L 20 B 45/09 AY

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AY 11/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 45/09 AY
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 23.9.2009 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, wobei in der Hauptsache streitig ist, ob ihr ab dem Jahr 2008 statt der Leistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen) zustehen.

Mit dem in der Hauptsache streitbefangenen Widerspruchsbescheid vom 20.5.2009 wies die Beklagte den Widerspruch, mit dem die Klägerin die Gewährung von Analogleistungen geltend gemacht hatte, zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Klägerin habe sich rechtsmissbräuchlich verhalten, indem sie mehrere Asylanträge gestellt habe, nach rechtskräftiger Ablehnung eines Asylantrages untergetaucht sei und einen Asylantrag unter falschem Namen gestellt habe.

Zur Begründung der Klage und des Antrages auf Bewilligung von Prozeskostenhilfe trug die Klägerin vor, das ihr zur Last gelegte Verhalten liege mehr als 10 Jahre zurück. Außerdem habe der Beklagte nicht bewiesen, dass das beanstandete Verhalten kausal für den derzeitigen Aufenthalt in der Bundesrepublik sei.

Mit Beschluss vom 22.9.2009 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht abgelehnt und sich dabei im Wesentlichen auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.6.2008 - Az. B 8 AY 1/07 R - bezogen, wonach der Beklagte das Verhalten der Klägerin zu Recht als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 2 AsylbLG angesehen habe. Mit ihrer am 8.10.2009 eingelegten Beschwerde macht die Klägerin geltend, sie habe lediglich im Jahre 1988 einen Asylantrag unter falschen Namen gestellt. Wegen des danach vergangenen langen Zeitraumes könne ihr dies unter "Verjährungsgesichtspunkten" nicht mehr zur Last gelegt werden. Es könne nicht angehen, dass nahezu sämtliche Straftaten in dem bereits zurückliegenden Zeitraum verjährt wären, der Klägerin aber noch ein Verhalten aus den Jahren 1991/1992 vorgehalten werden könne. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allein schließe es schon aus, ein derart lange zurückliegendes Verhalten heute noch zur angeblich rechtsmissbräuchlichen Verlängerung des Aufenthaltes heranzuziehen. Ferner müsse Berücksichtigung finden, dass sie aufgrund ihrer (muslimischen) Herkunft keine andere Chance gehabt habe, als sich in ihrer Ehe völlig dem Willen ihres Ehemannes zu unterwerfen. Unzählige Male sei sie von ihm Ehemann geschlagen worden. Es müsse zumindest geprüft werden, ob der Klägerin die AsylantragsteIlung unter falschen Personalien überhaupt angelastet werden könne oder ob sie aufgrund ihrer Herkunft und des Kulturkreises in dem sie gelebt habe, nicht stillschweigend den Entscheidungen ihres Ehemannes zu folgen gehabt habe, ohne eine eigene Entscheidungsmöglichkeit besessen zu haben. Außerdem komme es nicht auf eine generell-abstrakte Betrachtungsweise an, sondern ein Rechtsmissbrauch sei immer individuell zu prüfen, sowohl im Hinblick auf seine Vorwerfbarkeit als auch bezüglich seiner Kausalität für den derzeitigen Aufenthalt. Aus den Verwaltungsvorgängen des Ausländeramtes ergebe sich, dass die Ausländerbehörde selbst Zweifel gehabt habe, ob die Familie der Klägerin überhaupt nach Mazedonien habe abgeschoben werden konnte. Da einerseits die Klägerin nicht aus derselben Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien stamme wie ihr Ehemann und andererseits Zweifel bestanden hätten, ob wohl Mazedonien überhaupt bereit gewesen wäre, den in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Sohn Faton aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf habe zwar zwischenzeitlich den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch Urteil abgelehnt, das klageabweisende Urteil jedoch nicht auf das vor ewiger Zeit erfolgte Untertauchen gestützt, sondern darauf, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt lange Zeit nicht sichergestellt habe, über keinen ausreichenden Wohnraum verfüge und in einer Asylbewerberunterkunft lebe.

Die Beklagte hält die Beschwerde für unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung angeführten Erwägungen könnten das rechtsmissbräuchliche Verhalten der Klägerin nicht entschuldigen. Zum Zeitpunkt des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (1991/1992) seien Abschiebungen in den Kosovo durchaus möglich gewesen. Das rechtsmissbräuchliche Verhalten könne der Klägerin nach der Rechtsprechung des BSG - Urteil vom 17.6.2008, Az. B 8 A Y 1/07 R - auch dann vorgehalten werden, wenn es mehr als 10 Jahre zurückliege. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausreisepflicht der Klägerin unabhängig von ihrem Verhalten in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können, seien nicht ersichtlich und auch von der Klägerin nicht vorgetragen worden.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Klage hat keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) der Klägerin ist nach dem bisherigen Sachstand zwar zulässig aber unbegründet.

Zur Begründung nimmt der Senat zunächst im Wesentlichen Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Korrigierend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.7.2008, Aktenzeichen B 8 A Y 13/07 Rz. 17) die Stellung von Asylfolgeanträgen allein den Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht rechtfertigt.

Im Übrigen führt der Vortrag der Klägerin auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung zu keiner anderen Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Nach den Ausführungen der Klägerin ist als unstreitig anzusehen, dass sie zumindest einmal (Ende der Achtziger- bzw. Anfang der Neunzigerjahre ) unter falschem Namen (Nadja Galici, -5.5.1962) einen Asylantrag gestellt hat. Ferner ist als unstreitig anzusehen, dass sie nach Beendigung eines ihrer Asylverfahren für längere Zeit "untergetaucht" war. Sowohl die Stellung eines Asylantrages unter falschem Namen als auch das "Untertauchen" für längere Zeit sind geeignet, eine Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne von § 2 AsylbLG zu begründen (vgl. zusätzlich zu den in der angefochtenen Entscheidung genannten Zitaten auch BSG, Urteil vom 17.6.2008, Az. B 8 AY 5/07 R Rz. 15; Beschlüsse des Senats vom 12.1.2009, Az. L 20 B 42/08 AY sowie vom 14.12.2009, Az. L 20 B 39/09 AY). Mit dem Sozialgericht und der Beklagten ist in diesem Zusammenhang der Auffassung der Klägerin entgegenzutreten, dass es für die Beurteilung der Rechtsmissbräuchlichkeit bzw. der erforderlichen Kausalität zwischen dem fraglichen Verhalten und der Beeinflussung der Aufenthaltsdauer darauf ankäme, wie lange das vorwerfbare Verhalten zurückliegt (BSG, Urteil vom 17.6.2008, Az. B 8 AY 1/07 R Rz. 40).

Sofern die Klägerin vorträgt, ihr sei weder die AntragsteIlung unter falschem Namen noch das zwischenzeitliche "Untertauchen" individuell vorwerfbar, weil sie unter Gewaltanwendung ihres Mannes gelitten hätte, hält der Senat dies nicht für stichhaltig. Es fehlt schon jeder konkrete Ansatzpunkt dafür, dass Gewaltanwendungen des (inzwischen ehemaligen) Ehemannes der Klägerin in Verbindung mit den unrichtigen Angaben zur Identität und/oder dem "Untertauchen" standen. Ein größeres Zerwürfnis zwischen der Klägerin und ihrem ehemaligen Ehemann, welches zum vorübergehenden Aufenthalt in einem Frauenhaus führte, ist erst für das Jahr 2007 und damit für einen deutlich späteren Zeitpunkt vorgetragen und dokumentiert als das vorwerfbare Verhalten. Zudem wurde im Rahmen des bisherigen Verfahrens auch nicht behauptet, dass die Klägerin konkret von ihrem Ehemann sowohl zum "Untertauchen" als auch zur AntragsteIlung unter falscher Identität gezwungen worden wäre. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann mit guten Gründen die Relevanz des Vortrages der Klägerin insoweit überhaupt angezweifelt werden, da hierdurch auch im strafrechtlichen Bereich der individuelle "Schuldvorwurf für die Klägerin wohl nicht entfallen würde (vql. zu diesem Ansatzpunkt: BSG a.a.O. Rz. 39).

Ferner ist bisher auch nicht erkennbar, dass nach Maßgabe der Rechtsprechung des BSG (a.a.O. Rz. 44) in dem gesamten hier fraglichen Zeitraum beginnend spätestens ab 1992 bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidungen des Beklagten durchgängig ein allgemeines oder individuelles - das heißt in der Person der Klägerin liegendes - Abschiebungshindernis bestanden hätte.

Zumindest nach Mazedonien, wo die Klägerin vor ihrer Ausreise nach Deutschland mit ihrer Familie lebte, wäre nach dem bisherigen Sachstand eine Abschiebung in dem fraglichen Zeitraum (jedenfalls bis zu der Ehescheidung am 29.7.2008) möglich gewesen. Dies ergibt sich zum einen aus den aktenkundigen Informationen der Zentralen Ausländerbehörde Köln (ZAB), wonach auch bei nicht vollständig geklärter Staatsangehörigkeit eine Rückführung der Klägerin gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann im Rahmen der Familienzusammenführung hätte stattfinden können bzw. Mazedonien bereit gewesen wäre, die Klägerin aufzunehmen. Zum anderen ergibt sich dies daraus, dass der geschiedene Ehemann und der Sohn Faton zwischenzeitlich nach Mazedonien abgeschoben wurden. Denn hierdurch ist erkennbar, dass auch unter dem Gesichtspunkt der Volkszugehörigkeit ein (dauerndes) Abschiebehindernis nach Mazedonien nicht bestand. Dies steht im Übrigen auch in Einklang mit den Ausführungen in dem Schriftsatz der Beklagten vom 11.2.2010, der gerichtsbekannten Ergänzung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes zu Makedonien vom 23.11.1993, wonach Roma damals dort weder einer unmittelbaren noch einer mittelbaren staatlichen Verfolgung ausgesetzt waren, und den Erkenntnissen des Senates aus vorangegangenen Verfahren (dazu Senat, Beschluss vom 17.5.2006, Az. L 20 B 11/06 AY ER und Urteil vom 25.5.2009, Az. L 20 AY 20/07 - www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Individuelle durchgehend vorhandene Abschiebungshindernisse beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen sind auf der Grundlage der aktenkundigen medizinischen Unterlagen ebenfalls nicht erkennbar.

Weder in Bezug auf ein konkretes noch in Bezug auf ein individuelles Abschiebungshindernis wurden Umstände vorgetragen, die derzeit zu weiteren Ermittlungen Anlass geben würden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht gerechtfertigt ist.

Kosten sind gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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