L 20 SO 373/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SF 264/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 373/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 07.06.2011 wird zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen den Kostenansatz für das vor dem Sozialgericht geführte Klageverfahren. Dort streiten die Beteiligten darüber, ob die Beklagte als Träger der Sozialhilfe von den Beschwerdeführern nach § 104 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Erstattung von Kosten für zu Unrecht erbrachte Leistungen in Höhe von insgesamt 8.949,24 Euro beanspruchen kann, die sie deren minderjährigem Sohn erbracht hat.

Durch Beschluss vom 17.02.2011 setzte das Sozialgericht Münster den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren vorläufig auf 8.949,24 Euro fest. Daraufhin forderte der Kostenbeamte die Beschwerdeführer mit Kostenrechnung vom 23.02.2011 auf, Gerichtskosten in Höhe von 363,00 Euro binnen eines Monats zu überweisen, wobei er irrtümlich einen Streitwert in Höhe von 5.000,00 Euro zugrunde legte.

Dagegen legten die Beschwerdeführer am 25.03.2011 Erinnerung ein. Zur Begründung führten sie aus, das Verfahren vor dem Sozialgericht sei für sie kostenfrei. Zwar gehörten sie nicht zu dem in § 197a Abs. 1 S. 1 i.Vm. § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausdrücklich genannten Personenkreis, der von der Kostenpflicht befreit sei. Da das Verfahren für die Beklagte als Träger der Sozialhilfe nach § 64 Abs. 3 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kostenfrei sei, stünden sie den nach § 183 SGG privilegierten Personen jedoch gleich; denn aus § 197a Abs. 3 SGG ergebe sich im Wege eines Umkehrschlusses, dass Streitigkeiten, in denen Träger der Sozialhilfe als Kläger oder Beklagte beteiligt seien und die nicht Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Sozialleistungsträgern zum Inhalt hätten, gerichtskostenfrei seien. Das gelte umso mehr, als in Verfahren in Angelegenheiten der Sozialhilfe, für die bis zum 31.12.2004 die Verwaltungsgerichte zuständig gewesen seien, gemäß § 188 S. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Gerichtskosten nicht erhoben worden seien.

Durch Beschluss vom 07.06.2011 hat das Sozialgericht die Erinnerung der Beschwerdeführer zurückgewiesen. Zugleich hat es die Kostenrechnung auf entsprechenden Antrag des Beschwerdegegners geändert und den Zahlbetrag - ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 8.949,24 Euro - auf 543,00 Euro festgesetzt. Eine entsprechende Kostenrechnung erging unter dem 07.06.2011 an die Beschwerdeführer.

Gegen den ihnen am 09.06.2011 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer am 22.06.2011 Beschwerde erhoben. Sie vertreten ergänzend die Auffassung, dass § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X, der - abweichend von § 188 S. 2 VwGO - Gerichtskostenfreiheit für die Träger der Sozialhilfe, nicht jedoch für die beteiligten Kläger und Beklagten vorsehe, im Zweifel auf einer planwidrigen Regelungslücke beruhen dürfte. Im Übrigen habe das Sozialgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es die Kostenrechnung im Erinnerungsverfahren auf Antrag des Erinnerungsgegners erhöht habe, ohne sie zuvor anzuhören.

Die Beschwerdeführer beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 07.06.2011 sowie die Kostenrechnungen des Urkundsbeamten vom 23.02.2011 und 07.06.2011 aufzuheben,
hilfsweise festzustellen, dass das Verfahren S 8 SO 264/10 vor dem Sozialgericht Münster für die Beschwerdeführer gerichtskostenfrei ist.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er schließt sich den Gründen des angefochtenen Beschlusses an.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 22.09.2010).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Der Senat ist für die Entscheidung über die Beschwerde zuständig. § 66 Abs. 6 S. 1 GKG (Gerichtskostengesetz), der vorsieht, dass das Gericht über die Beschwerde nur durch eines seiner Mitglieder entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde, ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar. Einzelrichter im Sinne dieser Vorschrift ist nur der Richter, dem die Entscheidung über den Rechtsstreit von dem gesamten Spruchkörper übertragen wurde (vgl. § 526 Zivilprozessordnung - ZPO -). Dies trifft auf den Kammervorsitzenden des Sozialgerichts jedoch nicht zu (ebenso LSG NRW, Beschluss vom 24.02.2006 - L 10 B 21/05 KA -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.04.2009 - L 5 B 451/08 KA -; Keller: in Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 155 Rdnr. 9 d, e).

Die zulässige, insbesondere nach § 66 Abs. 2 S. 1 GKG statthafte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 66 Abs. 3 S. 1 GKG), ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Erinnerung der Beschwerdeführer in dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und unter Abänderung des ursprünglichen Kostensatzes vom 23.02.2011 Kosten in Höhe von 543,00 Euro festgesetzt. Auch der hilfsweise gestellte Antrag festzustellen, dass das erstinstanzliche Verfahren für die Beschwerdeführer gerichtskostenfrei ist, hat daher - dessen Zulässigkeit zugunsten der Beschwerdeführer unterstellt - jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

Es handelt sich vorliegend um ein kostenpflichtiges Verfahren nach § 197a Abs. 1 S. 1 SGG. Nach dieser Vorschrift werden Kosten nach dem GKG erhoben, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu dem in § 183 SGG genannten Personenkreis gehört. Hierzu zählen Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), soweit sie in dieser Eigenschaft als Kläger oder Beklagter beteiligt sind (§ 183 S. 1 SGG).

Der beklagte Sozialhilfeträger gehört nicht zu diesem Personenkreis. Auch die Beschwerdeführer sind weder Versicherte noch - was darüber hinaus allein in Betracht kommt - Leistungsempfänger. Leistungsempfänger im Sinne des § 183 S. 1 SGG sind alle Personen, die Sozialleistungen im Sinne des § 11 SGB I beziehen. Die Beschwerdeführer streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Klageverfahren jedoch nicht als Empfänger von Sozialleistungen. Sie wenden sich vielmehr gegen einen Kostenerstattungsanspruch nach § 104 SGB XII. Ein solcher Anspruch richtet sich gerade nicht gegen den jeweiligen Leistungsempfänger, sondern gegen einen Dritten, der Leistungen der Sozialhilfe durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat.

Gerichtskostenfreiheit für das erstinstanzliche Verfahren lässt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht im Wege eines Umkehrschlusses aus § 197a Abs. 3 SGG begründen. Diese Regelung stellt lediglich klar, dass die Träger der Sozialhilfe nach dem Übergang der Zuständigkeit für die Sozialhilfe von den Verwaltungsgerichten auf die Sozialgerichte zum 1. Januar 2005 gemäß § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X zwar grundsätzlich weiter von Gerichtskosten freigestellt sind, dies jedoch ausnahmsweise nicht in Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern, die unter § 197a SGG fallen, gelten soll (Leitherer: in Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, a.a.O., § 197a Rdnr. 2a; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2007 - L 7 SO 5195/06 -). Abs. 3 entspricht insoweit der früheren Regelung in § 188 Satz 2, 2. Halbsatz Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der bis zum 14.12.2004 geltenden Fassung. Schon wegen des lediglich klarstellenden Charakters des § 197a Abs. 3 SGG lässt sich aus dieser Vorschrift jedoch nicht der Umkehrschluss ableiten, dass Verfahren, in denen Sozialhilfeträger als Kläger oder Beklagter beteiligt sind und die nicht Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Sozialhilfeträgern zum Gegenstand haben, gerichtskostenfreie Verfahren sind, für die die Kostenentscheidung nach § 193 SGG und nicht nach § 197a SGG zu erfolgen hat (Leitherer in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, a.a.O., § 197a Rdnr. 2b; einen Umkehrschluss ebenfalls verneinend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2007 - L 7 SO 5195/06 – und LSG NRW, Beschluss vom 09.01.2007 - L 20 B 137/06 SO - m.w.N.). Ob eine Streitsache von § 197a SGG erfasst wird oder nicht, ist vielmehr - und dies übersieht Groß (in: HK-SGG § 183 Rdrn. 12), auf den die Beschwerdeführer sich insoweit stützen - unabhängig von der Frage einer möglichen Kostenbefreiung des Sozialhilfeträgers nach § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X allein anhand der Kriterien des § 183 SGG zu beurteilen (Leitherer in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, a.a.O., § 197a Rdnr. 2b).

Ebenso wenig können die Beschwerdeführer ihr Begehren erfolgreich auf eine analoge Anwendung des § 188 S. 2 VwGO in der bis zum 14.12.2004 geltenden Fassung stützen; denn insoweit fehlt es jedenfalls an einer - für eine Analogie notwendigen - planwidrigen Regelungslücke. Zutreffend ist zwar, dass nach § 188 S. 2 VwGO in Angelegenheiten der Sozialhilfe bis zum 31.12.2004 grundsätzlich, also für sämtliche Beteiligten, Gerichtskosten nicht erhoben wurden, soweit es sich nicht um Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern handelte. § 183 SGG sieht eine entsprechend weitreichende Kostenbefreiung für die zum 1. Januar 2005 der Zuständigkeit der Sozialgerichte unterfallenden Sozialhilfeangelegenheiten jedoch nicht vor (LSG NRW, Beschluss vom 09.01.2007 - L 20 B 137/06 SO -), ohne dass Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 188 S. 2 VwGO unbewusst nicht in das SGG übernommen hat. Derartige Anhaltspunkte wurden im Übrigen auch von den Beschwerdeführern nicht vorgetragen. Die von ihnen geäußerte bloße Vermutung, es dürfe im Zweifel von einer ungewollten Gesetzeslücke auszugehen sein, trägt insofern nicht.

Der - somit dem Grunde nach zu Recht erfolgte - Kostenansatz ist schließlich auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung Kosten in Höhe von 543,00 Euro in Ansatz gebracht. Unter Zugrundelegung eines (vorläufigen) Streitwerts in Höhe von 8.949,24 Euro, den die Kammer mit Beschluss vom 17.02.2011 vorläufig festgesetzt hat und der nach § 63 Abs. 1 S. 2 GKG sowohl den Kostenbeamten als auch das Beschwerdegericht bindet, errechnen sich nach § 3 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 7110 des Kostenverzeichnisses (KV) der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG Gerichtskosten in Höhe von 543,00 Euro (= 3-facher Wert der Gebühr iHv 181,00 Euro). Dabei war das Sozialgericht befugt, den von dem Kostenbeamten mit Kostenrechnung vom 23.02.2011 ursprünglich in Ansatz gebrachten Betrag von 363,00 Euro auf Antrag des Beschwerdegegners entsprechend zu erhöhen; denn das Verbot der reformatio in peius (= Verschlechterungsverbot) steht einer Erhöhung zu Lasten des Kostenpflichtigen jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Beschwerdegegner - wie hier konkludent geschehen - (Anschluss-)Erinnerung eingelegt hat. Soweit die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang allein beanstanden, zuvor nicht angehört worden zu sein, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen; denn eine etwaige Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Sinne des § 62 SGG wurde jedenfalls dadurch geheilt, dass die Beschwerdeführer in der Beschwerdeinstanz ausreichend Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern (vgl. zu der Heilung im Beschwerdeverfahren Keller in Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, a.a.O., § 63 Rdnr. 11 e).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. 8 S. 2 GKG. Gebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben (§ 66 Abs. 8 S. 1 GKG

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 66 Abs. 3 S. 3 GKG).
Rechtskraft
Aus
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