L 11 KR 285/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 307/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 285/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.05.2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der für die Zeit vom 01.01.2005 bis 15.11.2006 zu zahlenden Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und insofern im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens über die Vollstreckbarkeit der angefochtenen Beitragsbescheide.

Die Antragstellerin (AS) meldete mit Wirkung ab 15.11.2004 als Gewerbe "Büroservice - ohne Kundenverkehr" bei der Stadt O an. Zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit bewilligte ihr die Bundesagentur für Arbeit einen Existenzgründungszuschuss gemäß § 421l Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Zeit vom 15.11.2004 bis 14.11.2005 in Höhe von 600,00 EUR monatlich und für die Zeit vom 15.11.2005 bis 14.11.2006 in Höhe von 360,00 EUR (Bescheide vom 15.12.2004 und 02.02.2006).

Anläßlich ihrer Antragstellung bei der AG am 04.01.2005 auf Weiterführung ihrer Mitgliedschaft gab die AS unter Vorlage des o.a. Bescheides der Bundesagentur für Arbeit vom 15.12.2004 an, seit 15.11.2004 hauptberuflich selbständig zu sein. Mit Bescheid vom 11.01.2005 stufte die AG die AS daraufhin als freiwillig versichertes Mitglied in die Versicherungsklasse F11 (hauptberuflich selbständige Erwerbstätige) ein und setzte für den Zeitraum ab 15.11.2004 Beiträge zur Krankenversicherung nach Maßgabe der Mindestbeitragsbemessungsgrenze (MBG) unter dem Vorbehalt der Einkunftsnachweise durch Vorlage entsprechender Einkommenssteuerbescheide fest.

Die AS erklärte im Oktober 2006, neben dem Existenzgründungszuschuss geschätzte Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 1.841,00 EUR zu erzielen. Im Januar 2007 gab sie sodann Einkünfte aus selbständiger Arbeit mit dem Zusatz "GmbH-Gesellschafter/Geschäftsführerin" sowie Einkünfte aus Gewerbebetrieb an. Die AG legte diese Mitteilung der AS dahin gehend aus, dass diese ab 15.11.2006 eine neue selbständige Tätigkeit aufgenommen habe, und setzte mit Bescheid vom 30.01.2007 erneut unter Einordnung in die Versicherungsklasse F11 unter Vorbehalt die Beiträge der AS ab 15.11.2006 unter Zugrundelegung der angegebenen Einkünfte fest.

Am 26.06.2008 legte die AS die Einkommensteuerbescheide des Finanzamtes L für die Jahre 2004 bis 2006 vor, die für 2004 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 11.070,00 EUR und aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 5.225,00 EUR, für 2005 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 2.524,00 EUR und für 2006 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 15.099,00 EUR sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 1.772,00 EUR dokumentieren. Dazu gab der Steuerberater der AS an, der ausgewiesene Gewinn im Jahr 2004 resultiere aus einem einmaligen Erlös, da die AS vom 15.11. bis 31.12.2004 eine einmalige Krankheitsvertretung in einem mittelständigen Unternehmen übernommen habe. Dies habe sich nicht wiederholt.

Die AG setzte mit Bescheiden vom 11.07.2008 (endgültig) die von der AS ab 15.11.2004 zu zahlenden Beiträge zur Krankenversicherung für den Zeitraum vom 15.11.2004 bis 30.11.2007 ausgehend von einem Betrag in Höhe der jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze (BBG) und für den Zeitraum vom 01.12.2007 bis zum 31.08.2008 ausgehend von der MBG fest.

Im Widerspruchsverfahren wendete die AS gegen die Höhe der Beitragsfestsetzung und machte geltend, nur 2004 selbständig gewesen zu sein. 2005 und 2006 habe sie ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Beschäftigung erzielt. Sie sei ab 01.02.2005 als Aushilfe für die T GmbH tätig gewesen sowie seit 01.10.2005 als Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin bei der U GmbH tätig. Sie habe zwar das zum 15.11.2004 angemeldete Gewerbe nicht abgemeldet, habe aber seit 2005 keine Einnahmen mehr hieraus erzielt.

Auf den Widerspruch änderte die AG ihre Entscheidung insoweit ab, als sie Beiträge für den Zeitraum ab 15.11.2006 bis 30.11.2007 nach den für hauptberuflich selbständig Tätige maßgebenden MBG erhob. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2009 zurück. Die AS habe 2004 Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oberhalb der BBG erzielt. Diese Einkünfte seien bis zum Erlass eines neuen Einkommensbescheides maßgeblich. Der Einkommensbescheid für das Jahr 2005 sei am 08.11.2007 erlassen worden und dementsprechend nach Maßgabe des § 240 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) a.F. mit Wirkung für die Zukunft, dem 01.12.2007 berücksichtigt worden. Die AS habe sie zu keiner Zeit darüber unterrichtet, 2005 keine selbstständige Tätigkeit mehr ausgeübt zu haben. Auch Meldungen zur Sozialversicherung über Aufnahme einer Beschäftigung lägen ihr nicht vor. Die AS habe im Jahr 2006 selbst noch erklärt, selbstständig tätig zu sein. Außerdem habe sie den Existenzgründungszuschuss bis zum 14.11.2006 erhalten. Dieser Zuschuss würde nur selbstständig Tätigen gewährt. Sie sei deshalb auch im Jahr 2005 sozialversicherungsrechtlich dem Personenkreis der hauptberuflich selbständig Tätigen zuzuordnen. Zwischenzeitlich sei sie alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer GmbH. Sie unterliege in dieser Tätigkeit nicht der Sozialversicherungspflicht als Arbeitnehmerin, sondern gehöre weiter zu den hauptberuflich selbständig Tätigen. Es sei dabei unerheblich, dass sie steuerrechtlich als Arbeitnehmerin gelte. Meldungen zur Sozialversicherung über die Aufnahme einer Beschäftigung lägen ihr nicht vor. Im vorläufigen Bescheid vom 11.01.2005 habe sie die AS ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides eine Prüfung der Einstufung erfolgt und eine Nacherhebung von Beiträgen vorgenommen werde, wenn höhere als der Einstufung zu Grunde liegende Einkünfte zu berücksichtigen seien. Unter Abwägung des Interesses der AS, nicht rückwirkend mit höheren Beiträgen belastet zu werden sowie dem Interesse der Versichertengemeinschaft an der Erhebung der satzungsgemäßen Beiträge, überwiege das Interesse der Versichertengemeinschaft.

Die AS hat am 24.09.2009 Klage erhoben und unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrags geltend gemacht, sie habe mit ihren Einkünften die BBG nicht erreicht und niedrigere Einnahmen nachgewiesen. Bei der Beitragsbemessung seien die in den Einkommenssteuerbescheiden zugrunde gelegten tatsächlichen Einkünfte zu berücksichtigen.

Unter Bezugnahme auf ihre Klagebegründung hat die AS am 23.04.2010 einen Antrag auf Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gestellt und vorgetragen, die Antragsgegnerin habe die Vollstreckung des Beitragsbescheides angedroht.

Die AS hat beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Beitragsbescheide vom 11.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Antragsgegnerin vom 19.08.2009 anzuordnen.

Die AG hat beantragt,

den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 22.04.2010 zurückzuweisen.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angeforderten Bescheides bestünden nicht.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat am 12.05.2010 die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit angeordnet, als Beiträge zur Krankenversicherung für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 15.11.2006 endgültig festgesetzt wurden und im Übrigen den Antrag zurückgewiesen. Ein Erfolg der AS im Klageverfahren sei deutlich wahrscheinlicher als ein Misserfolg, da nach summarischer Prüfung der angefochtene Beitragsbescheid der AG offensichtlich rechtswidrig sei, soweit Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 15.11.2006 festgesetzt worden seien, da die AS in dieser Zeit kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt habe. Im Übrigen sei der Antrag erfolglos; entsprechend dem Einkommensteuerbescheid für 2004 und dem Vortrag der AS habe diese in der Zeit vom 15.11.2004 bis 31.12.2004 als Einzelunternehmerin zu versteuernde Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 9.567,00 EUR gehabt. Unter Berücksichtigung des hinsichtlich 2004 nur sehr vagen Vorbringens der AS sei nicht davon auszugehen, dass die Berücksichtigung von beitragspflichtigen Einnahmen durch die AG in dem streitigen Zeitraum in dem Jahr 2004 von monatlich 2.487,50 EUR offensichtlich rechtswidrig sei.

Die AG wendet sich im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des SG. Sie halte die Schlussfolgerung des SG, dass keine hauptberufliche Tätigkeit vorgelegen habe, für nicht zutreffend, da die AS vom 15.11.2004 bis 14.11.2006 Existenzgründungszuschüsse von der Bundesagentur für Arbeit erhalten habe. Sie müsse also bei Antragstellung angegeben haben, auch in den Jahren 2005 und 2006 hauptberuflich selbständig tätig zu sein. Seit dem 01.10.2005 sei die AS als geschäftsführende Alleingesellschafterin in einer GmbH tätig gewesen. Die aus dieser selbständigen Tätigkeit erzielten Einnahmen würden zwar steuerrechtlich als Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, sozialversicherungsrechtlich jedoch als Gewinn aus selbständiger Tätigkeit gelten. Im Übrigen entstünden der AS ohne einstweilige Anordnung keine schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteile.

Die AG beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.05.2010 abzuändern und auch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Festsetzung der Beiträge zur Krankenversicherung für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 15.11.2006 zurückzuweisen.

Die AG beantragt schriftsätzlich,

die Beschwerde der AS zurückzuweisen

Sie sei in den Jahren 2005 und 2006 nicht selbständig tätig gewesen. Der Existenzgründungszuschuss sei im Rahmen des Aufbaus eines selbständigen Büroservices gewährt worden. Dieser Tätigkeit gehe sie allerdings seit geraumer Zeit nicht mehr nach. Der streitgegenständliche Zeitraum sei davon nicht umfasst.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der beigezogenen Gerichtsakte des SG Düsseldorf - S 34 KR 241/09 - und des Verwaltungsvorganges der AG Bezug genommen.

II.

Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Vollstreckbarkeit der von der AG mit Bescheiden vom 11.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2009 für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 15.11.2006 endgültig auf der Grundlage der BBG festgesetzten Krankenversicherungsbeiträge. Die unter den gleichen Daten von der DAK Pflegekasse festgesetzten Beiträge zur Pflegeversicherung sind nicht Gegenstand des Klage- und einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass die AS ausdrücklich nur die DAK, nicht aber die DAK-Pflegekasse verklagt hat, sondern bestätigend auch aus den Anträgen der AS in beiden Verfahren, die sich jeweils auf "den" Widerspruchsbescheid vom 19.08.2009 beziehen. Schließlich lässt auch die Klagebegründung, deren tatsächliche und rechtliche Ausführungen sich allein auf die Krankenversicherungsbeiträge beziehen, insofern keinen anderen Schluss zu.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der AG ist nicht begründet (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Nach § 86a Abs. 2 SGG entfällt die sonst grundsätzlich eintretende aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§ 86a Abs. 1 SGG) bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG) ebenso wie bei den - hier nicht in Betracht kommenden - sonstigen in § 86a Abs. 2 SGG abschließend aufgezählten Fällen. Dabei kann in den Fällen des § 86a Abs. 2 SGG die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder, die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen (§ 86a Abs. 3 S.1 SGG). Auf Antrag kann (auch) das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs.1 Nr. 2 SGG).

Bei den Entscheidungen des Gerichts nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten zunächst im Vordergrund. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung wiederherstellt, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse (LSG NRW, Beschluss vom 23.08.2006 - L 10 B 11/06 KA ER - und Beschlüsse des Senats vom 02.04.2009 - L 11 KA 2/09 ER -, vom 22.02.2010 - L 11 KR 4110 B ER - und vom 03.05.2010 - L 11 KR 139/10 B ER -; Düring in Jansen, SGG, 3. Auflage, 2009, § 86b Rdn. 11). Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die Regelung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu beachten, dass in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG die Vollziehung ausgesetzt werden soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Auch über diese ausdrückliche Regelung hinaus ist das aus den Regelungen des § 86a SGG hervorgehende gesetzliche Regel-Ausnahmeverhältnis zu beachten: In den Fallgruppen des § 86a Abs. 2 Nrn. 2 bis 4 SGG ist maßgebend zu beachten, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - zu § 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 Verwaltungsgerichtsordnung). In den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG haben Widerspruch und Klage hingegen grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Es ist ein öffentliches Vollzugsinteresse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten erforderlich. Nur dann wird (ausnahmsweise) die sofortige Vollziehung angeordnet. Das Gericht hat insbesondere zu berücksichtigen, wie schwerwiegend die Beeinträchtigung durch die aufschiebende Wirkung gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist. Bei Eingriffen in die Berufsfreiheit müssen die Gründe für den Sofortvollzug in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens ausschließen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28.08.2007 - 1 BvR 2157/07 - und vom 11.02.2005 - 1 BvR 276/05 -, BVerfG, NJW 2003, 3618, 3619; vgl. auch Düring a.a.O.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Beschwerde der AG keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide - soweit angefochten und wie oben ausgeführt Gegenstand des Beschwerdeverfahrens - sind offenkundig rechtswidrig.

Die Bemessung der Beiträge freiwilliger Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung in den Jahren 2005 und 2006 richtet sich nach § 240 SGB V in der Fassung (nachfolgend: alte Fassung - a.F. -) des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954), dessen vorliegend maßgeblicher Wortlaut durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 (BGBl I 1706), durch das § 240 SGB V in Teilen geändert wurde, keine wesentliche Änderung erfahren hat.

Die AG hat mit den angefochtenen Bescheiden vom 11.07.2008 auf der Grundlage des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V a.F. (u.a.) für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 15.11.2006 die Beiträge endgültig festgesetzt, zu Unrecht jedoch die Krankenversicherungsbeiträge nach Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze berechnet und damit die Höchstbeiträge erhoben.

Die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder wird durch Satzung der Krankenkasse geregelt (Abs. 1 Satz 1), wobei sicherzustellen ist, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt (Abs. 1 Satz 2). Die Satzung muss mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtigen Beschäftigen der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind (Abs. 2 Satz 1). Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste, für freiwillige Mitglieder, die Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III haben, der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße (Abs. 4 Satz 2).

Diese Vorgaben erfüllten die Satzungsbestimmungen der AG. Nach dem in den Jahren 2005 und 2006 geltenden § 15 der Satzung wurden freiwillig Versicherte entsprechend ihrer Personenkreiszugehörigkeit in Versicherungsklassen eingestuft (Abs. 1). Hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige gehörten der Versicherungsklasse F11 an (Abs. 7). Auf dieser rechtlichen Grundlage hat die AG ab 15.11.2004 freiwillig versichert und der Versicherungsklasse F11 zugeordnet.

Es bestehen aufgrund der sehr vagen Angaben der AS bereits gewisse Zweifel, ob die freiwillige Mitgliedschaft durchgehend in den Jahren 2005 und 2006 bestand, da die Einkommensbescheide für die Jahre 2005 und 2006 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ausweisen und insofern die Möglichkeit besteht, dass die AS wegen einer Beschäftigung gegen Entgelt gemäß § 5 Abs.1 Nr. 1 SGB V pflichtversichert war. Denn sobald einer der in § 5 Abs. 1 SGB V normierten, ein die Versicherungspflicht begründenden Tatbestände erfüllt ist, endet nach Maßgabe des § 186 SGB V die Mitgliedschaft als freiwillig Versicherter (§ 191 Nr. 2 SGB V). Für diesen Fall erledigen sich die Beitragsbescheide zur freiwilligen Versicherung, ohne dass es einer Anfechtung oder Aufhebung bedarf (BSG, Urteil vom 10.12.1998 - B 12 KR 7/98 R -). Ob ggf. der Arbeitgeber seine Meldepflicht gemäß § 198 SGB V bzw. die AS ihre Meldepflicht gemäß § 206 Abs. 1 Nr. 2 SGB V pflichtwidrig nicht nachgekommen oder der Existenzgründungszuschuss zu Unrecht gewährt wurde, ist insofern unerheblich, da die Rechtsfolge für das freiwillige Versicherungsverhältnis - Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft - kraft Gesetzes eintritt.

Diese Zweifel begründen jedoch nicht die Annahme einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, da nach Aktenlage bereits nicht festgestellt werden kann, für welche Zeiträume, auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher jeweiligen Höhe die AS die - der Steuerberechnung zu Grunde gelegten - Einkünfte erzielt hat. Es ist lediglich aufgrund der Mitteilungen der AS, der vergleichsweise geringen Einkünfte in 2005 sowie der fehlenden Meldung eines Arbeitgebers zu vermuten, dass die AS (wohl vorübergehend) ab 01.02.2005 im Rahmen der von ihr so bezeichneten "Aushilfstätigkeit" eine gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 8 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) geringfügige - krankenversicherungsfreie - Beschäftigung ausgeübt hat, für die der Arbeitgeber nach § 249b Satz 1 SGB V eine Pauschale zur Krankenversicherung gezahlt haben könnte. Unabhängig von der steuerrechtlichen Behandlung (vgl. § 40a Einkommensteuergesetz) unterliegen Einkünfte aus einer solchen Beschäftigung nicht der Beitragspflicht freiwillig Versicherter (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2003 - B 12 KR 20/01 R -).

Ungeachtet dieser Ausführungen ist jedenfalls durch die (von der AS angegebenen) Tätigkeit als geschäftsführende Alleingesellschafterin einer GmbH ab 01.10.2005 kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet worden (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 12 KR 8/05 R -).

Ob die Beitragsbemessung der AS aufgrund des Bezuges von Existenzgründungszuschüssen nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V a.F. unter Zugrundelegung des sechzigsten Teils der monatlichen Bezugsgröße zu erfolgen hat, bedarf zumindest im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens keiner Entscheidung.

Unabhängig von alledem hat die AG nämlich jedenfalls offensichtlich rechtswidrig mit dem angefochtenen Bescheid die Beiträge zur Krankenversicherung (weiterhin) unter Zugrundelegung der BBG berechnet hat. Dies steht im Widerspruch zur - für die Jahre 2005 und 2006 maßgeblichen - Gesetzes- und Satzungslage, da die beitragspflichtigen Einkünfte der AS, zu denen gemäß § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V a.F. nicht Existenzgründungszuschüsse nach § 421l SGB III gehörten, ausweislich der vorgelegten Steuerbescheide die BBG 2005 in Höhe von monatlich 3.525,00 EUR bzw. 2006 in Höhe von monatlich 3.562,50 EUR - auch unter Berücksichtigung der einzubeziehenden Einkünften aus Kapitalvermögen (vgl. BSG, Urteil vom 17.03. 2010 - B 12 KR 4/09 R - m.w.N.) - nicht erreicht haben.

Die AG kann ihre - indessen an der BBG orientierten - Beitragsbemessung auch nicht mit der Regelung des § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V in der o.a. Fassung rechtfertigen, weil die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 erst am 08.11.2007 bzw. 15.02.2008 ergangen und ihr am 26.06.2008 der AG vorgelegt wurden. Nach dieser von der AG angeführten Vorschrift können Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nur zum 1. Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden (§ 240 Abs. 4 SGB V). Zwar führt danach der Nachweis geringerer Einkünfte zur Beitragsänderung nur mit Wirkung für die Zukunft und insbesondere Einkommensänderungen wirken sich sowohl positiv als auch negativ nur zeitverzögert auf die Beitragshöhe aus (BSG, Urteil vom 11.03.2009 - B 12 KR 30/07 R - m.w.N.), wodurch Beitragskorrekturen für die Vergangenheit aufgrund der Vorlage eines Steuerbescheides vermieden werden sollen (BSG a.a.O unter Hinweis auf BT-Drucks. 12/3937 S. 17). Die Regelung des § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V bezieht sich indessen nur auf Nachweise, die nach der endgültigen Festsetzung der Beitragshöhe der Krankenkasse vorgelegt werden (BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 12 KR 14/05 R -). Vorliegend ist indessen der Nachweis durch Vorlage von Kopien der Steuerbescheide am 26.06.2008 und damit vor der endgültigen Beitragsfestsetzung mit Bescheiden vom 11.07.2008 vorgelegt worden, so dass diese - entgegen der Auffassung der AG - auch rückwirkend zu Gunsten der AS zu berücksichtigen sind.

Der vorangehende Bescheid vom 11.01.2005 hat die Beitragshöhe nur vorläufig durch einstweiligen Verwaltungsakt geregelt und keine Bindungswirkung in Bezug auf die mit Bescheiden vom 11.07.2008 erfolgte endgültige Regelung der Beitragshöhe entfaltet. Die Bindungswirkung eines bestandskräftig gewordenen einstweiligen Verwaltungsakts schafft zwischen den Beteiligten Rechtssicherheit nur für einen begrenzten Zeitraum bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Erlass des endgültigen Verwaltungsakts und ist von vornherein auf Ersetzung durch den endgültigen Verwaltungsakt angelegt, ohne den Verwaltungsträger bei Erlass des endgültigen Verwaltungsakts zu binden. Mit seinem Erlass erledigen sich die vorläufigen Regelungen i.S. von § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (vgl. BSG, Urteile vom 11.03.2009 - B 12 KR 30/07 R - und vom 22.03.2006 - B 12 KR 8/05 R und B 12 KR 14/05 R - jeweils m.w.N.). Die AG hat im Bescheid vom 11.01.2005 lediglich eine solche einstweilige Regelung über die Beitragshöhe für die Zeit ab 15.11.2004 getroffen. Dies ergibt die Auslegung dieses Bescheides. Hinreichend deutlich war dem Bescheid zu entnehmen, dass die Regelung der Beitragshöhe nur einstweilig für eine Übergangszeit bis zur Vorlage des die Einkünfte festsetzenden Einkommensteuerbescheides sowie bis zum Abschluss der dann möglichen umfassenden Sachprüfung erfolgte. So wies die AG in dem Bescheid ausdrücklich und fettgedruckt darauf hin, dass die Einstufung unter Vorbehalt erfolgt und Voraussetzung für die einkommensbezogene Einstufung der Nachweis der Einkünfte durch den Einkommensteuerbescheid sei, dieser Nachweis jedoch doch nicht vorliege, da die AS ihre selbständige Tätigkeit erst vor kurzer Zeit aufgenommen habe. Die AG kündigte darüber hinaus an, dass nach Vorlage einer Kopie des Einkommensteuerbescheides eine Prüfung der Einstufung erfolge und ggf. Beiträge nacherhoben oder Differenzbeiträge erstattet würden. Ungeachtet eventueller Meldeversäumnisse der AS gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 2 SGB V hat die AG durch die vorläufige Regelung gerade auf eine endgültige, bei Nachweis geringerer Einnahmen nur mit Wirkung für die Zukunft abänderbare Beitragsfestsetzung verzichtet. Dem würde es widersprechen, bei der endgültigen Beitragsfestsetzung bis zum Tag der Vorlage von Steuerbescheiden dennoch für die Vergangenheit Höchstbeiträge festzusetzen.

Soweit die AG unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheides einwendet, die vorläufig festgesetzten Beiträge blieben gleichwohl maßgeblich, weil die AS im Jahr 2004 für die letzten 1,5 Monate Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit oberhalb der BBG erzielt hat, ist solches der von der AG zur Begründung herangezogenen Entscheidung des BSG (Urteil vom 22.03.2006 - B 12 KR 14/05 R -) nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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