Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AL 71/09 WA
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AL 30/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 19/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Änderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Köln vom 17.12.2009 die Klage abgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufrechnung rückwirkend bewilligter Arbeitslosenhilfe mit Erstattungsforderungen der Beklagten aufgrund der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 15.06.2001, geändert durch Bescheid vom 14.11.2001, die Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe im Zeitraum 15.11.1997 bis 21.01.2001 teilweise auf und verlangte die Erstattung eines Betrages von insgesamt 37.421,76 DM (19.133,44 EUR). Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.11.2001, rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts - SG - Köln vom 06.11.2002).
Für den Zeitraum 01.09. 2002 bis 31.12.2004 bewilligte die Beklagte im Rahmen eines weiteren Gerichtsverfahrens (SG Köln, urspr. Az. S 14 AL 1/06, wieder aufgenommen unter S 14 AL 72/09 WA, anhängig geworden beim erkennenden Senat unter dem Az. L 19 AL 31/10) durch Bescheide vom 31.08.2007 Arbeitslosenhilfe in Höhe eines wöchentlichen Leistungsbetrages zwischen 68,67 EUR und 61,39 EUR. Gleichzeitig erließ sie neun weitere Aufhebungs- und Erstattungsbescheide über den Leistungszeitraum vom 28.08.1997 bis 21.01.2001, die sie zum Gegenstand des Gerichtsverfahrens erklärte. Durch weitere Bescheide vom 09.04.2008 setzte die Beklagte den wöchentlichen Leistungsbetrag zwischen 84,42 EUR und 71,88 EUR fest. Mit formlosem Schreiben vom 09.04.2008 erklärte sie die Verrechnung des nachzuzahlenden Arbeitslosenhilfebetrages in Höhe von 1.349,42 EUR mit ihren Erstattungsforderungen. Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies sie als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.06.2008).
Hiergegen hat die Klägerin am 02.07.2008 vor dem SG Köln Klage erhoben und geltend gemacht, die Erstattungsforderungen seien verjährt, sodass die Verrechnung unzulässig und die bewilligten Beträge auszuzahlen seien.
Die Klägerin hat auf den Hinweis des SG in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2009, dass die Aufrechnung zu Recht erfolgt sei, die Klage zurückgenommen, diese Erklärung aber am selben Tage widerrufen, weil sie infolge postoperativer Beschwerden prozessunfähig gewesen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 17.12.2009 hat das SG die Beendigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung (richtig Klagerücknahme) vom 24.06.2009 festgestellt.
Mit ihrer gegen den am 24.12.2009 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegten Berufung vom 25.01.2010 begehrt die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens und macht geltend, dass die Aufrechnung zu Unrecht erfolgt sei. Durch die Anfechtung der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 31.08.2007 stehe der Beklagten keine fällige Gegenforderung zu. Auch seien die Forderungen der Beklagten zwischenzeitlich verjährt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Köln vom 17.12.2009 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 09.04.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat aufgrund der Beiziehung in der parallel verhandelten Sache L 19 AL 31/10 vorgelegen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nur begründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der Beendigung des Verfahrens durch die vor dem SG erklärte Klagerücknahme richtet. Im Übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Grundsätzlich erledigt die Klagerücknahme, wie sie hier von der Klägerin vor dem SG in mündlicher Verhandlung erklärt worden ist, den Rechtsstreit in der Hauptsache gem. § 102 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Als Prozesshandlung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 102 Rn. 7d) ist sie jedoch nur wirksam, wenn sie von einer prozessfähigen Partei erklärt wird, es sei denn - wofür hier jegliche Anhaltspunkte fehlen -, die Prozessunfähigkeit bestand bereits bei Klageerhebung. Auch die vorübergehende, zeitweise Prozessunfähigkeit schließt eine wirksame Prozesserklärung aus (vgl. Düring in Jansen, SGG, 3. Aufl., § 71 Rn. 7, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 71 Rn. 6). Prozessfähig ist ein Beteiligter nur, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs. 1 SGG). Dies ist bei der Klägerin im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung am 24.06.2009 aufgrund des vom Senat ermittelten Sachverhalts nicht der Fall gewesen, zumindest aber in einer Weise zweifelhaft, die die mit der erforderlichen Sicherheit zu treffende Feststellung der Prozessfähigkeit nicht erlaubt. Insoweit entscheidet das Gericht im Wege des Freibeweises (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. Rn. 8a). Nach dem Ermittlungsergebnis ist bei der Klägerin am 23.06.2009 ein Weichteiltumor in lokaler Betäubung im Kopfbereich entfernt worden. Es wurde eine medikamentöse Behandlung durch Analgetika durchgeführt. Wegen der postoperativen Beschwerden (Wundschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übermüdung durch Schlaflosigkeit) hat der behandelnde Chirurg die Fähigkeit der Klägerin zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen ausgeschlossen. Soweit die Beklagte einwendet, ihr Prozessvertreter habe entsprechende Einschränkungen bei der Klägerin am Verhandlungstag nicht feststellen können, wie es auch dem Eindruck des SG entsprochen haben mag, bieten entsprechende Eindrücke keine hinreichende Gewähr für die Geschäftsfähigkeit der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt. In Anbetracht der bescheinigten Behandlungsfolgen fehlt eine sichere Gewähr dafür, dass die Klägerin die Rechtsfolgen ihrer Erklärungen am 24.06.2009 hinreichend einschätzen konnte. Da Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit zu Lasten der Partei gehen (vgl. Düring a.a.O.), ist daher die Unwirksamkeit ihrer Prozesserklärung zu unterstellen.
Das Verfahren ist daher mangels Beendigung gem. § 102 S. 2 SGG fortzusetzen und über das Klagebegehren materiell zu befinden, da zwischenzeitlich die bei der Klägerin bestehenden Einschränkungen weggefallen sind und an ihrer Prozessfähigkeit nunmehr keine Zweifel mehr bestehen.
Statthafte Klageart ist vorliegend die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG), weil die Beklagte die Aufrechnung nach § 51 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) durch Verwaltungsakt erklärt hat (vgl. BSG SozR 3-1200 § 51 Nr. 3 S. 5). Dabei kann dahinstehen, ob die ursprüngliche Aufrechnungserklärung vom 09.04.2008 schon in Form eines Verwaltungsaktes ergangen ist. Denn jedenfalls durch den Widerspruchsbescheid hat die Beklagte dieser Erklärung die Bedeutung eines Verwaltungsaktes beigemessen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 50 Nr. 13).
Die Klage ist nicht begründet, weil der Aufrechnungsbescheid vom 09.04.2008 rechtmäßig ist.
Die Beklagte ist berechtigt gewesen, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu regeln (vgl. BSG Urteil vom 16.12.2009 - B 7 AL 43/07 R, Rn 15 und BSG SozR 3-1200 § 51 Nr. 5 S. 16; Giese/Krahmer, SGB I, § 51 Rn. 6.2; a.A. für die Verrechnung nach § 52 SGB I BSG SozR 4-1200 §52 Nr. 1).
Die Rechtmäßigkeit der erklärten Aufrechnung bestimmt sich nach § 51 SGB I. Danach kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche aus Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind (§ 51 Abs. 1 SGB I). Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetz kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird (§ 51 Abs. 2 SGB I). Ob es sich bei der einmaligen Nachzahlung ursprünglich laufender Leistungen weiterhin um Letztere im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I handelt (so BSG SozR 3-1200 § 51 Nr. 5 S. 17) oder ob auf diese einmalige Nachzahlung § 51 Abs. 2 SGB I Anwendung findet (so wohl BSG SozR 1200 § 51 Nr. 8), kann hier dahinstehen, denn die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid weniger als 1/6 des gesamten Nachzahlungsbetrages zur Aufrechnung gestellt. Soweit sie ausgeführt hat, sie stelle den gesamten Nachzahlungsbetrag von 1.349,42 EUR zur Aufrechnung, handelt es sich lediglich um die Differenz zwischen den mit den Bescheiden vom 31.08.2007 bewilligten Leistungen und deren Erhöhung durch die Bescheide vom 09.04.2008. Der Verfügungssatz letzterer Bescheide beschränkte sich aber nicht auf die Bewilligung dieser Differenz. Vielmehr wurden hierdurch unter Ersetzung der Bescheide vom 31.08.2007 im laufenden gerichtlichen Verfahren die Ansprüche der Klägerin auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit von September 2002 bis Dezember 2004 insgesamt der Höhe nach festgesetzt, da der volle wöchentliche Leistungsbetrag unter Darlegung der gesamten Berechnungsgrundlagen bestimmt worden ist. Damit sind nicht nur die Bescheide vom 31.08.2007 gegenstandslos geworden, sondern auch die mit diesen verbundene formlose Aufrechnungserklärung vom selben Tag. Infolgedessen regelt der angefochtene Bescheid lediglich die Aufrechnung in Höhe eines Teilbetrages, der weniger als die Hälfte der gesamten Forderung der Klägerin auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.09.2002 bis 31.12.2004 beträgt. Insoweit hat die Klägerin auch nicht dargelegt, dass sie infolge des Vorenthalts dieses Betrages sozialhilfebedürftig geworden wäre.
Der zur Aufrechnung gestellte Betrag sowie die Forderung, mit der verrechnet werden sollte, sind durch den angefochtenen Bescheid hinreichend bestimmt worden, da sie und ihr Entstehungsgrund ausreichend bezeichnet sind.
Die Voraussetzungen der Aufrechnung sind diesbezüglich erfüllt. Dies erfordert die Gleichartigkeit der Ansprüche, deren Gegenseitigkeit, ihre Fälligkeit und Erfüllbarkeit (stillschweigender Verweis durch § 51 SGB I auf die §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -, vgl. BSG SozR 1200 § 51 Nr. 8; BSG SozR 4-1200 § 52 Nr. 1 Rn. 14 ff.). Die Erstattungsansprüche der Beklagten resultieren aus der Überzahlung von Arbeitslosengeld und -hilfe, sodass gleichartige Forderungen gegenüber stehen.
Die Erstattungsforderungen, mit denen die Beklagte die Aufrechnung erklärt hat, sind auch fällig. Sie resultieren aus dem bestandskräftigen Erstattungsbescheid vom 14.11.2001. Dessen Wirkung ist nicht durch die neuen Aufhebungsbescheide vom 31.08.2007 beseitigt worden. Diese Bescheide, die die Beklagte zwischenzeitlich ohnehin aufgehoben hat, sollten nicht den Bescheid vom 14.11.2001 ersetzen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sie keinen Bezug auf Letzteren nehmen und sie nach ihrer Rechtsbehelfsbelehrung Gegenstand des zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreits über die Ansprüche der Klägerin auf Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum September 2002 bis Dezember 2004 werden sollten. Da die in diesem Verfahren von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche von dem Bestand ihrer früheren Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe abhingen, kann die Vorgehensweise der Beklagten daher nur dahin gedeutet werden, dass die Bescheide durch wiederholende Verfügungen feststellen wollten, welche Zeiträume von der Leistungsaufhebung betroffen waren. Soweit durch drei dieser Bescheide weitere Leistungszeiträume (28.08. bis 28.09.1997, 11.05. bis 23.06.1998 und 14.11. bis 30.11.1998) erfasst worden sind, hat dies daher ebenfalls nicht die bereits bestandskräftig festgestellte Forderung beseitigen sollen. Es besteht kein Anhalt dafür, dass die Beklagte durch die Bescheide vom 31.08.2007 ihre Rechtsposition aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 14.11.2001 aufgeben oder eine Überprüfung dieser Forderung nach § 44 SGB X durchführen wollte. Denn auch die Klägerin hatte nicht die Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderungen im Rahmen des neuen Leistungsstreites angezweifelt und deren Überprüfung begehrt.
Demzufolge stand der Beklagten eine fällige Gegenforderung in Höhe von 8.272,50 EUR zu.
Diese Forderung ist auch nicht verjährt. Der Erstattungsanspruch verjährt nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Abs. 3 über die zu erstattende Leistung unanfechtbar geworden ist. Der Verwaltungsakt vom 14.11.2001 ist erst im Oktober 2004 durch die Berufungsrücknahme der Klägerin bestandskräftig geworden, sodass die Verjährung erst zum 01.01.2005 begann. Die Verjährungsfrist eines Verwaltungsaktes, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen worden ist, beträgt jedoch nach seiner Unanfechtbarkeit sodann 30 Jahre (§ 52 Abs. 2 SGB X).
Die Beklagte hat schließlich auch das ihr bezüglich der Aufrechnung zustehende Ermessen (vgl. dazu Häusler in Hauck/Noftz SGB I, § 51 Rn. 16) in ausreichender Weise ausgeübt. Sie hat unter Beachtung des ihr zustehenden Ermessensspielraums insoweit die Interessen der Klägerin mit den ihrigen abgewogen und ist zu dem vertretbaren Ergebnis gelangt, dass keine hinreichenden Gründe gegeben waren, die der Verrechnung des Betrages von 1.349,42 EUR entgegenstanden.
Die Berufung ist daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Anlass für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufrechnung rückwirkend bewilligter Arbeitslosenhilfe mit Erstattungsforderungen der Beklagten aufgrund der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 15.06.2001, geändert durch Bescheid vom 14.11.2001, die Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe im Zeitraum 15.11.1997 bis 21.01.2001 teilweise auf und verlangte die Erstattung eines Betrages von insgesamt 37.421,76 DM (19.133,44 EUR). Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.11.2001, rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts - SG - Köln vom 06.11.2002).
Für den Zeitraum 01.09. 2002 bis 31.12.2004 bewilligte die Beklagte im Rahmen eines weiteren Gerichtsverfahrens (SG Köln, urspr. Az. S 14 AL 1/06, wieder aufgenommen unter S 14 AL 72/09 WA, anhängig geworden beim erkennenden Senat unter dem Az. L 19 AL 31/10) durch Bescheide vom 31.08.2007 Arbeitslosenhilfe in Höhe eines wöchentlichen Leistungsbetrages zwischen 68,67 EUR und 61,39 EUR. Gleichzeitig erließ sie neun weitere Aufhebungs- und Erstattungsbescheide über den Leistungszeitraum vom 28.08.1997 bis 21.01.2001, die sie zum Gegenstand des Gerichtsverfahrens erklärte. Durch weitere Bescheide vom 09.04.2008 setzte die Beklagte den wöchentlichen Leistungsbetrag zwischen 84,42 EUR und 71,88 EUR fest. Mit formlosem Schreiben vom 09.04.2008 erklärte sie die Verrechnung des nachzuzahlenden Arbeitslosenhilfebetrages in Höhe von 1.349,42 EUR mit ihren Erstattungsforderungen. Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies sie als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.06.2008).
Hiergegen hat die Klägerin am 02.07.2008 vor dem SG Köln Klage erhoben und geltend gemacht, die Erstattungsforderungen seien verjährt, sodass die Verrechnung unzulässig und die bewilligten Beträge auszuzahlen seien.
Die Klägerin hat auf den Hinweis des SG in der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2009, dass die Aufrechnung zu Recht erfolgt sei, die Klage zurückgenommen, diese Erklärung aber am selben Tage widerrufen, weil sie infolge postoperativer Beschwerden prozessunfähig gewesen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 17.12.2009 hat das SG die Beendigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung (richtig Klagerücknahme) vom 24.06.2009 festgestellt.
Mit ihrer gegen den am 24.12.2009 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegten Berufung vom 25.01.2010 begehrt die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens und macht geltend, dass die Aufrechnung zu Unrecht erfolgt sei. Durch die Anfechtung der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 31.08.2007 stehe der Beklagten keine fällige Gegenforderung zu. Auch seien die Forderungen der Beklagten zwischenzeitlich verjährt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Köln vom 17.12.2009 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 09.04.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat aufgrund der Beiziehung in der parallel verhandelten Sache L 19 AL 31/10 vorgelegen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nur begründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der Beendigung des Verfahrens durch die vor dem SG erklärte Klagerücknahme richtet. Im Übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Grundsätzlich erledigt die Klagerücknahme, wie sie hier von der Klägerin vor dem SG in mündlicher Verhandlung erklärt worden ist, den Rechtsstreit in der Hauptsache gem. § 102 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Als Prozesshandlung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 102 Rn. 7d) ist sie jedoch nur wirksam, wenn sie von einer prozessfähigen Partei erklärt wird, es sei denn - wofür hier jegliche Anhaltspunkte fehlen -, die Prozessunfähigkeit bestand bereits bei Klageerhebung. Auch die vorübergehende, zeitweise Prozessunfähigkeit schließt eine wirksame Prozesserklärung aus (vgl. Düring in Jansen, SGG, 3. Aufl., § 71 Rn. 7, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 71 Rn. 6). Prozessfähig ist ein Beteiligter nur, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs. 1 SGG). Dies ist bei der Klägerin im Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung am 24.06.2009 aufgrund des vom Senat ermittelten Sachverhalts nicht der Fall gewesen, zumindest aber in einer Weise zweifelhaft, die die mit der erforderlichen Sicherheit zu treffende Feststellung der Prozessfähigkeit nicht erlaubt. Insoweit entscheidet das Gericht im Wege des Freibeweises (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. Rn. 8a). Nach dem Ermittlungsergebnis ist bei der Klägerin am 23.06.2009 ein Weichteiltumor in lokaler Betäubung im Kopfbereich entfernt worden. Es wurde eine medikamentöse Behandlung durch Analgetika durchgeführt. Wegen der postoperativen Beschwerden (Wundschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und Übermüdung durch Schlaflosigkeit) hat der behandelnde Chirurg die Fähigkeit der Klägerin zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen ausgeschlossen. Soweit die Beklagte einwendet, ihr Prozessvertreter habe entsprechende Einschränkungen bei der Klägerin am Verhandlungstag nicht feststellen können, wie es auch dem Eindruck des SG entsprochen haben mag, bieten entsprechende Eindrücke keine hinreichende Gewähr für die Geschäftsfähigkeit der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt. In Anbetracht der bescheinigten Behandlungsfolgen fehlt eine sichere Gewähr dafür, dass die Klägerin die Rechtsfolgen ihrer Erklärungen am 24.06.2009 hinreichend einschätzen konnte. Da Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit zu Lasten der Partei gehen (vgl. Düring a.a.O.), ist daher die Unwirksamkeit ihrer Prozesserklärung zu unterstellen.
Das Verfahren ist daher mangels Beendigung gem. § 102 S. 2 SGG fortzusetzen und über das Klagebegehren materiell zu befinden, da zwischenzeitlich die bei der Klägerin bestehenden Einschränkungen weggefallen sind und an ihrer Prozessfähigkeit nunmehr keine Zweifel mehr bestehen.
Statthafte Klageart ist vorliegend die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG), weil die Beklagte die Aufrechnung nach § 51 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) durch Verwaltungsakt erklärt hat (vgl. BSG SozR 3-1200 § 51 Nr. 3 S. 5). Dabei kann dahinstehen, ob die ursprüngliche Aufrechnungserklärung vom 09.04.2008 schon in Form eines Verwaltungsaktes ergangen ist. Denn jedenfalls durch den Widerspruchsbescheid hat die Beklagte dieser Erklärung die Bedeutung eines Verwaltungsaktes beigemessen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 50 Nr. 13).
Die Klage ist nicht begründet, weil der Aufrechnungsbescheid vom 09.04.2008 rechtmäßig ist.
Die Beklagte ist berechtigt gewesen, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu regeln (vgl. BSG Urteil vom 16.12.2009 - B 7 AL 43/07 R, Rn 15 und BSG SozR 3-1200 § 51 Nr. 5 S. 16; Giese/Krahmer, SGB I, § 51 Rn. 6.2; a.A. für die Verrechnung nach § 52 SGB I BSG SozR 4-1200 §52 Nr. 1).
Die Rechtmäßigkeit der erklärten Aufrechnung bestimmt sich nach § 51 SGB I. Danach kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche aus Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind (§ 51 Abs. 1 SGB I). Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetz kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird (§ 51 Abs. 2 SGB I). Ob es sich bei der einmaligen Nachzahlung ursprünglich laufender Leistungen weiterhin um Letztere im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I handelt (so BSG SozR 3-1200 § 51 Nr. 5 S. 17) oder ob auf diese einmalige Nachzahlung § 51 Abs. 2 SGB I Anwendung findet (so wohl BSG SozR 1200 § 51 Nr. 8), kann hier dahinstehen, denn die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid weniger als 1/6 des gesamten Nachzahlungsbetrages zur Aufrechnung gestellt. Soweit sie ausgeführt hat, sie stelle den gesamten Nachzahlungsbetrag von 1.349,42 EUR zur Aufrechnung, handelt es sich lediglich um die Differenz zwischen den mit den Bescheiden vom 31.08.2007 bewilligten Leistungen und deren Erhöhung durch die Bescheide vom 09.04.2008. Der Verfügungssatz letzterer Bescheide beschränkte sich aber nicht auf die Bewilligung dieser Differenz. Vielmehr wurden hierdurch unter Ersetzung der Bescheide vom 31.08.2007 im laufenden gerichtlichen Verfahren die Ansprüche der Klägerin auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit von September 2002 bis Dezember 2004 insgesamt der Höhe nach festgesetzt, da der volle wöchentliche Leistungsbetrag unter Darlegung der gesamten Berechnungsgrundlagen bestimmt worden ist. Damit sind nicht nur die Bescheide vom 31.08.2007 gegenstandslos geworden, sondern auch die mit diesen verbundene formlose Aufrechnungserklärung vom selben Tag. Infolgedessen regelt der angefochtene Bescheid lediglich die Aufrechnung in Höhe eines Teilbetrages, der weniger als die Hälfte der gesamten Forderung der Klägerin auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.09.2002 bis 31.12.2004 beträgt. Insoweit hat die Klägerin auch nicht dargelegt, dass sie infolge des Vorenthalts dieses Betrages sozialhilfebedürftig geworden wäre.
Der zur Aufrechnung gestellte Betrag sowie die Forderung, mit der verrechnet werden sollte, sind durch den angefochtenen Bescheid hinreichend bestimmt worden, da sie und ihr Entstehungsgrund ausreichend bezeichnet sind.
Die Voraussetzungen der Aufrechnung sind diesbezüglich erfüllt. Dies erfordert die Gleichartigkeit der Ansprüche, deren Gegenseitigkeit, ihre Fälligkeit und Erfüllbarkeit (stillschweigender Verweis durch § 51 SGB I auf die §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -, vgl. BSG SozR 1200 § 51 Nr. 8; BSG SozR 4-1200 § 52 Nr. 1 Rn. 14 ff.). Die Erstattungsansprüche der Beklagten resultieren aus der Überzahlung von Arbeitslosengeld und -hilfe, sodass gleichartige Forderungen gegenüber stehen.
Die Erstattungsforderungen, mit denen die Beklagte die Aufrechnung erklärt hat, sind auch fällig. Sie resultieren aus dem bestandskräftigen Erstattungsbescheid vom 14.11.2001. Dessen Wirkung ist nicht durch die neuen Aufhebungsbescheide vom 31.08.2007 beseitigt worden. Diese Bescheide, die die Beklagte zwischenzeitlich ohnehin aufgehoben hat, sollten nicht den Bescheid vom 14.11.2001 ersetzen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sie keinen Bezug auf Letzteren nehmen und sie nach ihrer Rechtsbehelfsbelehrung Gegenstand des zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreits über die Ansprüche der Klägerin auf Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum September 2002 bis Dezember 2004 werden sollten. Da die in diesem Verfahren von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche von dem Bestand ihrer früheren Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe abhingen, kann die Vorgehensweise der Beklagten daher nur dahin gedeutet werden, dass die Bescheide durch wiederholende Verfügungen feststellen wollten, welche Zeiträume von der Leistungsaufhebung betroffen waren. Soweit durch drei dieser Bescheide weitere Leistungszeiträume (28.08. bis 28.09.1997, 11.05. bis 23.06.1998 und 14.11. bis 30.11.1998) erfasst worden sind, hat dies daher ebenfalls nicht die bereits bestandskräftig festgestellte Forderung beseitigen sollen. Es besteht kein Anhalt dafür, dass die Beklagte durch die Bescheide vom 31.08.2007 ihre Rechtsposition aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 14.11.2001 aufgeben oder eine Überprüfung dieser Forderung nach § 44 SGB X durchführen wollte. Denn auch die Klägerin hatte nicht die Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderungen im Rahmen des neuen Leistungsstreites angezweifelt und deren Überprüfung begehrt.
Demzufolge stand der Beklagten eine fällige Gegenforderung in Höhe von 8.272,50 EUR zu.
Diese Forderung ist auch nicht verjährt. Der Erstattungsanspruch verjährt nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Abs. 3 über die zu erstattende Leistung unanfechtbar geworden ist. Der Verwaltungsakt vom 14.11.2001 ist erst im Oktober 2004 durch die Berufungsrücknahme der Klägerin bestandskräftig geworden, sodass die Verjährung erst zum 01.01.2005 begann. Die Verjährungsfrist eines Verwaltungsaktes, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen worden ist, beträgt jedoch nach seiner Unanfechtbarkeit sodann 30 Jahre (§ 52 Abs. 2 SGB X).
Die Beklagte hat schließlich auch das ihr bezüglich der Aufrechnung zustehende Ermessen (vgl. dazu Häusler in Hauck/Noftz SGB I, § 51 Rn. 16) in ausreichender Weise ausgeübt. Sie hat unter Beachtung des ihr zustehenden Ermessensspielraums insoweit die Interessen der Klägerin mit den ihrigen abgewogen und ist zu dem vertretbaren Ergebnis gelangt, dass keine hinreichenden Gründe gegeben waren, die der Verrechnung des Betrages von 1.349,42 EUR entgegenstanden.
Die Berufung ist daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Anlass für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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