L 8 R 45/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 46 R 73/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 45/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 14.12.2010 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung von Rechtsanwalt H, O-str. 00, M, für die (weitere) Durchführung ihres Klageverfahrens auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1950 geborene Klägerin hat nach eigenen Angaben keinen Beruf erlernt. Sie zwar zuletzt 1968 versicherungspflichtig als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Seit dem 1.1.2005 bezog sie Arbeitslosengeld (Alg) II. Ihren am 21.8.2008 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab (Bescheid v. 14.11.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 24.2.2009).

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Dortmund u.a. Befundberichte eingeholt und Beweis erhoben durch medizinische Sachverständigengutachten. Der Orthopäde Dr. N hat insbesondere einen beiderseitigen Kniegelenksverschleiß, darüber hinaus einen beiderseitigen Verschleiß der Daumensattelgelenke festgestellt, unter Einbeziehung eines internistischen Zusatzgutachtens von Dr. C und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens von Dr. C1 zusätzlich u.a. eine chronisch venöse Insuffizienz der unteren Extremitäten sowie Angst und depressive Störung gemischt. Das der Klägerin verbliebene Leistungsvermögen hat er als in quantitativer Hinsicht nicht eingeschränkt und in qualitativer Hinsicht im Wesentlichen wie folgt beschrieben: Die Klägerin könne noch körperlich leichte Arbeiten wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Aufgrund des Krampfaderleidens könne sie keine überwiegend sitzende Tätigkeit und auch keine Arbeit mit ständigem Stehen ausüben. Die einzelnen Körperhaltungen sollten zu ungefähr gleichen Anteilen während einer Arbeitsschicht vorkommen. Die Gebrauchsfähigkeit beider Hände sei sowohl hinsichtlich der Kraftentfaltung unter Einsatz des Daumens als auch hinsichtlich der Feinmotorik unter häufigem Einsatz des Daumens eingeschränkt. Die Klägerin besitze noch das Leistungs- und Umstellungsvermögen sowie die geistig-kognitiven Fähigkeiten, um nach einer maximal dreimonatigen Einarbeitungszeit vollschichtig Tätigkeiten wie eingehende Post öffnen, sortieren und andere in der Beweisanordnung näher bezeichnete Arbeiten auszuführen.

Den nach Mitteilung des Beweisergebnisses gestellten Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwalt H hat das SG abgelehnt (Beschluss v. 14.12.2010). Die Klägerin könne noch leichte körperliche Arbeiten unter Berücksichtigung der von den Sachverständigen umschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig verrichten.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Wie das SG zutreffend entschieden hat, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwalt H.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen dabei zum einen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, zum anderen, wenn eine entscheidungserhebliche Tatsache zwischen den Beteiligten strittig ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lasten des Antragstellers ausgehen würde (statt aller: BVerfG, Beschluss v. 8.12.2009, 1 BvR 2733/06, NJW 2009, 1129 m.w.N.).

Das Ergebnis der im vorliegenden Fall durchgeführten Beweisaufnahme bietet zwar möglicherweise noch Ansatzpunkte für weitere medizinische Ermittlungen. Diese werden jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zugunsten der Klägerin ausgehen.

Nach § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) und die in § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI geregelten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Ist das Vermögen, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten, sogar unter drei Stunden gesunken, besteht unter den genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI).

Insoweit hat das SG zunächst zu Recht darauf hingewiesen, dass nach übereinstimmender Beurteilung aller Sachverständiger das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin nicht unter sechs Stunden gesunken ist. Zwar hat die Klägerin, worauf sie mit dem Antrag auf PKH und der Beschwerdebegründung maßgeblich hinweist, im Klageverfahren eine ärztliche Stellungnahme des Chirurgen Dr. E überreicht, der zufolge sie nicht in der Lage ist, mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten. Eine schlüssige Begründung, warum ihr körperlich leichte Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr unmöglich sein sollten, hat Dr. E hingegen nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn das SG derzeit hinsichtlich des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin keinen weiteren Ermittlungsbedarf sieht.

Die qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens rechtfertigen nach dem bisherigen Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme nicht die Annahme, die Klägerin könne nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein. Grundsätzlich müssen sich Versicherte im Rahmen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung auf alle (ungelernten) Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Besteht hierfür, wenngleich mit Einschränkungen, ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen, ist grundsätzlich die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich. Es genügt, dass das Restleistungsvermögen des Versicherten körperlich leichtere Arbeiten erlaubt (zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen), wie es bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert wird (BSG, Großer Senat, Beschluss v. 19.12.1996, GS 2/95, SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit besteht danach nur dann, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Darunter fallen jedoch nicht die sog. "üblichen" Leistungseinschränkungen. Zu diesen zählt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts insbesondere den Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern (vgl. BSG, Urteil v. 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R, juris), wie vom Sachverständigen Dr. N im Fall der Klägerin beschrieben.

Auch unter Zugrundelegung der Beurteilung des Hauptsachverständigen Dr. N bestehen daher gegenwärtig keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, der allgemeine Arbeitsmarkt sei der Klägerin verschlossen. Zwar hat der Sachverständige weitergehend ausgeführt, die Klägerin "sollte" die einzelnen Haltungsarten (Stehen, Gehen, Sitzen) zu ungefähr gleichen Teilen während einer Arbeitsschicht einnehmen, und auch die Leitlinien der Rentenversicherungsträger halten den Arbeitsmarkt dann für verschlossen, wenn es dem Versicherten unmöglich ist, wenigstens eine Haltungsart überwiegend, d.h. zu mindestens 51 % einzunehmen (vgl. Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung zur Leistungsfähigkeit bei Bandscheiben- und bandscheibenassoziierten Erkrankungen, Juni 2009, S. 29). Insofern könnte sich hier Anlass für das SG zu klärender Nachfrage bei dem Sachverständigen Dr. N ergeben. Nach dem gegenwärtigen Sachstand ist es jedoch unwahrscheinlich, dass diese im Ergebnis zugunsten der Klägerin ausgehen wird. Erstens hat Dr. N dem Wortlaut seines Gutachtens nach hinsichtlich der gleichmäßigen Einnahme der Haltungen in erster Linie eine Empfehlung abgegeben ("sollte"). Zweitens ist seine Annahme, überwiegendes Sitzen sei im Fall der Klägerin ausgeschlossen, für den Senat nicht nachvollziehbar begründet. Der Sachverständige stützt sich insoweit auf das bei der Klägerin bestehende Krampfaderleiden, das er selbst unter den internistischen Diagnosen aufgeführt hat. Der internistische Sachverständige Dr. C, auf den diese Diagnose zurückgeht, hat indessen ausgeführt, die Klägerin könne noch im Stehen, Gehen und Sitzen arbeiten. Bei sitzenden Tätigkeiten solle lediglich die Möglichkeit der Hochlagerung der Beine und einmal pro Stunde des Umhergehens gegeben sein. Ein Ausschluss für überwiegend sitzende Tätigkeiten ist damit nicht beschrieben. Inwiefern Dr. N insofern zu einer abweichenden Einschätzung gelangt ist, hat er bislang nicht dargelegt. Insofern erscheint es derzeit zumindest weit überwiegend wahrscheinlich, dass die - aus Sicht des Senates schlüssig begründete - Beurteilung des Sachverständigen Dr. C zutrifft, wonach die Klägerin überwiegend im Sitzen zu arbeiten imstande ist, soweit sie neben der Möglichkeit der Hochlagerung gelegentlich aufstehen und umhergehen kann.

Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen kann zurzeit auch nicht auf die von Dr. N angegebenen Funktionseinschränkungen der Hände gestützt werden. Zwar hat der Sachverständige nicht näher spezifiziert, in welchem Ausmaß die Gebrauchsfähigkeit beider Hände sowohl hinsichtlich der Kraftentfaltung unter Einsatz des Daumens als auch hinsichtlich der Feinmotorik unter häufigem Einsatz des Daumens eingeschränkt ist. Er hat aber andererseits keine Bedenken gegen einen vollschichtigen Einsatz für die in der Beweisanordnung des SG näher bezeichneten Tätigkeiten geäußert, die typische Arbeitsfelder des allgemeinen Arbeitsmarktes beschreiben.

Da die Klägerin keine Ausbildung abgeschlossen und zuletzt eine ungelernte Tätigkeit verrichtet hat, bestehen auch für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) keine Anhaltspunkte.

Die Kostentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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