L 3 R 19/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 19 (11) R 8/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 19/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 68/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf Rev. d.Bekl. wird Urteil des LSG vom 21.02. aufgehoben!!!.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG DT wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10.12.2007 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2006 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.06.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.01.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 00.00.1954 in der Türkei geborene Klägerin hat nach eigenen Angaben weder eine Schule besucht noch eine Berufsausbildung absolviert. Nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im August 1978 war die Klägerin von November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend bei der Stadt C. als Reinigungskraft beschäftigt.

Nachdem die Klägerin in der Zeit vom 08.03.2005 bis zum 05.04.2005 im N. Klinikum für Rehabilitation, Bad T., eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt hatte, aus der sie wegen einer somatisierten Depression im Bild einer chronisch rechtsseitigen Lumboischialgie, Insomnie und Übergewicht als leistungsunfähig für ihre zuletzt verrichtete Tätigkeit als Reinigungskraft und für körperlich leichte Arbeiten entlassen worden war, beantragte sie am 21.06.2005 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Einholung von Befundberichten des Orthopäden Dr. U. und des Allgemeinmediziners F. ließ die Beklagte die Klägerin von der Internistin Dr. C. und dem Orthopäden Dr. N. untersuchen und begutachten. Diese Ärzte diagnostizierten in ihren Gutachten vom 02.09.2005 bzw. 31.08.2005 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine leichtgradige depressive Episode, wiederholte Rücken-Beinschmerzen bei Verschleißerscheinungen des Achsorgans mit Bandscheibenschädigungen der Wirbelsäule und Übergewichtigkeit und hielten die Klägerin nicht mehr für in der Lage, die Tätigkeit einer Reinigungskraft zu verrichten. Sie könne nur noch körperlich leichte Arbeiten zeitweise im Gehen oder Stehen, überwiegend im Sitzen, unter Witterungsschutz 6 Stunden und mehr täglich verrichten. Nicht möglich seien Tätigkeiten in Zwangshaltungen, über Kopf, mit ungefederten Ganzkörpererschütterungen, Besteigen von Leitern oder Gerüsten, häufigem Knien und Bücken, Kälte, Nässe, Zug, Zeitdruck, stressreichem Publikumsverkehr, psychischen Belastungen und erhöhten Anforderungen an die Umstellungsfähigkeit. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.09.2005 den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Hinweis auf das Ergebnis ihrer Begutachtung ab. Zur Begründung ihres Widerspruchs vom 29.09.2005 führte die Klägerin aus, dass sie seit September 2004 wegen einer ausgeprägten Schmerzsymptomatik arbeitsunfähig sei. Ihre behandelnden Ärzte hielten eine Besserung nicht für möglich. Ihr Leistungsvermögen sei aufgehoben, zumindest aber vermindert. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.01.2006 mit der Begründung zurück, dass das Vorbringen der Klägerin zu keiner Änderung der bisherigen Feststellungen führe, da konkrete neue Tatsachen nicht benannt worden seien.

Mit ihrer am 13.01.2006 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe wiederkehrende Schmerzen im Bereich des ganzen Körpers. Die Beschwerden bestünden seit mehreren Jahren und seien trotz aller therapeutischen Versuche kaum beeinflussbar. Die von der Beklagten durchgeführte Beweiserhebung sei unzureichend gewesen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Dr. P. vom 21.03.2006 und eines nervenärztlichen Gutachtens des Dr. D. vom 05.04.2006. Die Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin wegen der Gesundheitsstörungen dauerhaftes, pseudoradikuläres, muskelassoziiertes Schmerzsyndrom der rechten Körperhälfte, geringfügige Scheuermann-Residuen der BWS ohne Funktionsminderung, somatoforme Schmerzstörung, Dysthymie, pseudoradikuläres LWS-Syndrom bei Bandscheibenvorfall L4/5 medial und L5/S1 paramedian links nur noch in der Lage sei, körperlich leichte Arbeiten mit Tragen und Heben von Lasten von maximal 10 kg, im Gehen, Stehen oder Sitzen, in gelegentlich gebeugter Haltung, mit gelegentlichem Bücken und Knien, gelegentlichen Zwangshaltungen und mit gelegentlichem Besteigen von Leitern, zeitweise im Freien mit Nässe-, Kälteeinwirkung, Zugluft, Temperaturwechsel sowie zeitweise unter Einwirkung von Hitze, Staub, Gas, Dampf oder Rauch vollschichtig unter betriebsüblichen Bedingungen regelmäßig an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Arbeiten unter Zeitdruck oder sonstigem Stress sowie Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr oder in Wechselschicht einschließlich Nachtschicht seien nicht möglich. Die Gehfähigkeit sei nicht deutlich eingeschränkt. Die Klägerin könne öffentliche Verkehrsmittel auch zur Hauptverkehrszeit benutzen.

Nachdem die Klägerin ein Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit C. vom 21.03.2006 vorgelegt hatte, in dem ein Restleistungsvermögen von unter 3 Stunden täglich festgestellt worden war, hat das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C1 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 28.11.2006 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine dissoziative Sensibilitätsstörung sowie ein pseudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorfall L4/5 medial und L5/S1 paramedian links diagnostiziert und die Klägerin auf Grund der Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet für leistungsunfähig gehalten. Die Einschränkungen in den normalen Alltagsfunktionen seien von der Klägerin und ihrer Tochter glaubhaft dargestellt worden. Aufgrund des Lendenwirbelsäulensyndroms könne die Klägerin nur noch leichte körperliche Arbeiten in gelegentlich gebeugter Haltung, mit gelegentlichem Bücken oder Knien und gelegentlichen Zwangshaltungen ausführen.

In seiner vom Sozialgericht eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 19.02.2007 hat Dr. D. ausgeführt, dass er der Einschätzung des Sachverständigen Dr. C1 zur Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht folgen könne. Bei im Wesentlichen übereinstimmenden Diagnosen sei nur schwer nachzuvollziehen, dass Dr. C1 von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgehe. Dr. C1 habe sich hauptsächlich auf die subjektiven Angaben der Klägerin und auf die fremdanamnestischen Angaben der Tochter gestützt, ohne diese anhand der objektiven Befunde kritisch zu diskutieren.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.12.2007 abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 16.01.2008 zugestellte Urteil am 25.01.2008 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren - unter Hinweis auf das Gutachten des Dr. C1 - weiter verfolgt. Sie ist der Ansicht, dass das zuletzt von Dr. C1 erstellte Gutachten weitere Erkrankungen und Beschwerdebilder beinhalten könne, die Dr. P. und Dr. D. bisher übersehen hätten. Auch den Feststellungen des behandelnden Orthopäden Dr. U. sei gegenüber den Beurteilungen dieser Ärzte höheres Gewicht beizumessen. Sie beruhten auf jahrelanger Untersuchung und Behandlung und seien geeignet, die Standardbegutachtungen der Drs. D. und P. zu widerlegen beziehungsweise zu entkräften. Ergänzend trägt die Klägerin vor, dass sie in der Türkei keine Schule besucht habe und nicht mehr als ihren Namen schreiben könne. Einzelne Wörter könne sie nur lesen, wenn sie in Großbuchstaben geschrieben seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10.12.2007 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2006 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie ist der Auffassung, dass auf Grund der Angaben der Klägerin in der N. Klinik für Rehabilitation und gegenüber den Sachverständigen nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie muttersprachliche Analphabetin sei. Die Klägerin habe angegeben, dass sie sich mit Hilfe der Kinder etwas Schreiben und Lesen beigebracht habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass wegen eines Analphabetismus der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, könne die Klägerin unter Beachtung ihres von den Sachverständigen festgestellten Leistungsvermögens die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortierin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie verrichten. Zur Stützung ihres Vortrages hat die Beklagte ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17.03.2004, Az: L 3 RJ 4937/03, eine Auskunft des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg vom 08.08.1997 aus dem Verfahren L 8 J 262/97, Urteile des LSG Baden-Württemberg und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.06.2005 (Az: L 13 RJ 52/04) sowie vom 26.02.2008 (Az: L 18 R 225/06) vorgelegt.

Der Senat hat zunächst Befundberichte des Orthopäden Dr. U. und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C.3 eingeholt und sodann den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.01.2009 wiederkehrende Schmerzen im Bereich des Achsenskeletts ohne neurologische Ausfallerscheinungen, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine gering ausgeprägte depressive Symptomatik diagnostiziert und die Klägerin für in der Lage gehalten, körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, in geschlossenen Räumen, geistig einfach, mit durchschnittlichen Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten sechs Stunden und mehr am Tag regelmäßig an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten. Nicht möglich seien Tätigkeiten im Knien, Hocken, mit häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechselschicht und Nachtschicht, mit zeitlichen Druck wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit oder mit häufigem Publikumsverkehr.

Ferner hat der Senat den Sachverständigen I., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Alphabetisierung und Grundbildung e.V., mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob die Klägerin Analphabetin ist, beauftragt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 09.02.2010 zu der Feststellung gelangt, dass die Klägerin in Bezug auf ihre Muttersprache primäre Analphabetin sei. Sie sei des Lesens und Schreibens in keiner Weise mächtig und besitze nur minimale Buchstabenkenntnisse. Die Klägerin könne Gegenstände, die als Strichzeichnung symbolisiert seien, und einige Logos erkennen. Begriffe wie "Rechteck", "Kreis", und "Oval" seien ihr nicht bekannt. Sie schaffe es, vorgegebene Linien und Umrisse mit dem Stift nachzufahren und teilweise daneben zu wiederholen. Sie könne nur wenige Buchstaben benennen, jedoch keine Zahlen. Es sei ihr nicht bekannt, dass es Groß- und Kleinbuchstaben, Druck- und Schreibschrift gebe. Der Klägerin gelinge es auch mit (fremder) Hilfe nicht, leichte türkische Wörter zu lesen. Sie könne allerdings den Großbuchstaben "A" im Wort Ali lesen. Auch gelinge ihr nicht, Laute zu erkennen und in Buchstaben zu übertragen. Auf den übrigen Inhalt des Sachverständigengutachtens wird Bezug genommen.

Der Senat hat Auszüge aus dem "BERUFENET" der Bundesagentur für Arbeit zu dem Beruf der Büglerin, einen Vermerk der Bundesagentur für Arbeit zum Anforderungsprofil von Küchenhilfen (Az 5070/5073), das berufskundliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. vom 30.12.2004 aus dem Verfahren S 12 RJ 156/03, SG Gelsenkirchen, Auskünfte der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen, und verschiedener Arbeitgeber, erteilt in den Verfahren L 8 RJ 117, LSG NRW, und S 25 (7) RJ 20/04, SG Duisburg, zur Frage des Bestehens von Arbeitsplätzen für Analphabeten zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten (Az: 1311 070454 T 550) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 22.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2006 verletzt die Klägerin gem. § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten, denn der Bescheid ist rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung(auf Zeit).

Nach § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung) - SGB VI - haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (§ 43 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI), in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt (§ 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI).

Die Klägerin, die unstreitig die allgemeine Wartezeit zurückgelegt hat und auch die sog. besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gem. § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI erfüllt, ist voll erwerbsgemindert. Sie ist zwar nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen noch in der Lage, täglich sechs Stunden und mehr - unter Einschränkungen - einer körperlich leichten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Klägerin hat gleichwohl Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil ihr der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen ist, denn es sind keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres auf körperlich leichte Arbeiten beschränkten Restleistungsvermögens unter Berücksichtigung ihres muttersprachlichen Analphabetismus und ihrer übrigen Leistungseinschränkungen noch verrichten kann.

Gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI ist teilweise erwerbsgemindert, wer wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Über die (gesetzliche) Definition des Versicherungsfalls der vollen Erwerbsminderung hinaus sind auch die Versicherten voll erwerbsgemindert, die noch einer Erwerbstätigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich nachgehen können und damit den Tatbestand der teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI erfüllen, ihnen der Arbeitsmarkt jedoch praktisch verschlossen ist, weil sie mangels Vermittelbarkeit eines ihrem Restleistungsvermögen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatzes arbeitslos sind. Wie nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Rechtslage ist die konkrete Arbeitsmarktsituation arbeitsloser Teilzeitkräfte nämlich auch im Rahmen des § 43 SGB VI zu berücksichtigen (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 43 SGB VI Rdnr. 30 m.w.N.). Erwerbsgemindert ist demgegenüber gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer zumindest sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann. Bei diesem Personenkreis ist die Arbeitsmarktlage für den Rentenanspruch grundsätzlich ohne Bedeutung. Diese Voraussetzungen sind im Ergebnis erfüllt.

Die Klägerin ist allerdings - wie erwähnt - noch fähig, einer körperlich leichten Erwerbstätigkeit regelmäßig 6 Stunden täglich (und mehr) nachzugehen, was nach § 43 Abs. 3 SGB VI grundsätzlich einer rentenrechtlich bedeutsamen Erwerbsminderung entgegensteht. Volle Erwerbsminderung liegt gleichwohl auch bei Versicherten vor, die noch 6 Stunden täglich arbeiten, ihr Restleistungsvermögen jedoch nicht gewinnbringend im Erwerbsleben umsetzten können, weil es für sie keine Arbeitsplätze (mehr) gibt, die sie unter Berücksichtigung ihrer übrigen Leistungseinschränkungen und ihrer ihr Restleistungsvermögen mindernden Wesenseigentümlichkeiten noch vollwertig ausfüllen können. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet. Dennoch ist sie - wenn auch unter Einschränkungen - noch in der Lage, eine körperlich leichte Tätigkeit regelmäßig an fünf Tagen in der Woche sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Im Hinblick auf das Restleistungsvermögen der Klägerin folgt der Senat dabei den Beurteilungen der im Klage- und Berufungsverfahren von Amts wegen eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. P. vom 05.04.2006, Dr. D. vom 11.04.2006 und Dr. L. vom 12.01.2009 und der im Verwaltungsverfahren von der Beklagten eingeholten und im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten der Dr. C. vom 02.09.2005 und des Dr. N. vom 31.08.2005. Zweifel an der Richtigkeit der Leistungsbeurteilung der Sachverständigen hat der Senat nicht. Als Fachärzte auf dem Gebiet der Orthopädie, Neurologie, Psychiatrie und Innere Medizin sind die Sachverständigen in der Lage, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben zutreffend festzustellen. Sie sind aufgrund eingehender Untersuchungen der Klägerin und sorgfältiger Befunderhebungen unter Berücksichtigung der übrigen im Untersuchungszeitpunkt vorliegenden medizinischen Unterlagen zu ihrer Beurteilung gelangt. Ihre Einschätzung des Restleistungsvermögens der Klägerin ist vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde schlüssig, in sich widerspruchfrei und überzeugend.

Der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin durch den Sachverständigen Dr. C.1 vermag sich der Senat hingegen nicht anzuschließen. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die von Dr. C.1 gestellte Diagnose einer dissoziativen Sensibilitätsstörung, deren Vorliegen der Sachverständige Dr. L. verneint, zutrifft denn Dr. C.1 hat seine Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin mit den von ihr geschilderten Einschränkungen in den Alltagsfunktionen und nicht mit spezifischen Einschränkungen auf Grund einer dissoziativen Sensibilitätsstörung begründet. Das Gutachten des Dr. C.1 vermag insbesondere deshalb nicht zu überzeugen, weil er seine Leistungsbeurteilung offenbar auf die subjektiven Angaben der Klägerin und auf die fremdanamnestischen Angaben der Tochter stützt, ohne diese anhand der objektiven Befunde kritisch zu würdigen. Die Angaben der Klägerin hätten jedoch hinterfragt werden müssen, zumal sie nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. L. zur Verdeutlichung ihrer Beschwerden neigt.

Der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin durch die Sachverständigen Dr. P., Dr. D. und Dr. L. stehen auch nicht die Feststellungen der behandelnden Ärzte Dr. U. und Dr. C. entgegen, die Klägerin sei nicht mehr zur Verrichtung leichter Tätigkeiten in der Lage. Diese Leistungseinschätzung ist bei im Wesentlichen gleichen Befunden und Diagnosen ohne weitere Begründung seitens der behandelnden Ärzte nicht nachvollziehbar.

Trotz der bei ihr vorliegenden Leistungsfähigkeit für eine mindestens sechsstündige körperlich leichte Tätigkeit ist die Klägerin voll erwerbsgemindert, denn es liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor und eine Verweisungstätigkeit ist nicht ersichtlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann auch - wie im Falle der Klägerin - bei verbliebener Fähigkeit des Versicherten, noch vollschichtig bzw. 6 Stunden täglich zu arbeiten, volle Erwerbsminderung bestehen. Üblicherweise ist zwar bei Versicherten, die nicht mehr zu körperlich schweren, aber noch 6 Stunden täglich zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage sind, die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit, welche sie noch ausüben können, nicht erforderlich. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Darunter fallen nach der Rechtsprechung des BSG nicht die "üblichen" Leistungseinschränkungen wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, im Akkord oder Schichtdienst verrichtet werden oder besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen erfordern (vgl BSG Urteil vom 1. März 1984 - 4 RJ 43/83 - SozR 2200 § 1246 Nr 117). Anerkannt sind dagegen nach der Rechtsprechung des BSG z.B. besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz, in Verbindung mit anderen Einschränkungen die Erforderlichkeit, zwei zusätzliche Arbeitspausen von je 15 Minuten einzulegen, Einschränkungen der Arm- und Handbewegung, die Notwendigkeit eines halbstündigen Wechsels vom Sitzen zum Gehen oder Analphabetismus. Der Grund für die Benennungspflicht liegt darin, dass der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen gibt, bzw. "ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist" (BSG, Urteil vom 20.10.2004, Az: B 5 RJ 48/03 R).

Die Klägerin ist auf Grund der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen in ihrer Leistungsfähigkeit insoweit eingeschränkt, als sie Tätigkeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechselschicht und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit sowie mit häufigem Publikumsverkehr nicht mehr verrichten kann. Der Senat schließt sich auch insoweit der überzeugenden Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin durch die Sachverständigen Dr. P., Dr. D., Dr. L. und die Gutachter Dr. C.2 und Dr. N. an.

Diese bei der Klägerin vorliegenden Leistungseinschränkungen, die - der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG in der o.a. Entscheidung im Ergebnis folgend - sämtliche nicht ungewöhnlich sind, lassen für sich allein nicht ernstliche Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar ist. Jedoch engt der bei der Klägerin vorliegende Analphabetismus das noch mögliche Arbeitsfeld erheblich ein.

Auch wenn den Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Analphabetismus nicht eindeutig entnommen werden kann, ob - mit der Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit - eine sog. Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bereits anzunehmen ist, wenn das auf leichte Arbeiten beschränkte Restleistungsvermögen des Versicherten zusätzlich (ausschließlich) durch seinen Analphabetismus eingeschränkt ist oder ob ein Summierungsfall erst dann anzunehmen ist, wenn neben dem Analphabetismus weitere (nicht ungewöhnliche) Leistungseinschränkungen vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 13.05.1999 B 13 RJ 71/97 R; vgl. auch Loytved, NZS, 99, 276) oder ob es hierfür zwingend ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bedarf, sieht sich der erkennende Senat im Hinblick auf die neben dem Analphabetismus bei der Klägerin vorliegend zahlreichen weiteren Einschränkungen und der hierdurch begründeten Zweifel an der Verwertbarkeit ihres Restleistungsvermögens im Erwerbsleben verpflichtet, eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen.

Der nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus ist nämlich bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erfordern, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offen steht (BSG, Urteil vom 10.12.2003, Az: B 5 RJ 64/02 R). Speziell mit Blick auf die bereits hierdurch eingeschränkte Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist die Kenntnis des Lesens und Schreibens im Rahmen der Feststellung der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen, denn eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setzt voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspricht, wodurch sichergestellt wird, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolgt. In diesem Zusammenhang sind alle berufsrelevanten Kenntnisse und Fertigkeiten des Versicherten, wozu auch die Kenntnis des Lesens und Schreibens zählt (BSG, Urteil vom 10.12.2003, aaO), zu berücksichtigen.

Zweifel daran, dass die Klägerin Analphabetin ist, hat der Senat nicht. Der Senat folgt insoweit den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen I., Geschäftsführer des Bundesverbandes der Alphabetisierung und Grundbildung e.V., in seinem Gutachten vom 09.12.2010. Das Gutachten beruht auf einer umfassenden Befragung und Testung der Klägerin. Hiernach besitzt die Klägerin nur minimale Buchstabenkenntnisse und kann nur wenige Buchstaben und keine Zahlen benennen. Sie weiß nicht, dass es Groß- und Kleinbuchstaben, dass es Druck- und Schreibschrift gibt. Der Klägerin kann auch nicht mit fremder Hilfe leichte türkische Wörter lesen. In dem Wort Ali konnte sie nur den Großbuchstaben "A" lesen. Auch einfache Wörter kann sie nicht selbst schreiben. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin vorhandenes Wissen verheimlicht, sind nicht erkennbar. Der Auffassung der Beklagten, dass sich das Vorliegen von Analphabetismus nicht bestätigt habe, weil die Klägerin eine Lesefähigkeit in der türkischen Sprache besitze und offen geblieben sei, ob sie Zahlen lesen könne, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Sachverständigen I. hat festgestellt, dass die Klägerin den überwiegenden Teil der Buchstaben nicht erkennen kann und lediglich die Buchstaben "s, A und M" erkennt. Den Buchstaben D erkennt sie als "Dogan" und nicht als isolierten Buchstaben. Auch kann sie selbst das einfache Wort Ali nicht lesen, sie erkennt nur den Buchstaben "A". Der Umstand, dass die Klägerin nur diese wenigen Buchstaben erkennen kann, schließt aus, dass sie des Lesens mächtig ist. Schließlich hat der Sachverständige auch festgestellt, dass die Klägerin Zahlen nicht erkennen kann.

Der Beurteilung des Sachverständigen I. steht nicht entgegen, dass die Klägerin zuvor erklärt hat, dass sie sich selbst Schreiben und Lesen beigebracht habe, als ihre Kinder in Deutschland in die Schule gegangen seien (so gegenüber Dr. C.1), dass sie ein "bisschen" lesen und schreiben könne, wobei sich das Lesen auf die türkische Sprache beschränke (so gegenüber Dr. L.), und dass sie im Rahmen eines Türkischkurses ihrer Kinder während deren Schulausbildung versucht habe, schreiben und lesen zu lernen, ohne jedoch mehr als ihren Namen schreiben und einzelne Wörter lesen zu können, wenn sie in Großbuchstaben geschrieben seien (so in der mündlichen Verhandlung am 17.08.2009). Der Vortrag der Klägerin gegenüber den Sachverständigen Dres. C.1 und L. lässt keinen Rückschluss auf ihre tatsächlichen Lese- und Schreibfähigkeiten zu. Hinterfragt wurden diese Angaben nicht. Der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, sie könne nicht mehr als ihren Namen schreiben, entspricht den Feststellungen des Sachverständigen I. Aber selbst ihren Namen konnte die Klägerin nicht richtig schreiben, denn sie hat sowohl den Buchstaben G als auch den Buchstaben N nicht zutreffend schriftlich abbilden können. Soweit die Klägerin angegeben hat, dass sie Worte lesen könne, wenn sie in Großbuchstaben geschrieben seien, ist dies durch die Feststellungen des Sachverständigen I. widerlegt. Die Lesefähigkeit von Worten in Großbuchstaben haben die Sachverständigen zwar nicht geprüft. Jedoch konnte die Klägerin nur wenige Großbuchstaben erkennen, so dass nicht angenommen werden kann, dass sie einzelne in Großbuchstaben geschriebene Worte lesen kann.

Eine Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den ihr verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten kann, ist nicht ersichtlich. Die von der Beklagten benannten Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortierin, in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie kann die Klägerin nicht mehr ausüben.

Eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Mangel oder als Büglerin kann die Klägerin nicht mehr bewältigen, denn diese Tätigkeiten werden nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auszügen aus dem "BERUFENET" der Bundesagentur für Arbeit im Gehen und Stehen verrichtet und sind aufgrund des feuchten und heißen Klimas in Wäschereien mit Belastungen durch Hitze, Nässe und Feuchtigkeit verbunden. Derartige Arbeiten sind der Klägerin nach den Feststellungen der medizinischen Sachverständigen jedoch nicht mehr zumutbar. Auch erfordern diese Tätigkeit das Heben und Tragen größerer Gewichte (z.B. Wäschekörbe), was der Klägerin ebenfalls nicht mehr möglich ist.

Ebenso wenig ist die Klägerin als Küchenhilfe/Mitarbeiterin in einer Großküche einsetzbar. Nach einer Auskunft des ehemaligen Landesarbeitsamtes NRW (heute: Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion NRW) vom 13.09.2001 sind die Arbeitsplätze für Küchenhilfen in der Regel mit Lesen, Schreiben und Rechnen und zumindest gelegentlich mit mittelschweren bis schweren Arbeiten verbunden. Arbeitsplätze, an denen lediglich körperlich leichte Tätigkeiten anfallen, erfordern vermehrt Lese- und Schreibkenntnisse. Entgegen der Auffassung der Beklagten beschränkt sich die Tätigkeit als Küchenhilfe in der Regel auch nicht auf das Putzen von Gemüse, Schmieren von Brötchen oder die Ausgabe von Essen. Nach den vom Landesarbeitsamt eingeholten Auskünften verschiedener Einrichtungen ist das Arbeitsfeld einer Küchenhilfe größer und umfasst u.a. auch Reinigungsarbeiten, Spülen sowie teilweise Kassiertätigkeiten. Derartige Arbeiten kann die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen jedoch nicht verrichten, da es sich um mittelschwere/schwere Tätigkeiten (Reinigungsarbeiten) oder Tätigkeiten mit Publikumsverkehr (Kassieren, Essensausgabe) handelt.

Eine Verweisung auf die Tätigkeit als Museumswärterin scheidet schon deshalb aus, weil es sich um eine Tätigkeit mit häufigem Publikumsverkehr handelt und der Klägerin ein häufiger Umgang mit Publikum auf Grund der bei ihr vorliegenden Erkrankungen nicht möglich ist. Den Ausführungen in dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17.03.2004, auf das sich die Beklagte in diesem Zusammenhang stützt, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Unterscheidung des LSG Baden-Württemberg zwischen Arbeiten vor Publikum und Tätigkeiten durch die Inanspruchnahme von Publikum in Bezug auf eine Tätigkeit als Museumswärter überzeugt nicht. Es mag zuvor zutreffen, dass Museumswärter nicht ständig persönlichen Kontakt mit den Besuchern haben, jedoch müssen sie den Besuchern Auskunft geben und sich im Bedarfsfall auch mit Besuchern auseinander setzen (Ermahnen, etc). Sie sind ggf. auch während einer ganzen Schicht vor Menschen tätig und somit dauerhaft dem Publikum ausgesetzt. Im Übrigen ist die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar, denn die Versicherte in dem dortigen Streitverfahren konnte noch Arbeiten mit Publikumsverkehr verrichten. Zweifel daran, dass die Klägerin den Tätigkeiten als Museumswärterin gewachsen ist, ergeben sich schließlich auch deshalb, weil es nach der Auskunft des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg vom 08.08.1997 (L 8 J 262/97, LSG Baden-Württemberg) möglich ist, dass Museumswärter im Schichtdienst zum Einsatz kommen. Wechselschichtbelastungen kann die Klägerin jedoch nicht mehr bewältigen.

Eine Verweisung der Klägerin auf eine Tätigkeit als Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie - unter Hinweis auf das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.06.2005, Az: L 13 RJ 52/04 - scheidet ebenfalls aus. Auch in der Kunststoff- und Metallindustrie sind Tätigkeiten, die Lese- und/oder Schreibkenntnisse nicht erfordern, nicht vorhanden. In der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des 13. Senats des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.06.2005 bezieht sich dieser auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. vom 30.12.2004. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass in der Kunststoff- und Metallindustrie eine Vielzahl von Arbeitsplätzen zu Verfügung stehe, die weder Lese- noch Schreibkenntnisse erfordert. Weitere Ermittlungen des 8. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (L 8 RJ 117/04) und des Sozialgerichts Duisburg (S 25 (7) RJ 20/04) haben jedoch ergeben, dass in den von dem Sachverständigen M. genannten Betrieben Arbeitsplätze, die keine Lese- und Schreibkenntnisse erfordern, nicht zur Verfügung stehen. Die von dem Sachverständigen M. in seinem Gutachten benannten Firmen verneinten in den beiden o.a. Streitverfahren die Frage, ob sie über Arbeitsplätze verfügen, die ein Arbeitnehmer besetzen kann, auch wenn er des Lesens und Schreibens unkundig ist. Unerheblich ist, dass die von dem Sachverständigen M. benannten Firmen I.-C. M. GmbH (mit insgesamt 15 Mitarbeitern), I. G. (mit insgesamt 10 Mitarbeitern), L. GmbH (mit 12 Mitarbeitern, die als Hilfskräfte eingesetzt werden) und X. J. (mit insgesamt 5 Mitarbeitern) nicht in die vorgenannte Befragung einbezogen wurden. Die in diesen Firmen zur Verfügung stehende Anzahl von Arbeitsplätzen reicht unter Beachtung des Umstandes, dass in größeren Firmen derartige Arbeitsplätze nicht vorhanden sind, nicht aus, um daraus schließen zu können, dass - auch wenn man unterstellt, dass es sich um Arbeitsplätze handelt, die keine Lese- und Schreibkenntnisse erfordern - entsprechende Arbeitsplätze in hinreichender Anzahl auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind.

Letztlich ist die Klägerin auch nicht als Warensortiererin in dem Bereich der Papier- und Elektroindustrie einsetzbar. Der dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.02.2008, Az: L 18 225/06, zu Grunde liegende Sachverhalt ist auf den hier zu entscheidenden nicht übertragbar. Die Versicherte des dortigen Streitverfahrens konnte zumindest Druckgeschriebenes lesen. Hierzu ist die Klägerin jedoch - wie erwähnt - nicht in der Lage. Zweifel, dass sie die in der o.a. Entscheidung genannte Tätigkeit verrichten kann, bestehen auch deshalb, weil die an langsam laufenden Produktionsanlagen zu verrichtende Tätigkeit nur wahlweise im Stehen oder Sitzen verrichtet werden kann, während die Klägerin lediglich in der Lage ist, in wechselnder Körperhaltung (so der Sachverständige Dr. L.) zu arbeiten. Dies erfordert jedoch die Möglichkeit, nicht nur im Stehen oder Sitzen, sondern auch auch im Gehen arbeiten zu können. Eine solche Möglichkeit besteht bei einer Tätigkeit an einer - wenn auch langsam - laufenden Produktionsanlage jedoch nicht.

Weitere Verweisungstätigkeiten wurden von der Beklagten nicht benannt und sind auch nicht ersichtlich.

Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung war gem. § 102 Abs. 2 S. 1 SGB VI zu befristen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Die Revision war zuzulassen, weil noch nicht hinreichend geklärt ist, ob das Vorliegen von Analphabetismus für sich allein oder nur bei Vorliegen weiterer ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder auch schon bei Vorliegen weiterer nicht ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu der Verpflichtung führt, eine Verweisungstätigkeit zu benennen, die der Versicherte trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch verrichten kann.
Rechtskraft
Aus
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