L 9 SO 309/10 B ER RG

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 42 SO 61/10 ER
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 309/10 B ER RG
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 26.05.2010 wird zurückgewiesen. Die mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 10.05.2010 gestellten Beweissicherungsanträge werden nochmals abgelehnt. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Anhörungsrügeverfahren wird abgelehnt. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die nach § 178 a Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhobene Anhörungsrüge ist zulässig. Gegen den Beschluss des Senats vom 26.05.2010 ist nach § 177 SGG ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf nicht gegeben (§ 178 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Nach Zustellung des Beschlusses am 07.06.2010 ist die Anhörungsrüge innerhalb der 2-wöchigen Frist des § 178 a Abs. 2 Satz 1 SGG am 14.06.2010 erhoben worden.

Die Rüge ist unbegründet.

Eine erfolgreiche Anhörungsrüge setzt nach § 178 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG voraus, dass das Gericht den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts soll der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Grundgesetz/GG, §§ 62, 128 Abs. 2 SGG) verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten, um sicherzustellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen einbezogen wird (BSG, Beschluss vom 08.11.2006, Az.: B 2 U 5/06 C, m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert dagegen weder die Richtigkeit der Tatsachenermittlung durch das Gericht noch die Zugrundelegung der Rechtsansicht eines Beteiligten (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 16.06.1987, Az.: 1 BvR 1113/86). Vielmehr erfordert es das Gebot rechtlichen Gehörs, dass das entscheidende Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Dagegen verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten auch zu folgen. Im Rahmen der Verpflichtung zur Erwägung des Vortrags von Beteiligten ist das Gericht ferner nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen zu befassen; es muss nur auf das für das Verfahren wesentliche und nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserhebliche Vorbringen eingehen. Je umfangreicher das Vorbringen ausfällt, desto stärker besteht die Notwendigkeit, im Rahmen der Entscheidungsbegründung nur die wesentlichen Fragen abzuhandeln (BSG, Beschluss vom 28.09.2006, Az.: B 3 P 1/06 C, Rn. 7, m.w.N.).

Hiervon ausgehend verletzt der Beschluss des Senats vom 26.05.2010 nicht den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör.

Zu Unrecht rügt die Antragstellerin, dass es der Senat in dem angegriffenen Beschluss für zumutbar gehalten hat, dass sie zunächst den ihr bewilligten rutschfesten Bodenbelag ohne Dämmunterlage verlegt, um der vorgetragenen erheblichen Sturzgefahr vorzubeugen. Sie könne somit der vorgetragenen Sturzgefahr durch schlichtes Gebrauchmachen von der mit Bescheid vom 09.10.2009 ausgesprochenen Kostenzusage begegnen, soweit der Vermieter ihr eine diesbezüglich etwa erforderliche Zustimmung erteile.

Insoweit trägt die Antragstellerin vor, tatsächlich könne ein rutschfester Bodenbelag ohne Dämmunterlage nach Erlass einer Zustimmung der Vermieterin gerade nicht verlegt werden, so dass ein schlichtes Gebrauchmachen von der mit Bescheid vom 09.10.2009 ausgesprochenen Kostenzusage erst nach Aufhebung der Nebenbestimmung mit Bescheid vom 09.10.2009 möglich sei. Hierbei handele es sich um eine präventive Ablehnung der Übernahme einer Leistung nach § 554a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die eine Zustimmung des Vermieters von vornherein gegenstandslos mache. Hierauf habe sie im Eilverfahren insgesamt fünfmal hingewiesen, ohne dass der Senat dies zur Kenntnis genommen habe.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin liegt hierin nicht. Sehr wohl hat der Senat die völlig fernliegende Rechtsauffassung der Antragstellerin zur Kenntnis genommen, die Antragsgegnerin habe im Bescheid vom 09.10.2009 eine Nebenbestimmung erlassen, bei der es sich um eine präventive Ablehnung der Übernahme einer Leistung nach § 554a Abs. 2 BGB handele, die eine Zustimmung des Vermieters von vornherein gegenstandslos mache. Allerdings hat der Senat hierin zum Einen gerade keine selbstständig anfechtbare Nebenbestimmung nach § 32 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gesehen, sondern lediglich eine vorsorglich gegebene Information des Sozialhilfeträgers hinsichtlich einer beabsichtigten rechtlichen Würdigung künftiger Eventualitäten. Der Senat hat den Vortrag der Antragstellerin also sehr wohl zur Kenntnis genommen. Er ist ihrer rechtlichen Würdigung lediglich nicht gefolgt. Hierin liegt gerade keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Soweit die Antragstellerin im Rahmen ihrer Anhörungsrüge dennoch weiterhin auf ihrer Rechtsauffassung beharrt, mangels Fehlen einer Zusage des Antragsgegners im Sinne des § 554a Abs. 2 BGB könne ein rutschfester Bodenbelag auch nach Erlass einer Zustimmung der Vermieterin nicht verlegt werden, liegt demzufolge darin, dass der Senat dieser Rechtsauffassung gerade nicht folgt, keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Zum Anderen verkennt die Antragstellerin immer wieder die grundlegende rechtliche Ausgangsposition:

Es ist in aller erster Linie Sache des Vermieters, die Mietsache in einem Zustand zu halten, der die bestimmungsgemäße Nutzung ermöglicht. Sollte also der Boden, wie die Antragstellerin behauptet, in ihrer Wohnung "Kälte und Feuchtigkeit abstrahlen" - wie immer Feuchtigkeit auch "strahlen" soll - , darüber hinaus "Schimmelbildung im Wohnzimmer" aufgetreten sein, so liegt ein Mangel der Mietsache vor. Diesen behaupteten Mangel muss die Antragstellerin im Verhältnis zu der Vermieterin klären. Keineswegs ist es Sache des Antragsgegners, hier in der von der Antragstellerin verlangten Weise Abhilfe zu schaffen. Hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage. Es ist rechtsirrig und ein Scheingefecht gegen den falschen Gegner, immer wieder stereotyp die Auffassung zu vertreten, diese Sachlage sei in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren letztlich sogar mit dem Mittel des Beweissicherungsverfahrens zu klären. Vielmehr muss der Vermieter zunächst den behaupteten ursächlichen Mangel beheben; erst dann ist ggfs. der Antragsgegner mit der von ihm verlangten Maßnahme eines rutschfesten Bodenbelags am Zuge.

Infolge dessen trifft es auch im weiteren schlicht nicht zu, dass im Beschluss vom 26.05.2010 kein einziges der zahlreichen Argumente der Antragstellerin erwähnt und gewürdigt wird. Vielmehr hat sich der Senat mit dem Vorbringen der Antragstellerin durchaus auseinandergesetzt. Er folgt ihm lediglich nicht, was - wie bereits dargelegt - die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot rechtlichen Gehörs gerade nicht begründet.

Soweit die Antragstellerin alsdann unter Bezugnahme auf ein ärztliches Attest vom 26.05.2010 vorträgt, nunmehr könnten weitere Stürze tatsächlich lebensbedrohliche Folgen haben, ergibt sich hieraus ebenfalls kein Verstoß des Senats gegen das Gebot rechtlichen Gehörs. Wie nämlich soeben dargelegt, ist der Senat gerade nicht dem Vorbringen der Antragstellerin zur Rechtsqualität einer präventiven Information der Antragsgegnerin als Nebenbestimmung sowie zu § 554a Abs. 2 BGB gefolgt, sondern hat vielmehr unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin - allerdings eben ohne diesem zu folgen - dargelegt, dass ihr das Verlegen eines rutschfesten Belages ohne Dämmunterlage zumutbar sei.

Soweit die Antragstellerin alsdann darauf hinweist, dass es keine Rechtsauffassung zulasse, einen bedürftigen, körperbehinderten Menschen in Lebensgefahr zu bringen (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG), schließt sich der Senat dieser Auffassung an. Ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs ergibt sich aber auch hieraus nicht. Entschieden verwahrt der Senat sich hingegen gegen die in dem diesbezüglichen Vorbringen der Antragstellerin enthaltene subtile Unterstellung, durch die Entscheidung des Senats werde ein bedürftiger, körperbehinderter Mensch in Lebensgefahr gebracht. Wenn überhaupt diese Gefahr bestehen sollte, dann deshalb, weil die anwaltlich vertretene Antragstellerin den falschen Prozess gegen den falschen Gegner zur Ursachenbeseitigung (Kälte, Feuchtigkeit) führt. Mängelbeseitigung der Mietsache ist nicht Aufgabe des Trägers sozialer Leistungen.

Die von der Antragstellerin alsdann gerügten Verstöße gegen das Willkürverbot (Artikel 3 Abs. 1 i.V.m. Artikel 20 GG) werden vom Anhörungsrügeverfahren nach dem Wortlaut des § 178 a SGG nicht erfasst, den der Gesetzgeber in strikter Beschränkung auf das einfach gesetzliche Regelungsgebot des Bundesverfassungsgerichts zur Möglichkeit der Selbstkorrektur des Gerichts bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Abs. 1 GG und unter bewusster Ausklammerung der Rüge der Verletzung sonstiger Verfahrensgrundrechte formuliert hat (vgl. BSG, Beschluss vom 28.09.2006, a.a.O., Rn. 14 m.w.N.). Die Frage, ob im Interesse der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts von vermeidbaren Verfassungsbeschwerden § 178 a SGG trotz seines bewusst eng gefassten Wortlauts auch für die Rüge der Verletzung des Willkürverbots gilt, kann hier jedoch letztlich offen bleiben, weil der Senat nicht gegen das Willkürverbot verstoßen hat.

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Entscheidung grobes Unrecht zugefügt worden ist (vgl. BSG, Beschluss vom 19.01.2010, Az.: B 11 AL 13/09 C). Dies ist dann der Fall, wenn die Entscheidung unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist (vgl. zu diesem Maßstab zuletzt BVerfG, Beschluss vom 24.03.2010, 2 BvR 1257/09 u.a.).

Diese Voraussetzungen sind hier schon aus den bislang dargelegten Gründen ersichtlich nicht gegeben.

Insoweit trägt die Antragstellerin zunächst vor, die Weigerung des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts, im Beweissicherungsverfahren über ihre Beweissicherungsanträge gemäß § 76 SGG ordnungsgemäß durch Beschluss zu entscheiden bzw. das Beweisergebnis bei der Entscheidungsfindung im Eilverfahren zu berücksichtigen, beruhe auf Willkür. Dies ist nicht der Fall. Wie die Antragstellerin selbst im weiteren einräumt, hat der Senat die Beweissicherungsanträge durchaus, wenn auch knapp in dem angegriffenen Beschluss beschieden. Zur Klarstellung hat der Senat die Ablehnung der Beweissicherungsanträge nochmals in den Tenor vorliegenden Beschlusses aufgenommen. Denn eine Besorgnis, dass Beweismittel verloren gehen oder seine Benutzung erschwert wird, besteht nicht (vgl. § 76 Abs. 1 SGG).

Auch hat der Senat weder ein Beweisergebnis nicht berücksichtigt noch sonst gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen, indem er in seinem Beschluss weder erhobene Beweise noch das Beweisergebnis bzw. aussagekräftige Fotos oder den Begriff "Schimmelbildung" einschließlich der Ursache hierfür erwähnt hat. Denn dies lässt mitnichten darauf schließen, dass der Senat sich über diesen Vortrag hinweggesetzt oder ihn nicht berücksichtigt hat. Auch insoweit ist vielmehr wiederum festzustellen, dass der Senat diesem Vortrag nicht gefolgt ist. Vielmehr hat er sich auf das Ergebnis der Wohnraumkontrolle des Wohnungsamtes E am 04.12.2009 - also zeitnah - gestützt, was weder einen Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs noch gegen das Willkürverbot beinhaltet. Die Antragstellerin mag die Ergebnisse der Wohnraumkontrolle 2009 weiterhin für unglaubwürdig halten. Der Senat ist anderer Auffassung und hat dies auch begründet.

Ferner hat der Senat nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen, indem er der Aussage der Vermieterin im Schreiben vom 02.03.2009, wonach das Haus auch im Erdgeschoß nach Maßgabe der einschlägigen Baunormen gut gegen Feuchtigkeit und Kälte geschützt ist, durchaus Bedeutung beigemessen hat, weil er davon ausgeht, dass der Vermieter auch ein erhebliches Eigeninteresse an der Vermeidung von Feuchtigkeitsschäden hat, da solche die Vermietbarkeit beeinträchtigen können und darüber hinaus die Beseitigung der Ursache von Feuchtigkeit in erster Linie in den Pflichtenkreis des Vermieters fällt, sofern die Feuchtigkeit bauseitige Gründe hat. Hiermit hat der Senat nämlich gerade nicht dargelegt, dass "die Angaben aller Vermieter ( ...) grundsätzlich glaubwürdig" seien, sondern für den Einzelfall begründet, warum er die konkreten Angaben der Vermieterin vom 02.03.2009 für glaubwürdig hält. Weder hat er damit die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten noch gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Er ist vielmehr lediglich - auch hier - der Argumentation der Antragstellerin nicht gefolgt.

Nicht im Rahmen der Anhörungsrüge rügefähig dürfte ein Verstoß gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache sein. Selbst wenn man dies anders sähe, hat der Senat jedoch gegen hiergegen keinesfalls verstoßen. Soweit er es nämlich abgelehnt hat, die Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten einer Trittschalldämmung in der Mietwohnung der Antragstellerin zu verpflichten, hat er dies lediglich deshalb getan, weil er es mit eingehender Begründung für zumutbar gehalten hat, den bewilligten rutschfesten Bodenbelag zunächst ohne Dämmunterlage zu verlegen. Läge hierin ein Verstoß gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache, wäre der Senat - folgte man dem Vorbringen der Antragstellerin - nämlich gezwungen, um dem Vorwurf eines Verstoßes gegen dieses Verbot zu entgehen, der Antragstellerin die begehrte Trittschalldämmung im einstweiligen Anordnungsverfahren ohne weitere Prüfung von Eilbedürftigkeit und Notwendigkeit im konkreten Einzelfall zu bewilligen. Dies kann jedoch nicht Sinn eines einstweiligen Anordnungsverfahrens sein.

Den Antrag, "das PKH-Verfahren, u.a. im Beweissicherungsverfahren, fortzuführen (§ 178a SGG)", legt der Senat als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Anhörungsrügeverfahren aus. Mangels hinreichender Erfolgsaussicht ist der Antrag aus den vorgenannten Gründen abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Soweit mit diesem Beschluss die Anhörungsrüge zurückgewiesen worden ist, ist er gemäß § 178a Abs. 4 Satz 3 SGG unanfechtbar. Soweit in diesem Beschluss das Gesuch auf ein Beweissicherungsverfahren nochmals und der PKH-Antrag abgelehnt worden sind, ist er gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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