L 16 (1) AL 21/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AL 92/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 (1) AL 21/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.04.2009 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.260,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anzahl der bei der Klägerin vorhandenen Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen.

Die Klägerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen mit Sitz in L, sie verfügt über eine Erlaubnis nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Nach dem vorgelegten Mitarbeitervertrag sind die Mitarbeiter zur Arbeitsleistung in der Bundesrepublik, den Niederlanden und in Belgien verpflichtet. Nach Darstellung der Klägerin verleiht sie die Mitarbeiter schwerpunktmäßig an Arbeitgeber in den Niederlanden. Auf die Beschäftigungsverhältnisse findet deutsches Arbeitsrecht Anwendung.

Am 12.06.2008 übersandte die Klägerin die Anzeige nach § 80 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für das Jahr 2007. In einem beigefügten Schreiben wies sie darauf hin, bei ihr bestehe die Besonderheit, dass sie Arbeitnehmer an Entleiher in den Niederlanden entleihe und diese dort "im Wesentlichen" auch in den Niederlanden beschäftigt würden. Nach ihrer Auffassung müssten diese Arbeitnehmer bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe unberücksichtigt bleiben. Eine Einbeziehung in die Berechnung der Abgabe bedeute ein Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit und gegen die Dienstleistungsfreiheit nach europäischem Recht. Soweit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) anders lautend entschieden habe, habe diese Entscheidung einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betroffen. Das BVerwG habe darauf abgestellt, dass jeder Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit habe, Schwerbehinderte in Beruf und Arbeit einzugliedern. Diese Möglichkeit habe sie nicht, da sie nicht gewährleisten könne, dass die Schutzvorschriften des deutschen Schwerbehindertengesetzes von niederländischen Entleihern eingehalten würden. Der niederländische Entleiher beachte nicht die zugunsten der Leiharbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften des SGB IX, sondern die niederländischen Schutzvorschriften für Behinderte. Daher stelle sich die Frage, ob sie überhaupt einen behinderten Leiharbeitnehmer bei einem Entleiher im Ausland einsetzen könne; insoweit bestehe ein rechtliches Hindernis, schwerbehinderte Arbeitnehmer an Entleiher in den Niederlanden zu verleihen. Sie habe daher in die Anzeigen nur die Arbeitnehmer aufgenommen, die sie selbst in der Bundesrepublik beschäftige bzw. an Entleiher in der Bundesrepublik verleihe. In der insoweit beigefügten Anzeige werden für das Jahr 2007 84 Arbeitsplätze genannt (jahresdurchschnittlich sieben). Vorsorglich wurde aber auch noch eine Anzeige für die gesamte Zahl der Beschäftigten beigefügt; danach waren im Jahre 2007 insgesamt 700 Personen beschäftigt (jahresdurchschnittlich 58,33). Schwerbehinderte Menschen wurden nicht beschäftigt.

Mit Bescheiden vom 17.06.2008 stellte die Beklagte für die Kalenderjahre 2006 und 2007 gemäß § 80 Abs. 3 SGB IX die für die Berechnung der Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe erforderlichen Daten fest. Hinsichtlich des in diesem Verfahren streitgegenständlichen Kalenderjahres 2006 stellte sie eine jahresdurchschnittliche Arbeitsplatzzahl von 38 (Jahressumme 456) fest; die Zahl der Pflichtarbeitsplätze mit zwölf und die Beschäftigungsquote (da keine schwerbehinderte Menschen beschäftigt worden waren) mit Null. Die Höhe der Ausgleichsabgabe wurden mit 12 x 105,00 EUR = 1.260,00 EUR ermittelt. Zur Begründung führte sie aus, die Feststellung erfolge auf der Grundlage der vorliegenden Betriebsdaten. Bei Arbeitnehmerüberlassung sei der Verleiher Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers, so dass die Arbeitsplätze beim Verleiher zu zählen seien. Als Arbeitsplätze gälten auch die Stellen bzw. Arbeitsplätze der ins Ausland entsandten Beschäftigten. Mit ihrem Widerspruch hielt die Klägerin an ihrer Auffassung fest, dass in die Niederlande entliehene Leiharbeitnehmer nicht in die Berechnung der Schwerbehindertenabgabe einzubeziehen seien. Zugleich teilte sie die Beschäftigtenzahl für das Jahr 2006 mit. Danach wurden insgesamt 497 Arbeitnehmer beschäftigt (Jahresdurchschnitt 41,42), wovon 50 ausschließlich in der Bundesrepublik eingesetzt waren. Schwerbehinderte Menschen wurden im gesamten Jahr nicht beschäftigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei unzweifelhaft Arbeitgeberin auch der in die Niederlanden entliehenen Arbeitnehmer. Somit seien die beschäftigten Arbeitnehmer unbeachtlich ihres Einsatzortes bei der Klägerin zu berücksichtigen. Nach den vorliegenden Betriebsdaten habe die Klägerin durchgängig 38 Beschäftigte gehabt und keine Schwerbehinderten beschäftigt. Sie habe die Verpflichtung getroffen, jahresdurchschnittlich jeden Monat einen schwerbehinderten Menschen zu beschäftigen. Die bei Erfüllung der Beschäftigungspflicht zu entrichtende Ausgleichsabgabe richte sich hier nach § 77 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB IX und betrage je nicht besetztem Pflichtarbeitsplatz 105,00 EUR. Somit belaufe sich die Ausgleichsabgabe auf insgesamt 1.260,00 EUR.

Die Klägerin hat am 20.10.2008 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Leiharbeitnehmer hätten einen Arbeitsvertrag nach deutschem Arbeitsrecht. Sie habe für die in die Niederlande entsandten Leiharbeitnehmer zwar in der Bundesrepublik die Sozialabgaben zu leisten, die Lohnsteuer sei jedoch in den Niederlanden zu entrichten. Sie gelte als juristischer Arbeitgeber der Leiharbeitnehmer, der niederländische Entleiher als ihr wirtschaftlicher Arbeitgeber. Statistisch würden die in den Niederlanden eingesetzten Arbeitnehmer dort dem Entleiher zugeordnet. Der Arbeitgeber erhalte dort einen Steuervorteil, wenn er einen behinderten Arbeitnehmer einstelle, eine der Schwerbehindertenabgabe vergleichbare Abgabe kenne das niederländische Recht nicht. Es führe zu einer europarechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung und zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung, wenn die entliehenen Arbeitnehmer statistisch für die Schwerbehindertenabgabe in einem Mitgliedsstaat ihr als Verleiherin, andererseits aber zugleich auch statistisch im anderen Mitgliedsstaat dem Entleiher zugeordnet würden. Umgekehrt werde ein niederländischer Verleiher bevorzugt, da er keine Ausgleichsabgabe zu zahlen habe, während andererseits ein in Deutschland ansässiger Entleiher ebenfalls nicht die Abgabe zu leisten habe, da ihm die Arbeitnehmer nicht zugeordnet würden. Der in den Niederlanden ansässige Verleiher könne daher anders kalkulieren als der deutsche Konkurrent.

Mit Urteil vom 16.04.2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG hat es einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und einen Verstoß gegen Europarecht verneint. Soweit die Klägerin auf die unterschiedlichen Auswirkungen des nationalen Rechts in der Bundesrepublik einerseits und in den Niederlanden andererseits hinweise, lägen ihre Überlegungen neben der Sache. Zur Ausgleichsabgabe werde nur der Arbeitgeber herangezogen, der die erforderliche Pflichtzahl von schwerbehinderten Menschen nicht beschäftige. Die Klägerin habe als in der Bundesrepublik ansässiges Unternehmen die sich aus der Anwendung deutschen Rechts ergebenden Folgen zu berücksichtigen, auch wenn sie Arbeitnehmer in die Niederlande entleihe. Es komme auch nicht darauf an, ob die Klägerin sicherstellen könne, dass der Entleiher den Schutz schwerbehinderter Menschen beachte. Als Arbeitgeberin unterliege die Klägerin den sich aus dem SGB IX ergebenden Schutzpflichten unabhängig davon, an wen sie die Arbeitnehmer entleihe.

Die Klägerin hat fristgerecht Berufung eingelegt, zur deren Begründung sie zum einen ihren bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft; sie rügt insoweit einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Zum anderen vertritt sie die Auffassung, die Berücksichtigung der an niederländische Unternehmen entliehenen Arbeitnehmer widerspreche dem Willen des Gesetzgebers. Bei der Novellierung des Schwerbehindertenrechts im Jahre 1974 sei zu dem früheren § 7 Schwerbehindertengesetz (SchwbG), der dem heutigen § 77 SGB IX entspreche, ausgeführt worden, als Arbeitsplätze im Sinne des Gesetze zählten nicht Arbeitsplätze inländischer Arbeitgeber im Ausland, auf denen Personen aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes auf Zeit oder Dauer beschäftigt würden (Hinweis auf BT-Drucks. 7/656, 27). Aus dieser Begründung ergebe sich der gesetzgeberische Wille, dass jedenfalls bei einer Beschäftigung im Ausland der Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX in einem räumlich-gegenständlichen Sinne als Beschäftigungsort zu verstehen sei, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zu erbringen habe. Befinde sich dieser Beschäftigungsort im Ausland, werde die Stelle bei der Ermittlung der Zahl der Arbeitsplätze nicht mitgezählt. Diese Ausnahme greife auch bei einer Beschäftigung im Wege der Personalüberlassung bei einem ausländischen Entleiher. Die bisherige Rechtsprechung des BVerwG bzw. Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) habe reine Inlandssachverhalte betroffen, bei denen inländische Verleiher die Arbeitskräfte für einen Einsatz in der Bundesrepublik an inländische Entleiher überlassen hätten; sie könne daher auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.04.2009 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 17.06.2008 für das Kalenderjahr 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2009 aufzuheben.

Der Vertreter der Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. In der bisher ergangenen Rechtsprechung sei festgestellt worden, es sei zulässig, in die Berechnung der Zahl der Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen auch die verliehenen Arbeitnehmer einzubeziehen. Maßgebend für die Beschäftigungspflicht sei allein, ob Arbeitsplätze aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung zur Verfügung gestellt würden, nicht entscheidend sei, ob diese Arbeitsplätze sich im eigenen Betrieb oder in anderen Betrieben befänden. Die genannte Gesetzesbegründung sei nicht nur durch Zeitablauf, sondern auch durch die zahlreichen Novellierungen des Schwerbehindertenrechts hinfällig. Maßgeblich für die Beschäftigungspflicht sei allein, ob Arbeitsplätze aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung zur Verfügung gestellt würden, unbeachtlich sei, ob diese Arbeitsplätze sich im eigenen Betrieb oder in anderen Betrieben befänden. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht sei nicht erkennbar. Soweit die Klägerin eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit rüge, sei zu berücksichtigen, dass der Standard der sozialen Sicherheit in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EG noch unterschiedlich ausgestaltet sei, so dass keine einheitlichen Verhältnisse bestünden.

Der Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Er ist ebenfalls der Auffassung, dass alle Arbeitnehmer der Klägerin bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe zu berücksichtigen seien, auch wenn sie im Wege der Personalüberlassung bei einem ausländischen Entleiher eingesetzt seien.

Mit Bescheid vom 10.06.2009 hat er gemäß § 77 Abs. 4 SGB IX die Ausgleichsabgabe auf 1.260,- EUR festgestellt. Dieser Bescheid ist Gegenstand eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (19 K 70/10).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist nicht zu beanstanden, denn entgegen der Auffassung der Klägerin sind für die Berechnung der Ausgleichsabgabe alle von ihr im Kalenderjahr 2006 beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig von ihrem Einsatzort zu berücksichtigen.

I. Der Senat hat den Landschaftsverband Rheinland nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen, da die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Er ist nämlich bei Erlass seines Feststellungsbescheides nach § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX an die im Bescheid der Beklagten vom 17.06.2008 getroffenen Feststellung gebunden.

Die gesetzliche Regelung geht von einer Selbstveranlagung des Arbeitgebers aus. Dieser hat bis zum 31.03. eines Folgejahres die Angaben zu machen, aus denen sich seine konkrete jahresdurchschnittliche Beschäftigungsquote im Vorjahr ergibt (§ 80 Abs. 2 SGB IX). Zugleich mit der Anzeige muss er an das zuständige Integrationsamt die evtl. anfallende Ausgleichsabgabe leisten (§ 77 Abs. 4 Satz 1 SGB IX). Erfüllt er seine Verpflichtung zur Anzeige bis zum 30.06. des Folgejahres nicht, erlässt die Bundesagentur für Arbeit "nach Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht" einen Feststellungsbescheid über die zur Berechnung der Zahl der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen und der besetzten Arbeitsplätze notwendigen Daten (§ 80 Abs. 3 SGB IX). Gleichzeitig ist das Integrationsamt bei einem Rückstand von mehr als drei Monaten verpflichtet, einen Bescheid über die rückständigen Beiträge zu erlassen und diese einzuziehen, § 77 Abs. 4 Satz 2 SGB IX. Wenn diese schon im Ansatz kaum verständliche Mitwirkung zweier Behörden bei der Erhebung der Ausgleichsabgabe nicht zu überflüssigem Verwaltungsaufwand und widersprüchlichen Ergebnissen führen soll, ist eine Auslegung geboten, dass bei nicht fristgemäßer Anzeige des Arbeitgebers die Agentur für Arbeit die für die Berechnung der Abgabe erforderlichen Feststellungen trifft und das Integrationsamt diese Angaben dann seinem Bescheid zur Beitreibung der Abgabe ohne eigene Prüfung zugrunde zu legen hat. Nur dann, wenn die Agentur für Arbeit die Anzeige des Arbeitgebers an das Integrationsamt weiterleitet, ohne selbst eigene Feststellungen zu treffen, kann das Integrationsamt die Angaben des Arbeitgebers eigenständig überprüfen.

Soweit die Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 122, 322) und des Bundessozialgerichts (BSG) (BSGE 74, 176; 85, 246; a.A. OVG Münster NZA - RR 2002, 632) zum früheren Schwerbehindertenrecht entschieden hat, dass Festellungsbescheide des (damaligen) Arbeitsamtes keine Bindung für die Entscheidung der (früheren) Hauptfürsorgestelle entfalten, ist dieser Rechtsprechung durch § 80 Abs. 3 SGB IX der Boden entzogen. Diese Rechtsprechung ging davon aus, dass die Feststellungen des Arbeitsamtes nur an die Stelle der Anzeige des Arbeitgebers treten und deren Funktion als Beweismittel übernehmen. Da sich diese Beweisfunktion nur auf Tat- und nicht auf Rechtsfragen erstrecken könne, hat das BSG (BSGE 85, 246) dem Arbeitsamt die Befugnis abgesprochen, einen Feststellungsbescheid zu erlassen, wenn der Arbeitgeber korrekte Angaben in tatsächlicher Hinsicht gemacht, jedoch eine unzutreffende rechtliche Bewertung vorgenommen hat. Bei Schaffung des SGB IX sind im Gesetzgebungsverfahren in § 80 Abs. 3 SGB IX die Worte "nach Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht" eingefügt worden, um in Abweichung von dieser Rechtsprechung "eine klare Abgrenzung der Zuständigkeit von Arbeitsamt und Integrationsamt" sicher zu stellen (BT-Drucks. 14/5800, 30). Die Bedeutung der Entscheidung der Arbeitsagentur ist durch diese Prüfungspflicht gesteigert worden. Da sie nunmehr die Angaben des Arbeitgebers auch in rechtlicher Hinsicht überprüfen darf, geht ihre Feststellung über die eines Beweismittels hinaus. Ihr Bescheid soll vielmehr nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers den (bei weiterer Nichtzahlung des Arbeitgebers) gegebenenfalls vom Integrationsamt noch zu erlassenden Bescheid insoweit vorbereiten, als die Zahl der Pflichtarbeitsplätze und der besetzten Arbeitsplätze festgestellt wird, auf deren Grundlage das Integrationsamt die Höhe der Abgabe nach § 77 Abs. 2 festzustellen hat. Bei der vom Gesetzgeber gewollten Abgrenzung der Zuständigkeit beider Ämter entfällt hinsichtlich der der Agentur für Arbeit übertragenen Feststellungen damit eine eigenständige Prüfungskompetenz der Integrationsämter (ebenso Goebel in juris-PK SGB IX § 77 Rdn. 22; Schneider in Hauck/Noftz, SGB IX § 77 Rdn. 10; KSW/Kohte, § 80 SGB IX Rdn. 23; a.A. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 28.10.2010 - 3 B 180/10, juris; wohl auch Berlit, juris, PR-BVerwG 10/2005, Anm. 2, der allerdings eine Bindungswirkung für "wünschenswert" hält). Da somit der Bescheid der Beklagten auch den Beigeladenen bindet, kann die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen (zweifelnd BSGE 74, 176).

II. Nach § 71 Abs. 1 SGB IX sind Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, wenigstens auf 5 % dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Als im Inland ansässiges Unternehmen unterliegt die Klägerin grundsätzlich dieser Verpflichtung.

1. a) Arbeitsplätze sind gemäß § 73 Abs. 1 SGB IX alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Wie schon aus dem Wortlaut hervorgeht ("beschäftigt werden") ist der Arbeitsplatz in diesem Sinne nicht räumlich-gegenständlich oder in arbeitstechnisch-funktionalem Sinn zu verstehen, sondern im rechnerischen Sinn. Die Beschäftigungspflicht nach § 71 SGB IX knüpft allein an die Zahl der bei dem Arbeitgeber vorhandenen Beschäftigungsverhältnisse an, also daran, ob aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden. Nicht entscheidend sind dagegen Art und Ort der (tatsächlichen) Verrichtung der Arbeit (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.10.2002, L 12 AL 3608/99; OVG des Saarlandes, a.a.O; Schneider in Hauck/Haines, SGB IX, § 73 Rdn. 4; Goebel, a.a.O., § 73 Rdn. 6; Joussen/Düwell a.a.O., § 73 Rdn. 2;). Maßgeblich für die Beschäftigungspflicht ist also allein, ob aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden. Bei gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung bestehen arbeitsvertragliche Beziehungen allein zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer. Der Leiharbeitnehmer unterliegt dessen Weisungen, umgekehrt treffen den Verleiher die sich aus der Arbeitgeberstellung folgenden Pflichten. Auch wenn der Leiharbeitnehmer tatsächlich in den Betrieb des Entleihers eingegliedert ist, liegt der Schwerpunkt auf den arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer. Dieser bleibt nach § 14 Abs. 1 AÜG auch während seiner Arbeitsleistung beim Entleiher Angehöriger des entsendenden Betriebes. Somit ist der Leiharbeitnehmer im Sinne des § 73 Abs. 1 SGB IX allein auf einem Arbeitsplatz des Verleihers untergebracht und somit bei der Zahl der bei diesem vorhandenen Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Diese sowohl höchstrichterlich (BSGE 74, 176; BVerwGE 115, 112; s. a. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.) als auch in der Literatur (vgl. Goebel, a.a.O., Rn. 15; Joussen/Düwell, a.a.O. Rn. 27; Knittel, SGB IX-Kommentar, 4. Aufl. § 73 Rdn. Zb) unbestrittene Zuordnung wird von der Klägerin auch grundsätzlich nicht in Frage gestellt.

b) Entgegen ihrer Auffassung sind bei der Ermittlung der Arbeitsplätze auch die Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, die bei ausländischen Entleihern eingesetzt sind. Zwar trifft im Ausgangspunkt der Hinweis der Klägerin zu, dass nur inländische Arbeitsplätze zählen. Bei der Novellierung des Schwerbehindertenrechts im Jahr 1974 hat der Gesetzgeber zu § 7 SchwbG ausgeführt, da der Geltungsbereich des Gesetzes nach dem Territorialitätsprinzip sich auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränke, zählten als Arbeitsplätze im Sinne des Gesetzes nicht Arbeitsplätze inländischer Arbeitgeber im Ausland, auf denen Personen im Geltungsbereich dieses Gesetzes auf Zeit oder auf Dauer beschäftigt würden (BT-Drucks. 7/656, 27). Anders als die Beklagte meint, gilt diese Aussage auch für § 73 SGB IX, da der Gesetzgeber insoweit inhaltsgleich die frühere Regelung des § 7 SchwbG übertragen hat (vgl. BT-Drucks. 14/5074, 112). Auch in der Literatur wird darauf hingewiesen, dass Stellen, auf denen deutsche Arbeitnehmer im Ausland beschäftigt werden, keine Arbeitsplätze im Sinne des § 73 SGB IX sind (vgl. Goebel, a.a.O. Rdn. 8; Schneider, a.a.O.).

Die Schlussfolgerung der Klägerin, es komme nach der Gesetzesbegründung bei einer Tätigkeit somit auf den Ort dieser Tätigkeit an, so dass eine Beschäftigung im Ausland, gleichgültig ob sie aufgrund eines "unmittelbaren" Arbeitsverhältnisses erfolge oder im Wege der Arbeitnehmerüberlassung, nicht im Rahmen des § 73 Abs. 1 SGB IX zu berücksichtigen seien, hält der Senat für unzutreffend. Maßgeblich für die Beschäftigungspflicht und die daran anknüpfende Ausgleichsabgabe ist allein, ob im Inland Beschäftigungsverhältnisse begründet werden. Der Arbeitgeber muss aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt haben. Dem gegenüber ist der Ort der tatsächlichen Verrichtung der Arbeit irrelevant, da der Begriff des Arbeitsplatzes nicht räumlich-gegenständlich zu verstehen ist. Ein im Rahmen des § 73 Abs. 1 SGB IX nicht zu berücksichtigender ausländischer Arbeitsplatz läge allenfalls vor, wenn arbeitsvertraglich ein ausschließlicher Einsatz im Ausland vereinbart wäre (unklar insoweit Goebel, a.a.O. Rdn. 8, der auch bei einer Entsendung das Bestehen eines Arbeitsplatzes verneinen will, wobei aber etwas anderes gelten soll, wenn der Stammarbeitsplatz im Inland bestehen bleibt und der Arbeitnehmer nach kurzfristigen Einsätzen im Ausland immer wieder an diesen zurückkehrt. Die Entsendung im Sinne des § 4 Viertes Buch Sozialgesetzbuch setzt aber neben dem Fortbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gerade einen solchen zeitlich begrenzten Einsatz im Ausland voraus). Anders ist es aber wenn - wie hier - ein Leiharbeitsunternehmen im Inland Beschäftigte einstellt und diese sowohl im Inland als auch im Ausland verleiht. Die Klägerin hat aufgrund der von ihr geschlossenen Verträge die Befugnis, die Arbeitnehmer sowohl im Inland als auch im Ausland (Belgien, Niederlande) einzusetzen. Es ist insoweit auch irrelevant, dass tatsächlich die Mehrzahl der Leiharbeitnehmer im Ausland eingesetzt wird. Da Leiharbeitsverhältnisse rechtlich dem entleihenden Unternehmer zuzurechnen sind, besteht nur ein inländischer Arbeitsplatz unabhängig vom tatsächlichen Ort der Arbeitsleistung (so auch OVG des Saarlandes, a.a.O.). Wenn die Klägerin von einer "Beschäftigung" ihrer Arbeitnehmer im Ausland spricht, vermengt sie rechtliche und tatsächliche Aspekte. Beschäftigt im Rechtssinne sind die Arbeitnehmer allein im Inland, sie verrichten nur die tatsächliche Arbeitsleistung im Ausland.

2. § 73 Abs. 1 SGB IX ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Beschäftigungspflicht und die darin anknüpfende Ausgleichsabgabe sind verfassungsgemäß, wie das BVerfG mehrfach entschieden hat (grundlegend BVerfGE 57, 139; zuletzt Kammerbeschlüsse vom 01.10.2004 - NZA 2005, 102, und vom 10.11.2004 - NZA 2005, 216). Die Vorschrift ist auch mit Europarecht vereinbar. Das BVerwG hat einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (früher Art. 49 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der seit 1.5.1999 geltenden Fassung des Vertrages von Amsterdam(EGV), jetzt Art. 56 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) mit dem zutreffenden Hinweis verneint, die Dienstleistungsfreiheit garantiere nicht die gleichen Bedingungen in allen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft. Sie schütze lediglich vor unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit. Soweit Beschäftigungsverhältnisse, die nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes begründet worden seien, außer Betracht blieben und damit Leiharbeitgeber, die ihren Sitz im europäischen Ausland haben, ihre Leiharbeitnehmer aber im Inland verleihen, ausgleichsabgabefrei blieben, führe dies allenfalls zu einer sogenannten Inländerdiskriminierung, die europarechtlich irrelevant sei. Insoweit liege auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, denn die Beschäftigungspflicht gelte für alle Arbeitgeber im Inland ohne Ansehung ihrer Nationalität und zum anderen gewährleiste Art. 3 Abs. 1 GG keine Gleichbehandlung von deutschen und ausländischen Arbeitsverhältnissen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Rechtsprechung im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung nicht maßgeblich sein soll, da entscheidend für das Bestehen der Beschäftigungspflicht allein die Einrichtung inländischer Arbeitsplätze ist. Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV, jetzt Art. 49 AEUV) und einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EGV, jetzt Art. 18 AEUV) rügt, vermag der Senat ihre Argumentation nicht nachzuvollziehen. Die Klägerin wird lediglich als im Inland ansässiges Unternehmen den deutschen Vorschriften unterworfen. Diese können aufgrund des Territorialitätsprinzips für die im Ausland ansässigen Unternehmen nicht gelten. Worin in dieser Rechtsfolge eine Diskriminierung oder Beschränkung der Niederlassungsfreiheit liegen soll, erschließt sich nicht. Es ist fernliegend, dass ein inländischer Arbeitnehmer die Nichtanwendung deutscher Schutzvorschriften allein deshalb fordern kann, weil ein im Ausland ansässiger Mitkonkurrent nicht diesen Vorschriften unterliegt. Irrelevant ist auch, dass die Leiharbeitnehmer in den Niederlanden statistisch dem Betrieb des Entleihers zugerechnet werden und dieser bei einer Beschäftigung Steuervorteile genießt. Für die die Klägerin treffende Beschäftigungspflicht ist dies irrelevant, sie ist als inländische Arbeitgeberin verpflichtet, Arbeitsplätze auch für schwerbehinderte Menschen zur Verfügung zu stellen.

Somit sind alle Arbeitnehmer der Klägerin im Rahmen des § 73 Abs. 1 SGB IX zu berücksichtigen. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid eine jahresdurchschnittliche Arbeitsplatzzahl von 38 (Jahressumme 456) festgestellt. Hiervon ausgehend hatte die Klägerin nach § 71 Abs. 1 Satz 2 SGB IX jahresdurchschnittlich je Monat einen schwerbehinderten Menschen, mithin im Kalenderjahr 2006 zwölf, zu beschäftigen. Tatsächlich hat die Klägerin nach den im Widerspruchsverfahren mitgeteilten Zahlen im Kalenderjahr 2006 sogar 497 Arbeitnehmer, mithin jahresdurchschnittlich 41,42, beschäftigt, so dass tatsächlich sogar eine weitergehende Beschäftigungspflicht bestanden hätte. Durch die unzutreffende Feststellung der Beklagten wird die Klägerin aber nicht beschwert. Da die Klägerin keinen schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigt hat, beträgt die Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB IX 105,- EUR je Monat und unbesetztem Arbeitsplatz, mithin 1.260,- EUR. Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, insbesondere hat der Rechtsstreit angesichts der eindeutigen Rechtslage keine grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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