L 18 (2) KN 268/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KN 347/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 (2) KN 268/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 32/10 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. der Klägerin mit Beschluss vom BSG als unzulässig verworfen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.09.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen der ungekürzten Zahlung der Witwenrente der Klägerin. Die Klägerin ist die Witwe des Versicherten F, der am 15.11.07 an einer als Berufskrankheit anerkannten Krebserkrankung verstorben ist. Mit Bescheid vom 30.11.07 bewilligte die Beklagte der Klägerin Große Witwenrente ab 01.12.07 mit einem Zahlbetrag von 1.139,28 Euro. Durch Bescheid vom 17.04.08.gewährte die Bergbau-Berufsgenossenschaft der Klägerin Witwenrente ab 15.11.07 in Höhe von 947,89 Euro. Mit Bescheid vom 05.05.08 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 30.11.07 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 01.06.08 wegen der zuerkannten Rente aus der Unfallversicherung zurück. Der Zahlbetrag der Rente belief sich auf 302,07 Euro. Für den Nachzahlungszeitraum machte sie gegenüber der Bergbau-Berufsgenossenschaft einen Erstattungsanspruch in Höhe von 6.697,65 Euro geltend, der von dieser befriedigt wurde. Die Klägerin legte wegen der Kürzung Widerspruch ein, den die Beklagte am 20.11.2008 zurück wies. Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen am 18.9.2009 als unbegründet abgewiesen. Es hat gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die angefochtenen Bescheide Bezug genommen und ergänzend zur Begründung ausgeführt: "Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, ihre Große Witwenrente ohne Anrechnung der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlt zu bekommen. Zum einen war die Beklagte berechtigt, ihren Bescheid vom 30.11.07 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 01.06.08 aufzuheben. Rechtsgrundlage hierfür ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X), wonach ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Bescheid vom 05.05.08 hebt die Rentenbewilligung nur mit Wirkung für die Zukunft auf, da er eine Änderung ab 01.06.08 und damit nach dem Zeitpunkt des gem. § 39 SGB X durch Bekanntgabe erfolgten Wirksamwerdens des Bescheides bestimmt.

Die für die Rentenbewilligung maßgebenden Verhältnisse haben sich nachträglich dadurch geändert, dass der Klägerin durch Bescheid vom 17.04.08 Witwenrente aus der Unfallversicherung zuerkannt worden ist mit der Folge, dass die Große Witwenrente gemäß § 93 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) insoweit nicht geleistet wird, als die Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt.

Zur Überzeugung des Gerichts verstößt § 93 SGB VI auch nicht gegen das Grundgesetz. Insoweit stützt sich die Kammer in vollem Umfang auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31.03.98 (Az.: B 4 RA 49/96 R) und vom 29.07.04 (Az.: B 4 RA 51/03 R) und macht sich diese zu eigen. Zwar hat die Beklagte die Klägerin vor Erlass ihres Bescheides nicht angehört. Gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X kann jedoch von einer Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Die Aufnahme der laufenden Zahlungen aus der Unfallversicherung ist als Erzielung von Einkommen anzusehen, das zum teilweisen Wegfall des Anspruch gegen die Rentenversicherung führt. Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der "berufsgenossenschaftlichen Nachzahlung" in Höhe von 6.697,65 Euro besteht ebenfalls nicht. Dies liegt an der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X. Danach erlischt der Anspruch des Leistungsberechtigten, soweit ein Erstattungsanspruch eines vorleistenden Leistungsträgers gegenüber dem tatsächlich zuständigen Leistungsträger besteht. Aufgrund der Regelung des § 93 SGB VI hat die Beklagte in dem Zeitraum, für den nachträglich die Witwenrente von der Berufsgenossenschaft zugesprochen worden ist, 6.697,65 Euro zuviel gezahlt. In dieser Höhe hatte sie einen Erstattungsanspruch gegen die Berufsgenossenschaft nach § 103 Abs. 1 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 26.04.05 - Az.: B 5 RJ 36/04 R). Die von der Klägerin beigebrachten Urteile des Sozialgerichts Duisburg vom 06.02.09 (Az.: S 29 R 113/05 und S 29 R 283/05) vermögen hieran schon deswegen nichts zu ändern, weil sie nicht das Zusammentreffen von Hinterbliebenenrenten zum Inhalt haben, sondern die Anrechnung von Versichertenrenten aufeinander." Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren in vollem Umfang aufrecht erhält. In einem Erörterungstermin am 4.3.2010 hat der Berichterstatter die Beteiligten auf die seiner Ansicht gegebene Aussichtslosigkeit der Berufung hingewiesen. Ferner hat er dargelegt, dass er der Rechtsprechung des BSG, nach der bei einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter im Einverständnis der Beteiligten zuvor die übrigen Berufsrichter des Senats zu beteiligen sind, nicht folge. Beide Beteiligte haben daraufhin einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt und den Rechtsstreit sodann unter Verzicht auf die Ladungsfrist in öffentlicher Sitzung des Gerichts verhandelt. Die Klägerin beantragt sinngemäß das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 18.9.2009 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 05.05.08 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.08 zu verurteilen, die Witwenrente der Rentenversicherung ungekürzt an sie zu zahlen und überdies eine berufsgenossenschaftliche Nachzahlung in Höhe von 6.697,65 Euro ihr zu erstatten. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurück zu weisen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Berichterstatter war im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 155 Abs. 3 SGG befugt, den Rechtsstreit als Einzelrichter zu verhandeln und zu entscheiden. Entgegen einer von mehreren Senaten des BSG (Urteil des 4. Senats vom 23.8.2007 - B 4 RS 2/06 R -; Urteil des 9/9a. Senats vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R -; Urteil des 7/7a. Senats vom 29.1.2008 - B 7/7a AL40/06 R -) und in der Literatur (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG 9. Auflage 2008, § 155 Rn. 13; anderer Auffassung aber: Söhngen in: juris-PR-SozR 22/2008 und Knispel in: Die Sozialgerichtsbarkeit, 2010, 537) vertretenen Auffassung berechtigt und verpflichtet der § 155 Abs. 3 SGG den Berichterstatter nicht dazu, vor einer von den Beteiligten gewünschten Einzelrichterentscheidung die anderen Berufsrichter zu beteiligen. Dies würde vielmehr einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter des Art 101 Grundgesetz (GG) bedeuten (zu den verfassungsrechtlichen Aspekten vgl. inbes. Knispel aaO). Denn weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte, Gesetzeszusammenhang oder Sinn und Zweck des § 155 Abs. 3 SGG lassen die obige einschränkende Auslegung der Norm zu. Der Wortlaut gibt einen solchen Anhalt schon deswegen nicht, weil die gebrauchte Formulierung ("kann der Vorsitzende") durch die Verwendung der grammatischen Einzahl gerade keine sprachliche Einschränkung der verliehenen richterlichen Befugnis enthält. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht für eine allein dem pflichtgemäßen Ermessen des Berichterstatter unterliegende konsentierte Entscheidungsbefugnis nach § 155 Abs. 3 SGG, weil in ihrem ersichtlichen rechtstechnischen Vorbild in der Zivilprozssordnung (ZPO), nämlich § 527 Abs. 4 ZPO ebenfalls keine Einschränkung enthalten ist und auch in der Rechtspraxis der Zivilgerichte bis heute nicht verlangt wird (vgl. zuletzt Bundesgerichtshof in Zivilsachen - BGHZ - 105, 270). Der Auslegung im Gesetzeszusammehang führt zum selben Ergebnis. Denn das SGG gibt den Beteiligten sogar das Recht, die Berufungsinstanz im Wege der Sprungrevision im gemeinsamen prozessualen Konsens gemäß § 161 SGG ganz entfallen zu lassen, wobei dies gerade ausschließlich für Fälle von besonderer bzw. grundsätzlicher Bedeutung zulässig ist (§ 161 Abs. 2 SGG). Damit macht das Gesetz selbst deutlich, dass es für die Frage der Befassung des (ganzen oder teilweisen) Spruchkörpers am Landessozialgericht (LSG) nur auf den Willen der Beteiligten und das pflchtgemäße Ermessen des Vorderrichters bzw. des Berichterstatters, nicht aber (schon für diese prozessuale Frage) auf die Einschätzung der anderen Berufsrichter ankommen soll. Speziell der Vergleich mit anderen Verfahrensordnungen, an denen sich der Gesetzgeber auch - alternativ - hätte generell orientieren können, bestärkt dieses systematische Ergebnis. Denn von der zB in § 6 der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Möglichkeit, Rechtsstreite durch berufsrichterlichen Beschluss auch ohne die Zustimmung der Beteiligten auf den Einzelrichter zu übertragen, hat der Gesetzgeber im SGG für die Berufung ausschließlich für den in § 155 Abs. 5 SGG vorgesehen Fall Gebrauch gemacht. Schließlich gebieten auch Sinn und Zweck des § 155 Abs. 3 SGG, die vor allem in einer Verfahrensbeschleunigung liegen, keine einschränkende Auslegung (so insbesondere Söhngen aaO). Auszuüben war damit allein das pflichtgemäße Ermessen des Berichterstatters, bei dem aber vorliegend keine Umstände ersichtlich waren, den Rechtsstreit einer Entscheidung durch den gesamten Senat vorzubehalten. Denn die sich stellenden Rechts- und Tatfragen sind in der Rechtsprechung bereits umfassend geklärt. Einer besonderen Verfahrensbehandlung durch einen größeren Spruchkörper bedurfte es daher nicht.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Angesichts der vom SG zitierten gefestigten Rechtsprechung des 4. Senats des BSG zur Rechtsfrage der Anrechnung von Renten aus der gesetzlichen (Hinterbliebenen-)Unfallrente auf (Hintebliebenen-)Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, der sich auch der u.a. für die knappschaftliche Rentenversicherung zuständige 8. Senat des BSG angeschlossen hat ( Urteil - B 8 KN 4/00 R - vom 13.3.2002; Urteil vom 22.5.22002 -B 8 KN 111/00 R - und Urteil vom 26.2.2003 - B 8 KN 11/02 R -), bleibt kein Raum für die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge. Das erkennende Gericht verweist gemäß § 153 Abs. 2 SGG ergänzend auf die zutreffenden Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung sowie entsprechend § 136 Abs. 3 SGG auf die angefochtenen Bescheide.

III. Die Revision ist wegen der prozessualen Abweichung von der unter I. genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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