L 12 SO 61/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 (16) SO 82/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 61/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 aufgehoben. Die Kosten der Verfahren beider Rechtszüge trägt die Beklagte. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird endgültig auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Aufforderung zur Auskunftserteilung der Beklagten gegenüber der Klägerin nach § 117 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Die am 00.00.1954 geborene Klägerin ist die Tochter von Herrn X M. 1973/1974 versagte Herr X M seiner in diesem Zeitraum nach damaligem Recht noch minderjährigen Tochter die Einwilligung, ihren jetzigen Ehemann zu ehelichen. Mit Beschluss vom 05.06.1974 ersetzte das Amtsgericht (AG) Wattenscheid daraufhin die fehlende Einwilligung des Herrn X M sowie seiner Ehefrau, der Mutter der Klägerin, auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Ehegesetz. Herr X M bezog seit dem 01.12.2005 fortlaufend Leistungen der Sozialhilfe, seit dem 01.11.2006 in Gestalt von Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen gemäß § 35 SGB XII und Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. SGB XII, von der Beklagten. Mit Bescheid vom 30.01.2007 forderte die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf § 117 SGB XII auf, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen sowie näher bezeichnete diesbezügliche Unterlagen und Belege vorzulegen. Dabei wies sie darauf hin, dass sie Herrn X M ab 01.12.2005 Leistungen nach dem SGB XII gewähre. Gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei die Klägerin ihrem Vater gegenüber grundsätzlich unterhaltspflichtig. Etwaige Unterhaltsansprüche seien aufgrund der Leistungsgewährung nach dem SGB XII auf die Beklagte übergegangen. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 12.02.2007 am 14.02.2007 Widerspruch ein. Ein Anspruch der Beklagten auf Auskunft gemäß § 117 SGB XII existiere ihr gegenüber nicht. Eine Auskunftserteilung lehne sie ab. Sie habe seit 34 Jahren, dem Zeitpunkt ihrer Heirat, keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Dieser habe sich bewusst und endgültig von ihr abgekehrt. Des Weiteren sei ihr zugetragen worden, dass ihr Vater seit 1974 behaupte, sie "sei verstorben". Daher habe sich ihr Vater einer schweren Verfehlung schuldig gemacht, sodass sie ihm gegenüber nicht zum Unterhalt verpflichtet sei. Das Verhalten ihres Vaters ihr gegenüber sei "grob unbillig". Mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei grundsätzlich zur begehrten Auskunftserteilung verpflichtet. Ein Auskunftsverlangen sei auch dann rechtmäßig, wenn noch nicht feststehe, ob ein Unterhaltsanspruch bestehe. Zur Auskunft verpflichtet sei, wer als Unterhaltsschuldner des Leistungsberechtigten in Betracht komme. Das Auskunftsersuchen sei nur dann rechtswidrig, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch bestehe. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Ein Anspruch des Herrn X M gegen die Klägerin auf Zahlung von Unterhalt gemäß §§ 1601 ff. BGB sei auch vor dem Hintergrund des Vorbringens der Klägerin im Widerspruchsverfahren nicht offensichtlich ausgeschlossen. Hiergegen hat die Klägerin am 03.09.2007 Klage erhoben. Sie hat im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, sie wisse, dass ihr Vater mit ihrem Wunsch, ihren jetzigen Ehemann zu heiraten, vor 34 Jahren nicht einverstanden gewesen sei. Dieser habe sich für seine Tochter damals wohl einen anderen Mann vorgestellt und möglicherweise auch "ausgeguckt". Aufgrund ihres Entschlusses dennoch zu heiraten, sei sie durch ihren Vater "vor die Tür gesetzt" worden. Daraufhin habe sie den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen. Ihr Vater habe all dieses wohl nie verwunden. Schlimmer als ihr Vater, der sie in der Vergangenheit "totgesagt" habe, indem er Dritten gegenüber behauptet habe, sie sei verstorben, könne sich ein Elternteil gegenüber einem Kind nicht verhalten, woraus eine vorsätzliche schwere Verfehlung im Sinne des Gesetzes abzuleiten sei. Seit 30 Jahren habe ihr Vater keinerlei Versuch unternommen, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ihren diesbezüglichen Vortrag habe sie im Widerspruchsverfahren hinreichend belegt. Ein Unterhaltsanspruch ihres Vaters ihr gegenüber scheide vor diesem Hintergrund offensichtlich aus. Bestehe ein solcher jedoch von vornherein nicht, sei auch ein entsprechender Auskunftsanspruch nicht begründet. Sie wünsche nicht, dass ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aktenkundig würden. Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid vom 30.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 aufzuheben. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Auch sie bezieht sich im Wesentlichen auf ihre Rechtsausführungen im angefochtenen Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.11.2009 abgewiesen. Diese sei zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin sei durch den angefochtenen Bescheid vom 30.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der angegriffene Bescheid sei nicht rechtswidrig. Die Beklagte sei nach § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII berechtigt, von der Klägerin die im Bescheid vom 30.01.2007 konkretisierten Auskünfte anzufordern. Gemäß § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII hätten die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des SGB XII dieses erfordere. Die Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII begründe - ebenso wie die Vorgängernorm § 116 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - eine originäre öffentlich-rechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung, d. h. einen eigenständigen Auskunftsanspruch des Trägers der Sozialhilfe (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17.06.1993 - 5 C 43/90 -; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen, Urteil vom 29.09.2008 - S 2 (8) SO 21/08 -; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 3. Auflage 2010, § 117, Rn. 4). Die Auskunftserteilung durch die Klägerin sei - im Sinne des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII - erforderlich zur Durchführung des SGB XII. Die Kammer sei - trotz des von der Klägerin beschriebenen Verhältnisses zu ihrem Vater - davon überzeugt, es nicht völlig auszuschließen sei, dass Herr X M gegen die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von Familienunterhalt nach den §§ 1601 ff. BGB habe. Auf mehr komme es in diesem Rechtsstreit nicht an. Denn der Träger der Sozialhilfe dürfe von den Verpflichteten des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII das an Auskünften verlangen, was er benötige, um das SGB XII (hier: die Verwirklichung des Grundsatzes des Nachrangs im Sinne des § 2 SGB XII) seiner gesetzgeberischen Intention entsprechend anzuwenden. Er dürfe also solche Auskünfte verlangen, die für die Durchführung des SGB XII erforderlich sind. Nur wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe, dürfe eine Auskunft vom (vermeintlich) Unterhaltspflichtigen nicht verlangt werden (LSG NRW, Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.09.2008 - S 2 (8) SO 21/08 -). Das Auskunftsersuchen sei nur dann rechtswidrig, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch bestehe, sog. Negativevidenz (siehe auch: BVerwG, Urteil vom 05.08.1986 - 5 B 33/86 -; LSG NRW, Urteil vom 09.06.2008 - L 20 SO 36/07 -; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117, Rn. 9). Eine nähere (tatsächliche und rechtliche) Prüfung vermeintlicher Unterhaltsansprüche, die vorliegend zur Überzeugung der Kammer erforderlich sein würde, um das Bestehen von Unterhaltsansprüchen zwischen der Klägerin und ihrem Vater auszuschließen, habe die Kammer - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht vorzunehmen. Eine solche Prüfung bleibe nach dem in verschiedene Gerichtszweige aufgegliederten Rechtsschutzsystem vielmehr den Zivilgerichten vorbehalten, sollte die Beklagte im Anschluss an die Auswertung der von der Klägerin zu erbringenden Auskünfte einen auf sie nach näherer Maßgabe des § 94 SGB XII übergegangenen Anspruch des Hilfebedürftigen gegen die Klägerin annehmen und das Bestehen dieses Anspruchs zwischen den Beteiligten streitig sein (LSG NRW, Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.09.2008 - S 2 (8) SO 21/08 -). Die Kammer sei darüber hinaus auch nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII überzeugt. Insbesondere ergäben sich auch aus persönlichkeitsrechtlichen Erwägungen - entgegen der Ansicht der Klägerin - keine verfassungsrechtlichen Zweifel. Zwar werde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Unterfall des verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG - durch die Auskunftspflicht durchaus berührt. Dies führe allerdings im Ergebnis nicht dazu, dass jegliche Angaben, die für die Prüfung der anzuerkennenden Ansprüche der die Leistungen der Sozialhilfe aufbringenden Allgemeinheit gegen leistungsfähige Angehörige notwendig sind, von Verfassungs wegen verweigert werden dürften. Vielmehr werde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zulässigerweise durch das (höherrangige) Allgemeininteresse eingeschränkt, sofern die begehrten Auskünfte geeignet und erforderlich seien, den Leistungsanspruch zu klären (LSG NRW, Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.09.2008 - S 2 (8) SO 21/08 -). Letzteres sei bei dem vorliegenden Auskunftsverlangen - wie gesehen - der Fall. Die von der Beklagten begehrten Auskünfte über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin enthielten keinerlei Fragen, die über das für die Prüfung eines etwaigen Anspruchsübergangs nach § 94 SGB XII und damit für die Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB XII geeignete und notwendige Maß hinausgingen. Schließlich stehe der Klägerin auch kein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 117 Abs. 5 SGB XII zu. Die Kostenentscheidung beruhe auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Urteil ist der Klägerin am 01.12.2009 zugestellt worden. Hiergegen hat diese am 31.12.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, es sei evident, dass ein Unterhaltsanspruch ihres Vaters ihr gegenüber nicht bestehe. Einen solchen habe dieser aufgrund seines Verhaltens ihr gegenüber verwirkt. Neben dem Abbruch des Kontakts zu ihr habe ihr Vater auch den von ihrer Mutter gewünschten Kontakt zu ihr unterbunden. Soweit das Sozialgericht auf die sog. Negativevidenz-Rechtsprechung Bezug genommen und sich vor dem Hintergrund dieser nicht in der Lage gesehen habe, eine zivilrechtliche Prüfung vorzunehmen, um dem zuständigen Zivilgericht nicht vorzugreifen, werde dieses Vorgehen ihrem Fall nicht gerecht. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 117 SGB XII ("Unterhaltspflichtigen") gehe sie davon aus, dass die Auskunftspflicht einen tatsächlich bestehenden Unterhaltsanspruch voraussetze, folglich ebenso wie im Zivilverfahren zunächst zu prüfen sei, ob grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch - bei unterstellter Leistungsfähigkeit, die nur über die Auskunftspflicht geklärt werden könne - bestehe. Das Sozialgericht habe vor dem Hintergrund der sog. Negativevidenz-Rechtsprechung angenommen, dass der Evidenzbeweis nur geführt sei, wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegung das Nichtbestehen des Unterhaltsanspruchs ersichtlich sei. Übersehen habe es dabei jedoch, dass es bei den der bisherigen Rechtsprechung zugrunde liegenden Sachverhalten immer und ausschließlich nur um die Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gegangen sei. Nicht entschieden sei jedoch bisher der vergleichbare Fall, in dem es um den Ausschluss von Unterhaltsansprüchen unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gehe und in dem die potentiell auskunftspflichtige Person grundsätzlich zum unterhaltspflichtigen Personenkreis gehöre. Sie verkenne nicht, dass, auch wenn hier die Tatsachen, die gegen eine Unterhaltspflicht ihrerseits sprächen, auf der Hand lägen und nicht bestritten worden seien, die Entscheidung über die Frage der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs durch das Sozialgericht einen Eingriff in die zivilgerichtliche Entscheidungskompetenz darstellen würde. Allerdings sei die hierzu entscheidende zivilrechtliche Rechtsfrage so eindeutig zu beantworten, dass tatsächlich kein Entscheidungsspielraum mehr bestehe, sodass das Sozialgericht diese Frage sehr wohl habe entscheiden dürfen. Durch die von ihr begehrte Auskunft werde so massiv in ihre Grundrechte eingegriffen, dass zudem die Beklagte sich vorab habe veranlasst sehen müssen, zunächst zivilrechtlich das Bestehen des Unterhaltsanspruchs dem Grunde nach feststellen zu lassen und zwar gerade und ausschließlich vor dem Hintergrund der von ihr unstreitig dargelegten tatsächlichen Gegebenheiten. Das Verhalten der Beklagten erscheine vor diesem Hintergrund willkürlich. Dies gelte um so mehr, als sich diese mit ihrem Einwand, ihr Vater sei gar nicht bedürftig, gar nicht auseinander gesetzt habe. Im Rahmen der Rechtsprechung zur Negativevidenz sei vor diesem Hintergrund bisher nicht entschieden, ob in einem besonderen Fall, wie dem vorliegenden, § 117 SGB XII nicht einschränkend auszulegen sei. Vorliegend greife das Auskunftsverlangen in besonderem Maße in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht und ihre Menschenwürde ein, da es für sie wegen des besonderen persönlichen Verhältnisses zu ihrem Vater aus ihrer Sicht eine besondere Zumutung darstellen würde, diesem gegenüber nunmehr, nachdem sie durch diesen sogar für tot erklärt worden sei, quasi ihre wirtschaftlichen Verhältnisse offenzulegen. Die Tatsachen, die gegen einen grundsätzlichen Unterhaltsanspruch sprächen, seien so gravierend, dass die Beklagte verpflichtet sei, die Frage der Unterhaltsverpflichtung dem Grunde nach zunächst aufzuklären.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren sowie auf die Begründung des Urteils erster Instanz Bezug genommen und hat ergänzend auf die aktuelle Rechtsprechung des 20. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -) verwiesen. Der Senat hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2010 Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen C, D, Q und N (Brüder der Klägerin). Der Zeuge C hat im Wesentlichen bekundet, sein Vater habe gesagt, die Klägerin sei seit 1970 tot. Er habe dem damals Glauben geschenkt. Sein Vater habe den Geschwistern unter Hinweis darauf, dass sie für die Familie gestorben sei, verboten, mit der Klägerin Kontakt aufzunehmen. Auch in der Nachbarschaft, z. B. seitens des Betreibers des Lebensmittelgeschäfts in dem die Familie einkaufte, Herrn I, sei erzählt worden, dass die Klägerin tot sei. Er wisse jedoch nicht, ob Herr I dies von seinem Vater erfahren habe. Sein eigenes Verhältnis zu seinem Vater sei grauenhaft gewesen. Dieser habe auch ihn rausgeworfen, als er ihm 1980 mitgeteilt habe, dass er ausziehen und mit seiner Freundin zusammenziehen wolle. Später sei ein Kontakt mit seiner Mutter wieder hergestellt worden. Sein Vater habe sich nach seiner Selbständigkeit erkundigt, habe ihm allerdings nur Vorschriften gemacht. Die Klägerin habe keinen Kontakt mehr zum Vater gehabt. Auch habe sie keinen Kontakt zu ihrer Mutter halten können. Es sei wohl so gewesen, dass die Mutter einen Kontakt habe herstellen wollen. Sie sei jedoch auf ihren Rollstuhl angewiesen gewesen und habe dieses deshalb nicht gekonnt. Als sie im Sterben gelegen habe, habe sein Vater versucht, einen Kontakt der Mutter zu den Kindern zu verhindern. Er sei heimlich zu seiner Mutter ins Krankenhaus gegangen, wisse jedoch nicht, ob auch die Klägerin dieses getan habe. Der Zeuge N hat im Wesentlichen bekundet, dass das Verhältnis der Klägerin zu ihrem Vater nicht gut gewesen sei. Es habe kein Kontakt zwischen ihm und ihr bestanden. Dritten gegenüber, z. B. im Lebensmittelgeschäft E, habe der Vater geäußert, dass die Klägerin tot sei. So sei es bei allen Geschwistern im Verhältnis zum Vater gewesen. Wenn jemand ausgezogen sei, sei der Betreffende für ihn tot gewesen. Als seine Mutter auf dem Sterbebett gelegen habe, habe der Vater geäußert, dass die Kinder sie nicht besuchen dürften. Besuche habe er im Krankenhaus verhindert. Nach der Beerdigung der Mutter auf deren Grab gelegte Blumen habe er weggeschmissen. Auch habe der Pastor bei der Beerdigung nur von der Existenz zweier Kinder gewusst und habe sich gewundert, dass mehr Geschwister an der Beerdigung teilgenommen haben. Als sein Vater die Klägerin rausgeworfen habe, hätten alle Geschwister, die noch zu Hause wohnten, mit ihm deren Möbel heruntertragen. Er habe diese dann noch mit einem Wagen zu ihren Schwiegereltern gefahren und habe diese dort abends im Dunkeln auf der Straße abgeladen. Ihm selbst sei es im Haus des Vaters gut gegangen, solange er Geld abgegeben habe. Seit seiner Heirat im Jahr 1987 habe er kein Geld in der gewohnten Höhe mehr an seinen Vater abgeben können. Daraufhin habe er 1988 das Haus verlassen müssen. Sein Vater habe ihm gegenüber geäußert, er dürfe erst zurückkommen, wenn er sich von seiner Frau getrennt habe. Auch seine Mutter habe keinen Kontakt - weder telefonisch noch persönlich - zu den Kindern, die rausgeworfen worden waren, aufnehmen oder aufrechterhalten dürfen. Wenn er ihr z. B. zu ihrem Geburtstag Blumen geschickt habe, habe sein Vater diese weggeworfen. Dieses habe er sowohl von den Nachbarn als auch von den Geschwistern gehört, die noch im Haus wohnten. Der Zeuge Q hat im Wesentlichen bekundet, als er etwa 14 Jahre alt gewesen sei, habe die Klägerin häufig Krach mit ihrem Vater gehabt. Worum es dort gegangen sei, wisse er nicht. Später sei die Klägerin plötzlich ausgezogen. Sein Vater habe zu den verbliebenen Kindern gesagt, die Klägerin sei gestorben. Sie hätten sich zwar gewundert, dass es nicht zu einer Beerdigung kam und hätten auch ihre Mutter danach gefragt. Diese habe ihnen jedoch aufgrund eines Verbots des Vaters nichts sagen dürfen. Auch in der ganzen Nachbarschaft und der ganzen Straße, insbesondere in den Lebensmittelgeschäften I und E, sei erzählt worden, dass die Klägerin tot sei. Seit jener Zeit habe er keinen Kontakt mehr zur Klägerin, also seiner Schwester gehabt. Erst als seine Mutter verstarb, habe er diese auf der Beerdigung wiedergesehen. Er selbst habe bis 1987 zu Hause gewohnt. Dann habe er geheiratet und habe eine Tochter bekommen. Diese habe sein Vater vollständig ignoriert. Seine Frau habe es nicht mehr ausgehalten, so dass sie dann, um Ruhe zu haben, ausgezogen seien. Seitdem hätten sie keinen Kontakt mehr zu seinem Vater gehabt. Zur Mutter habe nur in Abwesenheit des Vaters Kontakt bestanden.

Der N hat im Wesentlichen bekundet, dass es zwischen seinem Vater und der Klägerin ungefähr Anfang der 70er Jahre zu einer Auseinandersetzung gekommen sei. Diese sei damals 17 Jahre alt gewesen und zu ihrem Freund gezogen. Mit 18 Jahren habe sie sich für volljährig erklären lassen. Das habe seinen Vater geärgert und alle im Haus verbliebenen Geschwister hätten ihm helfen müssen, das Zimmer der Klägerin auszuräumen. Deren Sachen seien zu ihr gebracht und vor ihrem Haus abgeladen worden. Sie hätten vom Vater die Anweisung bekommen, sich von der Klägerin fernzuhalten. Ein paar Jahre später - er sei damals 15 oder 16 Jahre alt gewesen - sei es so gewesen, dass in den zwei Lebensmittelgeschäften, in denen die Familie eingekauft habe, nämlich E und I, gesagt worden sei: "Schade, dass die Schwester K nicht mehr lebt." Ihm gegenüber habe sein Vater nicht geäußert, die Klägerin sei tot. Jedenfalls könne er sich an eine derartige Äußerung nicht erinnern. Seit dem Auszug seiner Schwester habe er jedoch keinen Kontakt mehr zu ihr. Vom Tod der Mutter seien seine Brüder D, C und X sowie seine Schwester V und er benachrichtigt worden und hätten die Mutter ein letztes Mal aufgesucht. Auf der Beerdigung der Mutter habe er dann erstmals nach ca. 30 Jahren seine Schwester, die Klägerin, wiedergesehen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagen vorgelegte Verwaltungsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

Die insbesondere form- und fristgemäß eingelegte sowie statthafte Berufung ist zulässig. Diese bedurfte nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Der sich aus dem Begehren der Klägerin ergebende Berufungsstreitwert ist der Höhe nach nicht feststellbar. Der Wert des Auskunftsersuchens der Beklagten orientiert sich an den seitens der Beklagten an Herrn X M erbrachten Leistungen der Sozialhilfe, deren (teilweise) Erstattung diese im Rahmen der späteren Geltendmachung eines eventuell gegebenen, auf sie übergegangenen Unterhaltsanspruchs des Herrn X M gegenüber der Klägerin fordern könnte. Auch der Wert eines solchen Erstattungsanspruchs ist jedoch derzeit nicht feststellbar. Lässt sich aber endgültig nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen für die Beschränkung einer Berufung erfüllt sind, muss im Ergebnis die Grundregel des § 143 SGG - Statthaftigkeit der Berufung ohne Zulassung - eingreifen (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2009, § 144, Rn. 15a, m.w.N.).

Die Berufung ist auch begründet.

Die Klage vom 12.04.2006 ist als reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Beklagte hat das von der Klägerin mit ihrer Klage angefochtene Auskunftsbegehren mittels Verwaltungsakt in Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) mit Bescheid vom 30.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 geltend gemacht. § 117 SGB X ermöglicht ein solches Vorgehen (Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117, Rn. 8, m.w.N.).

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin ist durch den vorgenannten Bescheid gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Dieser ist rechtswidrig. Der von der Beklagten gegenüber der Klägerin geltend gemachte Auskunftsanspruch besteht zur Überzeugung des Senats nicht.

Die Voraussetzungen der einzigen in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage für einen solchen Erstattungsanspruch, § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, sind nicht erfüllt. Danach haben Unterhaltspflichtige, ihre nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartner und Kostenersatzpflichtige dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des SGB XII dieses erfordert.

Zwar ist dem Sozialgericht zur Überzeugung des Senats zunächst darin zuzustimmen, dass die Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII - ebenso wie die Vorgängernorm § 116 Abs. 1 Satz 1 BSHG - eine originäre öffentlich-rechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung, d. h. einen eigenständigen Auskunftsanspruch des Trägers der Sozialhilfe begründet (BVerwG, Urteil vom 17.06.1993 - 5 C 43/90 -; LSG NRW, Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; LSG NRW, Urteil vom 16.04.2008 - L 12 SO 4/07 -; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.09.2008 - S 2 (8) SO 21/08 -; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117, Rn. 4, m.w.N.). Auch ist der Senat wie das Sozialgericht aus den im angefochtenen Urteil angeführten Gründen nicht davon überzeugt, das § 117 SGB XII verfassungswidrig ist (LSG NRW, Urteil vom 09.06.2008 - L 20 SO 36/07 - Rn. 30 ff.; LSG NRW, Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; LSG NRW, Urteil vom 16.04.2008 - L 12 SO 4/07 -; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.09.2008 - S 2 (8) SO 21/08 -). Den Erwägungen des 20. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 09.06.2008 - L 20 SO 36/07 - Rn. 30 ff.), welche das Sozialgericht in seine angefochtene Entscheidung teilweise übernommen hat, ist auch vor dem Hintergrund der Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren zu folgen.

Jedoch ist eine Auskunftserteilung durch die Klägerin entgegen der Entscheidung des Sozialgerichts zur Überzeugung des Senats hier nicht erforderlich im Sinne des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zur Durchführung des SGB XII. Soweit das Sozialgericht ausführt, es sei - trotz des von der Klägerin beschriebenen Verhältnisses zu ihrem Vater - davon überzeugt, dass nicht völlig auszuschließen sei, dass Herr X M gegen die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von Familienunterhalt nach den §§ 1601 ff. BGB habe, folgt der Senat dem nicht. Aufgrund der im Verhandlungstermin am 01.09.2010 vorgenommenen Beweiserhebung (§ 157 SGG) durch Befragen der Klägerin sowie uneidliche Vernehmung der Zeugen C, D, Q und N (Brüder der Klägerin) ist der Senat vielmehr davon überzeugt, dass ein solcher Auskunftsanspruch jedenfalls gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB vollständig entfallen ist.

Zwar folgt der Senat grundsätzlich der Rechtsprechung zur sog. Negativevidenz (BVerwG, Urteil vom 05.08.1986 - 5 B 33/86 -; LSG NRW, Urteil vom 09.06.2008 - L 20 SO 36/07 -; LSG NRW, Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; LSG NRW, Urteil vom 16.04.2008 - L 12 SO 4/07 -; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117, Rn. 12). Danach ist ein Auskunftsersuchen nur dann rechtswidrig, wenn offensichtlich kein überleitbarer Anspruch besteht. Soweit das Sozialgericht jedoch unter Verweis auf die Rechtsprechung des 20. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen sowie des Sozialgerichts Gelsenkirchen (LSG NRW, Urteil vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 -; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.09.2008 - S 2 (8) SO 21/08 -) ausführt, nur wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe, dürfe eine Auskunft vom (vermeintlich) Unterhaltspflichtigen nicht verlangt werden und daraus folgert, eine nähere (tatsächliche und rechtliche) Prüfung vermeintlicher Unterhaltsansprüche, die vorliegend zur Überzeugung der Kammer erforderlich seien würde, um das Bestehen von Unterhaltsansprüchen zwischen der Klägerin und ihrem Vater auszuschließen, habe die Kammer nicht vorzunehmen, da eine solche nach dem in verschiedene Gerichtszweige aufgegliederten Rechtsschutzsystem vielmehr den Zivilgerichten vorbehalten bleibe (Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117, Rn. 12), folgt der Senat dem nicht. Eine derartige Schlussfolgerung geht aus der zitierten Entscheidung des 20. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, soweit es dort heißt, "Negativevidenz kann nur dann vorliegen, wenn ein Anspruch von vornherein, ohne nähere Prüfung - offensichtlich - ausgeschlossen ist", nicht hervor. Was unter einer "näheren Prüfung" zu verstehen ist, hat der 20. Senat gerade nicht weitergehend konkretisiert. Bei einem Verständnis der Negativevidenz im Sinne der Auslegung des Sozialgerichts wären zur Überzeugung des Senats Anwendungsfälle einer solchen praktisch ausgeschlossen. Soweit man fordert, dass ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen für die Annahme einer Negativevidenz evident sein müsse, dass ein Unterhaltsanspruch nicht besteht, wären lediglich Fälle z. B. versehentlich durch die Behörde übersehener nicht bestehender Verwandtschaft und ähnliche offensichtliche Ausschlüsse der Unterhaltstatbestände darunter zu subsumieren. Dass das Bundesverwaltungsgericht ein solches mit seiner Rechtsprechung zur Negativevidenz beabsichtigte, erscheint dem Senat nicht wahrscheinlich und nicht überzeugend. Auch in anderen Rechtsbereichen nehmen die Spruchkörper der Sozialgerichte inzident Überprüfungen von Rechtsfragen, für deren abschließende Entscheidung Spruchkörper anderer Gerichtsbarkeiten zuständig sind, vor. Beispielsweise erfolgt eine Überprüfung arbeitsrechtlicher Fragestellungen im Bereich des Sperrzeitrechts des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) oder eine strafrechtliche Prüfung im Bereich des Opferentschädigungsgesetzes (OEG). In diesen Bereichen ist die Sozialgerichtsbarkeit von Entscheidungen der jeweils zuständigen anderen Gerichte nicht abhängig und an solche nicht gebunden, sondern nimmt von Amts wegen eine eigene Prüfung vor (Karmanski in: Niesel/Brand, Kommentar zum SGB III, 5. Auflage 2010, § 144, Rn. 55, m.w.N.). Dass die Negativevidenzprüfung nicht auf die Überprüfung nicht offensichtlicher Fragen ausgedehnt werden kann und soll, stellt der Senat nicht in Frage. Jedoch zeigt gerade der vorliegende Fall, dass eine Beweiserhebung bei schlüssigem Vortrag der Klägerin, auf welchen sich die Negativevidenzprüfung zur Überzeugung des Senats bezieht, nicht ausgeschlossen werden kann. Negativevidenz meint Offensichtlichkeit des Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruchs bei Unterstellung der Wahrheit des schlüssigen Sachvortrags der auf Auskunftserteilung in Anspruch genommenen Person sowie Beweisbarkeit. Zur Ermittlung bzw. Beschaffung eines solchen Vortrags vor der behördlichen Entscheidung hat die auskunftbegehrende Behörde den potentiell Auskunftspflichtigen anzuhören. Lässt sich das Vorbringen des potentiell Auskunftspflichtigen nicht belegen und nachhalten bzw. ist dessen Vorbringen nicht schlüssig, ist eine Negativevidenz nicht gegeben. Für ein derartiges Verständnis der Negativevidenz spricht zudem, dass eine Beweiserhebung in Form der Würdigung eines Urkundsbeweises grundsätzlich durch die Spruchkörper der Sozialgerichte auch vorgenommen würde, wenn ein potentiell Auskunftspflichtiger der Auskunft begehrenden Behörde oder dem die behördliche Entscheidung überprüfenden Gericht z. B. ein zivilgerichtliches Urteil hinsichtlich des Bestehens bzw. Nichtbestehens seiner Unterhaltspflicht vorlegen würde. Dass auch ein solches im Rechtsstreit um das Bestehen eines Auskunftsanspruchs vor dem Hintergrund der vom Sozialgericht vorgenommenen Auslegung des Begriffes der Negativevidenz nicht zu berücksichtigen wäre, erscheint dem Senat praxis- und sachfremd.

Nach §§ 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie grundsätzlich verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Der Senat ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme jedoch davon überzeugt, dass ein ggf. gemäß §§ 1601 BGB bestehender Anspruch des Herrn Willi Lübke auf Gewährung von Familienunterhalt gegenüber der Klägerin jedenfalls gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB vollständig entfallen wäre. Nach § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Verpflichtung fällt gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Die Vorschrift des § 1611 Abs. 1 BGB beschränkt den Unterhaltsanspruch bei grobem Fehlverhalten des Berechtigten. Sie ist für den gesamten Verwandtenunterhalt, also auch den Elternunterhalt anwendbar (Viefhues in: jurisPK-BGB, Stand: 08.03.2010, § 1611, Rn. 1, 27).

Der Sachvortrag der Klägerin hinsichtlich des Wegfalls eines Unterhaltsanspruchs ihrerseits gegenüber ihrem Vater gemäß der vorgenannten Norm stellte sich als schlüssig und eine Beweisbarkeit ihres Vortrags vor Erhebung der angebotenen Beweise durch den Senat nicht als unwahrscheinlich dar. Nach durchgeführter Beweisaufnahme in Form der Befragung der Klägerin sowie uneidlicher Vernehmung der Zeugen C, D, Q und N als Brüdern der Klägerin im Verhandlungstermin am 01.09.2010 steht für den Senat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass Herr X M als Vater der Klägerin sich von dieser vor 34 Jahren vollständig abgewendet, seitdem keinerlei Kontakt mehr zu ihr gehabt, auch den von der Mutter der Klägerin gewünschten Kontakt zu dieser unterbunden und Dritten gegenüber behauptet hat, sie sei verstorben. Die als Zeugen vernommenen Brüder der Klägerin haben dieses im Wesentlichen identisch sowie detailreich und nachvollziehbar bekundet. An ihrer Glaubwürdigkeit sowie der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen bestehen keine Zweifel. Diese stimmen in wesentlichen Punkten mit den schlüssigen Angaben der Klägerin selbst überein. Auch haben die Brüder der Klägerin überwiegend von ähnlichen eigenen Erfahrungen, welche sie mit ihrem gemeinsamen Vater insbesondere im Hinblick auf das Verlassen des Elternhauses, eigene Partnerschaften, etc. gemacht haben, berichtet. Die sich bei der Klägerin erstmals stellende familiäre Problematik hat sich danach in wesentlichen Zügen vergleichbar bei deren Brüdern C, D und Q wiederholt. Auch bezüglich dieser hat der Vater den Kontakt nach dem Auszug aus dem Elternhaus aufgrund einer bestehenden Partnerschaft oder Familiengründung aufgrund darüber bestehender Verärgerung im Wesentlichen abgebrochen.

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat die Voraussetzungen der dritten Variante des § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB sowie § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB als erfüllt an. Erforderlich ist hier ein vorsätzlicher und schuldhafter Verstoß des Unterhaltsberechtigten gegen wesentliche Pflichten und/oder Rechte des Unterhaltspflichtigen selbst oder eines nahen Angehörigen. Ausreichend ist dabei jedes Verhalten, das dem Pflichtigen die Unterhaltsleistungen ganz oder teilweise unzumutbar erscheinen lässt. Eine schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden (Viefhues in: jurisPK-BGB, Stand: 08.03.2010, § 1611, Rn. 1, 18).

Dabei ist die Weigerung des Unterhaltsberechtigten, mit dem Unterhaltspflichtigen Kontakt aufzunehmen, nicht ausreichend für eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs. Über die Kürzung oder den Ausschluss von Unterhalt kann nicht mittelbar der persönliche Umgang mit dem volljährigen Kind erzwungen werden (Viefhues in: jurisPK-BGB, Stand: 08.03.2010, § 1611, Rn. 18). Zur Verwirklichung des Ausschlusstatbestandes sind daher zusätzliche Faktoren erforderlich (Viefhues in: jurisPK-BGB, Stand: 08.03.2010, § 1611, Rn. 22, 23). Diese können z. B. in einer extrem langen (32 Jahre) Kontaktlosigkeit (Amtsgericht (AG) Helmstedt, Urteil vom 04.09.2000 - 5 F 134/00 - FamRZ 2001, S. 1395), einer Verletzung der Aufsichtspflicht sowie Vernachlässigung, Beschimpfung und Bedrohung eines Kindes (AG Leipzig, Urteil vom 18.09.1996 - 23 C 280/95 - FamRZ 1997, S. 965) sowie darin, das Kind "vor die Tür gesetzt" zu haben, um ungestört mit dem neuen Lebenspartner zusammenleben zu können (AG Frankfurt, Urteil vom 09.12.2005 - 404 F 4366/05 UE - ASR 2006, S. 41-42) gesehen werden.

Die Verwirklichung des Ausschlusstatbestandes bedingende, den vorstehenden Fällen vergleichbare Faktoren erblickt der Senat hier insbesondere in der Tatsache, dass der Vater der Klägerin diese zu einem Zeitpunkt, in welchem sie nach damaligem Recht noch minderjährig war, in der Form "vor die Tür gesetzt" hat, als er deren Hab und Gut aus seinem Haus als der bisherigen Wohnung auch der Klägerin entfernte und dieses abends auf der Straße vor deren neuer Unterkunft ablud und damit sowohl dem Zugriff Dritter als auch der Witterung aussetzte. Zu diesem Zeitpunkt vor 34 Jahren brach er den Kontakt zur Klägerin vollständig ab. Auch die Tatsache, dass der Vater der Klägerin auch dritten, außerhalb der Familie stehenden Personen - insbesondere den Inhabern der ortsansässigen Lebensmittelgeschäfte E und I - gegenüber bekundete, die Klägerin sei verstorben, erweist sich zur Überzeugung des Senats als diesbezüglich zu berücksichtigender Faktor. Für den Senat ergibt sich insbesondere daraus eine tiefgreifende und dauerhafte Beeinträchtigung schutzwürdiger persönlicher Belange der Klägerin. Behandelt man jemanden als verstorben, distanziert man sich üblicherweise vollständig und endgültig von der Person und bringt zum Ausdruck, diese Person in ihrem Handeln nicht mehr wahrnehmen sowie an ihrem Leben nicht mehr teilhaben zu wollen. Dritten gegenüber, welche darum wissen, dass die besagte Person tatsächlich nicht im naturwissenschaftlichen Sinne gestorben ist, drückt man mit dem Ausspruch jemand sei "für einen gestorben" zudem ein sehr starkes Unwerturteil aus. Zu berücksichtigen ist hier darüber hinaus, dass der Vater der Klägerin, indem er diese im öffentlichen Raum für "tot" erklärte bzw. als "verstorben" bezeichnete, zur Überzeugung des Senats in endgültiger Art und Weise zum Ausdruck brachte, mit dieser nicht mehr in Verbindung gebracht werden zu wollen. Es war ihm im Anschluss an sein öffentliches Handeln nicht mehr ohne einen krassen Gesichtsverlust möglich, seine Einstellung gegenüber der Klägerin und die erfolgte starke und endgültige Distanzierung zu dieser wieder zu ändern. Gerade in seinem näheren Lebensumfeld - der Nachbarschaft -, in welchem er auch nach der Distanzierung von der Klägerin gemeinsam mit den weiteren Familienmitgliedern lebte, hätte er eine spätere gegenteilige Erklärung im Hinblick auf den Verbleib seiner Tochter nur abgeben können, indem er - ebenfalls öffentlich - zugegeben hätte, die Unwahrheit gesagt und fragwürdig gehandelt zu haben. Seiner sozialen und beruflichen Stellung hätte dieses ohne Zweifel erheblich geschadet. Auch die lange Dauer des vollständigen Kontaktabbruchs des Vaters der Klägerin zu dieser stellt sich zur Überzeugung des Senats als den o. g. Ausschlusstatbestand in besonderer Weise ausfüllend dar. Selbst der Tod der Mutter der Klägerin sowie deren Wunsch die Klägerin sowie die anderen Kinder auf dem Sterbebett nochmals zu sehen bzw. wiederzusehen, veranlasste den Vater der Klägerin nicht, den eigenen Kontaktabbruch zu beenden. Vielmehr verhinderte er zudem dauerhaft und sogar unter dem Eindruck des nahenden Todes der Mutter der Klägerin deren Kontakt zu ihrer Tochter. Darin erblickt der Senat eine schwere Verfehlung im Sinne des § 1611 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB im Sinne eines endgültigen Abbruchs sowie einer Leugnung familiärer Beziehungen und Verbundenheit, auf welcher Unterhaltsansprüche nach den §§ 1601 BGB basieren mit der Folge des vollständigen Ausschlusses solcher. Eine abweichende Wertung folgt zur Überzeugung des Senats auch nicht aus der von der Beklagten benannten Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Urteil vom 18.09.2003 - 2 UF 35/03 - FamRZ 2004, S. 971). Der dortige Sachverhalt ist dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da im dortigen Fall die unterhaltspflichtige Tochter bei Abbruch des Kontakts zur unterhaltsberechtigten Mutter bereits wesentlich älter (über 40 Jahre) und volljährig war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Weder die Klägerin noch die Beklagte gehören zu den in § 183 SGG genannten Personengruppen. Insbesondere handelt es sich bei der Klägerin nicht um eine Leistungsempfängerin im Sinne des § 183 Satz 1 SGG. Sie bezieht keine Leistungen von der Beklagten und klagt nicht aus einem solchen Leistungsverhältnis heraus. Vielmehr wird sie als Dritte durch die Beklagte auf Erteilung einer Auskunft in Anspruch genommen. Der Beklagten als unterliegendem Beteiligten waren die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen aufzuerlegen. Dem steht § 197a Abs. 3 SGG nicht entgegen (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 197a, Rn. 2a, m.w.N.). Diese Freistellung wirkt sich nicht dergestalt aus, dass die Gerichtskosten der Beklagten im Tenor des Urteils nicht aufzuerlegen wären. Diese werden lediglich nicht beigetrieben.

Die Revision war nicht gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Rechtssache insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung aufweist und nicht von einer Entscheidung der unter § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Spruchkörper abgewichen wird.

Der Streitwert war gemäß §§ 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) nach Anhörung der Beteiligten im Verhandlungstermin endgültig auf 2.500,00 EUR festzusetzen. Dabei hat sich der Senat an der Hälfte des Auffangstreitwertes gemäß § 52 Abs. 2 GKG (5000,00 EUR) orientiert. Der Sach- und Streitstand des zugrunde liegenden Klage- und Berufungsverfahrens bietet keine genügenden Anhaltspunkte für die endgültige Streitwertbemessung. Begehren und Antrag der Klägerin - die Aufhebung des ihr gegenüber geltend gemachten Auskunftsersuchens der Beklagten - richten sich nicht auf eine bezifferte oder bezifferbare Geldleistung. Bei Auskunftsansprüchen kommt üblicherweise eine Festsetzung des Streitwertes in Höhe des halben Auffangstreitwertes in Betracht (LSG NRW, Urteil vom 29.01.2007 - L 1 AS 12/06 -; vgl. zur Sozialhilfe: Hartmann in: ders., Kostengesetze, 36. Auflage, GKG Anh. I B § 52, Rn. 36 Nr. 41.4; Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit, NZS 2006, S. 350, 354). Gründe, im vorliegenden Fall davon abzuweichen, sind für den Senat nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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