L 11 KA 41/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 253/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 41/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 253/05
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf Rev. der Kl. werden die Urteile des LSG NRW vom 17.11.2010 und vom SG Düsseldorf geändert.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.04.2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen für das Quartal IV/2004.

Die Klägerin ist Trägerin des L-krankenhauses H, welches im Rahmen der Notfallversorgung an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung auf der Grundlage des am 06.01.2003 zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrages über die Einrichtung einer Notfallpraxis am Krankenhaus teilnimmt. Gemäß § 4 Abs. 5 und 6 dieses Vertrages wurde geregelt: Die in der Notfallpraxis diensthabenden Ärzte beziehen notfallmäßig erforderliche Leistungen wie Röntgen- oder Laboruntersuchungen, die nicht in der Notfallpraxis vorgehalten werden, vom Krankenhaus. Diese Leistungen werden dann vom Krankenhaus per Muster 19 mit der KV (der Beklagten) abgerechnet (Abs. 5 Sätze 1 und 2). Das Krankenhaus (hier die Klägerin) rechnet die durch das eigene ärztliche Personal erbrachten Notfallleistungen einschließlich der Leistungen unter Abs. 5 direkt mit der KV ab. Grundlage für die Abrechnung ist der dreiseitige Vertrag nach § 115 Abs. 2 Nr. 5 SGB V vom 10.05.1994 (Abs. 6 Sätze 1 und 2).

Die Beklagte korrigierte die auf dieser Grundlage erstellte Abrechnung der Klägerin für das Quartal IV/2004 mit Bescheid vom 04.04.2005 und strich hierbei u.a. die in Ansatz gebrachten Laborziffern 4066 (Bestimmung des Blutalkohols) und 4365 (Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP)) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) mit der Begründung, dass diese Leistungen im Notfall nicht abgerechnet werden könnten.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sich weder aus dem EBM-Ä noch aus entsprechenden Kommentaren Aussagen zu einer Nichtberechenbarkeit der Leistungsziffern ergeben würden. Die Bestimmung der Blutalkoholkonzentration (BAC) sei zur Diagnostik des Stadiums der Alkoholisierung und damit zur Abgrenzung erforderlich, ob ein Patient überwachungs- bzw. interventionspflichtig sei. Sie sei damit medizinisch indiziert und notwendig. Das CRP sei das klassische Akute-Phasen-Protein und diene der Erkennung eines entzündlichen Prozesses bzw. der Bestätigung einer akuten organischen Erkrankung insbesondere bei Erstaufnahme eines Patienten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 05.10.2005 zurück. Die beanstandeten quantitativen Laborparameter stellten unter Berücksichtigung der Diagnoseangaben keine Untersuchungen des sogenannten Notfalllabors dar.

Mit ihrer am 02.11.2005 erhobenen Klage hat die Klägerin ergänzend zu ihrem Vorbringen im Widerspruchsverfahren vorgetragen, der Ansatz der streitigen Ziffern sei auch unter Berücksichtigung des grundsätzlich eingeschränkten Leistungsangebot im Rahmen der ambulanten Notfallbehandlungen nicht ausgeschlossen. Die Leistungserbringung sei nach Auffassung der notdiensthabenden Ärzte erforderlich gewesen. Die pauschale Argumentation der Beklagten widerspreche der Beurteilung der Notwendigkeit der Ärzte im Einzelfall. Den Ärzten komme insoweit eine Schlüsselstellung zu, aufgrund derer sie grundsätzlich über die Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Durchführung bestimmter Maßnahmen entschieden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.04.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2005 zu verurteilen, die gestrichenen Leistungen der Ziffern 4066 und 4365 EBM-Ä der Abrechnung für das Quartal IV/2004 wieder hinzuzusetzen und entsprechend nachzuvergüten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Rahmen eines Notfalles im Sinne der vertragsärztlichen Versorgung sei lediglich eine Erstversorgung des Patienten durchzuführen, welche den Rahmen des Notwendigen nicht überschreiten dürfe. Die erste ärztliche Versorgung solle den Patienten lediglich in die Lage versetzen, die Zeit bis zum Einsetzen einer normalen Versorgung zu überbrücken. Dies bedeute, dass im Rahmen der Behandlung eines Notfalls keine optimale, nicht einmal eine normale ärztliche Versorgung durchzuführen sei. Die Leistungen gemäß den Ziffern 4066 und 4365 EBM-Ä gehörten daher nicht zu den Maßnahmen der medizinischen Erstversorgung im Notfall. Ergänzend hat die Beklagte drauf hingewiesen, dass das CRP in den streitigen Behandlungsfällen nach Maßgabe der aufwendigeren und damit teureren Nr. 4365 EBM-Ä (Wert 5,40 EUR) anstelle der Nr. 3850 EBM-Ä (Wert 1,15 EUR) bestimmt worden sei.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 04.04.2007 abgewiesen. Im Rahmen des Notfalldienstes habe der notfalldiensthabende Arzt grundsätzlich nur diejenigen Leistungen zu erbringen, die dazu dienten und geeignet seien, eine akute Gefahr von Leib und Seele des Patienten abzuwenden. Wenn der Notfallarzt den Patienten nicht kenne, reiche es aus, dass er die Erstversorgung übernehme, davon den behandelnden Arzt unterrichte und diesem die Weiterbehandlung überlasse. Demnach sei Inhalt der Notfallbehandlung die erste Versorgung bis zur nächstmöglichen ambulanten oder stationären Behandlung. Das bedeute, dass keine optimale ärztliche Versorgung erwartet werden könne. Es genüge, wenn der Notfallarzt mit praxisbezogener Sachkunde den typischen Notfallsituationen des Notfalldienstes in der Regel wenigstens mit Sofortmaßnahmen bis zum Einsetzen der normalen ärztlichen Versorgung gerecht werde. Nach Auffassung der fachkundig besetzten Kammer könnten die Leistungen nach den Ziffern 4066 EBM-Ä (Bestimmung des Blutalkohols) und 4365 EBM-Ä (Bestimmung des CRP) den für eine Erstdiagnostik erforderlichen Laboratoriumsuntersuchungen grundsätzlich nicht zugeordnet werden. Gründe, die eine ausnahmsweise andere Beurteilung zuließen, habe die Klägerin nicht vorgetragen. Die Bestimmung der BAC habe im Rahmen der Erstversorgung keine entscheidende Aussagekraft. Von wesentlicher Bedeutung sei vielmehr die klinische Symptomatik, die ein alkoholisierter Patient aufweise und die je nach persönlicher Konstitution - unabhängig von der Alkoholkonzentration im Blut - unterschiedlich ausfallen könne. Auch der diensthabende Arzt in der Notfallpraxis sei auf die Bewertung dieser Symptomatik angewiesen, um eine Entscheidung für die notwendige Erstversorgung zu treffen. Denn im Regelfall bestünde im Notfall keine Möglichkeit, spezielle Laboruntersuchungen durchzuführen. Dies gelte auch für die Bestimmung des CRP. Soweit die Klägerin insofern vortrage, dass die Bestimmung des CRP der Erkennung eines entzündlichen Prozesses bzw. der Bestätigung einer akuten organischen Erkrankung, insbesondere bei Erstaufnahme des Patienten diene, und damit insbesondere im ambulanten Bereich zur schnellen, orientierenden Diagnostik indiziert, notwendig und unverzichtbar sei, habe die Kammer dem für die Erstversorgung im ärztlichen Notfalldienst nicht zu folgen vermocht. Für eine umfassende ambulante Behandlung sei die Erforderlichkeit der Untersuchung - bei entsprechender klinischer Symptomatik bzw. als Ausschlussuntersuchung - sicher ohne weiteres gegeben. Für die Behandlung im ärztlichen Notfalldienst sehe die Kammer eine Notwendigkeit für die Bestimmung des CRP bis auf wenige hier nicht vorgetragene Ausnahmen hingegen nicht. Ein Vergleich mit dem Behandlungsspektrum des niedergelassenen notdiensthabenden Arzt zeige auch hier, dass dieser die Entscheidung, welche Akutmaßnahmen im Rahmen der Erstversorgung zu treffen seien, regelmäßig ohne die quantitative Bestimmung des CRP-Wertes zu treffen habe.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 23.05.2007 zugestellte Urteil am 21.06.2007 Berufung eingelegt, mit der sie sich unter Vorlage der Behandlungsunterlagen weiterhin gegen die Kürzung ihrer Honorarforderung für das Quartal IV/2004 wendet. U.a. am Beispiel der Notwendigkeit einer Röntgenaufnahme auf Verdacht auf Fraktur trägt sie vor, dass bereits der grundlegenden Aussage des SG, es komme im Rahmen der Erstversorgung nicht auf die personellen und sachlichen Möglichkeiten des Erstversorgenden an, nicht gefolgt werden könne. Im Rahmen der Bestimmung der BAC sei darauf hinzuweisen, dass insbesondere in durch das "Flate-Rate-Saufen" geprägten Zeiten bei Patienten mit unterschiedlichem Alter auch ein objektivierbarer Nachweis geboten und erforderlich sei. Insofern müsse auch berücksichtigt werden, dass der notfalldiensthabende Arzt den Patienten und dessen "normales Auftreten" nicht kenne. Ob und in welchem Umfang die objektive BAC zusätzlich mehr oder weniger entscheidend die Symptomatik bestätige oder unterstütze, sei eine vom Einzelfall abhängige Wertungsentscheidung. Eine generelle Aussage dahingehend, dass objektiven Blutalkoholkonzentrationen "keine entscheidende Aussagekraft" oder nur eine "nachrangige Wertigkeit" zukomme, könne in dieser allgemeinen und generalisierenden Form insbesondere in Grenzbereichen nicht getroffen werden. Zur Leistungserbringung des C-reaktiven Proteins führt sie aus: Auch wenn das CRP als klassisches Akute-Phasen-Protein unspezifisch sei, d.h. keinen Indikator für eine bestimmte Entzündung darstelle, sei es in bestimmten Fällen zur Erkennung eines entzündlichen Prozesses bzw. der Bestätigung einer akuten organischen Erkrankung erforderlich. Die CRP-Bestimmung habe für die Beurteilung der Entzündungsreaktionen einen wesentlich höheren diagnostischen Stellenwert als die Bestimmung der Blutsenkung und der Leukozytenzahl. Im Übrigen habe sie im Quartal IV/2004 lediglich die Kapazität gehabt, auf diese Methode zur CRP-Bestimmung zurückzugreifen. Zwar habe das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass die "Umstände des Einzelfalles" entscheidend seien. Dies bedeute aber auch, dass ein generalisierender Ausschluss der Leistungserbringung und Abrechnungsfähigkeit der streitigen Maßnahmen nicht anzuerkennen sei. Die von dem diensthabenden Arzt im Rahmen der Notfallbehandlung veranlassten Leistungen, für die die Klägerin Beispiele anführt, dürfe nicht von der Beklagten auf ihre medizinische Notwendigkeit überprüft werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.04.2007 abzuändern und nach dem Klageantrag zu entscheiden,
hilfsweise,
Sachverständigenbeweis im Hinblick auf die von ihr - der Klägerin - behauptete Notwendigkeit der durchgeführten medizinischen Maßnahmen zu erheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verweist auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen des SG und führt ergänzend aus, der "Standard" einer Notfallbehandlung habe sich nicht an den personellen und sachlichen Möglichkeiten des Erstversorgers, sondern am Notfall und damit am Patienten unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes und den allgemeinen Grundsätzen bei der Notfallbehandlung zu orientieren. Dabei sei es unerheblich, welcher Leistungserbringer die Notfallversorgung übernehme. Aus der Vorlage der Behandlungsunterlagen ergebe sich lediglich, dass die Bestimmung des CRP in einzelnen Fällen angefordert, nicht jedoch aus welchen Gründen die quantitative Bestimmung des CRP nach der Ziffer 4365 (5,40 EUR je Untersuchung) erbracht worden sei. Die Leistung nach Ziffer 3850 EBM (immunilogischer oder gleichwertiger chemischer Nachweis des CRP mit 1,15 EUR je Untersuchung), sei in einer Notfallsituation im Einzelfall völlig ausreichend, jedoch in keinem einzigen Fall abgerechnet worden. Wenn die Klägerin nicht in der Lage sei, diese Untersuchung durchzuführen, widerspreche dies den gesetzlichen Vorgaben einer ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung der Versicherten.

Die ehrenamtlichen Richter des Senats haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt: "Nach unserer Auffassung gehören die Bestimmung des CRP und des BAC nicht zu der im Rahmen der ambulanten Notfallversorgung gebotenen Diagnostik. Ausnahmesituationen sind uns nicht ersichtlich. Wir merken an, dass wir Notfalldienst sowohl im Krankenhaus (ambulant und stationär) als auch im niedergelassenen Bereich verrichtet haben".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2005 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf (Nach-)Vergütung der für die Notfallpraxis am L-krankenhaus H im Quartal IV/2004 erbrachten und abgerechneten ärztlichen Laborleistungen nach den Ziff. 4066 und 4365 EBM-Ä. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG). Auch die Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

Nach § 4 ("Finanzielle Regelung") des zwischen den Beteiligten am 06.01.2003 geschlossenen Vertrages über die Einrichtung einer Notfallpraxis am Krankenhaus beziehen die in der Notfallpraxis des Krankenhauses diensthabenden Ärzte notfallmäßig erforderliche Leistungen wie Röntgen- oder Laboruntersuchungen, die nicht in der Notfallpraxis vorgehalten werden, vom Krankenhaus. Diese Leistungen werden dann von der Klägerin mit der Beklagten abgerechnet (Abs. 5 Sätze 1 und 2). Grundlage für die Abrechnung ist der (zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (NRW), den beiden Kassenärztlichen Vereinigungen sowie den Landesverbänden der Krankenkassen geschlossene) dreiseitige Vertrag nach § 115 Abs. 2 Nr. 5 SGB V vom 10.05.1994 (Abs. 6 Satz 2), der gemäß seines § 1 die Grundsätze der ambulanten Notfallbehandlung im Krankenhaus einschließlich der Abrechnung und Vergütung zum Gegenstand hat. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 dieses Vertrages rechnet die zuständige KV die durch das Krankenhaus im Rahmen der ambulanten Notfallbehandlungen erbrachten Leistungen nach den Bestimmungen des Bewertungsmaßstabes-Ärzte (BMÄ) bzw. der Ersatzkassen-Gebührenordnung (EGO) ab; bei der Honorierung hat sie 90 %. der für niedergelassene Vertragsärzte geltenden Vergütungssätze zu Grunde zu legen. Die Vergütungsregelung, die rechtlich weder von den Beteiligten noch von dem Senat beanstandet wird (vgl. Senat, Urteil vom 23.02.2000 - L 11 KA 114/98 -, nachfolgend BSG, Urteil vom 31.01.2001 - B 6 KA 33/00 R -), enthält eine dynamische Verweisung auf die für niedergelassene Vertragsärzte geltenden Vergütungssätze (Urteil des Landessozialgerichts (LSG) NRW vom 19.01.2005 - L 10 KA 11/04 -, bestätigt durch das BSG im Rahmen der nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfkompetenz mit Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 31/05 R -), so dass sich die Vergütung der abgerechneten Laborleistungen nach dem im Quartal IV/2004 geltenden EBM-Ä in der ab 01.04.2004 geltenden Fassung richtet.

Die Leistungen nach den Ziffern 4066 EBM-Ä (Bestimmung der BAC) und 4365 EBM-Ä (Bestimmung des CRP) können den für eine Erstdiagnostik im Rahmen einer Notfallbehandlung erforderlichen Laboratoriumsuntersuchungen grundsätzlich nicht zugeordnet werden, da es sich nicht um erforderliche Leistungen im Rahmen der Notfallbehandlung handelt. Zur Notfallversorgung gehören nur die Leistungen, die erforderlich sind, um bis zur voraussichtlichen Weiterbehandlung durch zugelassene Vertragsärzte (außerhalb des Bereitschaftsdienstes) oder bis zu einer notwendigen stationären Einweisung akute Gefahren für den die Notfallambulanz aufsuchenden Versicherten zu erkennen, zu behandeln oder auszuschließen. Dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht, wenn aus einer ex-ante-Betrachtung heraus, ohne sofortige Behandlung Gefahren für Leib und Leben bestehen oder Schmerzen unzumutbar lange dauern würden (LSG Bayern, Urteil vom 14.11. 2007 - L 12 KA 1/06 -; LSG NRW, Urteil vom 23.07.2003 - L 10 KA 69/02 -).

Die Bestimmung der BAC ist indessen nicht erforderlich, um in diesem Sinn akute Gefahren für den die Notfallambulanz aufsuchenden Versicherten zu erkennen bzw. auszuschließen. Insbesondere gestützt auf die Sachkunde und Berufserfahrung der ehrenamtlichen Richter steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Ausprägung einer Alkoholintoxikation unabhängig von der BAC durch spezifische Symptome zuverlässig und (jedenfalls) im Rahmen einer Notfallversorgung ausreichend feststellbar ist. Im Übrigen werden in der Medizin grundsätzlich unabhängig von der BAC je nach Ausprägung der Symptome vier Stadien der Alkoholintoxikation unterschieden (vgl. Schmidt/Gastpar/ Falkai/Gaebel, Evidenzbasierte Suchtmedizin, 2006, Seite 30):

Leichte Intoxikation:
Gang- und Standunsicherheit, verwaschene Sprache, Verminderung der Kritikfähigkeit und Selbstkontrolle,meist gesteigerter Antrieb (z.B. Rededrang, vermehrte soziale Kontaktaufnahme bis zu Distanzminderung), selten Antriebsminderung

Mittelgradige Intoxikation:
Zunahme der psychischen und neurologischen Auffälligkeiten, wie zunehmende affektive Enthemmungen und unangemessenes Sexualverhalten, gehobener Affekt bis hin zur Euphorie, aber auch Gereiztheit und Aggressivität im häufigen Wechsel. Das Urteilsvermögen ist zunehmend beeinträchtigt. Ablenkbarkeit oder Benommenheit können hinzutreten, die Orientierung ist meist erhalten.

Schwere Intoxikation:
Weitere Zunahme der neurologischen Symptome, Dysarthrie, Schwindel und Ataxie treten in den Vordergrund, Bewusstseins- und Orientierungsstörungen sind häufig Angst, Erregung und illusionäre Verkennungen können zusätzlich auftreten.

Alkoholisches Koma:
Bei sehr schweren Intoxikationen kommt es z.B. durch eine Dämpfung des Atemzentrums oder Aspiration von Erbroche- nem häufig zu einer vitalen Bedrohung.

Zumindest im Regelfall reichen daher Anamnese und körperlicher Untersuchung aus, um eine Akutbehandlung insbesondere der typischen und häufig auftretenden Begleitsymptome des Alkoholrausches bzw. der -intoxikation wie Übelkeit, Erbrechen, Unterkühlung, Hypoglykämie und Dehydratation durchzuführen bzw. eine stationäre Behandlung zu veranlassen.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren wiederholend vorträgt, ob und in welchem Umfang die objektive Blutalkoholkonzentration zusätzlich, mehr oder weniger entscheidend die Symptomatik bestätige oder unterstütze, sei eine vom Einzelfall abhängige Wertungsentscheidung, zeigen die von ihr vorgelegten Behandlungsunterlagen, dass eine solche Wertung im Einzelfall nicht vorgenommen wurde. Vielmehr wurde in allen Fällen von Alkoholintoxikation routinemäßig die BAC bestimmt, d.h. auch in den Fällen, bei denen der Alkoholabusus für die durchgeführte Notfallversorgung nicht maßgebliche Nebendiagnose war, wie z.B. nach Maßgabe der folgenden Behandlungsunterlagen:

H. V (Fallnr. 86) Patientin hatte versucht, mit dem Trinken aufzuhören; epileptischer Anfall, beginnende Entzugssymptomatik

K. N (Fallnr. 627) Patient ist stark angetrunken mit dem Fahrrad gegen ein Verkehrsschild gefahren; Notfallversorgung wegen Verdachts auf Querschnittsymptomatik; Verlegung zur neurologischen Abklärung vom Krankenhaus X

M. I (Fallnr. 740) umschriebener links-thorakaler Schmerz, Alkohol- und Nikotinabusus ("Patient ohne weitere Rücksprache abgehauen")

M. X (Fallnr. 806) Verdacht auf Bronchitis, Patient alkoholisiert, lehnt weitere Behandlung ab, möchte nach Hause

oder es ohnehin Veranlassung für eine stationäre Behandlung gab, in deren Rahmen - soweit erforderlich - der weitere Verlauf durch BAC-Bestimmungen hätte festgestellt werden können, wie in folgendem Fall:

L. H (Fallnr. 367) Verdacht auf Alkoholhalluzinose und psychogenen Krampfanfall bei langjährigem Alkoholabusus, aktuell nach 12 Flaschen Korn in 8 Tagen, Verlegung in die Klinik für Suchtmedizin und Psychotherapie Marienheide.

Zudem lassen manche Behandlungsunterlagen erst gar nicht erkennen, dass die Bestimmung der BAC überhaupt ärztlich angefordert wurde; z.B.

S. N (Fallnr. 13) Diagnose: erneuter Grandmal-Anfall bei bekannter Epilepsie unklarer Genese; Patient gibt an, Medikamente nicht genommen zu haben.

H. V (Fallnr. 86) s.o.

M. I (Fallnr. 740) s.o.

Die Bestimmung des BAC als nicht notfallmäßig erforderliche Leistung geht unabhängig von diesen Einzelfällen über den eingeschränkten Notfallversorgungsauftrag hinaus und kann nicht von der Klägerin gegenüber der Beklagten abgerechnet werden.

Dies gilt nach Auffassung des Senats ebenfalls für die Bestimmung des CRP im Rahmen der Erstversorgung, die nicht erforderlich ist, um akute Gefahren für den die Notfallambulanz aufsuchenden Versicherten zu erkennen bzw. auszuschließen. Auch insofern belegen die Behandlungsunterlagen, dass die Feststellung des CRP in der Notfallpraxis der Klägerin ohne Einzelfallprüfung zum Routineprogramm der Internisten und Neurologen (in den Unterlagen vielfach gekennzeichnet als "NFR" (Notfallroutine)) gehört, ohne dass auch nur eine Erforderlichkeit aus besonderem Anlass dokumentiert wird oder offenkundig ist:

D. L (Fallnr. 37): Unfall rechte Hand gequetscht

G. G (Fallnr. 29): Hirnmetastase, Bronchialkarzinom; Einweisung wegen Verdachts auf Apoplex (Patient lehnt Aufklärung ab)

K. T (Fallnr. 548): Zustand nach Schlägerei

K. T (Fallnr. 107): Sturz vom Motorrad; Schmerzen rechtes Knie

L. Q (Fallnr. 128) Lumboischialgie

R. U (Fallnr. 1028) Beschwerden rechte Hüfte, bekannter und mit Antibiotika bereits vorbehandelter Harnwegsinfekt

S. D (Fallnr. 1) Cephalgien

S. L (Fallnr. 183) Fremdkörper in Speiseröhre, nach Entfernung entlassen

T.T (Fallnr. 1236) Unwohlsein nach Cannabisgenuß

W. N (Fallnr. 216) Migräneattacke

W., M (Fallnr. 1340) Rauchgasinhalation, beschwerdefrei

Die Klägerin hat daher mit ihrem Begehren keinen Erfolg. Auch ihr Hilfsantrag war abzuweisen, weil der mit zwei Ärzten besetzte Senat ausreichende Sachkunde besitzt und daher die Einholung eines Gutachtens nicht erforderlich war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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