L 8 R 451/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 1197/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 451/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.5.2010 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der in Israel lebenden Antragstellerin ist als Rechtsnachfolgerin einer Verfolgten des Nationalsozialismus von der Antragsgegnerin eine Altersrente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bewilligt worden. Sie begehrt die Überweisung der sich hieraus ergebenden Nachzahlung auf ein Anderkonto ihrer Prozessbevollmächtigten, hilfsweise den vorläufigen Verzicht auf die Überweisung der Nachzahlung auf ein ihr gehörendes Konto in Israel, während die Antragsgegnerin, einer Aufsichtsanordnung des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales folgend, die Nachzahlung lediglich auf ein solches, der Antragstellerin gehörendes Konto überweisen möchte. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat den Antrag abgelehnt (Beschluss v. 19.5.2010).

II.

Die gegen den Beschluss des SG erhobene zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das SG hat die Anträge zu Recht abgelehnt.

Der Hauptantrag ist als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Er ist jedoch unbegründet. Ein derartiger Antrag auf eine sog. Regelungsanordnung ist dann begründet, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sind (Senat, Beschluss v. 24.10.2008, L 8 B 15/08 R ER, juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b, Rn. 27). Das geltend gemachte Recht des Antragstellers, der Anordnungsanspruch, bezieht sich auf das materielle Recht, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird (Keller aaO mwN). Bei der Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile (Keller aaO Rn. 27a).

Schon das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist fraglich. Ob ein solcher besteht, ist rechtlich höchst umstritten. Mit erwägenswerten und nicht von vornherein als unvertretbar erscheinenden rechtlichen Gesichtspunkten kann sowohl für als auch gegen das Vorliegen eines solchen Anspruchs argumentiert werden. So musste die Antragsgegnerin zur Klärung dieser Rechtsfrage gegenüber dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales eine Aufsichtsklage zum Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erheben, die unter dem Az. L 14 R 281/10 KL geführt wird. Der Ausgang jenes Verfahrens ist offen. Vor diesem Hintergrund ist der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens zwischen den Beteiligten ebenfalls als offen anzusehen.

Der Senat kann es vorliegend jedoch dahinstehen lassen, ob der Antragstellerin der geltend gemachte Anordnungsanspruch zusteht, da jedenfalls kein Anordnungsgrund gegeben ist. Ein solcher muss bei einem Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG stets gegeben sein (Keller aaO Rn. 29 mwN). Für die Frage, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, ist entscheidend, ob es nach den Umständen des Einzelfalls für den Antragsteller zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller aaO Rn. 29a mwN auch zu den folgenden Ausführungen). Bei einem offenen Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wie er vorliegend vom Senat angenommen wird, ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Dabei sind in die Interessenabwägung insbesondere die Intensität einer drohenden Verletzung von Grundrechten, die wirtschaftlichen Verhältnisse, das Vorliegen einer unbilligen Härte, die Mitverantwortung eines Antragstellers für eine entstandene nachteilige Situation und das Verhalten des Antragstellers einzubeziehen. Erhebliche wirtschaftliche Nachteile, die entstehen, wenn das Ergebnis eines langwierigen Hauptsacheverfahrens abgewartet werden müsste, können ausreichen. Die mit jedem Hauptsacheverfahren zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile genügen nicht.

Umstände, die wesentliche Nachteile im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG begründen können, sind von der Antragstellerin jedoch nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Sie hat sich ausschließlich auf ihre Dispositionsfreiheit und ihre Selbstbestimmung über eigenes Vermögen berufen. Welche konkreten erheblichen Nachteile für sie entstehen, wenn sie ihre geltend gemachten Rechte im Klageverfahren verfolgt, hat sie jedoch nicht dargelegt. Die Einschätzung, die Begründung des angefochtenen Beschlusses des SG stelle eine Anmaßung und Bevormundung dar und erinnere fatal an antisemitische Praktiken während der NS-Zeit, ist ersichtlich unzutreffend und damit nicht geeignet, wesentliche Nachteile aufzuzeigen. Dem Senat erschließt sich nicht, welche Zwecke hiermit außer einer Verunglimpfung verfolgt werden. Wie in der Beschwerdebegründung zutreffend ausgeführt wird, war es Juden während der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung nicht mehr möglich, über ihr Vermögen frei zu verfügen. Durch Zwangsverkäufe und ruinöse Sonderabgaben wurden sie in die Armut und später dann in die Vernichtung getrieben. Es wird von Seiten der Antragstellerin allerdings übersehen, dass gerade Ziel der erstinstanzlichen Entscheidung ist, dass die Rentennachzahlung nicht auf ein Konto überwiesen wird, von dem nicht bekannt ist, welche Verfügungsmöglichkeiten es ihr überhaupt eröffnet, und damit Einschränkungen ihrer Verfügungsbefugnisse über die Rentennachzahlung abzuwehren. Mit einer Überweisung auf ein auf ihren Namen geführtes Konto würde vielmehr erst sichergestellt, dass sie unbeeinträchtigt von Interessen und Eingriffsmöglichkeiten Dritter uneingeschränkt über diesen Betrag verfügen kann. Vor diesem Hintergrund ist in der Tat weder zur Begründung des Antrags noch der Beschwerde bisher ein einziger konkreter Gesichtspunkt vorgetragen worden, der die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes begründen könnte.

Der Hilfsantrag ist unzulässig, da die Antragstellerin für diesen kein Rechtsschutzbedürfnis hat. Hierbei kann dahinstehen, ob dieser Hilfsantrag nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG als Antrag auf eine sog. Sicherungsanordnung oder als Antrag auf eine sog. Zwischenentscheidung statthaft ist. In jedem Fall muss als allgemeine Prozessvoraussetzung für einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses gegeben sein (Keller aaO Rn. 26). Ein Rechtsschutzbedürfnis ist dann gegeben, wenn das angestrebte Ergebnis nicht auf einfachere Weise erreicht werden kann.

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die Antragstellerin strebt mit dem Hilfsantrag an, dass die Antragsgegnerin die Rentennachzahlung nicht auf ein anderes Konto als das Rechtsanwaltsanderkonto ihrer Prozessbevollmächtigten überweist. Dieses Rechtsschutzziel kann die Antragstellerin, wie sie selbst vorgetragen hat, einfacher dadurch erreichen, dass sie der Antragsgegnerin weiterhin kein auf ihren eigenen Namen geführtes Konto benennt. Sie kann daher das angestrebte Ziel erreichen, ohne gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG iVm §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist nach den vorgenannten Bestimmungen von einem Streitwert von 5.000,00 Euro auszugehen. Da die mit dem Hauptantrag begehrte einstweilige Anordnung einer endgültigen Regelung gleichkäme, kommt eine Reduzierung z. B. auf einen Bruchteil des Auffangwertes nicht in Betracht (vgl. Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, § 53 Rn. 7).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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