L 8 R 605/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 34 R 265/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 605/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 17.6.2010 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung von Rechtsanwalt C. In der Hauptsache wendet er sich gegen die Verrechnung eines Anspruchs der beigeladenen Krankenkasse in Höhe von 164,66 Euro monatlich gegen seinen Anspruch auf Altersrente, der monatlich 329,32 Euro beträgt (Bescheid der Beklagten vom 17.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.2.2010). Die Verrechnung erfolgt auf Ersuchen der Beigeladenen, die sich einer mit bestandskräftigem Bescheid vom 23.4.1999 festgestellten Forderung auf Zahlung von 2.032,10 Euro rückständiger Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich 10,74 Euro Verwaltungsgebühren und 51,84 Euro Kosten des Beitragseinzugs sowie zwischenzeitlich aufgelaufenen Säumniszuschlägen in Höhe von 3.159,27 Euro (insgesamt 5.253,95 Euro) berühmt.

Das Sozialgericht (SG) hat die Bewilligung von PKH mangels Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt (Beschluss v. 17.6.2010). Der Zahlungsanspruch der Beigeladenen sei durch deren Bescheid gegenüber dem Kläger vom 23.4.1999 bestandskräftig festgestellt und auch nicht verjährt, da der Kläger jedenfalls durch diesen Bescheid von seiner auf das Jahr 1996 entfallenden Beitragsverpflichtung Kenntnis erlangt und die Beiträge somit vorsätzlich nicht gezahlt habe (Hinweis auf § 25 Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]). Die Verrechnung sei gemäß §§ 52, 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, da der Kläger im Hinblick auf das Einkommen seiner Ehefrau und die von ihm vorgelegte Bedarfsbescheinigung des Bürgermeisters der Gemeinde E vom 2.11.2009 durch die Verrechnung nicht sozialhilfebedürftig werde.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser vorträgt, er lebe mit seiner Ehefrau in Gütertrennung und habe von den Beitragsschulden erstmals 1999 erfahren.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwalt C.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Im vorliegenden Fall bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung überwiegend keine hinreichenden Erfolgsaussichten (1.). Soweit sie Erfolgsaussichten bietet (2.), scheitert die Bewilligung der PKH daran, dass der Kläger hierfür nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt (3.).

1. Soweit der Kläger sich gegen die Verrechnung der von der Beigeladenen geforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge wehrt, bietet die Rechtsverfolgung, wie das SG zutreffend entschieden hat, keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Eine weitere Beweisaufnahme erscheint gegenwärtig nicht erforderlich. Die Entscheidung hängt auch in der Hauptsache nicht von der Beantwortung einer in Ansehung der einschlägigen gesetzlichen Regelung und bereits vorliegenden Rechtsprechung schwierigen, ungeklärten Rechtsfrage ab (vgl. zu diesen Kriterien BVerfG, Beschluss v. 8.12.2009, 1 BvR 2733/06, NJW 2010, 1129).

Nach §§ 52, 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann die Beklagte mit Ermächtigung der beigeladenen Krankenkasse deren Anspruch auf Beitragszahlung gegen den Kläger mit der ihr obliegenden Rentenleistung verrechnen, soweit der Kläger nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch wird (§§ 52, 51 Abs. 2 SGB I).

a) Der Beigeladenen steht gegen den Kläger ein Beitragsanspruch i.S.v. § 51 Abs. 2 SGB I aufgrund des bestandskräftigen Bescheides vom 23.4.1999 in Höhe von jedenfalls 5.191,37 Euro (2.032,10 Euro Gesamtsozialversicherungsbeiträge zuzüglich 3.159,27 Euro Säumniszuschläge) zu. Auch die Säumniszuschläge sind im Bescheid vom 23.4.1999 nach Grund und Höhe hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar festgesetzt worden. Wie der Legaldefinition in § 28e Abs. 4 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) zu entnehmen ist, handelt es sich bei ihnen ebenfalls um Beitragsansprüche i.S.v. § 51 Abs. 2 SGB I. Die Beitragsansprüche sind schon deshalb nicht verjährt, weil sie durch bestandskräftigen Bescheid festgestellt sind und die Verjährungsfrist daher 30 Jahre beträgt (§ 52 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Auf die Frage, ob der Kläger die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV), kommt es daher nicht an.

b) Die der Verrechnung zugrunde liegenden Erklärungen (das Verrechnungsersuchen der Beigeladenen und die Verrechnungserklärung der Beklagten) sind jeweils wirksam (vgl. zu den Anforderungen jeweils BSG, Urteil v. 24.7.2003, B 4 RA 60/02 R, SozR 4-1200 § 52 Nr. 1). Die Forderung ist nach Grund und Höhe ausreichend bestimmt und, worauf die Beigeladene hingewiesen hat, mit Bescheid vom 23.4.1999 tituliert. Zwar hat die Beigeladene nicht ausdrücklich mitgeteilt, dass dieser Bescheid bestandskräftig geworden ist. Angesichts des seit Bekanntgabe des Bescheides verstrichenen Zeitraums durfte die Beklagte mangels entgegenstehender Gesichtspunkte hiervon jedoch unbedenklich ausgehen. Die Beklagte ihrerseits hat sich in ihrem Verrechnungsbescheid auf den Bescheid der Beigeladenen vom 23.4.1999 bezogen. Offensichtlich hat der Kläger auch zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens Schwierigkeiten gehabt, die zur Verrechnung gestellten Forderungen zu identifizieren.

c) Schließlich hat das SG aus der vom Kläger selbst vorgelegten Bedarfsbescheinigung mit zutreffender Begründung geschlossen, dass dieser den Eintritt von Hilfebedürftigkeit durch die Verrechnung nicht nachgewiesen hat. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des SG wird Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

2. Erfolgsaussichten bestehen für die Klage demgegenüber, soweit die Beklagte die Verrechnung durch Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) erklärt und soweit sie die Verrechnung auch auf die Verwaltungsgebühren und die Kosten des Beitragseinzugs (insgesamt 62,58 Euro) erstreckt hat.

a) Der Erfolg der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen den Bescheid vom 17.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.2.2010 hängt davon ab, ob die Beklagte die Verrechnung durch Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Satz 1 SGB X vornehmen durfte. Falls eine entsprechende Befugnis nicht bestanden haben sollte, würde es sich bei dem angefochtenen Bescheid um einen "formellen Verwaltungsakt" handeln, der allein deshalb aufzuheben wäre, weil die Beklagte eine rechtlich nicht vorgesehene Handlungsform gewählt hätte (vgl. BSG, Urteil v. 24.7.2003, a.a.O.). Die entsprechende Rechtsfrage ist im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des 13. Senats an den Großen Senat des BSG (Beschluss v. 25.2.2010, B 13 R 76/09 R juris; zur Vorgeschichte: Anfragebeschluss des 13. Senats v. 5.2.2009, B 13 R 31/08 R, Die Leistungen Beilage 2010, 122; Antwortbeschluss des 4. Senats v. 22.9.2009, B 4 SF 1/09 S, juris) als schwierig und ungeklärt anzusehen.

b) Soweit die Beklagte auch die von der Beigeladenen geltend gemachten Verwaltungsgebühren und Kosten des Beitragseinzugs zur Verrechnung gestellt hat, begegnet dies zumindest rechtlichen Bedenken.

aa) Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass die Beklagte eine Verrechnung nur auf § 52 SGB I i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I stützen kann. Eine Verrechnung nach Abs. 1 des § 51 SGB I dürfte von vornherein ausscheiden, weil der Rentenanspruch des Klägers voraussichtlich weder nach § 54 Abs. 2 SGB I (keine einmalige Geldleistung) noch nach § 54 Abs. 4 SGB I i.V.m. §§ 850 ff. ZPO (keine Überschreitung der dort geregelten Pfändungsgrenzen) pfändbar ist.

bb) Eine Verrechnung auch der Verwaltungsgebühren und Kosten des Beitragseinzugs ist daher nur dann zulässig, wenn es sich hierbei um Beitragsansprüche i.S.v. § 51 Abs. 2 SGB I handelt. Dies ist indessen jedenfalls sehr fraglich. Denn der Begriff der "Beitragsansprüche" ist in § 28e Abs. 4 SGB IV definiert und umfasst neben den Beiträgen lediglich Säumniszuschläge und Stundungszinsen. Nach herrschender Auffassung in der Literatur handelt es sich dabei um eine abschließende Legaldefinition, die Kosten und Gebühren nicht einschließt (Roßbach in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2009, § 28e SGB IV Rdnr. 23; Sehnert in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand 2007, § 28e Rdnr. 32; Werner in jurisPK-SGB IV, Stand 2006, § 28e Rdnr. 83). Dementsprechend ist die Frage, ob die Beklagte auch die Verwaltungsgebühren und Kosten des Beitragseinzugs verrechnen durfte, als zumindest klärungsbedürftig anzusehen.

3. Obwohl die Klage in dem beschriebenen geringen Teil Erfolgsaussichten hat, scheitert die Bewilligung von PKH daran, dass der Kläger nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt. Zwar verfügt er im Hinblick auf die Höhe seiner Rente (329,32 Euro) nicht über Einkommen, das er nach § 115 Abs. 1 ZPO einsetzen müsste. Er hat jedoch gegen seine Ehefrau einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gemäß § 1360a Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), den er als Vermögen i.S.v. § 115 Abs. 3 ZPO einzusetzen hat. Nach § 1360a Abs. 4 BGB kann ein Ehegatte, wenn er nicht in der Lage ist, die Kosten eines Rechtsstreits zu tragen, der eine persönliche Angelegenheit betrifft, von dem anderen Ehegatten einen Vorschuss auf diese Kosten verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

a) Der Kläger, der nach eigenen Angaben über keinerlei eigenes Vermögen verfügt und lediglich die von der Beklagten gezahlte Altersrente bezieht, kann die Kosten des vorliegenden Verfahrens nicht aus eigenen Mitteln bestreiten.

b) Das Verfahren betrifft den Altersrentenanspruch des Klägers und damit eine persönliche Angelegenheit i.S.v. § 1360a Abs. 4 BGB.

c) Die Gewährung eines Prozesskostenvorschusses durch die Ehefrau des Klägers entspricht auch der Billigkeit.

aa) Voraussetzung hierfür ist, dass der angemessene Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Ehegatten i.S.v. § 1581 Satz 1 BGB gewahrt bleibt (vgl. BGH, Beschluss v. 4.8.2004, XII ZA 6/04, MDR 2005, 94). Den Stamm seines Vermögens braucht der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre (Rechtsgedanke des § 1581 Satz 2 BGB).

bb) Ausgehend hiervon ist es der Ehefrau des Klägers im Rahmen der Billigkeit zuzumuten, ihr erhebliches Vermögen, das sich nach Angaben des Klägers u.a. auf über 130.000,00 Euro an Anleihen und Aktien beläuft, (teilweise) zu verwerten, um dem Kläger einen Vorschuss auf seine Prozesskosten zu zahlen.

(1) Die Verwertung von Wertpapierdepots und vergleichbaren Anlagen ist grundsätzlich auch dann nicht unwirtschaftlich, wenn die Veräußerung mit Verlusten verbunden ist. Denn das Kursrisiko gehört zum üblichen Anlagerisiko und kann daher nicht die Unzumutbarkeit des sofortigen Einsatzes begründen (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 335).

(2) Im Rahmen der Billigkeitsabwägung ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Prozesskostenvorschuss um eine einmalige, zeitlich begrenzte Leistung handelt, die zudem das Vermögen der Ehefrau des Klägers nur zu einem geringen Teil belasten würde (vgl. zu diesen Kriterien Dose in Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl. 2008, § 1 Rdnr. 412). Selbst wenn man von der Mittelgebühr ausgeht, fallen voraussichtlich nur 464,10 Euro an Anwaltskosten an (Verfahrensgebühr von 170,00 Euro gemäß §§ 2 Abs. 2, 3, 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG] i.V.m. Nr. 3103 Vergütungsverzeichnis [VV] RVG; Terminsgebühr von 200,00 Euro gemäß Nr. 3106 VV RVG; Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen von 20,00 Euro gemäß Nr. 7002 VV RVG; zuzüglich 19 % Umsatzsteuer). Das entspricht weniger als 0,4 % des vom Kläger selbst angegebenen Verkehrswertes des Kapitalvermögens.

(3) Vor diesem Hintergrund spielt es auch keine entscheidende Rolle, dass die Kapitalerträge zu einem erheblichen Teil der Finanzierung des laufenden Unterhalts der Eheleute dienen. Denn dieser wird im Hinblick auf den geringen Anteil des zu leistenden Prozesskostenvorschusses am Vermögensstamm der Ehefrau des Klägers nicht maßgeblich beeinträchtigt. Andererseits liegt die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung auch erheblich im Interesse der Ehefrau des Klägers, da seine Altersrente gleichfalls zur Deckung des laufenden Bedarfs der Eheleute dient.

dd) Angesichts der Bedeutung der vom Kläger angegriffenen Verrechnung für den Lebensunterhalt der Eheleute bestehen schließlich auch keine Anhaltspunkte, dass seine Ehefrau die Leistung eines Prozesskostenvorschusses gegebenenfalls verweigern würde.

d) Die Vereinbarung der Gütertrennung steht dem Anspruch auf Prozesskostenvorschuss nicht entgegen. Sie betrifft nur den ehelichen Güterstand, hat aber auf Unterhaltsansprüche unter den Ehegatten keinen Einfluss. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 127 Abs. 4 ZPO.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 127 Abs. 4 ZPO.

5. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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