sei am 16.04.1972 aufgetreten, die Ende 1996 im Rahmen des Impfschadensverfahrens vorgenommene Datierung auf den 12.04.1972 zugrunde lege. Neue medizinische Erkenntnisse, die geeignet wären, die Inkubationszeit bezogen auf den vorliegenden Fall anders zu bewerten, sieht der Senat daher in den vom Kläger zitierten Entscheidungen nicht.

Es ist auch nicht ersichtlich, inwieweit der Frage der Resistenzminderung nach einer Impfung seit Inkrafttreten der AHP 2008 und seit 01.01.2009 der VersMedG größere Bedeutung als vorher zukommt und sich hieraus eine andere Beurteilung ergeben könnte. Der Terminus "Resistenzminderung nach Belastung" fand sich auch in den früheren Fassungen der Anhaltspunkte. Dass durch den Wegfall der einzelnen Impfschäden diese nunmehr als spezifischer Impfschaden hinzutreten sollte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr bleibt es dabei, dass sich diese Ziffer auf alle Zweige des Versorgungsrechts bezieht. Zum Vorliegen einer Abwehrschwäche beim Kläger infolge der Impfung hat Prof. Dr. F in seinem Gutachten vom 08.02.2002 sehr ausführlich Stellung genommen; die übrigen Gutachter wie das SG und das LSG in seinen Urteilen sind der Ansicht von Prof. Dr. F nicht gefolgt. Dass der Kläger die Begründung nicht überzeugend findet, gibt ihm keinen Anspruch auf erneute Prüfung und Aufhebung der bestandskräftigen Bescheide. Es reicht bei der Prüfung des Anspruchs nach § 44 SGB X - wie eingangs ausgeführt - nicht aus, lediglich eine abweichende Beweiswürdigung zu fordern. Neue Aspekte zum Vorliegen einer Abwehrschwäche hat der Kläger nicht vorgetragen, insbesondere haben die in der Beschwerdebegründung zitierten Veröffentlichungen bereits bei Abfassung des Gutachtens von Prof. Dr. F vorgelegen. Der Kläger hat vielmehr inhaltlich sein Vorbringen im Ausgangsverfahren wiederholt.

Gleiches gilt für die Ausführungen zur Kannversorgung. Auch hierzu enthalten das Urteil des SG vom 28.11.2004 und des LSG vom 10.11.2005 Ausführungen, mit denen die Ablehnung dieses Anspruchs begründet wird. Die vom Kläger zitierte Auffassung von Dr. T1 in dessen Vortrag hinsichtlich der Voraussetzungen einer Kann-Versorgung führt hier zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn SG und LSG haben sich in ihren Urteilen nach Würdigung der eingeholten Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen im Wesentlichen der von Prof. Dr. L vertretenen Ansicht angeschlossen. Danach bestehen aber gerade keine parallel in Betracht kommenden Ursachen. Vielmehr hat er eine Encephalopathie ausgeschlossen aufgrund fehlender Leitsymptome. Er hat aufgrund der vorliegenden Laborwerte, dem Blutbild und den Begleitsymptomen trotz nicht durchgeführter viraler Diagnostik eine Encephalotoxikose - heute sog. hypertone Dehydratation - im Gefolge einer viral bedingten gastroenteritischen Erkrankung diagnostiziert. Die mit der Beschwerde geforderte "Übertragung" der BSG-Rechtsprechung zur bestärkten Wahrscheinlichkeit kann nicht erfolgen. Denn es fehlt in der Konsequenz des Gutachtens bereits an den Tatsachen, die nach den AHP geeignet sind, einen Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten der Gesundheitsstörung zu begründen und damit an den Voraussetzungen einer "bestärkten Wahrscheinlichkeit", die nur durch einen sicheren anderen Kausalverlauf widerlegt werden kann (so BSG; Urteil vom 18.10.1995 , 9/9a RVg 4/92, SozR 3-3800 § 1 Nr 4 und Juris Rn 23). Zu einer Unsicherheit über das Vorliegen und die Gewichtung verschiedener Ursachen kommt es nur bei abweichender Beweiswürdigung der vorhandenen verschiedenen Gutachten. Wie ausgeführt, ist dies im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X nicht möglich.

Soweit der zweite Senat des BSG in seinem Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 - relativierend ausgeführt hat, auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt habe, dürfe die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen, sondern müsse entsprechend dem Vorbringen des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten (aaO, Juris Rn 12), folgt hieraus nichts anderes. Denn das Urteil beschränkt diese Prüfung ausdrücklich auf die Tatbestandsvariante der unrichtigen Rechtsanwendung, nicht auf diejenige eines unrichtigen Sachverhalts (aaO, Juris Rn 13f). Fehler in der Rechtsanwendung hat jedoch weder der Kläger konkret geltend gemacht, noch sind solche Fehler, die von Amts wegen zu berücksichtigen wären, ersichtlich.

Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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